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Veröffentlicht am 16.11.2023

Sichtbarkeit in einer auf Unsichtbarkeit angelegten Welt

Lügen über meine Mutter
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Das Dorf Obach im Hunsrück der 1980er-Jahre: Ländlich und familiär, so erscheinen die persönlichen Verhältnisse der Grundschülerin Ela auf den ersten Blick. Doch hinter den Mauern des elterlichen Hauses ...

Das Dorf Obach im Hunsrück der 1980er-Jahre: Ländlich und familiär, so erscheinen die persönlichen Verhältnisse der Grundschülerin Ela auf den ersten Blick. Doch hinter den Mauern des elterlichen Hauses herrscht Psychoterror. Ihre Mutter ist zu dick. Das behauptet zumindest ihr Vater - und lässt keine Gelegenheit aus, um seine Frau wegen ihres Gewichts zu beleidigen, zu erpressen und auf andere Weise zu beschämen.

„Lügen über meine Mutter“ ist ein Roman von Daniela Dröscher.

Meine Meinung:
In vier Teile ist der Roman aufgebaut, die jeweils ein Jahr umfassen und in verschiedene Kapitel untergliedert sind. Die Haupthandlung spielt in den Jahren 1983 bis 1986. Darüber hinaus gibt es zwischen einzelnen Kapiteln Einschübe aus der Gegenwart, die die erzählten Episoden aus erwachsener Sicht einordnen und analysieren.

Der Schreibstil ist insgesamt unauffällig und unspektakulär. Die dialektalen Einstreuungen und phrasenhaften Formulierungen im Vergangenheitsstrang passen jedoch gut zur Geschichte. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ela.

Die Charaktere habe ich als vielschichtig und menschlich empfunden. Der Autorin gelingt es sehr gut, Widersprüchlichkeiten und Schwächen herauszuarbeiten, sodass ihre Figuren ambivalent und mit vielen Grautönen daherkommen, obwohl die Sympathien dennoch klar verteilt sind.

Auch inhaltlich ist der Roman durchaus facettenreich. Zwar steht das Bodyshaming beziehungsweise Fatshaming im Vordergrund. Die Geschichte zeigt auf, wie das Gewicht der Mutter ständig im Fokus der Kritik steht und welche psychischen Folgen erzwungene Diäten und verbale Attacken auf Dauer haben. Außerdem hat der Roman einen feministischen Ansatz. Er beleuchtet patriarchale Strukturen und deren Konsequenzen wie finanzielle Abhängigkeiten. Zudem werden weitere Aspekte wie Rassismus, Krankheit und einiges mehr thematisiert, was die Geschichte ein wenig überfrachtet. Nach eigenen Angaben der Autorin ist der Roman autobiografisch motiviert. Deshalb ist es schwierig, die Authentizität zu bewerten und den Wahrheitsgehalt abzuschätzen.

Trotz der mehr als 400 Seiten und mehrerer inhaltlicher Wiederholungen habe ich den Roman lediglich an sehr wenigen Stellen als langatmig empfunden. Nur das zwar überraschende, aber etwas märchenhafte Ende hat mich nicht ganz überzeugt. Auch nach den letzten Kapiteln bleiben ein paar Fragen bewusst offen.

Der Titel ist mehrdeutiger als gedacht und lässt auch nach dem Ende der Lektüre Raum für eigene Interpretationen. Das abstrakte Cover sagt mir dagegen weniger zu, zumal ich die Farbwahl thematisch unpassend finde.

Mein Fazit:
Preisverdächtig ist der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher für mich zwar nicht. Dennoch konnte mich die autobiografisch inspirierte Geschichte gut unterhalten.

Veröffentlicht am 16.11.2023

In all seinen Werken gegenwärtig

Mann vom Meer
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Er war ein Schriftsteller von Weltruhm, Nobelpreisträger und Familienmensch. In Lübeck geboren, war ihm das Meer nahe. Doch auch in seinem späteren Leben hatte es für Thomas Mann eine besondere Bedeutung.

„Mann ...

Er war ein Schriftsteller von Weltruhm, Nobelpreisträger und Familienmensch. In Lübeck geboren, war ihm das Meer nahe. Doch auch in seinem späteren Leben hatte es für Thomas Mann eine besondere Bedeutung.

„Mann vom Meer“ ist ein Sachbuch über Thomas Mann, eine Art Kurzbiografie, geschrieben von Volker Weidermann.

Meine Meinung:
Das Buch umfasst 25 Kapitel, eingerahmt von einer Einleitung und einem Nachwort. Ergänzt wird es mit einer Bibliografie. Erzählt wird überwiegend in chronologischer Reihenfolge, beginnend in der Kindheit Thomas Manns beziehungsweise - streng genommen - noch davor.

Die Sprache ist - für das Genre ungewohnt - keineswegs nüchtern, sondern bildhaft und atmosphärisch. Als etwas störend empfinde ich allerdings den großen Umfang an Zitaten und Auszügen aus dem Werk Manns sowie die vielen Referenzen zu anderen Autoren.

Anders als ich zunächst vermutet hatte, dreht sich das Buch nicht ausschließlich um Thomas Mann, sondern beleuchtet auch weitere Familienmitglieder wie seine Mutter.

Wie der Titel erwarten lässt, wird insbesondere Manns Faszination für das Meer dargestellt. Schlaglichtartig werden unterschiedliche Episoden aus dem Leben des Nobelpreisträgers geschildert. Einige Facetten Manns werden ausführlich erzählt, beispielsweise sein homoerotischen Gedanken. Hierbei zeigt sich die umfassende Recherche Weidermanns. Andere Aspekte seiner Persönlichkeit werden hingegen ausgeblendet.

Auf den nur etwas mehr als 200 Seiten können auch Leserinnen und Leser, die mit der Vita Thomas Manns bereits etwas vertraut sind, noch unbekannte Details erfahren. Ein Manko des Buches ist es jedoch, dass diejenigen, die bisher wenig über die Familie wussten, sich aufgrund mangelnder Vorkenntnisse über weite Teile des Buches ein wenig verloren vorkommen dürften.

Sowohl der Titel als auch das Cover sind ansprechend gestaltet. Schade jedoch, dass Thomas Mann nur auf der Rückseite abgebildet ist.

Mein Fazit:
Für Fans der Werke der Familie Mann ist „Mann vom Meer - Thomas Mann und die Liebe seines Lebens“ eine Pflichtlektüre und eine lesenswerte Ergänzung für das heimische Bücherregal. Als Einstieg in die Biografie des berühmten deutschen Schriftstellers halte ich das Buch von Volker Weidermann allerdings nur bedingt geeignet.

Veröffentlicht am 20.10.2023

Die Tote in der Wäschetrommel

Fräulein vom Amt – Spiel auf Leben und Tod
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Die Kurstadt Baden-Baden im Jahr 1925: Viele Menschen wollen das Schachturnier im Kurhaus verfolgen. Auch Alma Täuber, das Fräulein vom Amt, und ihre Freundin Emmi hat das Schachfieber gepackt. ...

Die Kurstadt Baden-Baden im Jahr 1925: Viele Menschen wollen das Schachturnier im Kurhaus verfolgen. Auch Alma Täuber, das Fräulein vom Amt, und ihre Freundin Emmi hat das Schachfieber gepackt. Bis ein mysteriöser Todesfall nicht nur Almas Aufmerksamkeit fordert…

„Fräulein vom Amt - Spiel auf Leben und Tod“ von Charlotte Blum ist der dritte Teil der historischen Cosy-Crime-Reihe um Alma Täuber.

Meine Meinung:
Der Roman gliedert sich in 16 Kapitel, die von einem Prolog eingeleitet werden. Die Handlung spielt im Jahr 1925 und ist in Baden-Baden verortet. Erzählt wird größtenteils aus der Perspektive von Alma.

Der Schreibstil ist unauffällig, aber anschaulich und angenehm zu lesen. Die Wortwahl orientiert sich an den sprachlichen Geflogenheiten jener Zeit. Obwohl zwei Autorinnen am Werk waren, wirkt der Text wie aus einem Guss. Ein Glossar erklärt Namen und Begriffe, was die Verständlichkeit erhöht.

Zwar ist es empfehlenswert, zuerst die beiden ersten Bände der Reihe zu lesen. Doch das Geschehen lässt sich auch ohne Vorkenntnisse problemlos verfolgen.

Im Vordergrund der Geschichte stehen erneut die sympathische Alma Täuber und Kommissar Ludwig Schiller. Auch andere bereits bekannte Charaktere tauchen wieder auf. Die Figuren machen einen realitätsnahen Eindruck.

In erster Linie geht es - wie in den Vorgängerbänden - um einen Kriminalfall: wieder ein Mord, der für Spannung und Unterhaltung sorgt. Positiv hervorzuheben ist, dass der Roman darüber hinaus viel Wissenswertes aus jener Zeit mitliefert, und das auf kurzweilige Weise.

Im Nachwort klären die Autorinnen darüber auf, was sie hinzugedichtet haben und was auf wahren Tatsachen beruht. Dabei wird die fundierte Recherche der beiden deutlich. Die Stadtkarte in den Innenklappen ist ebenfalls sehr nützlich.

Die rund 350 Seiten sind abwechslungsreich und haben nur wenige Längen. Die Handlung ist größtenteils schlüssig.

Das nostalgisch anmutende Cover passt gut zum den übrigen Bänden. Auch der Titel fügt sich wieder prima ein und erschließt sich.

Mein Fazit:
Auch der dritte Teil der „Fräulein vom Amt“-Reihe von Charlotte Blum ist durchaus lesenswert. Der Roman macht Lust auf weitere Schreibprojekte des Autorinnenduos.

Veröffentlicht am 02.10.2023

Das Leben ausmisten

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Wie geht es weiter, wenn die Kinder aus dem Haus sind? Sie, Anfang 50 und Autorin, steht nun vor der Situation, die bisherige Wohnung räumen zu müssen, und mistet dabei auch ihr Leben aus.

„Eine vollständige ...

Wie geht es weiter, wenn die Kinder aus dem Haus sind? Sie, Anfang 50 und Autorin, steht nun vor der Situation, die bisherige Wohnung räumen zu müssen, und mistet dabei auch ihr Leben aus.

„Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ ist ein Roman von Doris Knecht.

Meine Meinung:
Der Roman umfasst zahlreiche, sehr kurze Kapitel. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht der namenlosen Protagonistin, chronologisch, jedoch mit diversen Rückblenden.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überzeugt. Der Schreibstil ist unaufgeregt, aber atmosphärisch. Mal ist der Erzählton melancholisch, mal selbstironisch.

Die Protagonistin wirkt lebensnah. Ihre Ambivalenz und Widersprüchlichkeiten machen sie zu einem interessanten und sehr menschlich erscheinenden Charakter. Obgleich man ihre Gedanken und Gefühle scheinbar ungefiltert erfährt, blieb mir die Protagonistin zum Teil ein bisschen fremd.

Inhaltlich verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Autofiktion ein wenig. Aufgeworfen wird die Frage, wie subjektiv und unverfälscht die eigenen Erinnerungen sein können. Es geht aber auch ums Altern, Loslassen, Verluste, Veränderungen, Mutterschaft und einiges mehr. Um Tabuthemen, die ich hier nicht vorwegnehmen möchte, wird ebenfalls kein Bogen gemacht.

Während ich mich in den ersten Kapiteln noch prima unterhalten gefühlt habe, hat mich der Roman zunehmend verloren. Auf den knapp 240 Seiten häuften sich im weiteren Verlauf die Passagen, die ich als langatmig oder zu banal empfunden habe.

Der paradox anmutende Titel des Romans gefällt mir sehr gut. Das Cover passt zwar nicht schlecht, spricht mich leider jedoch gar nicht an.

Mein Fazit:
Mit „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ hat Doris Knecht einen durchaus lesenswerten Roman geschrieben, der mich allerdings nicht in allen Punkten komplett überzeugt hat.

Veröffentlicht am 20.09.2023

Protokoll einer digitalen Asketin

Zeiten der Langeweile
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Mila ist Anfang 30 und macht sich Sorgen darum, zu viele Spuren in der digitalen Welt zu hinterlassen. Sie beginnt einen immer radikaleren Versuch, dem Internet zu entkommen und zu verschwinden. Doch dieses ...

Mila ist Anfang 30 und macht sich Sorgen darum, zu viele Spuren in der digitalen Welt zu hinterlassen. Sie beginnt einen immer radikaleren Versuch, dem Internet zu entkommen und zu verschwinden. Doch dieses Bestreben bringt auch Nachteile mit sich…

„Zeiten der Langeweile“ ist der Debütroman von Jenifer Becker.

Meine Meinung:
Der Roman gliedert sich in drei Teile, die wiederum aus mehreren Abschnitten bestehen. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Mila.

Die Sprache ist modern, aber nicht zu salopp. Der Schreibstil ist gleichzeitig anschaulich und gut lesbar.

Mila ist die Protagonistin der Geschichte. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich zwar sehr gut verfolgen, erscheinen mir aber nicht immer komplett schlüssig. Sie und die übrigen Figuren wirken jedoch nicht sehr überzogen.

Inhaltlich steht der Digital Detox im Mittelpunkt, also ein aktuelles Thema. Die digitale Enthaltsamkeit als konsequentes Experiment wird auf sämtlichen Ebenen durchgespielt. Wie gläsern sind wir bereits? Wie abhängig sind wir vom Internet? Über diese und ähnliche Fragen nachzudenken, dazu regt die Lektüre an. Zugleich ist sie ein Porträt einer typischen Frau Anfang 30 in der heutigen Gesellschaft.

Auf den etwas mehr als 200 Seiten hat der Roman nur wenige Längen. Die Handlung ist nur in Teilen vorhersehbar.

Das Cover, das ein Gemälde eines kanadischen Künstlers zeigt, gefällt mir sehr. Auch der Titel passt nach meiner Ansicht prima.

Mein Fazit:
Beim Debüt von Jenifer Becker handelt es sich um einen lesenswerten Roman. An „Zeiten der Langeweile“ haben mich nur kleinere Kritikpunkte gestört.