Ein dunkles Kapitel in der deutsch-tschechischen Geschichte
Als das schwedische Paar Sonja und Daniel sich in Böhmen einen Weinberg kaufen, sollte es für beide ein Neuanfang werden. Die Kinder sind aus dem Haus, um ihr Ehe steht es nicht zum Besten, und Sonja fragt ...
Als das schwedische Paar Sonja und Daniel sich in Böhmen einen Weinberg kaufen, sollte es für beide ein Neuanfang werden. Die Kinder sind aus dem Haus, um ihr Ehe steht es nicht zum Besten, und Sonja fragt sich mehr als einmal, warum es ausgerechnet Tschechien sein musste und nicht Portugal oder Spanien.
Das dazugehörige Haus ist ziemlich marode und als Daniel eine Mauer im Keller einreißt, entdecken sie dahinter nicht nur staubige Weinflaschen, sondern ein altes Tunnelsystem. Doch in dem Kellergewölbe finden sie auch die mumifizierte Leiche eines Jungen, der eine weiße Armbinde trägt. Die Polizei scheint sich nicht für die Identität des Jungen zu interessieren. Sie werden sogar aufgefordert, nicht darüber zu reden.
Zur gleichen Zeit lernen sie Anna kennen, eine englische Anwältin mit ostdeutschen Wurzeln. Kurz darauf wird sie tot auf dem Weinberg gefunden und Daniel als Verdächtiger verhaftet. Was hat Anna, die angeblich als Touristin unterwegs war, früh morgens auf ihrem Grundstück zu suchen?
Der Tod des Kindes ist der Auslöser für Sonjas Recherche, die sie in einn dunkles Kapitel der deutsch-tschechischen Geschichte führt. Alsterdal konzentriert sich zunächst darauf, die angespannte Stimmung in dem kleinen Ort zu zeichnen. Denn sobald die Sprache auf die Vergangenheit kommt, zeigen sich die meisten ziemlich zugeknöpft oder äußern unverhohlen ihre Meinung über die Sudetendeutschen von damals. Sonja findet bei Marta in der einzigen Buchhandlung im Ort erste Antworten, die Grausames offenbaren. Sonja ist schockiert, auch ihr Weingut hatte ehemals einer deutschen Familie gehört.
Die Geschichte der Sudetendeutschen reicht bis ins Mittelalter zurück und endete mit der grausamen Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg. Menschen wurden verprügelt, gefoltert, getötet, mussten ihr Hab und Gut aufgeben und wurden aus dem Land getrieben.
Es war mein erstes Buch der schwedischen Krimiautorin und ich hatte einen soliden Krimi erwartet – bekommen habe ich einen spannenden, tiefgründigen und gut recherchierten Kriminalroman, der bis in den Zweiten Weltkrieg zurückreicht. Obwohl mir viele der historischen Fakten bekannt waren, konnte sie mich mit einigen neuen überraschen, denn die grausame Vertreibung hinterließ ihre Spuren auch in der Gegenwart.
Mir gefällt Alsterdals unaufgeregte, ruhige Art des Erzählens. Wer einen rasanten Krimi vermutet, liegt hier falsch und wird enttäuscht sein. Wer sich aber für das Thema der Sudetendeutschen interessiert, findet eine fundierte, gut recherchierte Story wieder. Das damals brutale, grausame Vorgehen der Tschechen wird ungeschönt geschildert, dass ich manchmal echt schlucken musste. Aber auch alle Folgen, die daraus erwachsen sind, der heutige Umgang damit haben mich stellenweise echt erschüttert.
Es geht um Vergangenheitsbewältigung und den daraus entstandenen Traumata, Wegschauen und Schweigen, Herkunft und Heimatlosigkeit.
Gegen Ende des Buches zieht sie das Tempo noch mal merklich an und bringt meine ganzen Vermutungen ins Wanken. Für mich war es eine sehr gelungene, überraschende Lektüre, die ich allen gern empfehle, die tiefgründige Geschichten mögen und keinen Pageturner suchen.