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Veröffentlicht am 08.02.2024

"Die große Vermissung": ein Buch über Trauer und Verlust für Kinder (und Jugendliche)

Himmelwärts
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Mit „Himmelwärts“ hat Karen Köhler ein ungewöhnliches Kinderbuch geschrieben. Nicht nur, dass die Kapitel rückwärts gezählt werden. Es ist auch ein Kinderbuch, das sich mit dem Thema Tod beschäftigt.

Denn ...

Mit „Himmelwärts“ hat Karen Köhler ein ungewöhnliches Kinderbuch geschrieben. Nicht nur, dass die Kapitel rückwärts gezählt werden. Es ist auch ein Kinderbuch, das sich mit dem Thema Tod beschäftigt.

Denn Tonis Mutter ist tot. Und Toni hat die große „Vermissung“. Mit ihrem Vater lebt sie nun allein und macht sich viele Gedanken über ihre Mutter, wo sie nun ist, was der Himmel überhaupt ist.

Toni ist sich sicher:

Der Tod ist größer als das Universum. Der Tod ist das Summen zwischen den Atomen. Wenn du ihn einmal gehört hast, dann hörst du ihn immer. Wenn du ihn einmal gehört hast, dann weißt du auch, dass sein Atem klingt wie eine röchelnde Kaffeekanne.

Das sind ungewöhnliche Worte über den Tod. Karen Köhler gelingt es, in bildhafter Sprache immer wieder sehr anschaulich Gefühle deutlich werden zu lassen.

Auch bei der Frage, was nach dem Tod kommt:

Mir echt egal, aber keinen Scheißengel. Wie kann Mama jetzt ein Engel sein? Hat sie Flügel? Wohnt sie etwa auf so einer blöden Wolke? Trinkt sie jetzt mit der bescheuerten Frau Holle eine Rhabarberschorle oder ein Tässchen Tee und quatscht übers Deckenausschütteln, oder was?

Allzu einfache Vorstellungen vom Leben nach dem Tod werden dem Reich der Märchen zugeschrieben. Toni ist schließlich schon in der vierte Klasse der Grundschule und kein kleines Kind mehr.

Mit ihrer besten Freundin YumYum darf Toni in einem Zelt im Garten übernachten. Und klar sprechen die beiden über Tonis Trauer und ihre tote Mutter. Aber YumYum ist ein neunmalkluges Kind und so weiß sie auch so einiges über den Weltraum und den Energieerhaltungssatz. Auch wenn man Dinge vermisst: sie können nicht verloren gehen, da ist sich YumYum sicher.

Mit YumYum schafft es Toni tatsächlich, mit einem selbstgebauten „kosmischen Radio“ eine Verbindung zu einer echten Astronautin im All herzustellen.

Das ist eine wichtige Sache, denn Toni will wissen, was der Himmel ist und nun kann sie Zanna, die Astronautin, danach fragen. Die erzählt viel vom Leben einer Astronautin und auch davon, was ihre große „Vermissung“ ist, was sie also alles – neben der Schwerkraft – im All vermisst. Und Toni erinnert sich einmal mehr daran, was sie alles an ihrer Mutter vermisst. Dass die beiden Mädchen mit dem Radio eigentlich Kontakt zu Tonis Mutter herstellen wollten, ist bald vergessen.

Neben den Gesprächen zwischen den beiden Mädchen und der Astronautin sind in „Himmelwärts“ immer wieder Auszüge aus Tonis Notizbuch abgedruckt – eine Sammlung an Erinnerungen an ihre Mutter. Zudem hat Toni eine Sammlung von Gegenständen in Gläsern, die sie an ihre Mutter erinnern.

So stehen die Erinnerungen im Zentrum des Buchs. Durch das Gespräch zwischen den beiden Mädchen wirkt die Art, wie Toni über den Verlust der Mutter redet, sehr echt und oft auch sehr direkt. Hinzu kommen Begriffe, die wohl nur Zehnjährige kennen: Onesie, Totoro usw.

Am Anfang ist es vielleicht etwas schwer, in den Schreibstil des Buches hineinzufinden. Man befindet sich sofort in der Gedankenwelt von Toni – und muss mit ihrem Wortschatz klarkommen und mit ihren Bildern. Die Zeit wird da als riesige Lakritz-Schnecke beschrieben, als „eine Katze im Schnee oder eine Katze mit Gurke„. Oder doch eine Rakete? Eine Diva mit Stöckelschuhen? Das Finden von Bildern macht Toni ein Riesenspaß.

Doch bald ist klar, was passiert ist, wie es Toni geht und dann liest sich das Buch mit all den Gedanken, die sich Toni macht, bald wie von selbst. Hinzu kommen noch die wunderbaren Illustrationen von Bea Davies.

Die Frage, was nach dem Tod passiert, ist in „Himmelwärts“ nicht zentral. Es geht vielmehr darum, wie man die Erinnerung an jemanden wachhält. Am schönsten wird dies am Schluss deutlich: die beiden erfinden neue Sternbilder. Mit dabei: der hellste Stern, der „Mama-Stern“ – und natürlich noch eine Sternschnuppe…

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Veröffentlicht am 08.10.2023

Essayistische Suche nach der Heiterkeit

Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte
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Axel Hacke ist kein heiterer Mensch – obwohl er viele erheiternde Texte schreibt. Aber er wäre es gerne. „Ich möchte ein heiterer Mensch sein“, sagt Axel Hacke von sich selbst. Deshalb hat er sich mit ...

Axel Hacke ist kein heiterer Mensch – obwohl er viele erheiternde Texte schreibt. Aber er wäre es gerne. „Ich möchte ein heiterer Mensch sein“, sagt Axel Hacke von sich selbst. Deshalb hat er sich mit der Frage beschäftigt, was Heiterkeit ist und wie man sie lernen kann. Herausgekommen ist Hackes neues Buch: „Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte„.

Axel Hacke nähert sich in seinem Buch der Heiterkeit essayistisch. Er umkreist den Begriff immer wieder mit literarischen Bezügen, philosophischen Aussagen und eigenen Überlegungen. So fällt es am Ende gar nicht leicht, zu sagen, zu welchen Schlüssen Hacke gekommen ist.

Als mögliche Synonyme zu Heiterkeit nennt Hacke Lebensfreude, Selbstvergessenheit und Gelassenheit. Überhaupt sieht er in Heiterkeit eher eine Lebenseinstellung als nur eine vorübergehende Stimmung. Und ja, Hacke glaubt daran, dass Heiterkeit erlernt werden kann. Als großen Lehrmeister der Heiterkeit sieht er Vicco von Bülow. Loriot habe es wie kein anderer geschafft, die bornierte Ernsthaftigkeit der Gesellschaft zu untergraben.

Den anderen großen Lehrmeistern der Heiterkeit, Thomas Mann, Ror Wolf und das Lach-Yoga, sei dies nicht in dem Maße gelungen wie Loriot. Dabei sieht Hacke in der Heiterkeit auch eine Ernsthaftigkeit – die allerdings nicht an die Oberfläche kommt. So sei Heiterkeit als Distanz zu sich selbst immer auch eine Art Spiel. Ein Spiel, das letztlich auch dazu diene, sich von Erwartungen und Selbstüberforderungen freizumachen. Sogar eine „subversive Power“ kann Hacke in der Heiterkeit erkennen.

Robert Lembkes heiteres Beruferaten „“Was bin ich?“ also eine subversive Fernsehsendung? Nun ja, aus heutiger Sicht vielleicht schon. Eine Quiz-Sendung, bei der die Befragte nur mit Ja oder Nein antwortet, die immer nach dem gleichen Schema abläuft – sie hätte heute etwas Subversives an sich.

Wer von Axel Hacke einen Lebensratgeber erwartet, der einen aus dem Trübsinn in die Heiterkeit führt, wird von Hackes Buch enttäuscht sein. Wer Freude daran hat, sich auf die Suche nach der Bedeutung von Heiterkeit in unterschiedlichen Zusammenhängen zu machen, wird bei Axel Hacke fündig werden.

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Veröffentlicht am 17.09.2023

Actionreiches Sci-Fi-Jugendbuch

Ocean City – Jede Sekunde zählt
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„Ocean City“ ist ein actionreiches Jugendbuch, das in einer Zukunft spielt, in der Zeit die maßgebende Währung ist.

Jackson und Crockie gehen beide in die Clark Kellington Highschool, eine Eliteschule. ...

„Ocean City“ ist ein actionreiches Jugendbuch, das in einer Zukunft spielt, in der Zeit die maßgebende Währung ist.

Jackson und Crockie gehen beide in die Clark Kellington Highschool, eine Eliteschule. Sie sind beste Freunde, obwohl sie doch sehr unterschiedlich sind: Jackson ist eher ein verantwortungsvoller, durchschnittlicher Schüler, während Crockie eher ein unangepasster Einzelgänger ist. Oder um es mit dem Buch zu sagen: „Crockie hatte meistens die Körperspannung eines Schnürsenkels“.

Sie wohnen beide in „Ocean City“, einer Großstadt, die auf einer schwimmenden Insel gebaut ist. Über 15 Millionen Menschen wohnen in Ocean City, das nur 6000 Quadratkilometer groß ist.

Die Menschen tragen Decoder in ihren Armen, in denen ihre Daten gespeichert sind – allen voran die Zeitdaten. Spazierengehen? Zeitverschwendung. In der Stadt bummeln? Das tut nur, wer es sich leisten kann. „Entwickle ein vernünftiges Zeitgefühl“, fordert Jacksons Vater von seinem Sohn. Die Generalsekretärin der Zentralbank ist die Herrn über alle Zeitkonten von Ocean City. Sprich: das gesamte Wirtschaftssystem basiert auf Zeit. Bezahlt wird in Minuten und Sekunden.

Kein Wunder daher, dass Jackson und Crockie Ärger bekommen, als sie einen Transponder bauen, mit dem sie Zutritt in das Zeitsystem bekommen und Zeit verschenken können. Bald schon ist ihnen ein Sonderkommando auf den Fersen, und eine turbulente Verfolgungsjagd beginnt. Und Jackson läuft zudem die Zeit davon. Er muss den versteckten Transponder finden. Überhaupt ist das Buch ziemlich actionreich, denn bald schon geht es um Leben und Tod. Die Regierung sieht in den jugendlichen Zeitdieben Terroristen und auch eine Widerstandsgruppe interessiert sich schnell für die beiden.

An manchen Stellen überfordern die vielen Namen der Figuren einen ein wenig, auch das Zeitsystem, das als Wirtschaftssystem fungiert, wird nicht ausführlich dargestellt. Dafür gibt es mit Jackson und Crockie zwei sehr sympathische Hauptfiguren, wenn auch eine vorübergehend von der Bildfläche verschwindet…

Zu den Stärken des Buches gehört, dass es einige Figuren gibt, die zunächst für den Leser undurchschaubar sind. Zum einen dauert es eine Weile, bis preisgegeben wird, ob sie zu den Guten oder Bösen gehören, zum anderen gibt es auch Figuren, die eben nicht in dieses Schwarz-Weiß-Schema passen. Etwas schade ist, dass das Buch sehr abrupt endet – man muss den zweiten Band lesen, um zu erfahren, wie einzelne Handlungsstränge ausgehen. Da hätte man sich doch einen nicht ganz so offenen Schluss gewünscht.

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Veröffentlicht am 16.09.2023

Dystopischer Roman

Hund 51
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Länder, die bankrott gehen, Intrigen um die Macht, Management statt Regierung: In Laurent Gaudés Roman „Hund 51“ leben die Menschen in düsteren Zeiten. Vor allem dann, wenn sie in „Zone 3“ leben. Nicht ...

Länder, die bankrott gehen, Intrigen um die Macht, Management statt Regierung: In Laurent Gaudés Roman „Hund 51“ leben die Menschen in düsteren Zeiten. Vor allem dann, wenn sie in „Zone 3“ leben. Nicht einem eine Glaskuppel gibt es dort, die wurde nur über Zone 2 gebaut. So sind die Bewohner Wind und Wetter gnadenlos ausgesetzt.

„Hund 51“ ist ein dystopischer Roman, der davon ausgeht, dass die Welt von Großfirmen regiert wird. Wie ihre Herrschaft ausgeübt wird, ist undurchsichtig, größtenteils zutiefst unmenschlich. Der Roman gibt sich eher sparsam mit Hintergrundinformationen.

So ist es am Anfang nicht so leicht, in das Buch hineinzufinden, manches muss man zweimal lesen. Auch die Hauptfigur, Zem Sparak, wirkt zunächst als Figur sehr sperrig, etwas undurchsichtig. Sympathisch macht ihn aber bald, dass er sich von der Masse abhebt und vieles, was andere hinnehmen, kritisch hinterfragt.

Zem Sparak arbeitet als eine Art Hilfspolizist in Zone 2, lebt aber in Zone 3. Bezeichnet wird er als Hund, genauer: als „Hund 51“. so wurde er von GoldTex angeheuert, als Griechenland bankrott ging. Die völlige Armut hinter sich zu lassen, macht ihn allerdings nicht glücklich. Tief in seinem Herzen ist er noch immer ein Rebell. Der Untergang Griechenlands hat ihn geprägt, nagt an ihm ununterbrochen. Dies wird auch sprachlich sehr deutlich. Nirgendwo sonst schreibt Laurent Gaudé so bildhaft wie über das Ende Griechenlands.

Als in Zone 3 eine aufgeschlitzte Leiche gefunden wird, schört er bei dem Toten, den Mörder zu finden. Doch das ist leichter gesagt als getan. Dem Ermittler werden nicht nur Steine in den Weg gelegt, es sind ganze Felsbrocken. Und die Erinnerung an die Vergangenheit kommt zudem immer wieder hoch.

Allerdings kommt das Ermittlerduo Zem & Salia, das bald entsteht, kaum in Fahrt. Haben sie sich gerade zusammengefunden, ermitteln sie kurz darauf schon wieder solo.

Nichtsdestotrotz: Es sind vor allem die vielen Spannungsmomente, die das Buch zu einem Lesegenuss machen.

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Veröffentlicht am 27.06.2023

Eine Jesidin und ihr Schicksal

Unruhe
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Eine Jesidin und ihr Schicksal: das ist das Thema von Zülfü Livanelis Roman „Unruhe“ .

Erzählt wird die Geschichte der Jesidin Meleknaz aus Sicht des Journalisten Ibrahim. Und so wird aus der tragischen ...

Eine Jesidin und ihr Schicksal: das ist das Thema von Zülfü Livanelis Roman „Unruhe“ .

Erzählt wird die Geschichte der Jesidin Meleknaz aus Sicht des Journalisten Ibrahim. Und so wird aus der tragischen Lebensgeschichte der Jesidin eine Geschichte um Liebe, Mitleid, Gewalt und Hilflosigkeit. Denn der Journalist recherchiert nicht nur, er lässt sich immer mehr hineinnehmen in die Geschichte, die er da erfährt – eine innere Unruhe befällt ihn. Eine Unruhe, die er sich selbst nicht erklären kann.

Auslöser der Recherchen des Journalisten ist eine kurze Nachricht aus den USA: ein „hate crime“, ein Muslim wird erstochen Dass er aus der Stadt Mardin stammt, lässt den Journalisten Ibrahim aufhorchen: die Stadt an der syrischen Grenze ist seine Geburtsstadt. Bald schon ist klar: der Ermordete war ein Schulfreund von Ibrahim. Der reist nach Mardin und stößt auf eine Liebesgeschichte, die fast schon wie Romeo und Julia klingt. Der fromme Hüseyin trifft in einem Flüchtlingslager, wo er arbeitet, auf eine Jesidin – und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Die beiden wollen heiraten – gegen den Widerstand ihrer Familien und Religionen. Dass Hüseyin eine bestehende Verlobung dafür löst, macht die Sache nicht einfacher.

Doch an dieser Stelle beginnt erst der Alptraum für Meleknaz. An ihrem Beispiel erzählt Zülfü Livaneli das Schicksal der Jesiden in Syrien unter dem IS. Nach und nach trauen sich die Menschen, dem Journalisten Ibrahim zu erzählen, was geschehen ist. Und nach und nach findet Ibrahim so heraus, was Meleknaz erleiden musste und was aus ihr wurde. Je mehr er von ihr erfährt, umso mehr wächst in ihm der Wunsch, ihr und ihrem blinden Baby zu helfen. Sowohl dieser Wunsch in ihm wie auch die Ablehnung, die er erfährt, verstören den Journalisten immer mehr. Der Leser spürt förmlich, wie sehr ihn das beschäftigt, was er erfahren hat. Allerdings nimmt es auch sehr absurde Züge an, wenn er etwa beginnt, Liebesgedichte an Meleknaz zu schreiben wie es einst Hüseyin getan hat, um zu erreichen, dass sie seine Hilfe annimmt und ihren Stolz überwindet.

Ich muss zugeben, dass mich dieser Teil der Geschichte nicht ganz überzeugt hat, umso mehr aber die Geschichte der Jesiden, die in ihren Traditionen und in ihrem schweren Schicksal unter dem IS in Zülfü Livanelis Roman „Unruhe“ einem plastisch vor Augen treten.

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