Stichtag
Manchmal müsste der Tag 36 Stunden haben um alles zu schaffen und das Jahr gern 13 Monate, damit der Jahreswechsel nicht immer so plötzlich kommt. Für Lars, den Alleinunterhalter in der vorliegenden Geschichte, ...
Manchmal müsste der Tag 36 Stunden haben um alles zu schaffen und das Jahr gern 13 Monate, damit der Jahreswechsel nicht immer so plötzlich kommt. Für Lars, den Alleinunterhalter in der vorliegenden Geschichte, wir die Zeit am letzten Tag des Jahres knapp, stehen doch noch so viele unerledigte Dinge auf seiner Liste.
Wer kennt es nicht, 31. Dezember, ein Resümee steht an und plötzlich fällt einem auf, dass eigentlich noch so viel zu tun ist in diesen wenigen Stunden des alten Jahres. So viele Aufgaben wären noch zu erledigen, um nicht als Altlasten mit ins neue Jahr genommen zu werden und letztlich vielleicht, um etwas wieder ins Gleichgewicht zu bringen mit den Personen die man liebt, denn all zu oft wird auch das Zwischenmenschliche aufgeschoben. Die Autorin lässt ihren Protagonisten Lars als ziemlich gescheiterte Persönlichkeit durch diesen Tag stolpern, zurückgeworfen auf sich selbst reflektiert er sein Leben, seine Ehe, seine Karriere als Schriftsteller und muss leider feststellen, es sieht düster aus, so düster wie das verregnete Grau vor dem Wohnzimmerfenster.
Nele Pollastschek schreibt so herrlich ironisch überspitzt und doch so mitten aus dem Leben. Sie beschreibt einen Mann, der sich jahrelang für den Nabel der Welt hielt und nun plötzlich feststellt, dass er das eben nicht ist. Nach Schuldzuweisungen und einer intensiven Phase Selbstmitleid folgt dann die Kampfansage und so baut Papa, mit einer Wolldecke als Superheldenumhang, endlich ganz allein das Ikeabett der Tochter auf und schafft es sogar die, nach einem fiktiven Kampf mit einem Wildschwein entstandene, Verwüstung des Wohnzimmers zu beseitigen. Es ist so herrlich ihm und seinen aberwitzigen Gedankengängen zu folgen, ihn kämpfen und scheitern zu sehen, man weiß nicht ob man ihn anfeuern, oder bedauern soll. Die Geschichte ist vollkommen abstrus, aber auch so voller Realität, sie ist melancholisch, aber auch voller Hoffnung, ernst und doch unglaublich komisch, sie ist Ende und Neuanfang in einem. Und die Autorin erzählt si mit einem solchen Selbstverständnis, dass es ein Fest ist sie zu lesen.
Der Stil von Nele Pollatschek ist unglaublich weich und kraftvoll. Zu Beginn des Buches schreibt sie über Regen, Nieselregen, Nieselregen im Dezember. "Im Grunde nieselt es die ganze Zeit. Manchmal regnet es auch. So ein peitschender Regen, wie fettgeschmiertes Leder, ein Regen, der einen sofort wieder ins Haus prügelt. Aber meistens nieselte es. Feiner Nadelstreifenniesel, der in der Regenrinne klimpert und wenn man rausgeht, um die Hecke zu schneiden oder das Schuppendach zu reparieren, dann sticht es in den kalten Händen und dann geht man wieder rein. Am gefährlichsten aber ist der unsichtbare Niesel. Man steht am grauen Fenster und fragt, regnet es eigentlich noch. und erst wenn man draißen ist, sieht man die Kreise in den Pfützen, kleine Punkte, die sich ausdehnen in die Unendlichkeit..."
Und was soll ich sagen? Wenn diese Frau auf 400 Seiten über nichts anderes, als über Nieselregen geschrieben hätte, ich hätte das Buch nicht aus der Hand legen können. Und bitte, liebe Ikea-Aufbauanleitungschreiber, nehmt Lars unter Vertrag. Das mit seinem Roman hat ja nicht so geklappt, aber von seinem Knowhow in Sachen Namensfindung könnt ihr echt nur profitieren.
Herrlich, Kunst mit Worten - Wortkunst. Ich will mehr davon!