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Veröffentlicht am 21.10.2023

Ein Ziel vor Augen

Die kleinen Lügen der Ivy Lin
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Ivy Lin ist die Tochter chinesischer Einwanderer in die USA. Da ist auf der einen Seite die strenge Erziehung durch Mutter und Großmutter, wobei diese immer auf Bildung, Reichtum und gute Aussichten ausgerichtet ...

Ivy Lin ist die Tochter chinesischer Einwanderer in die USA. Da ist auf der einen Seite die strenge Erziehung durch Mutter und Großmutter, wobei diese immer auf Bildung, Reichtum und gute Aussichten ausgerichtet ist. Da waren aber auch die reuiigen Belohnungen, nachdem sie bestraft worden war. "Im Haushalt der Lins wurde man dafür belohnt, bestraft zu werden". Damit und durch schlechte Beispiele (kleinere Diebstähle der Großmutter) und Erzählungen der beiden Frauen, die noch geprägt vom Hunger und den Verfolgungen der Mao-Jahre sind, gelingt es Ivy nicht, sich ein angepasstes Bild von "Gut und Böse" aufzubauen, ihre Moral unterscheidet sich von der ihrer Mitschüler. Ihre Prägung, die den Vorgaben ihrer weiblichen Vorfahren folgt, legt die Grundlagen für ihr späteres Schicksal.

In der Schule ist sie isoliert. Ihr einziger Freund der Grundschulzeit und der ersten Jahre in der Mittelstufe ist ein ebenso mittelloses Einwandererkind aus Rumänien, Roux Roman. Mit ihm hat sie auch mit 14 den ersten Sexualkontakt, den sie aber nicht wirklich ernst nimmt, obwohl sie schon merkt, dass Roux in sie verliebt ist.

Sie schwärmt für Gideon Speyer, einen Mitschüler aus sehr gutem Hause. Einmal lädt er sie tatsächlich zu seiner Geburtstagparty ein und Ivy belügt ihre Eltern, um dabei sein zu können. Der Kontakt zu Gideon wird daraufhin von ihren Eltern ein für allemal durch einen Umzug blockiert.

Für mich ist Ivy in erster Linie an Anpassung und dazugehören wollen interessiert. Sie flunkert, aber bisher hat sie noch niemandem mit ihren Lügen geschadet. Die Dinge, die sie als Kind in kleinen Läden hat mitgehen lassen, waren billige Pfennigartikel. Damit heiße ich Diebstahl nicht gut, aber er hat auch niemanden ins Verderben gestürzt.

Dem Begriff „Charakterstudie“, der in manchen Rezensionen auftaucht, würde ich zustimmen. Eine Charakterstudie nicht nur von Ivy, sondern ihrem gesamten Umfeld: den Einwanderern genauso wie der besseren Gesellschaft der USA. Ihr ganzes Umfeld scheint aus Lügen und Heuchelei zu bestehen.

Ivy beendet die Schule und wird Lehrerin. Durch Zufall trifft sie Gideons Schwester Silvia wieder und durch sie auch Gideon selbst. Die beiden freunden sich an, aber es ist mehr sie, die emotional in die Beziehung investiert. Einerseits hält er sie auf Abstand, dann stellt er sie aber auch seinen Eltern vor und macht ihr schließlich einen Heiratsantrag. Sie scheint am Ziel ihrer Träume, doch da ist immer diese Distanz. Er wirkt nicht verliebt.

Dafür taucht plötzlich Roux an Silvias Seite auf. Er hat Karriere gemacht und Silvia über die Kunst kennengelernt. Nachdem Silvia zickt und immer launischer wird, kommt es, wie es kommen muss, Ivy betrügt Gideon mit Roux. Für sie fühlt es sich ehrlich an, „ehrliche Doppelzüngigkeit anstatt der weitaus anstrengenderen doppelzüngigen Ehrlichkeit“.

Und hier beginnen die Lügen, die schließlich fatale Folgen haben werden.

Über lange Strecken am Anfang war mir Ivy durchaus sympathisch. Manchmal hatte sie mein Mitleid. Die subtilen Feindseligkeiten gegenüber Menschen, die anders aussehen, dieses Ausgrenzen gibt es in Europa genauso wie in den USA. Erst das spätere Doppelleben und das letztendlich tragische Finale gehen auf ihr Konto und machen sie schuldig. Sie hat zwar ihr Ziel erreicht, zu einer der angesehenen Familien der USA zu gehören, aber zu welchem Preis? Und so gibt es zum Schluss eigentlich nur noch Verlierer!

Die fast 500 Seiten des Buches lesen sich leicht und flüssig und lassen keine Langeweile aufkommen. Sie bieten aber auch Gesprächsstoff, das Buch würde sich wunderbar für eine Leserunde eignen.

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Veröffentlicht am 10.10.2023

Im Schnee lässt sich's gut morden

Mord kennt keine Feiertage
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Das Cover passt sehr schön zum Titel und in die Weihnachtszeit. Im Rot-Weiß-Muster einer Zuckerstange sind Autor, Titel und Titelbild eingerahmt.
Das Titelbild zeigt ein erleuchtetes Herrenhaus in dunkler ...

Das Cover passt sehr schön zum Titel und in die Weihnachtszeit. Im Rot-Weiß-Muster einer Zuckerstange sind Autor, Titel und Titelbild eingerahmt.
Das Titelbild zeigt ein erleuchtetes Herrenhaus in dunkler Nacht am Meer. Von weitem grüßt ein Leuchtturm, die Gegend wirkt friedlich, der Schnee fällt aber unablässig.

Gerade hat Inspector Timothy Smart seinen letzten Fall gelöst und freut sich auf ruhige Feiertage mit seiner Frau Mildred, da erreicht ihn ein Anruf seines Freundes Robin Chandler. Chandler bittet ihn dringend darum, sofort nach Crannock Hall, einer Insel vor Cornwall zu kommen, es könne sonst Tote geben.

Bei denkbar schlechtem Wetter verschiebt Smart seinen Weihnachtsurlaub und macht sich auf den Weg. Die letzte Fähre bringt ihn nach Crannock Hall, danach brechen die Verbindungen ab und die Insel ist eingeschneit und von der Außenwelt abgeschnitten.

Damit ist natürlich ein perfektes Setting für einen spannenden Krimi geschaffen und tatsächlich lernen die Gäste den Hausherrn schon gar nicht mehr kennen, er liegt noch vor dem Abendessen erschlagen in der Bibliothek. Und es dauert nicht lange, da gibt es den zweiten Toten. Und weiterhin keine Möglichkeit, das Festland zu erreichen, egal ob telefonisch oder mit der Fähre.
Fast jeder könnte der Mörder sein, Misstrauen macht sich breit und erste Gäste verbarrikadieren sich bereits in ihren Zimmern. Smart und Chandler, die über jeden Verdacht erhaben scheinen, suchen nach einem Motiv, nach einer Gemeinsamkeit. Wie könnten diese beiden Todesfälle zusammenhängen?

Inspektor Smart hilft seine Neugier, sein Auftauchen in Situationen, in denen man nicht mit ihm rechnet. Er geht gerne Dingen auf den Grund, kleinste Kleinigkeiten fallen ihm auf und diese Beobachtungen tragen natürlich auch zur Lösung des Falles bei.

Der Krimi hält die Spannung bis zum Schluss, die überraschende Wendung war mir allerdings zu wenig begründet und doch zu exzentrisch. Aber immerhin erleichterte sie Inspector Smart die Suche nach dem Mörder und ermöglichte ihm, den Fall doch noch vor dem Fest zu lösen.

Das Buch las sich gut, aufgrund der relativ großen Lettern war man recht schnell durch. Ich fand den Krimi spannend, aber nicht überragend. Von daher entscheide ich mich für 4 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 02.10.2023

Konkurrenz unter Schwestern

Bretonische Spezialitäten
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Kommissar Dupin ist eingeladen, an einem Polizeiseminar in St. Malo teilzunehmen, zusammen mit seinem ungeliebten Präfekten. Aus allen Departements der Bretagne sind die Kommissare und ihre Präfekten angereist, ...

Kommissar Dupin ist eingeladen, an einem Polizeiseminar in St. Malo teilzunehmen, zusammen mit seinem ungeliebten Präfekten. Aus allen Departements der Bretagne sind die Kommissare und ihre Präfekten angereist, um Wege zu finden, die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern.

Schon am zweiten Tag wird Dupin Zeuge eines Mordes. Eine junge Frau sticht auf dem Markt auf ihre Schwester ein und bringt sie um. Die junge Frau ist die stadtbekannte Chefin eines sehr guten Restaurants, die sich in immerwährender Konkurrenz mit ihrer älteren Schwester befand.

Sie wird bald festgenommen und lehnt jede Aussage ab. Schon bald passieren weitere Morde und die drei Ermittler stehen vor einem Rätsel. Welches Motiv kann Lucille gehabt haben, woher kam so viel Hass, dass sie ihre Schwester ermordete. Vor allem suchen Dupin, Nedellec und Huppert, die drei bretonischen Kommissare, aber den zweiten Mörder, denn hierfür kann Lucille ja nun nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, sie hat das beste Alibi von allen, die Untersuchungshaft.

Zunächst einmal liest sich das Buch wie eine Aufforderung, seine Koffer zu packen und in die Bretagne zu reisen. Hier waren mit Sicherheit auch die Tourismus-Experten mit am Werk, die St. Malo und die umgebenden Orte als absolut lohnenswertes Reiseziel beschreiben. Auch die kulinarischen Highlights kommen nicht zu kurz, alle Delikatessen der Nord-Bretagne finden zumindest Erwähnung.

Auch wenn wir Kommissar Dupin mehr als Einzelkämpfer kennen, so lernen wir ihn hier von einer anderen Seite kennen. Er kooperiert mit den Kollegen, hält sie auf dem Laufenden und kann sich der Kommissarin aus St. Malo auch einmal unterordnen. Aber das Team zuhause ist natürlich auch mit von der Partie, der tägliche Anruf von Nolwenn und Rival darf nicht fehlen und trägt auch in diesem Fall zu dem Gedankenblitz bei, der letztendlich zur Lösung des Falles führen wird.

Die Lektüre macht Spaß, weil die Lösung des Falles anspruchsvoll ist. Und tatsächlich tragen auch die touristischen und kulinarischen Highlights zum guten Leseerlebnis bei und machen Lust auf einen Besuch in St. Malo.

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Veröffentlicht am 21.09.2023

Mord im Schatten des Berges

Stille Sainte-Victoire
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Cay Rademacher hat mit Stille Sainte Victoire den 10. Krimi um Roger Blanc und seine Mannschaft geschrieben. Diese Krimis sind ohne Vorkenntnis lesbar, aber es schadet gar nichts, sie alle zu kennen und ...

Cay Rademacher hat mit Stille Sainte Victoire den 10. Krimi um Roger Blanc und seine Mannschaft geschrieben. Diese Krimis sind ohne Vorkenntnis lesbar, aber es schadet gar nichts, sie alle zu kennen und es macht natürlich Spaß, immer wieder so tief in den Süden Frankreichs einzutauchen.

Ein Mann ist auf bizarre Weise ermordet worden. Das Mordinstrument war der versteinerte Zahn eines Dinosauriers, das Mordopfer ein Ingenieur, der damit beauftragt war, den Staudamm am Lac de Bimont zu untersuchen. Da ergibt sich zunächst kein Zusammenhang. Erst als sich für Roger Blanc und seine Kollegen herausstellt, dass das Mordopfer einen Zwillingsbruder hatte, der genau in dieser Gegend nach Saurierknochen gräbt, ergeben sich erste Anhaltspunkte. Die Gegend zwischen Sainte Victoire, Velaux und dem Fluss Arc ist ein Eldorado der Paläontologie und es wurden schon einige bis dahin unbekannte Saurierarten entdeckt.

Eigentlich ist der Täterkreis von vornherein ziemlich eingeschränkt, nur ergibt sich von keiner Seite aus ein Motiv. Und wenn es Motive gibt, dann sind die Falschen umgebracht worden. Auch der zweite Tote hilft zunächst einmal nicht weiter, die Ermittler tappen trotz der Ermittlungen auch über die Osterfeiertage vollkommen im Dunkeln. Aber natürlich wird der Fall in einem spannenden Finale gelöst.

Die Krimis von Cay Rademacher mag ich, weil sie fast immer reale Ereignisse aufgreifen, sich an Besonderheiten der Region orientieren, seien sie alter oder neuerer Geschichte. Man lernt auch immer neue Seiten an unserem Nachbarland kennen. Darüber hinaus transportieren sie französisches Lebensgefühl, aber nicht so übertrieben, dass der begleitende Fall nur noch konstruiert wirkt.

Die Spannung leidet ein bisschen darunter, dass die Ermittlungen sich so lange hinziehen, dass die gleichen Personen immer und immer wieder befragt werden müssen und sich erst langsam ein ganzes Bild ergibt. Trotzdem werde ich wohl auch in Zukunft mon capitaine treu bleiben.

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Veröffentlicht am 10.09.2023

Der Geschmack von Apfelringen

Sylter Welle
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Ein brennender Strandkorb ist ein ungewöhnliches Motiv für ein Buchcover. Strandkörbe verbindet man eigentlich mit unbeschwerter Zeit, mit Urlaub und Entspannung. Auch wenn das Motiv im Buch nicht aufgegriffen ...

Ein brennender Strandkorb ist ein ungewöhnliches Motiv für ein Buchcover. Strandkörbe verbindet man eigentlich mit unbeschwerter Zeit, mit Urlaub und Entspannung. Auch wenn das Motiv im Buch nicht aufgegriffen wird, so muss ein brennender Korb eigentlich das Ende von etwas bedeuten und hier ist es wohl das Ende der gemeinsamen Urlaube von Max mit seinen Großeltern. Der Buchtitel nimmt den Bezug zu Sylt auf, Sylter Welle heißt das Quartier, in dem sie die Ferienwohnung gemietet haben.

Max verbringt ein Wochenende mit seinen Großeltern auf Sylt. Das hat er von klein auf getan, mit den Eltern, mit den Onkeln, mit den Cousins. Weibliche Wesen scheinen keine große Rolle zu spielen, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dass auch Max' Schwester einmal in den Episoden aufgetaucht wäre. Oma hat nicht so gerne Konkurrenz neben sich und ihr Verhältnis zur Schwiegertochter ist gespalten. Omma ist der "Feldherr", die Macherin in der Familie.

Oma Lore und Opa Ludwig hatten die Söhne und Enkel gerne um sich und Oma Lore hat sie alle bekocht und verwöhnt und zwar auf ihre Art.

Das Leben und Verhalten der Großeltern ist strukturiert, dogmatisch und vorhersehbar. Manche Dinge waren schon immer so und sind anders auch nicht denkbar, da gibt es keine Diskussionen darüber.

Es scheint so zu sein, wie es in vielen Familien ist: da ist ein besonderes Verhältnis zwischen Großeltern und Enkeln. Die Chance der Eltern kommt, wenn sie selbst einmal Großeltern sind.

Max schildert sich selbst als Kind. Ganz einfach war es wohl nicht mit ihm, er verhielt sich nicht immer so, wie es vom ihm erwartet wurde. Wie sagt die Oma so schön: „unkontrolliert“. Erst mit den Jahren wurde es besser.

In zeitlich wechselnden Episoden erinnert er sich an gemeinsame Zeiten und oft kommt er vom „Hölzchen aufs Stöckchen“, ein Stichwort gibt das andere und er schweift weit ab, bevor er wieder zu dem kommt, was er eigentlich erzählen wollte.

Tag 1 des Wochenendes ist ausgefüllt mit allen möglichen eher positiven Erinnerungen. Ganz anders Tag 2: Hier überwiegt die Melancholie, es kommen die Schicksalsschläge zur Sprache, die der Familie über die Jahre zugesetzt haben und sie so haben werden lassen, wie sie jetzt sind. Hier erhält das Buch auch deutlich mehr Tiefgang.

Am dritten Tag kündigt sich schon der Abschied an, der Alltag kehrt ein und Max ist in Gedanken und selbst in Taten schon wieder zurück in seinem eigenen Leben. Omas Abendessen verschmäht er und macht noch einen Abstecher zu Mac Donalds, um satt zu werden. Mir schien es wie ein Abnabeln, ein Schritt in die Selbstständigkeit, die zwar nicht unbedingt besser aber selbstbestimmt ist.

Die Apfelringe, die sonst immer den Urlaub eingeläutet haben, markieren jetzt das Ende der gemeinsamen Zeit auf Sylt. Sie wirken wie ein Abschiedsgruß.

Ich bin mir immer noch unsicher, wie ich zu dem Buch stehe. Es liest sich gut und flüssig, auch wenn das Abschweifen den Leser manchmal rat- und orientierungslos zurücklässt. Omma ist der bestimmende Charakter, Oppa bleibt neben ihr blass und fällt höchstens durch seine Schrullen und seine immer wieder eingestreuten schlesischen Begriffe auf. Die "fetzige Lerge" hat mich bis zum Schluss irritiert. Gegen Oma aufbegehrt hat er wohl in erster Linie durch Wutausbrüche, die aber erst im letzten Abschnitt thematisiert werden. Jetzt im Alter wirkt er eher hilflos und abhängig. Doch auch Oma Lore ist nicht mehr die, die sie war. Als Feldherrin scheint ihr das Heer abhanden gekommen zu sein, da ist mit Opa Ludwig nur noch ein einziger müder und alter Soldat übrig geblieben.

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