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Veröffentlicht am 27.09.2023

Cold Case aus Down Under

Hell
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Australisches Outback, eine rauen Landschaft, nicht sonderlich stark bevölkert. Die vereinzelten Farmen liegen meilenweit auseinander und falls ein Unglück geschieht, dauert es ewig, bis Hilfe eintrifft. ...

Australisches Outback, eine rauen Landschaft, nicht sonderlich stark bevölkert. Die vereinzelten Farmen liegen meilenweit auseinander und falls ein Unglück geschieht, dauert es ewig, bis Hilfe eintrifft. Das müssen auch die McCreerys erfahren, als im April 1999 die neunjährige Evelyn verschwindet. Es gibt keine Spuren, der Fall bleibt ungelöst und wandert zu den Akten. Ihre Zwillingsschwester Mina, mit der sie sich das Zimmer geteilt hat, ist seither nicht mehr dieselbe. In einer Selbsthilfegruppe lernt sie Jahre später eine junge Frau kennen, die ebenfalls ihre Schwester verloren hat. Zwei Cold Cases, heiß diskutiert in Internetforen. Hängen die Fälle zusammen?

Fast zwanzig Jahre später taucht der Privatdetektiv Lane Holland bei Mina auf, biete an, den Fall neu aufzurollen. Warum? Die Verschwundenen interessieren ihn nicht, ihm geht es um die stattliche Belohnung, ausgelobt von der Polizei und Minas verstorbener Mutter für das Auffinden Evelyns. Wie sich herausstellen wird, nicht seine alleinige Motivation.

Einem Vergleich mit Garry Disher hält Shelley Burr zwar nicht stand, aber dennoch bietet das 2019 mit dem CWA Debut Dagger prämierte Debüt durchaus Ansätze, die mit den Werken dieses Autors vergleichbar sind.

„Hell“ wird bei uns als Thriller vermarktet, liest sich aber schon allein wegen der detaillierten Sicht auf die handelnden Personen eher wie die Psychogramme zweier Menschen, deren Leben durch traumatische Ereignisse in der Vergangenheit aus der Bahn geworfen wurden. Jede/r hat Verletzungen und Schuldgefühle, verbirgt etwas, trägt Ungesagtes mit sich herum. Burr kriecht in die Köpfe ihrer Protagonisten und entblättert unter Verzicht auf schnelle Action und simple Antworten Schicht um Schicht ihre Persönlichkeit. Aber keine Angst, auch wenn Thriller-Leser/innen eine Auflösung erwarten, sie kommt.

Eine komplexe und spannende Geschichte aus Down Under mit einem atmosphärischen Setting und feingezeichneten Protagonisten. Lesenswert!

Veröffentlicht am 24.09.2023

Unterhaltsamer Schmöker und eine Geschichte des Kochens

Alte Hoffnung, neue Wege
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„Alte Hoffnung, neue Wege“ ist der zweite Band von Petra Durst-Bennings historischer Köchin-Trilogie und schreibt die Geschichte Fabiennes fort, deren größter Wunsch es ist, eines Tages im eigenen Restaurant ...

„Alte Hoffnung, neue Wege“ ist der zweite Band von Petra Durst-Bennings historischer Köchin-Trilogie und schreibt die Geschichte Fabiennes fort, deren größter Wunsch es ist, eines Tages im eigenen Restaurant hinter dem Herd zu stehen. Für ambitionierte Frauen Ende des 19. Jahrhunderts ein schier aussichtsloses Unterfangen, sind es zu dieser Zeit doch fast ausnahmslos Männer, die in den Küchen den Ton angeben. Aber es gibt zumindest in Lyon Ausnahmen, denn dort haben sich professionell kochende Frauen in dem lockeren Verbund der Mères Lyonaisses zusammengeschlossen, deren Können unter anderem maßgeblichen Einfluss auf den Sternekoch Paul Bocuse hatte. Durst-Benning hat sich für diese Reihe eingehend mit der Historie der Köchinnen beschäftigt. Liegt im ersten Band der Schwerpunkt noch auf den ersten Schritten, die Fabienne gehen muss, um ihren Traum zu verwirklichen und dabei von den Mères unterstützt wird, sind in diesem Roman die Küchenposten der klassischen Brigaden nach Auguste Escoffier eines der zentralen Themen.

Aber natürlich kommt auch, wie nicht anders zu erwarten, der Herz-Schmerz zu seinem Recht. Die Steine, die Fabienne in den Weg gelegt werden, die Verwerfungen im privaten Bereich, aber auch die kleinen Erfolge, die sie auf ihrem Weg zu verzeichnen hat. Und dann ist da natürlich auch noch der komplett überflüssige Handlungsstrang um ihren im Babyalter entführten Sohn, der hier weitergeführt wird. Dieser ist simpel und vorhersehbar, es ist mehr als klar, wie er enden wird.

Da die Autorin zu Beginn des Romans die Handlung des ersten Bandes auf das Wichtigste reduziert zusammenfasst, ist dessen Lektüre nicht unbedingt erforderlich. Besonders gefreut habe ich mich übrigens über die detaillierten Rezepte, die am Ende des Buches aufgeführt werden und sich auf Gerichte beziehen, die die Protagonistin im Laufe der Handlung kocht.

Wer sich für die Geschichte des Kochens interessiert und Lust auf einen historischen Schmöker mit (leider) vorhersehbaren Irrungen und Wirrungen hat, der im Süden Frankreichs verortet ist und sich an sprachlichen Schwächen nicht stört, wird hier bei aller Trivialität dennoch gut unterhalten. Ich konnte jedenfalls darüber hinwegsehen, ist dieser Roman doch für küchenaffine Leserinnen eine ideale Urlaubslektüre, die man im Idealfall unter südlicher Sonne genießt.

Für den abschließenden Band der Reihe gibt es bereits einen Titel. „Dunkle Tage, helle Stunden“ wird im kommenden Jahr erscheinen und ja, ich freue mich darauf.

Veröffentlicht am 12.09.2023

Liebeserklärung an die Highlands

Tweed Time
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Wer schon einmal Schottland im September besucht hat wird mir zustimmen. Das Heidekraut blüht üppig, die Sonne steht tief und Nebelschwaden überziehen die Glens in den schottischen Highlands. Es ist eine ...

Wer schon einmal Schottland im September besucht hat wird mir zustimmen. Das Heidekraut blüht üppig, die Sonne steht tief und Nebelschwaden überziehen die Glens in den schottischen Highlands. Es ist eine melancholische Stimmung, die sich über diesen Landstrich hoch im Norden des Vereinigten Königreichs legt und den nahenden Herbst ankündigt.

Für diejenigen, die Schottland lieben, ist Theresa Baumgärtners „Tweed Time“ mit Sicherheit ein Buch, das Erinnerungen und Emotionen weckt. Und wer noch nicht dort war, wird mit Sicherheit den Wunsch verspüren, die Highlands mit eigenen Augen zu sehen, speziell dann, wenn er/sie die stimmungsvollen Fotografien betrachtet, die die Textteile passen ergänzen.

Das Buch als Kochbuch zu bezeichnen, wäre definitiv zu kurz gesprungen, bietet es doch wesentlich mehr als nur Rezepte. Es ist eine atmosphärische Mischung aus Reiseberichten, Rezepten, DIY-Anleitungen und nicht zuletzt einer informativen Vorstellung des titelgebenden Stoffes, aus dem die Träume sind, aber vor allem ist es eine Liebeserklärung an die Highlands.

Die Rezepte sind auch mit wenig Erfahrung problemlos nachzukochen, die einzelnen Komponenten überall erhältlich. Aber ein Wermutstropfen trübt den guten Eindruck, denn leider orientieren sie sich nicht unmittelbar an den schottischen Klassikern, sondern überwiegend an den Zutaten, die im Herbst verfügbar sind. Das ist in Ordnung, aber wenn man unter anderem schon die Zubereitung von Focaccia, Feigenconfit und Crepes Suzette erklärt, hätte meiner Meinung nach auch ein Rezept für ein schottisches Lamb Stew und/oder das traditionelle Cranachan einen Platz verdient.

Veröffentlicht am 09.09.2023

Morbides jenseits von Sisi und Fiaker

Der Totengräber und der Mord in der Krypta (Die Totengräber-Serie 3)
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Wien an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Spiritistische Veranstaltungen haben Hochkonjunktur. Ein unübersichtliches Feld, das Scharlatanen und skrupellosen Betrügern unzählige Möglichkeiten bietet, und ...

Wien an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Spiritistische Veranstaltungen haben Hochkonjunktur. Ein unübersichtliches Feld, das Scharlatanen und skrupellosen Betrügern unzählige Möglichkeiten bietet, und eine Entwicklung, die Theodor Lichtenstein, ein renommierter Naturwissenschaftler und Freund von Oberpolizeirat Stukart, nicht nur mit großem Misstrauen beobachtet sondern auch aktiv bekämpft hat und schließlich mit dem Leben bezahlen muss. Leopold von Herzfeldt wird auf den Fall angesetzt, steht aber vor einem Rätsel, und einmal mehr setzt er auf die Hilfe von Augustin Rothmayer, Totengräber vom Zentralfriedhof. Aber dieser hat andere Sorgen, denn er will ein städtisches Waisenhaus unter die Lupe nehmen, aus dem seit einiger Zeit wiederholt Kinder verschwinden.

Über allem liegt die morbide Atmosphäre der Donaumetropole, aber „Der Totengräber und der Mord in der Kypta“ würde nicht funktionieren, wären da nicht die Kontraste, die sich aus den Darstellungen der unterschiedlichen Kreise ergeben, in denen sich die Protagonisten bewegen. Einerseits die Vertreter der gehobene Gesellschaft, die allen Veränderungen ablehnend gegenüberstehen, sich mit abstrusen Spielchen die Zeit vertreiben und über die sprichwörtlichen Leichen gehen, andererseits die einfachen Leute, die ihr Leben am Rande des Existenzminimums fristen und darauf hoffen, dass auch sie eines Tages vor gefüllten Schüsseln sitzen.

Natürlich gibt es Längen in diesem historischen Kriminalroman, was den detaillierten Beschreibungen, speziell im Fall der verschwundenen Kinder, geschuldet ist. Aber der Autor hat gründlich recherchiert und vermittelt damit ein stimmiges Bild dieser „guten, alten Zeit“ mit all ihren hässlichen Auswüchsen. Und er kann es sich nicht verkneifen, einem allseits bekannten Vertreter der Zunft einen unerwarteten Auftritt zu verschaffen, denn Sir Arthur Conan Doyle darf diesmal auch mitmischen.

Eine gelungene Fortsetzung der Reihe. Und beim nächsten Wien-Besuch werde ich mir mit Sicherheit nochmals die Katakomben unter dem Stephansdom im Detail anschauen.

Veröffentlicht am 07.09.2023

Rasant und spannend erzählter Polizeithriller

Das Dunkle in dir
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Sharon Boltons Lacey Flint ist zurück. Nach einer langen Pause liegt nun mit „Das Dunkle in dir“ endlich der fünfte Band der Reihe vor, und der hat es in sich, ist er doch thematisch am Puls der Zeit. ...

Sharon Boltons Lacey Flint ist zurück. Nach einer langen Pause liegt nun mit „Das Dunkle in dir“ endlich der fünfte Band der Reihe vor, und der hat es in sich, ist er doch thematisch am Puls der Zeit. Aber der Reihe nach.

Ein friedlicher Herbsttag nahe der Tower Bridge. Lacey Flint vom Metro-Team der Marine Unit ist mit Freundinnen zum Lunch verabredet. Doch dann zwei erschreckende Vorfälle mit zwei Babys, zwischen denen es offenbar einen Zusammenhang gibt. Das eine Kind treibt auf einem Schwimmtier auf der Themse, der andere Säugling wird aus einem Kinderwagen gerissen und entführt. Nur gut, Lacey und ihre Freundinnen vor Ort sind und durch ihr beherztes Eingreifen die Tragödie verhindern können.

DCI Mark Joesbury und sein Team sind mit den Ermittlungen betraut und setzen alles daran, die Verantwortlichen zu entlarven und zur Rechenschaft zu ziehen. Ihre Recherche bringt sie auf die Spur einer Gruppe hochgradig gestörter Männer, deren antiquierte Weltsicht für die Zunahme gewalttätiger Übergriffe auf Frauen in den Straßen Londons verantwortlich ist. Die Zeit drängt, denn durch ihre Rettungsaktion ist auch Lacey in den Fokus der „Incels“ geraten. Incels sind Frauenhasser, unfreiwillig Zölibatäre, die die „natürliche“ Ordnung (wie sie sie sehen) wiederherstellen wollen

Ein wichtiges Thema, dem sich die englische Autorin Sharon Bolton in diesem Polizeithriller widmet, denn gerade in London, aber nicht nur dort, haben in den vergangenen Jahren die gewalttätigen Übergriffe gegen Frauen, nicht nur im häuslichen Umfeld, stark zugenommen. Man erinnere sich nur an das Kidnapping und den Mord an Sarah Everard im vergangenen Jahr durch einen Police Officer.

So ist „Das Dunkle in dir“ eine gut geplottete, rasant und spannend erzählte Story mit unerwarteten Wendungen, die erschreckend realistisch in der Gegenwart verankert ist.