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Veröffentlicht am 14.10.2023

Ein ganz besonderes Plädoyer für Vielfalt

Die graue Stadt
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„Die graue Stadt“ ist ein ganz besonderes Buch – das zeigt schon das Cover. Dieses setzt sich durch ungewohnt Farblosigkeit von anderen Kinderbüchern ab. Einen kleinen Farbklecks sehen wir jedoch – die ...

„Die graue Stadt“ ist ein ganz besonderes Buch – das zeigt schon das Cover. Dieses setzt sich durch ungewohnt Farblosigkeit von anderen Kinderbüchern ab. Einen kleinen Farbklecks sehen wir jedoch – die Protagonistin Robin, die nachdenklich aus dem Fenster schaut. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass der Titel leicht in Regenbogenfarben changiert, wenn man das Buch im richtigen Winkel betrachtet. Ein kleiner Hoffnungsschwimmer mitten im Grau.
Inhaltlich spricht mich die Geschichte sehr an - Robin fühlt sich in der grauen, trostlosen Stadt nach einem Umzug einsam und verloren. Ein Gefühl, das wohl viele Kinder nachvollziehen können (z.B. wenn sie in eine neue Schule kommen). Schnell wird auch klar, dass sie sich von den anderen Menschen in der Stadt unterscheidet und dass Farben hier nicht erwünscht sind. Ich möchte gar nicht zu viel vom Inhalt vorweggeben – nur eins: Das Buch macht auch für Kinder erlebbar, wie sehr eine Gesellschaft von Farben und Vielfalt profitiert.
Das Thema Farbe und Vielfalt ist auch gestalterisch grandios umgesetzt – gerade dadurch, dass ein Großteil des Buches in Grautönen daherkommt. Die Illustrationen von Torben Kuhlmann sind dabei unverkennbar und unglaublich detailreich. Trotz Farblosigkeit gibt es auf jeder Seite viel zu entdecken. Eine klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 13.10.2023

Kuschelige, gemütliche Geschichten für die Vorweihnachtszeit

Wilma Walnuss - Winter und Weihnachten im kleinen Baumhotel, Band 3
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Wilma Walnuss – Winter- und Weihnachten im kleinen Baumhotel ist genau das richtige Buch für kuschelige (Vor-)Lesestunden in der Vorweihnachtszeit.
Die beiden Vorgängerbände rund um Wilma Walnuss waren ...

Wilma Walnuss – Winter- und Weihnachten im kleinen Baumhotel ist genau das richtige Buch für kuschelige (Vor-)Lesestunden in der Vorweihnachtszeit.
Die beiden Vorgängerbände rund um Wilma Walnuss waren uns bisher nicht bekannt, aber das ist absolut kein Muss. Das niedliche Baumhaus und die Bewohner haben uns schnell in ihren Bann gezogen. Ich habe das Buch mit meinen beiden Kindern (3 und 6 Jahre) gelesen und kann es für dieses Alter empfehlen. Die Figuren sind alle absolut toll gestaltet, mit viel Liebe zum Detail. Insgesamt treten im Buch zwar sehr viele Charaktere auf, allerdings tragen diese auch entscheidend zu den einzelnen Geschichten bei und sind wirklich sehr liebevoll illustriert. Eine Übersicht am Anfang des Buches hilft dabei den Überblick nicht zu verlieren. Das Buch enthält 14 Geschichten, die es wunderbar schaffen, Weihnachtsvorfreude und die besondere Atmosphäre der Vorweihnachtszeit zu transportieren. Sehr schön finde ich, dass diese alle auch eine kleine, aber wichtige Botschaft enthalten, wie zum Beispiel neuen Bekanntschaften offen und unvoreingenommen zu begegnen. Dies gelingt ohne belehrenden Ton, einfach durch den Lauf der Geschichte. Insgesamt hat das Buch eine richtige "feel good" Stimmung - schöne Atmosphäre, nicht zur aufregend, ruhig und gemütlich. Also sehr schön als Gute Nacht Buch.
Die Kapitellänge ist für uns genau richtig und auch die teilweise etwas längeren Sätze waren für uns vollkommen im Rahmen. Wir als Gutenachtgeschichte immer ein Kapitel pro Abend gelesen, dies war auch für den Dreijährigen gut machbar. Hier finde ich positiv, dass es so viele Illustrationen gibt und somit eigentlich auf jeder Seite etwas zu sehen. So lässt sich das Buch gut mit beiden Kindern lesen.
Sehr schön finde ich die Kapitelübersicht im Buchumschlag. Mir gefällt, dass alles wie ein kleiner Weg gestaltet ist und sich überall kleine passende Details entdecken lassen. Für jedes gelesene Kapitel kann man ein kleines Bild einkleben. Diese findet man zum Ausschneiden (oder alternativ als Download zum Drucken) am Ende des Buches. Meine Kinder hätten sich hier allerdings die Sticker gewünscht, die wir schon aus der Vorlesen Reihe kennen. Ich finde das gerade abends im Bett beim Vorlesen auch einfacher, wenn man einfach einen Sticker kleben kann, als wenn man noch mit einem Klebestick hantieren muss. Die Möglichkeit die Bildchen zu downloaden und auch mehrfach auszudrucken, finde ich allerdings super und auch, dass alle unterschiedlich sind!
Die Aufmachung des Buches finde ich insgesamt sehr gut gelungen, ich mag es, dass die Schneeflocken auf dem Cover "glitzern" und auch das Lesebändchen ist für mich für Vorlesebücher ein absolutes Plus. Die Innenseiten hätten für mich auch matt sein dürfen, das finde ich immer etwas ansprechender, allerdings finde ich es für den Preis des Buches auch absolut ok. Für mich also insgesamt eine klare Vorleseempfehlung für die Vorweihnachtszeit.

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Veröffentlicht am 14.09.2023

Poetisches Lesehighlight

Das dritte Licht
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Selten hat mich ein Buch so berührt wie „Das dritte Licht“ von Claire Keegan. Die Autorin braucht keine 100 Seiten, um in ihrer Erzählung eine ganze Welt offenzulegen. Ein Mädchen, das die ganze Erzählung ...


Selten hat mich ein Buch so berührt wie „Das dritte Licht“ von Claire Keegan. Die Autorin braucht keine 100 Seiten, um in ihrer Erzählung eine ganze Welt offenzulegen. Ein Mädchen, das die ganze Erzählung über namenlos bleibt, wird von ihrem Vater an einem heißen Sommertag zu entfernten Verwandten gebracht – und erlebt dort ein ganz neues Bild von Familie.

„Dann, nach einer Weile, wird der Kuchen aufgeschnitten. Die Sahne ergießt sich über den warmen Teig, bildet Lachen.“ (S.17)
Wärme, Zuneigung und Überfluss werden dem Mädchen zuteil – ergießen sich bedingungslos über sie. Beim Lesen steigen unweigerlich Bilder und Fragen auf: Was bedeutet Familie eigentlich? Wie entsteht Bindung? Was brauchen wir im Leben?

Auf dem Buchumschlag steht ein Satz von Jeffery Eugenidis, den ich gerne zitieren möchte, denn ich finde, treffender kann man das Buch kaum beschreiben: „Herzzerreißend, jedes Wort steht am richtigen Platz, und alles ist voller Doppeldeutigkeiten.“

Wirklich beeindruckt bin ich vom Stil der Autorin, die mit so wenigen Worten eine so dichte, fast erdrückende Atmosphäre schafft. Ihre Auswahl - was wird erzählt, was bleibt offen – zwingt dazu Lücken im Kopf zu füllen. Eine große Leseempfehlung!


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Veröffentlicht am 24.08.2023

Herzerwärmende Vorlesegeschichte mit Waldbewohnern

Dachs Naseweiß Phantastische Geschichten aus dem Wunderlichen Wald
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Dachs Naseweiß – Phantastische Geschichten aus dem Wunderlichen Wald – ist eine wirklich niedliche und herzerwärmende Vorlesegeschichte für Kinder.

Für mich passt bei diesem Buch alles zusammen - die ...

Dachs Naseweiß – Phantastische Geschichten aus dem Wunderlichen Wald – ist eine wirklich niedliche und herzerwärmende Vorlesegeschichte für Kinder.

Für mich passt bei diesem Buch alles zusammen - die etwas verträumten, detailreichen Illustrationen von Verena Körting der einzelnen Waldbewohner und ihrer Behausungen und die durchdachten Texte von Christian Wunderlich. Beim Lesen bin ich auf viele schöne, zauberhafte Details gestoßen, wie z.B. das Glühwürmchen Glüh, das statt einer Lampe den Dachsbau erhellt, das Wort "Dachsmalstifte" statt Wachsmalstifte und viele weitere Wortspiele, die auch die erwachsenen Vorleser*innen zum Schmunzeln bringen. So zum Beispiel auch Hellobien – das von Bienen erfundene Fest in Anlehnung an Halloween. Durch die hohe Dichte an kleinen, sympathischen Details und Besonderheiten entsteht wirklich eine eigene Welt im „Wunderlichen“ Wald.

Gleich zu Beginn wird deutlich, dass Dachs Naseweiß seinen Papa Dachs verloren hat, ein Thema das im Buch auch später noch eine Rolle spielen wird. Insgesamt werden Emotionen und Gefühle sehr sensibel behandelt – so bietet das Buch auch die Möglichkeit, mit Kindern über eigene Gefühle zu Sprechen. Jedes der acht Kapitel behandelt ein anderes für Kinder sehr relevantes Thema: Anfangen, Träumen, Gewinnen, Lachen, Bleiben, Fürchten, Spielen und Weinen. Schön finde ich, dass dabei alle Gefühle gleichwertig nebeneinander stehen: Sie gehören alle zum Leben dazu.

Außerdem finden auch unterschiedliche Lebensmodelle abseits von Geschlechterklischees ganz selbstverständlich und unaufgeregt Platz in der Geschichte. So lebt z.B. die Baumeisterin Biba mit ihrer Frau Babi zusammen im Staudamm.

Die Kapitel haben eine gute Länge um sie als Gutenachtgeschichte zu nutzen und das Buch ist für meine Kinder (3&6 Jahre) auch zum gemeinsamen Vorlesen geeignet. Die Kapitel sind auch als eigenständige Geschichte lesbar, sodass man einzelne Geschichten, die gerade vielleicht besonders relevant sind, einfach wiederholen kann.

Für mich persönlich fällt immer auch die Haptik und Optik von Büchern ins Gewicht. Hier hätte ich mir ein mattes Cover anstelle des glänzenden Buchumschlags gewünscht. Auch über ein Bändchen freue ich mich gerade bei Vorlesebänden immer sehr. Wegen des wirklich schönen Inhalts empfehle ich dieses Buch jedoch gerne mit vollen fünf Sternen weiter.

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Veröffentlicht am 14.08.2023

Faszinierende Antiheldin und schonungslose Gesellschaftskritik

Die Einladung
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Keine Einladung gilt für immer – erst Recht nicht für Alex. Emma Clines Protagonistin, ein ehemaliges Escort Girl, landet nach einem kurzen Schnupperbesuch im Leben der Reichen und Schönen, auf dem Boden ...

Keine Einladung gilt für immer – erst Recht nicht für Alex. Emma Clines Protagonistin, ein ehemaliges Escort Girl, landet nach einem kurzen Schnupperbesuch im Leben der Reichen und Schönen, auf dem Boden der Tatsachen. Nachdem sie seinen Wagen beschädigt hat, setzt der deutliche ältere Simon, sie vor die Tür seiner Villa in den Hamptons. Alex beschließt, sich bis zu Simons großer Party alleine durchzuschlagen und reißt die Leser:innen mit in eine soghafte Abwärtsspirale.

Ohne Plan, ohne Obdach, ohne Geld und mit schwindendem Schmerzmittelvorrat macht Alex sich auf den Weg und zeigt sich dabei manipulierend, oft grenzüberschreitend und ohne Reue. Die brennende Frage, warum Alex ist, wie sie ist, lässt Emma Cline dabei explizit unbeantwortet.

„Warum bist du so?“ fragte er. Und er fragte wirklich. Erwartete irgendeine Erklärung, irgendeine logische Gleichung - x war ihr passiert, irgendetwas Schlimmes, deshalb war y ihr Leben, und das leuchtete natürlich ein. Aber wie sollte, Alex erklären, dass es keinen Grund gab, dass ihr nie etwas Schlimmes widerfahren war. Es war alles ganz normal gewesen. (S. 147)

Mit dieser Figur gelingt Emma Cline eine faszinierende Antiheldin – es fällt schwer für Alex Sympathie zu entwickeln, viel mehr löst sie Gefühle wie Abscheu und Entsetzen, manchmal auch Mitleid aus. Interessanterweise führt dies aber nicht dazu, dass die Personen, denen Alex begegnet, positiver wahrgenommen werden. Im Gegenteil, die Interaktionen mit Alex ermöglichen einen schonungslosen und nüchternen Blick auf die Gesellschaft, der durch den klaren, schnörkellosen Schreibstil noch unterstrichen wird.

Wie natürlich es Alex scheint, sich den Bedürfnissen älterer Männer anzupassen, keine Reibungsflächen zu bieten, sich unsichtbar zu machen. Wie selbstverständlich alle Unannehmlichkeiten des Lebens an Personal „outgesourced “ werden, wie sehr die Kinder der Reichen sich selbst überlassen sind – fest verankerte patriarchalische Strukturen, Machtgefälle, Abhängigkeiten, Drogenkonsum – ohne je belehrend zu wirken, zeichnet der Roman ein Bild der Gegenwart und ist damit auch eine Einladung zum Nachdenken.

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