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Veröffentlicht am 27.10.2023

Kunst im Grauen

Lichtspiel
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Der deutsch-österreichische Bestseller- Autor Daniel Kehlmann legt mit „Lichtspiel“ einen grandiosen Roman vor, in dem er biografische Eckdaten des großen Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst (1885-1967) ...

Der deutsch-österreichische Bestseller- Autor Daniel Kehlmann legt mit „Lichtspiel“ einen grandiosen Roman vor, in dem er biografische Eckdaten des großen Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst (1885-1967) mit einer fiktiven Geschichte über das Überleben im Nationalsozialismus verbindet. Brillant komponiert, düster-lakonisch getroffen und absolut packend zeigt er, wie angepasste Kunst durch Unterwerfung unter der NS-Diktatur weiterlaufen kann und wie Menschen schleichend zu Mitläufern wurden.

Aus auktorialer und wechselnder Erzählperspektive schildert Daniel Lehmann, wie der gefeierte und links angehauchte Stummfilm-Regisseur („Die freudlose Gasse“, „Die Dreigroschenoper“ oder „Die weiße Hölle vom Piz Palü“) G.W. Pabst zuerst in Sicherheit „draußen“ im Exil in den USA war, dort aber keinen adäquaten Einstieg in die Filmbranche erhält. Zusammen mit seiner Frau Trude und seinem Sohn Jakob tut er das Unglaubliche und geht zurück ins angeschlossene Österreich – auch weil seine geliebte Mutter krank ist. Wieder „drinnen“ im Nationalsozialismus, werden bald die Grenzen geschlossen, der Zweite Weltkrieg beginnt und die Familie kann nicht wieder zurück – sie muss innerhalb des NS-Systems überleben und Pabst wird bald von Nazi-Propagandaminister Goebbels unter übler Androhung als Filmemacher rekrutiert. Schon bald fügt sich der Meister des Filmschnitts und G.W. Pabst will erneut große Kunst erschaffen.

„Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einzige, was wichtig war.“

Finster, eindringlich und mit subtiler Lakonie zeigt sich, wie die Familie sich anpasst: Jakob wird selbst Jung-Nazi, Trude erliegt dem Alkohol, denn nur so erträgt sie die bitteren Begegnungen in ihrem Karrasch-Lesezirkel und Pabst arrangiert sich. Der Roman lebt von der faszinierenden, einzigartigen Sprache, den scharfsinnigen Beobachtungen und den filmischen Beschreibungen – jedes Kapitel ist perfekt aufgebaut und leuchtet zudem mit zahlreichen kinematografischen Details Pabst' Karriere auf. Als kleiner roter Faden dient sein Film „Der Fall Molander“, an dem Pabst besessen mitten im Krieg arbeitet und dessen Material zu Kriegsende verschwunden ist.

Es ist ein grauenhaftes, brutales Setting, in dem die Shoah beginnt und die Deutschen versuchen, durch Angepasstheit zu überleben. Und trotzdem gelingt Kehlmann das Unfassbare, auch ironischen Humor, böse Situationskomik, bizarr-groteske Szenen und große Spannung einzubinden – fast erscheint „Lichtspiel“ selbst als ein intensiv inszenierter Stummfilm, in dem die Protagonisten mit dem Böse ringen und ihre moralische Unschuld verlieren. Ein Highlight, in dem viele schaurige Szenen ergreifend nachhallen.

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Veröffentlicht am 16.09.2023

Ökologisch Gärtnern leichtgemacht

Werden Tomaten süßer, wenn ich sie mit Zuckerwasser gieße und kann ich mein Unkraut einfach aufessen?
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In dem inhaltlich und haptisch sehr hochwertigen Selbstanbau-Ratgeber „Werden Tomaten süßer, wenn ich sie mit Zuckerwasser gieße und kann ich mein Unkraut einfach aufessen?“ bündelt die Journalistin und ...

In dem inhaltlich und haptisch sehr hochwertigen Selbstanbau-Ratgeber „Werden Tomaten süßer, wenn ich sie mit Zuckerwasser gieße und kann ich mein Unkraut einfach aufessen?“ bündelt die Journalistin und preisgekrönte Gartenbuchautorin Sally Nex ihr über Jahre angesammeltes versiertes Wissen rund um ökologisches Gärtnern und glückliches Obst sowie Gemüse. Und so außergewöhnlich-humorvoll der Titel und die Fragen in den fünf verschiedenen, gut gegliederten und übersichtlichen Kapiteln klingen, so präzise hilfreich-informativ sowie praxisnah sind die Antworten für alle Profi- und Hobbygärtner im Eigenanbau.

Verziert mit zahlreichen wunderschönen Grafiken und Bildern auf jeder Seite bereitet das Durchlesen der verschiedenen pfiffig und zugleich sehr gut zusammengefassten Antworten aus einem breiten Themenspektrum große Freude – dabei kann der Leser selbst entscheiden, ob er eine Langfassung oder eine komprimierte Antwort im kleinen Kasten erhalten möchte. Sally Nex legt seit Langem großen Wert auf nachhaltiges, autarkes Gärtnern/Selbstversorgung ohne Plastik sowie Chemikalien und gibt unterteilt in den fünf großen Kapiteln „Was baue ich an?, „Wo baue ich an?“, „Erlebnis Eigenanbau“, „Wer knabbert an meinen Pflanzen“ sowie „Ernten und Verarbeiten“ auf unterhaltsame und zugleich professionell-verständliche Weise Schritt-fürSchritt-Hilfestellung zu anfallenden Gartenfragen. Dabei schlägt Nex einen brillanten Bogen vom einleitenden Anfang über das Gärtnern am Puls der Zeit mit verschiedenen Gemüseanbautechniken des 21. Jahrhunderts, über außergewöhnliche Anbaumöglichkeiten und selbstgemachten Dünger sowie Schädlingsbekämpfung bis hin zur Magie der Wiederverwertung und faszinierenden Symbiosemöglichkeiten im natürlichen Einklang.

Auch gibt Sally Nex neben der Beschreibung zahlreicher Gemüsesorten sogar einige kleine Rezepte (selbst zur eigenen Drinkherstellung) preis – und auch der Anbau auf dem eigenen Balkon kommt glücklicherweise nicht zu kurz. Hervorzuheben ist dabei der faszinierende Augenmerk auf die Artenvielfalt und ein grünes, entschleunigtes Gärtnern mit der Kraft der Natur, bei dem nichts perfekt sein muss, sondern glückliches Gemüse und somit ein glückliches, unabhängiges sowie klimafreundliches Gärtnern entsteht. Versehen mit unheimlich vielen nützlichen Extra- sowie DIY-Tipps lässt dieser kompakt-originelle Ratgeber mit einzigartigem Layout, altem und neuen Wissen keine Fragen offen und inspiriert zum glücklichen Losgärtnern und dem Verzehr von selbst angebautem Gemüse.

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Veröffentlicht am 27.04.2023

Myriaden von Kreisen

Going Zero
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Der neuseeländische Schriftsteller und Drehbuchautor Anthony McCarten hat mit seinem neuen, filmreifen Politthriller „Going Zero“ eine höchst spannend-rasante und packend konstruierte Geschichte mit sehr ...

Der neuseeländische Schriftsteller und Drehbuchautor Anthony McCarten hat mit seinem neuen, filmreifen Politthriller „Going Zero“ eine höchst spannend-rasante und packend konstruierte Geschichte mit sehr aktuellen Themen verstrickt – KI, Datenschutz, der gläserne Bürger und mächtige, machthungrige Konzerne.

In einem groß angelegten Betatest-Projekt der Tech-Firma WorldShare von Milliardär Cy Baxter versuchen zehn Zero-Kandidaten 30 Tage lang vom Daten-Radar unterzutauchen, um nicht aufgespürt zu werden – als Preisgeld winken 30 Millionen steuerfreie Dollar. Aber auch bei Cy Baxter geht es um sehr viel: Schnappt er mit seiner Fusionszentrale und Top-Suchtruppen alle Zeros, geht er einen milliardenschweren Deal zur digitalen Überwachung mit der US-Regierung sowie dem CIA ein. Mit seiner Firma besitzt er bereits unzählige persönliche Daten von Menschen weltweit.

Auch abwechselnden Perspektiven beleuchtet McCarten dieses fulminante und wendungsreiche Katz-und-Maus-Verfolgungsspiel – dabei sind manche Versuche der Zeros, der Überwachung zu entkommen sehr grotesk-humorvoll, während sich Zero-Kandidat und Bibliothekarin Kaitlyn Day als äußerst raffiniert und sehr gut vorbereitet entpuppt. Mit Kniff und Tricks entgeht sie den Zugriffen der Baxter-Gruppe, versteckt sich unter anderen in Wäldern und Stück für Stück wird ihre eigene Geschichte und Mission dahinter aufgerollt. Cy Baxter hat sie immens unterschätzt, doch er ist bereit, mit gefährlichen und unlauteren Mitteln zu kämpfen.

„So ein Menschenleben – alles, was jemand tut, was er kauft, zieht seine Kreise, Myriaden von Kreisen ... “ (S. 150)

Mit erschreckend realitätsnahen Fakten zur technologischen KI-Überwachung wie Social Media, Kameras, Telefondaten, Krankenakten, Fotos, Kontobewegungen, persönliche Biografien sowie Geschmacksvorlieben etc. und einem unglaublich szenischen Gespür für Details, Stimmungen und Schauplätze hat Anthony McCarten einen soghaft-temporeichen und mitreißenden Thriller entworfen, der kaum aus der Hand zu legen ist. Der twistreiche und gesellschaftskritische Plot ruft nach einer schnellen Verfilmung und einen oberen Rang auf der Bestseller-Liste – und öffnet mit bester Unterhaltung verblüffend die Augen, wie Tag für Tag im Internet Myriaden an Daten von uns allen gesammelt werden.

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Veröffentlicht am 02.12.2022

Schritt für Schritt

Alles selbst gemacht!
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Die sympathische Meranerin und erfolgreiche Foodbloggerin Annalena Ganner (www.annalenashearthbeat.com) hat sich ihren großen Traum erfüllt – ein hochwertiges und sehr ansprechend fotografiertes Rezeptbuch. ...

Die sympathische Meranerin und erfolgreiche Foodbloggerin Annalena Ganner (www.annalenashearthbeat.com) hat sich ihren großen Traum erfüllt – ein hochwertiges und sehr ansprechend fotografiertes Rezeptbuch. In dem rund 130 Seiten starken Hardcover-Buch steckt sehr viel Liebe zum Kochen und fürs Detail – verständlich, gut strukturiert und mit hilfreichen Video-QR-Codes sowie weiterführenden Tipps und Koch-Varianten führt Annalena selbst die unentschlossenen Anfänger Schritt für Schritt ans Brot- und Baguettebacken. Hervorzuheben ist zudem, dass fast alles ohne große Küchengeräte sowie ausgefallenen Zutaten zuzubereiten ist.

In ihrem Vorwort erläutert die passionierte Köchin Annalena die Vorteile des Selbstbackens und -kochens wie Geschmack, Frische und Nachhaltigkeit – zudem lässt man die vielen versteckten Zusatzstoffe von Fertiglebensmitteln außen vor und kann sich tolle Vorräte anlegen. Die umfangreichen und brillant fotografierten Rezepte umfassen einen gelungenen Querschnitt in den Rubriken Brot, Pasta, Aus aller Welt, Aufstriche und Dips, Snacks und Geschenke aus der Küche sowie Backen und Desserts. Die vielseitige Auswahl ist präzise getroffen, ohne zu überfordern und beinhaltet notwendige Basics des Alltags, die variiert werden können. Verblüffend ist wirklich, dass die bisher ausprobierten der 50 Rezepte recht einfach nachzukochen sind und Annalena es vorzüglich schafft, die Ängste des vermeintlich schwierigen Selbstmachens wie Nudeln, Pesto, Pizzateig, Brot oder Pralinen empathisch zu nehmen.

„Alles selbst gemacht!“ ist eine überzeugende und hochwertige Bereicherung in der Reihe des kulinarischen do-it-yourself-Trends mit vielen einfachen, gut erklärten und leckeren Rezepten, die auf Qualität und Authentizität statt Quantität setzen – Annalena Ganner ist ihr ehrliches Herzblut fürs Kochen anzumerken und das motiviert wirklich zum Nachkochen!

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Veröffentlicht am 22.04.2022

Schatten der Karibik

Die Knochenleser
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Der britische Autor Jacob Ross entführt mit seinem atmosphärischen und mit dem Jhalak-Preis ausgezeichneten Kriminalroman „Die Knochenleser“ auf die fiktive Antillen-Insel Camaho, angelehnt an seinen eigenen ...

Der britische Autor Jacob Ross entführt mit seinem atmosphärischen und mit dem Jhalak-Preis ausgezeichneten Kriminalroman „Die Knochenleser“ auf die fiktive Antillen-Insel Camaho, angelehnt an seinen eigenen karibischen Geburtsstaat Grenada. Dort gibt es neben scheinbar lässigem Karibik-Feeling viel Korruption, Polizeigewalt und vor allem gnadenlose Brutalität gegenüber Frauen.

Der junge Michael 'Digger' Digson liest zwar viel und ist klug, doch ein Studium liegt aus Geldmangel noch in weiter Ferne – er schlägt sich mehr schlecht denn recht durchs Leben und ist vom mysteriösen Verschwinden seiner Mutter traumatisiert. Seit einer Demonstration gegen Frauengewalt ist sie spurlos verschwunden und Digger vermutet, dass sie gewaltvoll ermordet wurde. Sein Vater ist ein Polizeikommissar mit dunklen Schatten, die Mutter war das Kindermädchen. Als Digger einen Mord an einen jungen Teenager beobachtet, wird er vor Ort mit dubios-renitenten Methoden von Detective Superintendent Chilman für eine Spezialgruppe rekrutiert: Junge Menschen werden schnell ausgebildet und als Detective auf effektive Verbrechersuche mit etwas anderen Methoden geschickt. Unterstützt wird Digger von der charismatisch-scharfsinnigen Miss Stanislaus und zusammen geraten sie in vielfältige Kriminalfälle im lakonisch-direkten Noir-Stil. Seine Position ermöglicht Digger nun auch, in Archiven weiter über seine verschwundene Mutter zu forschen – und auch DS Chilman hat seine eigenen Ambitionen und finsteren Cold Cases aus der Vergangenheit.

Ironisch, roh und mit viel umgangssprachlichen Slang entwickelt dieser außergewöhnliche und spannende Kriminalfall seinen ganz eigenen filmreifen Sog, in dem eigenwillig-originelle Figuren sich samt ihrer gut beschriebenen Schrullen und Vergangenheiten kraftvoll weiterentwickeln, auf ihre ganz eigene skurril-zynische Art ermitteln und hartnäckig für Gerechtigkeit einstehen. Auch die Beziehung untereinander ist szenisch dicht und mit viel schwarzem Humor herausgearbeitet, ohne je albern zu werden. Im Gegenteil: Jacob Ross erschafft eine düster-nachdenkliche Atmosphäre mit viel Gesellschaftskritik und weisen Anspielungen auf sein Heimatland. Dabei wechseln bildhafte lokale Beschreibungen der bunten Szenerie mit der vielen drastischen Gewalt und Korruption, das Camaho erfährt – und Digger blickt dabei tief in diese intensiven, dunklen Abgründe aller Art.

Ein gelungener, unkonventioneller und klug durchdachter Plot mit Tiefgründigkeit und mit Digger als faszinierend authentisch-ehrlichem Ich-Erzähler auf seinem Weg aus der Arbeitslosigkeit und Trauma zum hartgesottenen Detective mit besonderen Fähigkeiten. Fein, dass Fortsetzungen geplant sind!

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