Meinung:
Selten habe ich ein Buch gelesen, bei dem ich hinterher so leer, so ohne Worte und gleichzeitig mit so großem Redebedarf zurückblieb. Es ist grausam, auf ganz verschiedenen Ebenen, aufwühlend und beklemmend und trotzdem so packend und so großartig geschrieben, das man es nicht weglegen kann und will.
Eva erhält eine Einladung von ihrem Kindheitsfreund Pim. Eine Einladung die alte Wunden aufreißt und ihr Einiges abverlangt, vor allem den Schritt zurück in ihr Heimatdorf, in das sie schon seit Jahren keinen Fuß mehr gesetzt hat. Denn an diesem Ort hängen für Eva trostlose und schreckliche Erinnerungen.
Trotzdem kehrt sie zurück, im Gepäck einen großen, schweren Eisblock.
Dieses Buch ist so unendlich kalt und wird mit jeder gelesenen Seite noch kälter, denn man spürt, das man auf schlimme Dinge zusteuert und man hat keinen Schimmer wie schlimm sie sich tatsächlich entwickeln.
Als Leser taucht man in Evas Gedanken- und Gefühlswelt ein, die auf mich sehr distanziert und hart wirkte. Ihre Geschichte, in der Ich-Perspektive erzählt, spielt sich auf verschiedenen Zeitebenen ab. So erleben wir Eva einerseits als Mittzwanzigerin die ein sehr tristes Leben lebt und als junges Mädchen, als Kind an der Stufe zur Pubertät, als Teil der "Drei Musketiere", die sich aus ihr und ihren Freunden Pim und Laurens zusammensetzen. Es ist keine wirklich innige Freundschaft, das wird einem schnell klar, sondern eher ein Umeinander-Buhlen. Pim bildet den Mittelpunkt des Trios und sowohl Laurens als auch Eva wollen ihm stets gefallen um seine Anerkennung gewinnen. Dabei schießen sie irgendwann sehr weit über das Ziel hinaus und lassen sich zu Dingen hinreißen, für die man schwer Worte finden kann. Vor allem Eva lässt sich von den Jungs demütigen ohne dies zu erkennen. Als die Idee zu einem "Spiel" aufkommt, da nutzen die Jungs ihre, ja ich möchte es fast schon Hörigkeit nennen, so richtig aus und läuten so, vielleicht bewusst, vielleicht auch unbewusst, ihren letzten gemeinsamen Sommer ein. Einen Sommer, der Eva für immer verändern wird.
Auch in der Familie gibt es wirkliche Probleme. Es ist eine lieblose Kindheit, die Eva und ihre Geschwister Tesje und Jolan erleben. Der Vater hat Todessehnsucht, die Mutter säuft, um ihr Leben überhaupt irgendwie zu ertragen. Was ihre Kinder umtreibt interessiert sie nicht. Besonders schlimm trifft es neben Eva die Jüngste: Tesje. Sie entwickelt Verhaltensauffälligkeiten, bei denen man sich permanent fragt, warum es außer Eva und Jolan scheinbar niemandem auffällt. Das ganze Dorf schaut weg. Als Mutter hätte ich Schreien wollen, weil die Merkmale für eine psychische Störung gar nicht noch auffälliger hätten sein können.
Es ist eine durchweg krasse Geschichte, der man sich trotz ihrer Brutalität, aller Grausamkeiten und auch Perversionen, nicht entziehen kann, so sehr man es vielleicht auch möchte.
Für mich war dieses, wirklich gewaltige Debüt auch ein persönlicher Trigger, es hat mich einige schlaflose und unruhige Nächte gekostet in denen Selbsterlebtes wieder hochkam, das ich wie Protagonistin Eva gerne einfach für immer vergessen würde.
Man sollte das Buch vielleicht mit einer kleinen Warnung versehen. Jemand der mit kindlichen und perversen Gewaltexzessen schwer zurecht kommt, vielleicht auch aufgrund von Selbsterlebtem, dem würde ich von dieser Lektüre fast schon abraten. Mich hat es sehr beschäftigt, nicht unbedingt auf gute Weise.
Trotzdem hat es mich aber auch beeindruckt und wie oben schon erwähnt, konnte ich mich Evas Geschichte nicht entziehen.
Das Ende ist alles andere als harmonisch oder rund. Es kommt abrupt, eiskalt, beklemmend und Lize Spit lässt mir nicht nur das Blut in den Adern gefrieren, sondern sie überlässt mir als Leserin offenen Spielraum um mir selbst zu erdenken wie es wohl ausgeht für Eva, aber auch für ihre Geschwister, für Pim und Laurens.
Fazit:
UND ES SCHMILZT ist ein großartig literarisches, sehr intensives, aber auch brutales und eiskaltes Werk, das bei mir definitiv sehr lange nachhallen und im Gedächtnis bleiben wird.