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Veröffentlicht am 22.01.2024

Walter Tevis überzeugt

Die Partie seines Lebens
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Fast Eddie befindet sich auf dem Weg nach Chicago. Eddie ist ein Poolspieler, der sein Geld durchs Schwindeln verdient. Er lässt andere Spieler glauben, er wäre schlecht, um letztlich bei hohen Einsätzen ...

Fast Eddie befindet sich auf dem Weg nach Chicago. Eddie ist ein Poolspieler, der sein Geld durchs Schwindeln verdient. Er lässt andere Spieler glauben, er wäre schlecht, um letztlich bei hohen Einsätzen zu gewinnen.
In Chicago will Eddie nun die ganz großen Spieler herausfordern, allen voran Minnesota Fats. Den, der ungeschlagen ist. Der beste Spieler des Landes.

Eddie und Fats spielen zwei Tage und Nächte, zunächst gewinnt Eddie und Fats verliert, doch am Ende schlägt Fats Eddie. Letzterer schwört sich daraufhin, wiederzukommen und Fats ein zweites Mal herauszufordern.

Wenn Walter Tevis eines kann, dann ist es, seine LeserInnen in andere Welten zu entführen. Vor dieser Lektüre wusste ich so gut wie nichts über Pool und Billiard, besonders nicht im zeitlichen Kontext des Romans. Tevis ist es aber gelungen, dass ich in diese mir fremde Welt eingetaucht bin. Er schreibt so einnehmend, so dicht und bildhaft, dass Distanz und Fremdheit gar nicht erst entstehen können.

Die Geschichte hat mich fasziniert. Vielleicht auch deshalb, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie man sein Leben einem Spiel widmen kann. Und obwohl Eddie genau das tut, obwohl sich alles in ihm dem Gewinnen am Pooltisch verschrieben hat, kann man sich als LeserIn in ihn hineinversetzen, fühlt sich ihm trotz manch zweifelhaften Verhaltens verbunden und das ist Tevis' feinen Charakterzeichnungen zuzuschreiben. Sogar die Nebencharaktere sind bunt und lebendig. Wirklich nichts an dieser Welt ist blass, nichts unglaubwürdig.

Für mich ist "Die Partie seines Lebens", genau wie auch The Queen‘s Gambit, ein Must-Read.

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Veröffentlicht am 22.01.2024

Augenöffnend

3 – Ein Leben außerhalb
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“Hier möchte ich die Frage nach den Lebensformen stellen - nach dem, was wir sind und was wir sein könnten, nach dem Auseinanderklaffen zwischen dem, was wir werden, und den vielen Versionen von uns selbst, ...

“Hier möchte ich die Frage nach den Lebensformen stellen - nach dem, was wir sind und was wir sein könnten, nach dem Auseinanderklaffen zwischen dem, was wir werden, und den vielen Versionen von uns selbst, die wir hätten ausbilden können.”

In “3 - Ein Leben außerhalb” entwirft Geoffrey de Lagasnerie ein Leben, in dessen Mittelpunkt die Freundschaft steht. Gemeinsam mit den französischen Intellektuellen Didier Eribon und Édouard Louis bildet er ein Trio, das in der Öffentlichkeit oft gemeinsam auftritt, das sich gegenseitig unterstützt und das, wie das Buch darlegt, auch privat füreinander da ist.

Diese intensive Freundschaft, das Leben-zu-dritt, versteht Lagasnerie als einen Gegenentwurf zur Familie. Das gemeinsame Arbeiten, Lesen, Schreiben, Reisen und Feiern der drei Freunde empfindet er als “ein langes Gespräch, das nie ende[t]”. Es erlaubt ihnen, sich selbst zu entfalten. Doch natürlich ist es auch mit einer ständigen Erneuerung der Beziehungen verbunden, mit dem Willen, die Freundschaft zu beleben und sie aufrecht zu erhalten.

Das Buch war in vielerlei Hinsicht augenöffnend, zum Beispiel in seiner Darstellung davon, wie tief verankert der Familialismus in unseren Gesellschaften ist und wie dadurch nicht-familiäre Beziehungen als zweitrangig wahrgenommen werden, insbesondere auf staatlicher und institutioneller Ebene.

“3” ist alleine schon deshalb lesenswert, weil es zeigt, dass ein Ausbrechen möglich ist: Ein Ausbrechen aus starren Rahmen und Rollen, die nicht unsere eigenen sind und aus der Norm, die uns vorschreibt, dass wir mit einem bestimmten Alter eine Familie gründen müssen und dadurch bewusst und unbewusst “einen äußerst starken psychischen Einfluss aus[übt]”. Dass das Buch in dieser Hinsicht neue Richtungen einschlägt, halte ich ihm sehr zugute.

Eine Lektüre also für all diejenigen, die keine Angst davor haben, out of the box zu denken, mit oder ohne Familie.

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Veröffentlicht am 09.01.2024

Ein Buch über das Anderssein

Vom Glück, besonders zu sein
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Bas Kleinhout hat mit "Vom Glück, besonders zu sein" ein tolles Kinderbuch mit einer wichtigen Message geschrieben. Lilu, die kleine Marienkäfer-Protagonistin, hat keine Punkte. Ganz im Gegensatz zu allen ...

Bas Kleinhout hat mit "Vom Glück, besonders zu sein" ein tolles Kinderbuch mit einer wichtigen Message geschrieben. Lilu, die kleine Marienkäfer-Protagonistin, hat keine Punkte. Ganz im Gegensatz zu allen anderen Marienkäfern! Etwas scheint mit ihr nicht zu stimmen und Lilu wäre am liebsten wie alle anderen. Doch dann trifft sie auf den Mistkäfer, der auch keine Punkte hat. Und durch das Treffen lernt sie, dass es doch ganz schön ist, anders zu sein.

Die jungen Leser*innen lernen durch die Geschichte, dass Anderssein nichts Schlechtes ist, im Gegenteil. Es kommt nur darauf an, wie man sein Anderssein wahrnimmt. So eine wichtige Message kann man Kindern gar nicht oft genug vermitteln.

Die Geschichte wird von schönen Illustrationen begleitet, die den Figuren liebenswürdige Formen verleihen. Sie haben mich teilweise an die Kinderbücher meiner eigenen Kindheit erinnert.

Insgesamt ein sehr schönes und empfehlenswertes Kinderbuch.

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Veröffentlicht am 14.09.2023

Ein großartiger Roman

Die weite Wildnis
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Die amerikanische Wildnis zu Zeiten der ersten Siedler. Ein Mädchen flieht. Vor was, das weiß man zunächst nicht. Sie ist alleine im Wald, hat Angst vor Männern, die man sicher auf sie gehetzt hat, friert ...

Die amerikanische Wildnis zu Zeiten der ersten Siedler. Ein Mädchen flieht. Vor was, das weiß man zunächst nicht. Sie ist alleine im Wald, hat Angst vor Männern, die man sicher auf sie gehetzt hat, friert und hungert. Und doch schlägt sie sich in dieser unwirtlichen und feindseligen Wildnis durch. Immer mit der Hoffnung, dorthin zu kommen, wo die Franzosen ihre Siedlungen haben. In der Hoffnung also auf ein besseres Leben.

Es scheint ja ein bisschen so, als wäre das ein literarischer Trend: Mädchen in der Wildnis, die sich alleine durchschlagen. Aber mit diesem Roman setzt sich Lauren Groff von der Masse ab. Denn sie hat eine Geschichte geschrieben, die zwar ein Mädchen auf ihrer Flucht durch die Wildnis begleitet und die doch so viel mehr ist als nur das.

Zunächst bricht der Roman mit jeglicher Romanitisierung des Lebens der ersten Siedler. Der amerikanische Traum, der hier seine Anfänge nahm, das Leben in Freiheit und Reichtum und die "City upon a Hill" wird als elendes, von Krankheiten, Siechtum, Armut und Hunger geplagtes Leben entlarvt.

Die Ankunft in der neuen Welt liest sich beispielsweise so: "...und trafen schließlich mit letzter Kraft am Ort ihrer Bestimmung ein, der Siedlung am James River, benannt nach ihrem König. Dort jedoch lag ein dichter, widerliche Rauch über dem Fort, und die Männer, die herauskamen und sie anstarrten, standen wie bleiche Skelette am Ufer. Aus ihren Mündern stieg noch mehr Rauch auf, Tabakrauch, der den beißenden Hunger lindern sollte, denn es herrschte bereits Mangel, wohin man blickte."

Der Fokus liegt dabei auf dem Leben der Frauen, die es besonders schlimm trifft, die keinerlei Freiheiten haben und die nicht selten ein Leben als Sklavinnen unter den Natives einem Leben unter den Siedlern vorziehen. Gleichzeitig ist die Angst vor den Männern ein roter Faden. Vor Vergewaltigung, vor Schmerz. "Die weite Wildnis" ist auch ein Buch darüber, was es hieß und was es heißt, in patriarchalen Strukturen als Frau zu (über-)leben.

Und schließlich lässt sich der Roman als ein Kommentar über unseren Umgang mit der Natur lesen. Dafür bricht trennt er zunächst Natur von Religion und mit Dogmen, die die Siedler in die neue Welt getragen haben und die fundamentaler Bestandteil der Besiedlung waren. ("Macht euch die Erde untertan" usw.).

"Keine Erlösung, denn Gott, den Erlöser, gab es nicht"

Der Roman ist für mich eine Absage an Gott, aber nicht an den religionsfreien Glauben. Er ist eine Ode an das Leben, an den Respekt vor der Natur und gleichzeitig keine Verherrlichung an das Leben des Menschen in der Natur.

Unbedingt hervorgehoben werden muss auch die Sprache, die so gewandt ist und in die man mit Freude eintaucht. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst der Übersetzerin Stefanie Jacobs.

Ein unglaubliches Buch. Unbedingt lesen!

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