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Evy_Heart

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.09.2017

Potential verpufft.

Marthas Widerstand
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"Cell 7" habe ich über eine Aktion der "Lesejury" bekommen und selten hat mich eine Leserunde so beeindruckt. Gedanken flossen, Energien kochten über und ich konnte plötzlich schwer unterscheiden, was ...

"Cell 7" habe ich über eine Aktion der "Lesejury" bekommen und selten hat mich eine Leserunde so beeindruckt. Gedanken flossen, Energien kochten über und ich konnte plötzlich schwer unterscheiden, was meine Meinung war und welche die Meinung der Gruppe. Klar war aber: Die Themen machen betroffen. Wenn in einem manipulierbaren (?) Televoting über Leben oder Tod abgestimmt wird, macht das Angst.

Klar war mir am Ende auch: Ich weiß nicht, ob ich weiterlese würde.

Worum geht es?

Martha, ein Teenager aus den Kratzern, hat den Wohltäter Jackson Paige umgebracht und sitzt im Gefängnis. Binnen der nächsten sieben Tage entscheiden die zahlenden Zuschauer über Leben und Tod. Jeden Tag wird Martha in eine kleinere Zelle verlegt und sie bekommt Besuch von ihrer psychologischen Betreuerin Eve. Eve, die eine besondere Beziehung zum System hat, vermutet, dass Martha unschuldig ist und forscht nach. Parallel sieht der Leser "Death is Justice", eine Fernsehshow, die von charismatischen Moderatoren moderiert wird und in der die Fälle ausgebreitet werden. Ziel ist es, die Zuschauer zum Wählen zu animieren.

"Cell 7" ist der erste Band einer Trilogie.

Die Figuren

Martha Honeydew: Wenn "Cell 7" ein Musikstück wäre, dann wäre Martha das Grundthema. Mit ihr beginnt und endet die Geschichte. Und sie stellt das Gegengewicht zum kalten, ideologischen "Death is Justice" dar. Martha ist anfangs abgeklärt, wird sich später aber bewusst, in welcher Gefahr sie sich befindet. Ich wusste bis zum Schluss nicht, ob sie davon ausgeht, dass sie freikommt oder dass sie stirbt, um etwas zu bewegen. Ich fand ihre Entwicklung besonders in der zweiten Hälfte gut, weil ich merkte, wie wichtig ihr ihre Familie ist und dass sie an ihrer Aufgabe zweifelt. Allerdings wirkt Martha nicht so nahbar, was vor allem am beobachtenden Schreibstil iiegt. Letztendlich ist sie ein Instrument, um dem Thema ein Gesicht zu geben.

Eve Stanton ist ein guter Puffer. Sie ist ruhig und klug, aber ein bisschen schüchtern. Das hat mir sehr gefallen. Ich denke, es fällt Eve schwer, die Intiative zu ergreifen. Durch ihre Arbeit lebt sie in einer sicheren Blase, in der sie das System weniger unterstützt, sondern die Gefangenen im System. Ihr Sohn Max ist eine große Unterstützung für sie. Gemeinsam mit Ex-Richter Cicero versucht sie die Menschen davon zu überzeugen, dass das System schlecht ist.

Kristina ist die opportunistische Moderatorin von "Death is Justice" und die Verkörperung des Systems für den Leser. Kristina wirkte auf mich nicht, als hätte sie das System umfassend hinterfragt, aber sie ist davon überzeugt. Das merkt man u.a. daran, dass Cicero sie mit seinen Argumenten in die Enge treiben kann, aber lange Zeit niemand die Livesendung unterbricht. Stellenweise wirkte sie wie eine Marionette. Sie erinnerte mich an die Moderatoren aus "Die Tribute von Panem", war aber weniger knallig. Die Obrigkeit tritt im Buch fast nicht in Erscheinung, nur der Sendechef wird interviewt, was leider untergeht. Daher löst ihre manipulierende Art Wut aus. Ich fand das interessant, aber weniger spannend. Kristina setzt Techniken ein, die ich aus dem heutigen Fernsehen gut kenne und die heute manchmal deutlicher eingesetzt werden.

Issac ist ein Junge, der ebenfalls ein Teenager ist und gut mit Martha wirkt. Seine Herkunft und Funktion bleibt lange im Dunkeln.

Jackson Paige und das "Volk" werden nur schwammig geschildert. Obwohl der Tod Paiges die Handlung auslöst, erfährt man nur wenig. Er war ein Mensch, der sich aus den Kratzern nach oben gearbeitet hat und in der Öffentlichkeit als großer, großer Wohltäter bekannt ist. Scheinbar gab es auch eine andere Seite. Jackson wirkte auf mich wie ein Phantom. Ähnlich wie die Menschen, die in der Fernsehsendung anrufen. Es wird nicht klar, ob sie aus Sensationslust anrufen, oder weil sie wirklich glauben, dass jemand für den Tod einer berühmten Persönlichkeit bestraft werden muss. Aber vielleicht soll das so sein - vielleicht ist es nicht wichtig, was das Volk will, sondern es unterwirft sich dem System. Und vielleicht wird die Rolle Paiges im zweiten Band aufgeklärt.

Tod ist Gerechtigkeit?

Das Prinzip wurde eingeführt, weil es trotz ausführlicher Beweisaufnahme zu Fehlurteilen kam. Mit der Sendung kann man die Menschen beruhigen, denn es wurde "demonkratisch" abgestimmt. Da jeder Anruf Geld kostet, sind die Bewohner der verarmter Kratzer benachteiligt, während die Menschen in den reichen Stadtteilen die Wahl manipulieren können.

Das Buch wirft interessante Fragen auf: Wie kann man Fehlurteile verhindern? Was ist Gerechtigkeit? Kann man das objektiv beurteilen oder ist das subjektiv? Wo beginnt und endet Notwehr? Sollte Gleiches mit Gleichem vergolten werden?

Der Text zeigt spannende Beispiele, geht aber (noch) nicht tief genug. Ich vermute, dass das in den anderen Büchern ausgebreitet wird, aber mich hat das frustiert.

Der Schreibstil

Der Stil im Buch ist kühl. Das liegt einerseits daran, dass Marthas Sicht personal ist und relativ beobachtend. Es gibt nur wenige Stellen, in denen die Autorin mit Motiven arbeitet (der Baum!), ansonsten wirkt der Stil karg. Ich habe mich nach eniger Zeit daran gewöhnt. Außerdem werden Gedankenströme Marthas eingeflochten.

Verstärkt wird das durch Auszüge aus "Death is Justice", die in Drehbuchform geschildert werden. (Schon Goethe, Schiller und Lessing wussten: Man sieht sich immer zweimal im Leben...). Die Autorin "beschenkt" uns mit Bewegungsabläufen, Kursivschriften und Logoanimationen. Vielleicht zeigt das, dass auch die Show nur ein durchgeplantes Schauspiel ist, das zur Beeinflussung des Publikums dient. Da ich keine Beschreibungen mag, nervte mich das. Und es hat von den Dialogen abgelenkt.

Der Text ist gut und flüssig lesbar, wirkt aber trocken. Vielleicht wollte die Autorin die kühlen Zellenwände und die Stimmung unterstreichen, dass der Einzelne im System einsam und abgetrennt von der "Masse" ist. Vielleicht wollte sie die dystopische Atmosphäre verstärken.

Spannung

Die Frage "Wird Martha überleben?" treibt das Buch voran und das war gut. Aber die Handlung wird durch den Schreibstil abgebremst und es fiel mir schwer, zwischen der Sendung und der abenteuerlichen Suche nach der Wahrheit zu wechseln. Emotional nahm mich das Buch selten mit.

Ein Wort zum Cover

Ich finde das Titelbild außergewöhnlich, weil das Gesicht den gesamten Raum einnimmt. Die Figur wirkt computeranimiert und sie blickt den Leser an. Das Cover wirkt nur wenig verspielt und nicht dystopisch. Martha als Hauptfigur steht im Mittelpunkt. Das Cover ist einzigartig, die Geschichte ist es nicht. Daher finde ich es nicht ganz stimmig.


Fazit

Für mich war das Buch eine Enttäuschung. Die Idee ist toll, aber die ständige Medienkritik war nicht gut. Ich fand den Text stellenweise schön, aber die Helden zu naiv und vieles zu einfach. Ich habe einige dystopische Filme gesehen und verglichen damit hat das Buch nichts, was ich nicht bereits irgendwo gesehen hätte. Wahrscheinlich wäre "Marthas Widerstand" als Film sehr unterhaltsam!

Andererseits: Das Buch ist ab 14 Jahren freigegeben und die jugendlichen Protagonisten wirken als Identifikationsfigur gut. Manchmal ist man als Teenager (und als Erwachsener...) naiv. Und vielleicht muss man jugendliche Leser nicht mit besonders grausamen Stellen ärgern.

Trotzdem: Als Buch fand ich es nicht wirklich schlecht, aber nicht gut.

PS: "Auge um Auge Productions" - Wer hat diesen Semi-Anglizismus zu verantworten?!

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Veröffentlicht am 13.03.2017

In Cases of Chases and Lincs

Chasing Home – Mit dir allein
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"Chasing Home" hat mir eines gezeigt: Es gibt eine Grenze. Es gibt bei Romantikbüchern eine Grenze, an der Leser sagen "Ich will mehr!" Der Text funktioniert als romantische 0815-Geschichte klasse. Aber ...

"Chasing Home" hat mir eines gezeigt: Es gibt eine Grenze. Es gibt bei Romantikbüchern eine Grenze, an der Leser sagen "Ich will mehr!" Der Text funktioniert als romantische 0815-Geschichte klasse. Aber er bleibt in gewohnten Gefilden und sorgt bei manch erfahrenem Leser für Langeweile.

Der Roman ist gut komponiert: Ein knalliger Hauptcharakter trifft auf einen Mann, der ihm Grenzen setzt und verunsichert. Das Seme-Uke-Prinzip, das man aus vielen Mangas kennt. Das Schema wird ein bisschen hinterfragt, aber nur am Anfang und Ende wird die Hauptfigur deutlich - den Rest des Romanes läuft der herausgeforderte und hoch-verknallte Linc dem enttäuschten Chase hinterher.

Die Autorin weiß die Zwischenteile mit netten und in sich geschlossenen Szenen zu füllen. Das Landleben wird amüsant beschrieben und ich habe manches gelernt.

Herzstück ist aber der umgang mit dem Tod. Die Autorin hat die Gedanken und Gefühle der Figuren gut erklärt und ich hatte nicht das Gefühl, dass etwas vergessen wurde: Während Linc trauert, ist Chase eifersüchtig auf Lincs Status als biologischer Sohn und Erbe. Wenngleich Chase' Gedanken durch die personale Perpektive Lincs nicht so schön tief waren, war das Thema super aufbereitet. Hier sehe ich viel Potential.

Sprachlich war der Text nich schwer, einfach zu lesen und fast ohne Stolpersteine. Manchmal waren Sätze etwas sperrig und eine Politur mit feinem Sandpapier hätte geholfen, aber deutliche Fehler gab's nicht.

"Chasing Home" ist ein Roman, der die Regeln des Genres zu gut beherrscht; er hat Witz, eine einfache Figurenkonstellation, Nebencharaktere und genügend Wattebällchen für feucht-fröhiche Stunden. Und es gibt einige gute Sexszenen. Aber noch hebt er sich nicht genügend ab.

Der Text eignet sich Für Einsteiger ins Genre und für Leute, die Häppchen für zwischendurch mögen. Wer Innovatives lesen möchte, sollte 2 Jahre warten

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Veröffentlicht am 29.07.2024

100 Seiten zu lang

Experienced. Die Liebe bietet unbegrenzte Möglichkeiten
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Ich hatte das Buch angefordert, weil ich die Grundgeschichte interessant fand. Außerdem hatte ich mich auf eine Figur gefreut, die wechselnde Partner genießt, anstatt am Ende reuevoll zur Monogamie zurückzukehrn. ...

Ich hatte das Buch angefordert, weil ich die Grundgeschichte interessant fand. Außerdem hatte ich mich auf eine Figur gefreut, die wechselnde Partner genießt, anstatt am Ende reuevoll zur Monogamie zurückzukehrn. Spoiler: Die Monogamie bleibt gewahrt. Puh!

Worum geht es?

Bette ist seit einem Jahr offiziell lesbisch und das erste Mal verliebt. Doch ihre Partnerin Mei möchte, dass sie sich austobt, damit sie sich sicher in der Beziehung ist. Bette geht widerwillig auf die Suche und findet einige Partnerinnen und noch mehr.

Ein Wort zum Cover

Das Titelbild zeigt eine leicht verfremdete Frau in Ölfarben-Optik. Andere Bücher ähnlicher Thematik vom selben Verlag haben ein ähnliches Design. Durch die Perspektive und Platzierung wirkt das Motiv sehr dynamisch, durch die Farben lebendig. Es hat mich aber eher an ein populärwissenschaftliches Sachbuch erinnert als an einen klassischen Liebesroman. Für sich genommen ein wunderschönes Motiv! Beim englischen Cover hat man sich aber für zwei gezeichnete Frauen entschieden, die normalgewichtig, sogar kurvig sind. Das Cover vermittelt dort eher, dass Figuren nicht schlank sein müssen, um Protagonistinnen zu sein. Im Buch spielt das Gewicht keine Rolle, aber ich finde es wichtig, dass Menschen jedes Gewichts in der Literatur präsent sind.



Wie hat mir das Buch gefallen?

Der Einstieg ins Buch war flott und ab 20 % dachte ich, dass mir die Figur aus der Seele spricht. Nach 50 % habe ich aber ganze Absätze überlesen. Denn Bette ist ein typische Figur in Liebesromanen: Ich-bezogen, fühlt sich für alles verantwortlich, tut aber selbst fast nichts. Muss ständig von Freund:innen aufgebaut und bestätigt werden. Gerät ständig in kleine Schwierigkeiten, aus denen sie aber durch ein Wunder wieder herauskommt. Betrachtet alles im Detail, findet alles sehr, sehr wichtig. Hat ansonsten kaum nennenswerte Charaktereigenschaften.

Bette ist eine Figur, mit der man nicht zusammen sein möchte, weil sie so mit Selbstmitleid beschäftigt ist, dass für einen Partner kein Platz ist. Man möchte sie anschreien.

Auch der Subplot mit der konservativen Familie wird so kurz abgehandelt, dass man ihn hätte weglassen können.

Der Konflikt selbst ist ja interessant: Muss man sich als Mensch austoben oder kann man das auch später machen, wenn man sich bereit fühlt? Ist die Wahrscheinlichkeit jemanden zu verlassen geringer, wenn man sich ausprobiert hat, weil man weiß, was man will?

Und anfangs macht Bette gute Fortschritte: Sie hat mit drei verschiedenen Frauen Sex und erlebt eine freigeistige und technisch tolle, eine anhängliche und eine Frau, die nicht mehr will.

Doch dann kommt das Love-Interest und spätestens nach 30 % ist klar, wie es ausgeht. Das Interest selbst hilft Bette immer, egal, was sie tut. Ist wie ihre beste Freundin, nur in lesbisch und etwas schüchterner. Das Love-Interest hat ein Problem, das sich am Ende aber in Luft auflöst. Obwohl der Konflikt Potential hätte.

Der Grundkonflikt wird sehr erwartbar gelöst, und ich fand sowohl den Höhepunkt als auch dessen Aufklärung schwer nachvollziehbar. Die Figuren wissen alles voneinander. Warum sie dann in Streit geraten, wusste ich nicht. Immerhin fand ich das zentrale Gespräch mit Mei sehr nahbar.

In der fallenden Handlung gibt es auch eine Szene, die auf einem Treffen für queere Frauen spielt, in dem sich vor allem Bi-Frauen befinden. Die Figur wurde nicht müde zu betonen, wie wichtig solche Treffen, auch ohne Männer, sind. War gewollt.

Es gibt ein paar kleinere Erotik-Szenen und eine größere, die aber verkrampft und nicht sinnlich wirkt. Dazu passt, dass die Autorin im Nachwort schreibt, sie hätte sich mit "Mechanik und Choreografie von lesbischem Sex" (99 %) beschäftigt. Es wirkte nicht natürlich.

Nett waren die Nebenfiguren, allen voran Ash, die beste Freundin unserer Hauptfigur. Sie hat für alles Verständnis und eine Lösung. Die Figuren beider Freundeskreise waren vielfältig, mir aber zuviel. Ich habe den Überblick verloren. Schwierig fand ich, dass bei einer nicht-binären Figur das Pronomen "dey" genutzt wird - ich wusste nicht, ob es sich um einen Namen handelt und da es ein englisches Lehnwort ist, fühlte es sich wie ein Fremdkörper an. Eine andere Form des Pronomens hätte ich besser gefunden.

Auch hat mich gestört, dass zwei "Panikattacken" vorkommen, bei denen "Angstzustand" aus meiner Sicht treffender gewesen wäre. Über die Verwendung des Begriffs wird immer wieder gestritten. Die Gründe für die Angst sind in beiden Fällen real, die Attacke kommt nicht aus dem Nichts, sondern es sind Probleme, von denen sich die Figuren überwältigt fühlen. Körperliche Symptome treten auf, die für mich nachvollziehbar waren. Trotzdem war ich nicht glücklich damit.

Nett fand ich aber manche sprachliche Metapher, die ganzen Bilder und Wahrnehmungen. Wem es Spaß macht, all die Puzzelteilchen der Welt zu entdecken, der wird mit Bette Spaß haben.

Fazit

Hinter einen tollen Grundidee verbirgt sich ein klassischer Liebesroman mit einer nervigen Figur und einer vorhersehbaren Dramaturgie. Nett zu lesen, aber eher Flop.

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Veröffentlicht am 13.07.2024

Klischeehaft, aber die Sprache ...

Manhattan Law & Passion - Tiefes Verlangen
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Ich habe das Buch gelesen, weil es um eine Journalistin geht und ich mich über ein paar Einblicke in ihre Arbeit gefreut hätte. Ein hübscher Anwalt sollte mein Herz höher schlagen lassen. Letztlich ist ...

Ich habe das Buch gelesen, weil es um eine Journalistin geht und ich mich über ein paar Einblicke in ihre Arbeit gefreut hätte. Ein hübscher Anwalt sollte mein Herz höher schlagen lassen. Letztlich ist das Buch ein klischeehafter Roman mit ein paar Abstrichen in der Sprache.

Rezi enthält Spoiler!


Worum geht es?

Madison, kurz Maddie, war als Reporterin im Nahen Osten, schreibt aber seit dem Tod eines Kollegen für ein Frauenmagazin. Anwalt Sam knabbert am problematischen Verhältnis zum Vater und dem Tod seiner Ehefrau. Ein Mord an einem Politiker führt beide zusammen.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Womit der Roman emotional 280 Seiten verbringt, weiß ich leider nicht - Figurenzeichnung war es nicht. Über Maddie als Mensch erfährt man fast nichts, obwohl der Kontrast aus Frauenzeitschrift und einer Arbeit für humanitäre Werte interessant wäre. Am Ende greift der Roman das Thema "Frauen" kurz auf und führt beides zusammen. Aber ich habe nicht verstanden, warum eine Frau, die so viel erlebt hat, so wenig davon in ihrem Denken hat. Es ist einfach nicht spürbar. Der Tod des Kollegen klingt bis zur Hälfte an, danach findet er nicht mehr statt.

Im Zentrum steht Sam als Mann, der mittels neuer Frau therapiert werden muss. Das findet man häufig in solchen Romanen, in diesem Werk wird das noch mal deutlicher, weil Maddie als Gegenstück wenige kleine Probleme hat. Sam als Figur ist liebenswürdig und interessant: Er kommt aus reichem Hause, hat sich aber losgesagt und mit seiner Frau eine Organisation gegründet, die Frauen in Not juristische Unterstützung anbietet. Das zieht sich durch den Roman und ist auch der Auslöser für die Handlung. Im Laufe des Romans verarbeitet er (allein) den Tod der Frau und auch der Vater bekommt seinen Auftritt.

Obwohl das Buch aus beider personaler Perspektive geschrieben ist, steht das Leiden des Mannes im Vordergrund. Das habe ich auch bei den erotischen Szene gemerkt. Es gibt zwei große, explizite Szenen, in denen der Mann die Frau beglückt. Dass sie ihm Gutes tut, lässt er nicht zu. Das ist ok, denn er ist der Held der Handlung, er braucht das einfach und kann wohl keine Kontrolle abgeben, aber andere Bücher machen das besser. Beglückt wird in einer Wohnung und im Wald, gern in Hündchen-Stellung. Die Szene selbst sind nett, aber etwas hölzern geschrieben, der Orgasmus war aber ok.

Der Kriminalfall ist eine der Stärken des Buches. Für erfahrene Leser:innen ist er simple und nicht so spannend, aber die Autorin schafft es gut, den Fall über das ganze Buch zu spannen und die Auflösung hat mich ein bisschen überrascht. Das Motiv wirkte ein bisschen beliebig und es gibt ein paar Logik-Löcher, aber das ist ok. Dass nicht alles erklärt wird, gehört dazu und war für mich in Ordnung. Es wird nicht blutig, ich hatte daran wirklich Spaß.

Auch dramaturgisch kann ich nicht meckern, das Buch ist über die ganze Zeit interessant gewesen, das retardierende Moment am Ende hat mich überrascht, weil es innerhalb von 10 Seite aufgeworfen und aufgeklärt wird. Logisch war es nur bedingt, aber ich spürte, dass sich hier jemand Gedanken gemacht hat.

Die große Schwäche war die Sprache. Sie wirkt etwas hölzern - verglichen mit anderen Büchern, die ich gelesen habe, ist der Text im unteren Mittelfeld. Wortwiederholungen tauchen gern innerhalb eines Absatzes auf z.B. "Der Aufzug erreichte das Erdgeschoss, das sie durchquerten. 'Hallo, Mister Allen', begrüßte Jessica den Mann am Empfang, als sie nebeneinander das Foyer durchquerten." (42 %) Außerdem schwankt die Sprache innerhalb der Erzählpassagen. Abgesehen von ein paar süddeutschen Einschlägen (vor allem Grammatik) ist der Text in Hochdeutsch geschrieben, doch plötzlich taucht Umgangssprache auf z.B. "Über Sams Mandantin schrieb der Verfasser sehr miese Dinge" (22 %) Die Figuren haben kaum eine eigene Sprache. Menschen aus "niederen" Bevölkerungsschichten sprechen mal Umgangssprache, mal nicht. Genervt hat mich auch, dass in Dialogen oft der Tonfall und die Intention klar ist, das aber in den Ausleiteworten nochmal wiederholt wird - wie im obigen Beispiel. Ich verstehe, dass Dialoge schwer zu integrieren sind und dass das wohl eine stilistische Besonderheit der Autorin ist. Ich fand das aber nicht angenehm.

Es gibt im Buch aber Highlights z.B. den Metapher einer Spinne, die am Ende auftaucht. Das war bildlich und das Motiv wurde gut umgesetzt. Auch die Eheringe, die Sam noch trägt, als Fessel zu bezeichnen, fand ich treffend.

Figuren aus den anderen Bänden haben Kurzauftritte; zwei kommen und gehen, einer bleibt als Nebenfigur.

Dass Maddie ihre Artikel gern auf Papier ausdruckt, anstatt sie als Datei zu schicken, wirkt auf mich etwas alt. Es gibt aber Leute, die gern damit arbeiten.

Fazit

Wenn man keinen Wert auf Sprache legt, sondern auf gebrochene Helden steht, die sich finden, und wenn man Kriminalfälle mag, dann wird man daran seine Freude haben. Es ist keine schlechte Wahl, wirkt aber aus der Zeit gefallen und nicht kreativ. Eine nette Lektüre für zwei Stunden, aber ... man hätte mehr rausholen können.



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Veröffentlicht am 19.06.2024

Falsch verpackt

Eine kurze Geschichte queerer Frauen
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Ich wollte das Buch lesen, weil ich bereits ein Buch über die Geschichte deutscher Queers gelesen hatte - überwiegend männlicher Menschen. Das eher geometrische Cover sprach auch dafür, dass es ein Sachbuch ...

Ich wollte das Buch lesen, weil ich bereits ein Buch über die Geschichte deutscher Queers gelesen hatte - überwiegend männlicher Menschen. Das eher geometrische Cover sprach auch dafür, dass es ein Sachbuch ist. Leider ist es das nicht.

Der Text ist sehr umgangssprachlich geschrieben und liest sich wie ein Comedy-Beitrag auf einer OpenStage - über ca. 150 Seiten. Das muss man mögen. Meins war's gar nicht.

Worum geht es?

Der rote Faden sind Beziehungen queerer Frauen beginnend mit Sappho bis in die Neuzeit. Ab 70 % gewinnen People of Color und die Bürgerrechtsbewegung der 50er bis 70er mehr Raum, auch die AIDS-Epidemie wird behandelt, was ich interessant fand. Am Ende gibt es noch Hinweise zu den Quellen.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Es war eine Quälerei und ich war froh, als es vorbei war. Es ist eine satirsche Darstellung lesbischer Frauen in all ihren Klischees. Selbst der Krieg gegen das Patriachat wird ständig auf's Korn genommen. Das Buch ist voller Verallgemeinerungen. Was wahr ist und was nicht, was der Erzählerin überhaupt wichtig ist, weiß ich nicht. In den letzen 30 % klingt das Buch weniger humorvoll, sondern (endlich!) wahrhaftig.

Übertrieben formuliert: Vielleicht ist das Buch für Lesben gedacht, die die Nase voll haben von all den Bewertungen, dem ständigen Kampf, und die einfach mal lachen wollen. Und natürlich für alle anderen, die damit klarkommen.

Ein eher dezentes Beispiel: "Die NUWSS war gechillt. Ihre Mitglieder standen nicht so auf Gewalt und glaubten an die Macht der Worte." (49 %). Ein Beispiel, wo der Inhalt einfach untergeht: "The Ladder erhielt einerseits viel Zuspruch, wurde andererseits aber auch heftig kritisiert. Viele queere Frauen konnten nicht verstehen, wieso die DOB so besessen davon waren, das Gleiche haben zu wollen wie Heteros. Wollten sie wirklich heiraten dürfen, nur um sich zehn Jahre später wieder scheiden zu lassen? Wollten sie wirklich im Partnerlook herumlaufen und Urlaubsfotos in Alben kleben? Wollten sie sich wirklich chinesische Schriftzeichen auf den Rücken tätowieren lassen?" (68 %)

In einem belletristischen Roman oder einer Essay-Sammlung wäre das nett gewesen, aber in einen Buch, das mir als Ratgeber oder Sachbuch verkauft wird, finde ich das deplatziert.

Vor allen, weil der Inhalt untergeht. Die Erzählerin greift einige bekannten Persönlichkeiten auf und viele unbekannte. Das ist löblich! Aber sie stellt oft die sexuelle Freizügigkeit bzw. das Liebesleben der Figuren in den Vordergrund. Denn es geht überwiegend um lesbische Frauen - und die wurden selbst innerhalb des Feminismus kritisch gesehen. Ab den 1950er Jahren, als erste Zeitschriften für lesbische Frauen entstanden, wird das Buch sachlicher, doch man wird mit Namen überflutet, vieles kurz angerissen und oft ist es wichtiger, mit wem die Herausgeberin Sex hatte. Es ist so schade, dass bei den meisten Frauen um Buch nicht im Vordergrund steht, was sie für die Gesellschaft geleistet hat.

Es wird, wie im zweiten Beispiel ersichtlich, auch nicht unterschieden, welche Strömungen, welche Fragestellungen es innerhalb der lesbischen Communitys gab. Auch, wie sich die erste und zweite Welle des Feminismus entwickelt haben, war nicht ganz klar. Es gibt im Buch soviele Aspekte, die man hätte ansprechen können - und soviel Klatsch und Tratsch soviele retorische Mittel, die nicht nötig gewesen wären.

Für mich war es auch befremdlich, dass jede Frau als "lesbisch" einsortiert wird, die körperliche Zuneigung zu einer Frau gespürt hat. Selbst Anne Frank. Obwohl es auch Frauen gibt, die sich aus emotionalen Gründen körperlich zu Frauen hingezogen fühlen oder die Frauen begehrten, aber sich nicht als "lesbisch" definierten. Virginia Woolfe hatte wahrscheinlich eine Affäre mit Vita Sackville-West, aber ob sie ein generelles Bedürfnis nach körperlichen Beziehungen hatte, kann bezweifelt werden.

Übrigens ist das Buch mit "queer" überschrieben, es geht aber meist um lesbische Frauen. TransMänner kommen vor, TransFrauen weniger, People of Color ein bisschen. Bisexuelle werden manchmal mit-eingeschlossen, aber bei keiner der Frauen, die erwähnt werden, stand das im Mittelpunkt.

Ich finde es aber gut, dass queere People of Color erwähnt werden, leider zuwenig. Denn diese Gruppen haben aufgrund der Mehrfachdiskreminierung einen anderen Blick auf das Thema und ihren eigenen Teil der Geschichte.

Es gibt auch kaum direkte Zitate, vieles ist nacherzählt und oft phantasiert die Erzählerin darüber, wie etwas stattgefunden hat oder hätte stattfinden sollen. Was wahr ist und was hinzugedichtet wurde, ist nicht ersichtlich.

Allerdings liegt das auch an der Quellenlage. Das Buch erwähnt das nur am Rande, aber schriftliche Aufzeichnungen über queere Liebe gibt es vergleichsweise selten, am ehesten in der Literatur. Queerness wurde zu vielen Zeiten verurteilt, aus der Geschichte gelöscht. Schriftverkehr von queeren verheirateten Frauen wurden später von deren Ehemännern oder Erben vernichtet oder verändert herausgegeben.

Trotzdem ärgert es mich, dass die Erzählerin ihre Glaubwürdigkeit zusätzlich herabsetzt, in dem sie kaum Zitate und Quellenangaben verwendet.

Fazit

Für war das Buch leider nicht schön. Wenn man es als satirische Abrechnung mit queeren Klischees versteht und sich darüber freut, dann ist es nett zu lesen. Wenn man dagegen ein Sachbuch erwartet, sollte man zu einem anderen Werk greifen.

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