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Veröffentlicht am 18.09.2023

Tiefgründig und berührend

Kein guter Mann
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Der Klappentext ließ mich an "Ein Mann namens Ove" oder an "Frankie" (von Gutsch/Leo) denken - ein alter, mürrischer einsamer Mann begegnet einem liebenswerten Menschen oder Tier, findet hierdurch seine ...

Der Klappentext ließ mich an "Ein Mann namens Ove" oder an "Frankie" (von Gutsch/Leo) denken - ein alter, mürrischer einsamer Mann begegnet einem liebenswerten Menschen oder Tier, findet hierdurch seine Lebensfreude wieder und befreit sich aus seiner sozialen Isolation. In gewissem Sinne trifft das auch auf "Kein guter Mann" zu, und doch geht dieser Roman insbesondere in der zweiten Hälfte weit darüber hinaus.

Die Geschichte um den Postboten Walter beginnt zunächst eher leicht und mit wunderbar pointiertem, trockenem und hintergründigem Humor. Einige Stellen sind wirklich grandios! Alexander Izquierdo hat mit Walter eine sehr vielschichtige, fein gezeichnete Figur erfunden, die niemals platt wirkt. So ist Walter zwar eigenbrötlerisch, zurückgezogen und eckt durch seine schroffe Art überall an, er ist aber dennoch in der Lage, Empathie zu empfinden, wie an der Beziehung zu seiner Tochter deutlich wird. Auch seine Unbeholfenheit im Umgang mit Bens Briefen und seine Versuche, ihm zu helfen, sind glaubhaft geschildert.

Je weiter das Buch fortschreitet, und je mehr man über die Lebensgeschichte von Walter erfährt, desto mehr Tiefe erhält es, und umso nachdenklicher und auch trauriger stimmte es mich als Leserin, da Walter eine äußerst tragische Figur ist, die immer mit besten Absichten handelt, und dennoch missverstanden wird und ins Unglück rennt. Je mehr ich über Walter erfahren habe, desto mehr habe ich mit ihm mitgefühlt und gelitten, und mich über seine Familie geärgert, die Walter mangelndes Einfühlungsvermögen vorwirft, im Gegenzug aber selbst oberflächlich und empathielos wirkt (mit Ausnahme der Tochter).

Eine kleine Randbemerkung/Trivia:
Ältere Leser*innen dürfte die Wendung "Mein Gott, Walter", die als Überschrift des 2. Buchteils und in Walters Mailadresse auftaucht, an Mike Krügers gleichnamiges Lied erinnern, in dem es heißt "Und wenn er mal was machte, machte er's meist verkehrt", was in gewissem Sinne auch auf Walter im Buch zutrifft. Ob es Zufall ist, dass Walter aus dem Song bei Rauch sofort an Feuer denkt und mit dem Feuerlöscher losrennt, und der letzte Buchteil "Wo Rauch ist, ist auch Feuer" heißt? Wie auch immer, in jedem Fall hat das Buch deutlich mehr Tiefgang, sprachliche Größe und Niveau als Mike Krügers Blödelsong.

Fazit: Dieses Buch ist alles andere als eine locker-leichte sentimentale vorweihnachtliche Geschichte, sondern ein wunderbar geschriebener, sehr tiefgründiger und zum Nachdenken anregender Roman über das Leben, der mich sehr berührt hat. Unbedingt lesenswert!​

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Veröffentlicht am 18.09.2023

Wieder ein Meisterwerk von Ammaniti

Fort von hier
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Vor ein paar Wochen habe ich eher zufällig die Bücher von Niccolo Ammaniti entdeckt und seinen wieder aufgelegten Bestseller "Ich habe keine Angst" und das brandneue "Intimleben" regelrecht verschlungen. ...

Vor ein paar Wochen habe ich eher zufällig die Bücher von Niccolo Ammaniti entdeckt und seinen wieder aufgelegten Bestseller "Ich habe keine Angst" und das brandneue "Intimleben" regelrecht verschlungen. Nun wollte ich auch unbedingt "Fort von hier" lesen.

Hier verbindet Ammaniti auf schicksalhafte Weise das Leben des alternden Musikers, Frauenhelden und Träumers Graziano Biglia mit dem der zurückgezogen lebenden Lehrerin Flora Palmieri und dem des zwölfjährigen schüchternen Jungen Pietro Moroni.

Wie immer bei Ammaniti fasziniert mich die Leichtigkeit und Virtuosität seines unverwechselbaren Schreibstils, mit der er eine ganz besondere Atmosphäre schafft. Man vermeint beim Lesen Ammanitis Lust am Erzählen förmlich zu spüren. Allein der ständige fliegende Wechsel zwischen der auktorialen Erzählperspektive und der Ich-Perspektive der einzelnen Charaktere ist ein herrlicher Kunstgriff. Ammaniti entwickelt seine Figuren so messerscharf, detailliert und lebendig, dass ich alle Personen und das Örtchen Ischiano Scalo in allen Einzelheiten lebendig vor mir sah. Auch bei "Fort von hier" zeigt sich Ammanitis Freude an extremen Figuren und Situationen. Er zeichnet ein Bild italienischer Dörfer abseits pittoresker Urlaubsorte, trostlos, perspektivlos, öde und heruntergekommen, und blickt schonungslos in die Abgründe und auf die Schwächen seiner Protagonist:innen. Dies schlägt sich auch sprachlich nieder, so dass einige Passagen recht vulgär gehalten sind, worauf man als Leser:in gefasst sein sollte.

Wie sich die Wege der drei Hauptfiguren kreuzen und ihr Leben für immer verändern, ist so spannend  erzählt, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte und bis zum Schluß gerätselt habe, wie es enden würde.

Ammaniti entwickelt sich zu einem meiner Lieblingsautoren, und "Fort von hier" hat mich absolut begeistert!

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Veröffentlicht am 13.09.2023

Ein absolutes Lieblingsbuch!

Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit
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"Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit" von G. Z. Schmidt Ist eines der schönsten Kinder- und Jugendbücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe.

Geschickt verwebt die Autorin zwei Handlungsstränge ...

"Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit" von G. Z. Schmidt Ist eines der schönsten Kinder- und Jugendbücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe.

Geschickt verwebt die Autorin zwei Handlungsstränge und verschiedene Zeitebenen miteinander zu einem spannenden, anrührenden und magischen Zeitreiseabenteuer. Dabei erzählt sie so lebendig, dass ich vom ersten Moment an richtig eintauchen und mit dem zwölfjährigen Adam mitfühlen konnte. Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto klarer wird, wie die Geschehnisse, die Adam bei seinen einzelnen Zeitreisen in die Vergangenheit erlebt, miteinander zusammenhängen, bis sich zuletzt ein wunderbar rundes Ende ergibt.

Auf seiner Reise durch die Zeit begegnet Adam nicht nur außergewöhnlichen Menschen, sondern spürt ganz nebenbei existenziellen Fragen nach: Wer hätte sich nicht schon einmal gewünscht, Vergangenes ändern, in der Gegenwart seinen Willen durchzusetzen oder in die Zukunft sehen zu können? Doch welche Folgen würde das mit sich bringen und welche Bürden würden daraus entstehen? Und was bedeutet es, ganz im Hier und Jetzt zu leben? Auf wunderbar kluge und anschaulicher Weise hält das Buch nicht nur für Adam, sondern auch für die Leser und Leserinnen eine wichtige Erkenntnis bereit, ohne dabei jemals belehrend zu wirken.

Ein rundum lesenswertes, zauberhaft geschriebenes und virtuos konstruiertes Buch, das ich von ganzem Herzen weiterempfehlen möchte.





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Veröffentlicht am 05.09.2023

Hervorragende Hörspiel-Inszenierung

Momo - Das Hörspiel
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Zum 50. Geburtstag des Kinder- und Jugendbuchklassikers Momo von Michael Ende erscheint bei Hörbuch Hamburg/Silberfisch ein neu inszeniertes Hörspiel unter der Regie von Robert Schoen. Die Laufzeit beträgt ...

Zum 50. Geburtstag des Kinder- und Jugendbuchklassikers Momo von Michael Ende erscheint bei Hörbuch Hamburg/Silberfisch ein neu inszeniertes Hörspiel unter der Regie von Robert Schoen. Die Laufzeit beträgt 3 Stunden und 43 Minuten.

Da ich Michael Endes Bücher seit meiner Kindheit liebe, war ich richtig gespannt auf die Hörspielversion - und bin begeistert! Das Ensemble erweckt die Figuren gekonnt zum Leben und ich konnte sofort richtig in die Geschichte abtauchen. Vor allem die Stimme des Erzählers Friedhelm Ptok passt ganz hervorragend. Das Herzstück des Hörspiels ist für mich die liebevolle und differenzierte musikalische Gestaltung durch Tobias Unterberg, die das Geschehen wunderbar unterstreicht und eine ganz besondere Atmosphäre erzeugt. Man spürt, mit wie viel Liebe zum Detail, Qualität und Sorgfalt hier produziert wurde.

Mir hat dieses Hörspiel wirklich gut gefallen und ich kann es rundum weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 01.09.2023

Lesen, lesen, lesen!

Eigentum
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​"Eigentum" von Wolf Haas ist ein (auto)biographisch geprägter Roman über die letzten Lebenstage seiner Mutter, die 95jährig in einem Pflegeheim verstirbt. Passagen des Ich-Erzählers Wolf Haas, der die ...

​"Eigentum" von Wolf Haas ist ein (auto)biographisch geprägter Roman über die letzten Lebenstage seiner Mutter, die 95jährig in einem Pflegeheim verstirbt. Passagen des Ich-Erzählers Wolf Haas, der die letzten Stunden bei seiner Mutter in seinem Heimatort verbringt, wechseln sich mit Rückblenden ab, in denen er seine Mutter als Ich-Erzählerin von ihrem Leben berichten lässt. Diese Erinnerungen sind umgangssprachlich und mit dialektalen Einsprengseln gehalten. Der Sprachduktus hat mich sehr an die Erzählweise meiner eigenen Großmutter erinnert. Einige Erinnerungen sind bewusst widersprüchlich gehalten, manches wiederholt sich, als würde man tatsächlich einem alten Menschen beim Erzählen zuhören. Bereits durch diese sprachlichen Mittel hatte ich ein lebendiges Bild seiner Mutter vor Augen.


Für die Mutter, 1923 geboren, waren die Kriegsjahre und die erlebten Inflationen prägend. Der Wunsch nach Eigentum war immer da, erfüllte sich zu Lebzeiten jedoch nie - erst mit dem Begräbnis, so sinniert Wolf, bezieht sie erstmals eigenen Wohnraum, die letzte Wohnung für die Ewigkeit, 1,7 qm im bester Lage, unverbaubar.

Das Buch ist geprägt von dem für Wolf Haas typischen Humor und seiner Kunst, die Alltagssprache authentisch einzufangen und literarisch anspruchsvoll zu verarbeiten. Trotz seines manchmal recht bissigen Humors, auch im Angesicht des Todes, und des klaren Blicks auf die Ecken und Kanten seiner Mutter spürt man eine große Zuneigung aus seinen Worten, und das Buch ist eine schöne Hommage an sie und vielleicht auch an viele Frauen aus dieser Generation, die ein ähnliches Leben geführt haben. Lesenswert!





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