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Veröffentlicht am 10.09.2017

Familienzusammenführung

Slawa und seine Frauen
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Der Autor Felix Stephan schildert in diesem lesenswerten Buch die Familiengeschichte seiner Mutter.
Zwar hat die in Ostdeutschland aufgewachsene Mutter schon im Alter von 15 Jahren zufällig erfahren, von ...

Der Autor Felix Stephan schildert in diesem lesenswerten Buch die Familiengeschichte seiner Mutter.
Zwar hat die in Ostdeutschland aufgewachsene Mutter schon im Alter von 15 Jahren zufällig erfahren, von ihrem „linientreuen“ Vater adoptiert worden zu sein. Allerdings macht sie sich erst in ihren 50ern gemeinsam mit ihrem Sohn auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater Slawa. Dieser ist schon mehr als ein Vierteljahrhundert verstorben, hat allerdings in der Ukraine eine Reihe von Angehörigen und Bekannten hinterlassen, die ihnen ein Bild vom Vater bzw. Großvater vermitteln und zu ihrer neuen Familie werden.
Dem Geschriebenen ist deutlich zu entnehmen, dass hinter ihm ein Autor mit journalistischer Ausbildung steht. So ausführlich er nämlich die eigene Familiengeschichte aufbereitet, bezieht er auch immer wieder akribisch die geschichtlichen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge ein. Selbst interessante Recherchen über ukrainische Künstler und Dichter fließen ein. Auf diese Weise bekommen wir zum einen eine wirklich interessante und ungewöhnliche Familiengeschichte zu lesen über eine ostdeutsche Medizinstudentin, die Anfang der 60er Jahre während eines Studienaufenthaltes in Leningrad eine Beziehung mit einem ukrainischen Juden hatte und, nachdem sie von ihm geschwängert wurde, nach Ostdeutschland zurückkehrte. Zum anderen aber erhalten wir viel Hintergrundwissen über die innenpolitischen Verhältnisse in der Ukraine, ihre Beziehungen zu Russland, die Rolle der Juden in der Ukraine, die Auswanderung ukrainischer Juden nach Israel. Allem wohnt oft eine gehörige Portion Humor/Sarkasmus inne, was die Lust am Weiterlesen fördert.

Veröffentlicht am 02.09.2017

Schwangere begegnet dem Richtigen

Und jetzt auch noch Liebe
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Die 27jährige Emma erkennt, wie verantwortungslos ihr langjähriger Freund ist und trennt sich von ihm, obwohl sie schwanger ist. Obendrein verliert sie ihren Job. Ihre Zukunftsängste als Alleinerziehende ...

Die 27jährige Emma erkennt, wie verantwortungslos ihr langjähriger Freund ist und trennt sich von ihm, obwohl sie schwanger ist. Obendrein verliert sie ihren Job. Ihre Zukunftsängste als Alleinerziehende nimmt ihr ihre sie umsorgende, aber anstrengende Familie. Außerdem gibt es noch eine nette männliche Zufallsbekanntschaft. Doch kann Emma sich jetzt auch noch um Liebe kümmern?

Die Geschichte ist sehr witzig und salopp geschrieben. Die gut gemeinten Einmischungen ihrer chaotischen Familie bestimmen Emmas Leben und bringen den Leser immer wieder zum Lachen. Für mich persönlich gibt es dann aber doch zu viel Witz, zu viele ordinäre Ausdrücke, mit denen Emma und die anderen Figuren um sich werfen und zu viele „Bindestrichsätze“ (z.B. ein scharfer Du-solltest-die-Daumen-drücken-dass-er-dort-ist-sonst-steckst-du-knietief-in-der-Scheiße-Blick). Das Buch gehört zur Gruppe Frauenromane, von denen es recht viele gibt und die sich irgendwie alle ähneln mit einer Single-Frau um die 30 als Protagonistin, auf der Suche nach dem Richtigen, unter Geldknappheit leidend, dem Alkohol nicht abgeneigt. Dennoch ist die vorliegende Geschichte einzigartig und unbedingt lesenswert. Das Ende voraussehbar.

Eine kurzweilige Lektüre für Frauen.

Veröffentlicht am 26.08.2017

Zahnpflege als Beginn der Familienzusammenführung

Die Wurzel alles Guten
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Ein – ungeliebter – Besuch beim Zahnarzt, der denselben seltenen Nachnamen trägt, dieselbe Nasenform hat und dem ebenfalls die Fünferzähne fehlen, lässt Pekka den richtigen Schluss ziehen, dass sie Halbbrüder ...

Ein – ungeliebter – Besuch beim Zahnarzt, der denselben seltenen Nachnamen trägt, dieselbe Nasenform hat und dem ebenfalls die Fünferzähne fehlen, lässt Pekka den richtigen Schluss ziehen, dass sie Halbbrüder sind. Die beiden grundverschiedenen Männer – einer gefühlvoll, der andere in sich gekehrt und nur in seinem Beruf aufgehend – begeben sich auf die Suche ihren familiären Wurzeln, die sie von Finnland über Schweden und Thailand nach Australien führt. Auf den Stationen finden sie weitere, ebenfalls als Kleinkinder vom Vater verlassene Halbschwestern und am Ende auch eine Erklärung für das Verhalten ihres Erzeugers.

Dieses Buch hat mich wirklich positiv überrascht. Meine bisherigen Erfahrungen bei Büchern finnischer bzw. allgemein skandinavischer Autoren waren eher so, dass sie eine düstere Grundstimmung hatten. Nicht so hier.
Die erste Hälfte der Geschichte ist überwiegend humorvoll gehalten, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass der Zahnarztbruder keinen Humor kennt und immer wieder Pekka gegenüber Vorhaltungen bzgl. seiner schlechten Zahnpflege macht. In diesem Teil also darf häufig geschmunzelt werden. Erst der zweite Teil ist in einem nachdenklicheren Ton gehalten. Es werden so manche gesellschaftlichen Probleme in den Herkunftsländern der fünf Halbgeschwister angesprochen – Fremdenfeindlichkeit in Finnland und Schweden, das Gesundheitssystem in Finnland, Sextourismus in Thailand, die Stellung der Aborigines in Australien. Gefallen hat mir, wie sich Tipps vom Zahnarzt als roter Faden durch die Geschichte ziehen. Pekkas leidvolle Probleme mit seinen Zähnen kann sicherlich jeder am eigenen Leib nachvollziehen. Recht originell ist der Rahmen der Geschichte, also wie die Halbbrüder sich auf die Spuren ihres Vaters quer über den Erdball begeben. Das Motiv für das Verhalten ihres Vaters, sie als Kleinkinder im Stich gelassen zu haben, wie sie es letztlich ermitteln, überzeugt mich weniger, wohl aber, wie sich insbesondere der Zahnarztbruder allmählich komplett wandelt.

Eine sehr schöne Geschwistergeschichte über Schicksale und die Suche nach den eigenen Wurzeln.

Veröffentlicht am 15.08.2017

Über ein nicht der Norm entsprechendes Kind

Willkommen in der unglaublichen Welt von Frank Banning
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Zwar empfand ich es als etwas anstrengend, dieses Buch zu lesen, was vor allem an seinem anstrengenden Protagonisten Frank gelegen hat. Doch war es durchaus ein besonderes Leseerlebnis, über Franks Besonderheiten ...

Zwar empfand ich es als etwas anstrengend, dieses Buch zu lesen, was vor allem an seinem anstrengenden Protagonisten Frank gelegen hat. Doch war es durchaus ein besonderes Leseerlebnis, über Franks Besonderheiten zu lesen. Der erst Neunjährige unterscheidet sich so gänzlich von seinen Altersgenossen – er ist ein wandelndes Lexikon, liebt alte Filme und kennt sich bestens mit ihnen aus, kleidet sich am liebsten in Nadelstreifenanzug und Zylinder. Sich um ihn zu kümmern und der Mutter den Rücken freizuhalten, damit diese sich mehr als 20 Jahre nach Erscheinen eines erfolgreichen Bestsellers endlich dem Schreiben eines zweiten Werks widmen kann, wird der jungen Alice durch den Verlegers aufgegeben. Für sie ist es ein hartes Stück Arbeit, die Zuneigung von Frank zu erlangen, und auch die seiner Mutter, die sie nicht gerade mit Kusshand aufnimmt.
Wer wie ich Familiengeschichten rund um problematische Familien mag, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Der Protagonist Frank ist vermutlich Autist und diese Krankheitsform wird recht liebevoll ausgeleuchtet. Eine gewisse Affinität zu alten amerikanischen Filmen ist nützlich. Denn viele der in Bezug genommenen Filme mit von Frank detailliert beschriebenen Filmszenen und Schauspielern sagen einem ansonsten wenig.

Veröffentlicht am 10.08.2017

Bruderliebe

Das Glück meines Bruders
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Der Ich-Erzähler Botho, sein älterer Bruder Arno und dessen Verlobte fahren im Sommer 2010 in das Dorf Doel nach Belgien, wo die Brüder einst ihre Ferien bei den Großeltern verbrachten. Inzwischen steht ...

Der Ich-Erzähler Botho, sein älterer Bruder Arno und dessen Verlobte fahren im Sommer 2010 in das Dorf Doel nach Belgien, wo die Brüder einst ihre Ferien bei den Großeltern verbrachten. Inzwischen steht das Dorf kurz davor, platt gemacht zu werden, um eine Hafenerweiterung zu ermöglichen. Erinnerungen werden wach, vor allem an Bothos Jugendliebe, auf deren Suche er sich begibt. Mehr und mehr zutage treten die Komplikationen im Verhältnis der Brüder und ihre Rivalitäten. Sie stammen aus einfachen Verhältnissen. Während Botho sein Abitur nachholte, studierte und Lehrer wurde, blieb Arno ein zumeist arbeitsloser Handwerker, verfiel dem Alkohol, wurde fast kriminell. Erst Bothos Unterstützung bewahrte ihn vor dem endgültigen Absturz. Arno hasst die Akademiker geradezu, Botho fühlt sich nach seinem Werdegang entwurzelt. Dennoch verbindet beide Bruderliebe.

Leicht lesen lässt sich der Roman nicht. Typisch sind seitenfüllende, temporeiche Schachtelsätze. So manche wütende Tirade Arnos will zweimal gelesen werden, um sie zu verstehen. Dem Verständnis nicht gerade zuträglich sind zahlreiche originalflämische – und damit authentisch wirkende - Dialoge, deren Bedeutung sich wenn überhaupt nur demjenigen erschließt, der auch das norddeutsche Plattdeutsch versteht. Eine Art Glossar wäre hilfreich gewesen. Fasziniert hat mich, wie zu Beginn der Geschichte alles auf die Schilderung einer idyllischen Vergangenheit der Protagonisten in Kindheit und Jugend hindeutete und sich dann nach und nach herauskristallisierte, wie problembeladen die Zeit doch tatsächlich war und als Folgewirkung in der Gegenwart noch immer ist.

Zu dem Buch sollte nur greifen, wer anspruchsvolle Literatur mag.