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Veröffentlicht am 12.09.2023

Poirot in Hochform

A Haunting in Venice
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Ariadne Oliver, eine Bekannte von Hercules Poirot, verbringt einige Tage bei einer Freundin auf dem Land und hilft hier bei den Vorbereitungen zu einer Halloween-Party für die ortsansässigen Kinder. Wenige ...

Ariadne Oliver, eine Bekannte von Hercules Poirot, verbringt einige Tage bei einer Freundin auf dem Land und hilft hier bei den Vorbereitungen zu einer Halloween-Party für die ortsansässigen Kinder. Wenige Tage später meldet sie sich völlig aufgelöst bei Poirot und bittet um ein Treffen, was sie zu berichten hat ist auch für den berühmten Detektiv nur schwer zu glauben, während der Party wurde ein junges Mädchen brutal ertränkt. An eine zufällige Gelegenheitstat will Poirot nicht so recht glauben und so reist er nach Woodleigh Common, wo zufällig auch ein alter Bekannter von ihm lebt.

A Haunting in Venice, im Original Hallowe'en Party, deutscher Titel Die Schneewittchen-Party, ist der 60. Roman der Autorin und im Jahr 1969 erschienen. Nach einigen Verfilmungen fürs Fernsehen dient das Buch nun als Vorlage für den dritten Kionofilm mit Kenneth Branagh in der Rolle des berühmten Detektivs. Im Vorwort des Drehbuchautors erfährt der Leser wie es dazu kam, dass dieses Buch ausgewählt wurde und es gibt eine Entschuldigung dafür, dass man sich diesesmal nicht ganz so an Original von AC gehalten hat. Er befürchtet den Unmut echter AC Fans "Christie Fans lieben Christie mit Haut und Haar. ... Sie lesen nicht nur immer wieder, sie lesen auch immer wieder dieselben Exemplare im selben Sessel, nippen den gleichen Tee aus der selben angeschlagenen Tasse.", er glaubt wir könnten der Verfilmung nicht neutral begegnen, "Wenn sie ein Buch jedoch wirklich lieben, wenn sie dem Autor oder der Autorin zu Füßen liegen und enorm viel verdanken, dann ist es schwer, unparteiisch zu sein. Loslassen tut weh."

Nun, um unparteiisch sein zu können musste ich ACˋs Roman ersteinmal lesen, denn das hatte sich bisher noch nicht ergeben. Der Fall führt gleich mehrere bekannte Figuren zusammen, so Poirots Schriftstellerfreundin Ariadne Oliver und Superintendent Spence, aber auch andere Namen wird der Leser wiedererkennen. Die Geschichte ist ein sehr typischer Poirot Fall, selbst bei der Tat nicht anwesend, wird er später hinzugezogen um zu helfen. Durch das Zusammentragen der Fakten, Nachforschungen und Gespräche mit Beteiligten und Zeugen setzt er schließlich mit Hilfe seiner kleinen grauen Zellen das Puzzle zusammen. Aus den Dialogen mit den verschiedenen Personen zieht Poirot all seine Informationen und ich hatte hier das Gefühl, dass Buch besteht fast nur aus Dialogen. Der Leser erhält eins zu eins die selben Infos wie Poirot und kann so super mitkriminalisieren. Tatsächlich hatte ich auch schnell eine Ahnung zum Täter, die genauen Zusammenhänge konnten mich dann aber doch wieder überraschen. Wie immer bei AC ist das Warum nicht immer ganz so geradlinig, aber dafür umso spannender.

Ich habe bereits einige von ACˋs Büchern gelesen und und muss sagen, dass dieses eindeutig eins ihrer Besten ist. Die Geschichte berührt den Leser, da es sich bei dem Opfer um ein junges Mädchen handelt, sie ist spannend und nachvollziehbar erzählt und zeigt einen Poirot in Hochform (wenn auch leicht angeschlagen wegen seiner zu engen Schuhe). Ich bin gespannt auf die Umsetzung im Film und werde den Drehbuchautor sicher nicht wegen "Majestätsbeleidigung" verwünschen. AC Leser sind ja durchaus tolerant und weltoffen und wenn mir der Film tatsächlich nicht gefällt, nem ich mir eine Tasse Tee, setze mich in meinen Sessel und lese das Original einfach nochmal.

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Veröffentlicht am 08.09.2023

Stichtag

Kleine Probleme
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Manchmal müsste der Tag 36 Stunden haben um alles zu schaffen und das Jahr gern 13 Monate, damit der Jahreswechsel nicht immer so plötzlich kommt. Für Lars, den Alleinunterhalter in der vorliegenden Geschichte, ...

Manchmal müsste der Tag 36 Stunden haben um alles zu schaffen und das Jahr gern 13 Monate, damit der Jahreswechsel nicht immer so plötzlich kommt. Für Lars, den Alleinunterhalter in der vorliegenden Geschichte, wir die Zeit am letzten Tag des Jahres knapp, stehen doch noch so viele unerledigte Dinge auf seiner Liste.

Wer kennt es nicht, 31. Dezember, ein Resümee steht an und plötzlich fällt einem auf, dass eigentlich noch so viel zu tun ist in diesen wenigen Stunden des alten Jahres. So viele Aufgaben wären noch zu erledigen, um nicht als Altlasten mit ins neue Jahr genommen zu werden und letztlich vielleicht, um etwas wieder ins Gleichgewicht zu bringen mit den Personen die man liebt, denn all zu oft wird auch das Zwischenmenschliche aufgeschoben. Die Autorin lässt ihren Protagonisten Lars als ziemlich gescheiterte Persönlichkeit durch diesen Tag stolpern, zurückgeworfen auf sich selbst reflektiert er sein Leben, seine Ehe, seine Karriere als Schriftsteller und muss leider feststellen, es sieht düster aus, so düster wie das verregnete Grau vor dem Wohnzimmerfenster.

Nele Pollastschek schreibt so herrlich ironisch überspitzt und doch so mitten aus dem Leben. Sie beschreibt einen Mann, der sich jahrelang für den Nabel der Welt hielt und nun plötzlich feststellt, dass er das eben nicht ist. Nach Schuldzuweisungen und einer intensiven Phase Selbstmitleid folgt dann die Kampfansage und so baut Papa, mit einer Wolldecke als Superheldenumhang, endlich ganz allein das Ikeabett der Tochter auf und schafft es sogar die, nach einem fiktiven Kampf mit einem Wildschwein entstandene, Verwüstung des Wohnzimmers zu beseitigen. Es ist so herrlich ihm und seinen aberwitzigen Gedankengängen zu folgen, ihn kämpfen und scheitern zu sehen, man weiß nicht ob man ihn anfeuern, oder bedauern soll. Die Geschichte ist vollkommen abstrus, aber auch so voller Realität, sie ist melancholisch, aber auch voller Hoffnung, ernst und doch unglaublich komisch, sie ist Ende und Neuanfang in einem. Und die Autorin erzählt si mit einem solchen Selbstverständnis, dass es ein Fest ist sie zu lesen.

Der Stil von Nele Pollatschek ist unglaublich weich und kraftvoll. Zu Beginn des Buches schreibt sie über Regen, Nieselregen, Nieselregen im Dezember. "Im Grunde nieselt es die ganze Zeit. Manchmal regnet es auch. So ein peitschender Regen, wie fettgeschmiertes Leder, ein Regen, der einen sofort wieder ins Haus prügelt. Aber meistens nieselte es. Feiner Nadelstreifenniesel, der in der Regenrinne klimpert und wenn man rausgeht, um die Hecke zu schneiden oder das Schuppendach zu reparieren, dann sticht es in den kalten Händen und dann geht man wieder rein. Am gefährlichsten aber ist der unsichtbare Niesel. Man steht am grauen Fenster und fragt, regnet es eigentlich noch. und erst wenn man draißen ist, sieht man die Kreise in den Pfützen, kleine Punkte, die sich ausdehnen in die Unendlichkeit..."

Und was soll ich sagen? Wenn diese Frau auf 400 Seiten über nichts anderes, als über Nieselregen geschrieben hätte, ich hätte das Buch nicht aus der Hand legen können. Und bitte, liebe Ikea-Aufbauanleitungschreiber, nehmt Lars unter Vertrag. Das mit seinem Roman hat ja nicht so geklappt, aber von seinem Knowhow in Sachen Namensfindung könnt ihr echt nur profitieren.

Herrlich, Kunst mit Worten - Wortkunst. Ich will mehr davon!

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Veröffentlicht am 08.09.2023

Alles weg

Eigentum
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Die Mutter, noch täglich vom Pflegepersonal in den Rollstuhl gesetzt, erkennt oft den eigenen Sohn nicht, erinnert sich aber minutiös an ihre Kindheit und Jugend. 95 harte, entbehrungsreiche Jahre, einen ...

Die Mutter, noch täglich vom Pflegepersonal in den Rollstuhl gesetzt, erkennt oft den eigenen Sohn nicht, erinnert sich aber minutiös an ihre Kindheit und Jugend. 95 harte, entbehrungsreiche Jahre, einen Weltkrieg und mehr als einmal die Erfahrung, wie es ist, wenn das Geld plötzlich nichts mehr wert ist. Ein lebenlang hat sie gespart und sich nie den Traum vom Eigentum erfüllen können, bis zu ihrem Tod und dem damit verbundenen Umzug in ihre eigenen 1,7 Quadratmeter.

Es liest sich schon stellenweise etwas schräg, wenn der Autor hier so über seine eigenbrötlerische Mutter schreibt, wie er ihre Lebenserinnerungen wiedergibt. Aber gerade das ist es, was das Buch interessant macht und abhebt vom Mainstream. Die nicht ganz 160 Seiten sind schnell weggelesen, der Stil des Autors macht es einem leicht ihm zu folgen, auch wenn seine Gedankengänge manchmal schon etwas konfus sind und auch die Erinnerungen der Mutter oft leicht wirr daher kommen. Sei es dem Alter geschuldet, oder einfach ihrer Dialektik. In den Ausführungen der Mutter kann es einem dann auch manchmal etwas lang werden, ähnlich wie in einem Gespräch mit der eigenen Großmutter, deren Geschichte vom Gottesdienst zu Ostersonntag, in den sie mit Rock und Strümpfen gezogen sind und bei dessen Ende ein plötzlicher Kälteeinbruch für Schneeverwehungen gesorgt hatte. Alles schon tausendfach in den verschiedensten Varianten gehört und trotzdem muss man Interesse vorgeben und an den richtigen Stellen zustimmend, oder erstaunt murren. Man kennts und mich hat es nicht gestört, wurden diese Episoden doch immer wieder unterbrochen von den Gedankengängen des Sohnes.

Der Autor erzählt auf berührende Weise von einer Frau, die es nie leicht hatte im Leben und die dadurch bis zuletzt geprägt wurde, einer Frau, die Andere mit ihrer offenen, direkten Art oft beleidigt hat, deren Nachhilfeschüler aber allesamt an ihrem Grab geweint haben. Er erzählt eine Lebensgeschichte, wie sie stellvertretend für viele aus dieser Generation ist, einer Generation, die wir bald einzig aus solchen Erzählungen kennen werden.

Das Buch kommt als schmales Hardcover mit Schutzumschlag daher, wobei ich den an braunes Packpapier erinnernden Umschlag jetzt etwas nichtssagend finde, aber man hat sich sicher etwas dabei gedacht. Hier sollte man sich tatsächlich nicht von der Optik abschrecken lassen und dem Buch eine Chance geben.

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Veröffentlicht am 27.08.2023

Berührend

Die Erinnerungsfotografen
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Man sagt ja immer, wenn man stirbt zieht das ganze Leben an einem vorbei. Aber welche Bilder, welche Erinnerungen sind es wohl, die einem da ins Gedächtnis kommen? Der erste Schultag, die Hochzeit, Geburt ...

Man sagt ja immer, wenn man stirbt zieht das ganze Leben an einem vorbei. Aber welche Bilder, welche Erinnerungen sind es wohl, die einem da ins Gedächtnis kommen? Der erste Schultag, die Hochzeit, Geburt der Kinder, welche Erinnerungen sind so gewichtig, so wertvoll, dass sie für die letzten Momente ausgewählt werden.
Im Fotostudio von Herrn Hirasaka darf jeder Verstorbene selbst aus seinen vielen Erinnerungen die Schönsten, Emotionalsten, Wichtigsten auswählen und sich diese in der Phase des Übergangs ansehen. Und sollte eine Erinnerung einmal verblasst sein, reist man mit zu ihrem Ursprung zurück und archiviert sie neu.

Sanaka Hiiragi hat einen eher ungewöhnlichen Handlungsort für sein Buch gewählt, ein vermeintliches Fotostudio als Zwischenstopp auf dem Weg ins Jenseits. Eine recht tröstliche Vorstellung wie ich finde. Kein Fegefeuer erwartet einen, oder Götter die das Herz wiegen, sondern ein netter älterer Herr, der einem eine Tasse Tee anbietet, die Lieblingssüßigkeit serviert und dann in Lebenserinnerungen schwelgt, die man längst vergessen glaubte, um so den Übergang so angenehm wie möglich zu gestalten.

Der Leser begegnet drei von Herrn Hirasakas Kunden und erfährt anhand ihrer Erinnerungen was für Menschen sie waren. Da ist die nette alte Dame, Kindergärtnerin aus Berufung, ein Gauner mit weichem Herz und letztlich ein kleines Mädchen, das unendliches Leid erfahren hat. Alle begleitet Herr Hirasaka, hat teil an ihren Erinnerungen, wohl auch weil er selbst keine hat.

Mich hat das Buch sehr berührt. Die leisen Töne, die letztlich so viel Kraft und Energie enthalten hallen noch lange beim Leser nach. Man wird während der Lektüre daran erinnert, wie schön das Leben auch in den kleinsten Momenten ist, man muss halt einfach nur genau hinsehen.

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Veröffentlicht am 27.08.2023

Invormativ

Wer zur Hölle ist der Teufel?
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Ich bin Christin, glaube an Gott, müsste also zwangsläufig auch an den Teufel glauben, allerdings habe ich als Mitglied der evangelischen Kirche das Glück, dass dem Teufel, dem Gegenspieler Gottes, hier ...

Ich bin Christin, glaube an Gott, müsste also zwangsläufig auch an den Teufel glauben, allerdings habe ich als Mitglied der evangelischen Kirche das Glück, dass dem Teufel, dem Gegenspieler Gottes, hier nicht die Bedeutung beigemessen wird, wie zb bei den Katholiken. Trotzdem begegne auch ich diesem Thema ständig, hauptsächlich natürlich in Film und Fernsehen, oder in Büchern, hier treibt der Teufel in seinen verschiedenen Gestalten sein Unwesen und dabei ist er nicht mehr nur das furchteinflößende Konstruckt mit Hörnern und Ziegenfuß, sondern oft der charmante, gutaussehende Verführer.

Simone Paganini als Professorin für Biblische Theologie und Sebastian Huncke, Autor und Moderator des Wissensmagazins TM Wissen auf Servus TV beleuchten in diesem Buch auf 105 Seiten nun die Frage, was uns so an dem Bösen fasziniert und welche Bedeutung der Teufel in der Bibel und der Geschichte tatsächlich hat. Unterstützt werden sie vom Zeichner Christian Wischnewski, der jedem Kapitel eine Illustration voranstellt.

Der Schreibstil der Autoren ist leicht zu lesen, die im Buch enthaltenen Fakten für den Leser leicht verständlich erzählt, oft mit einem Augenzwinkern. Man erfährt, wie ältere Kulturen mit dem Thema umgegangen sind, dass schon früh das Böse mit einer weiblichen Gottheit assoziiert wurde und das es nicht diesen einen Teufel gab, sondern Viele, quasi für jede Lebenslage einen Speziellen. Interessant wird es dann mit der Deutung der Bibel, in der es ursprünglich gar keinen Teufel gab und wie dieser dann quasi aus älteren Mythen mehr oder weniger erschaffen wurde, um die Gläubigen bei der Stange zu halten (man denke nur an den Ablasshandel, oder die Hexenprozesse) und das Vieles in der umfangreichen Geschichte des teuflisch Bösen auf fehlerhafte Übersetzungen, oder andere Deutungsfehler zurückzuführen ist.

Im Laufe der Zeit musste der Teufel für Vieles herhalten. So war er es, in Gestalt der Schlage, der Eva verführt und so die Vertreibung aus dem Paradies anstößt. Bei unerkärbaren Krankheiten gilt die Person als vom Teufel besessen, man kann sich aber auch bei einem Verbrechen damit herausreden, dass der Teufel in einen gefahren wäre. Aus heutiger Sicht betrachtet wirkt Vieles in diesem Zusammenhang fast absurd, wenn beispielsweise Holzwürmer als Handlanger des Teufels vor Gericht gestellt werden, Anderes ist ein schreckliches Zeichen für den Machtmissbrauch der Kirche.

Am Ende des Buches diskutieren die Autoren darüber, wie "zeitgemäß" die Figur des Teufels noch ist und wie wir aufgeklärten, zivilisierten Menschen der Neuzeit sie immernoch gern als Sündenbock hernehmen. Da wir eine Pandemie eben schnell mal von teuflischen Mächten gesteuert, oder bestimmten Personen werden satanische Machenschaften angedichtet. Tausende Jahre Kampf des Guten gegen das Böse in Gestalt des Teufels lassen sich halt nicht so einfach durch ein paar Folgen Luzifer bei Amazon Prime wegwischen.

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