„Die Toten von Natchez“ ist der zweite Band einer Trilogie. Er schließt zeitlich nahtlos an den Vorgänger an. Selten hatte ich bei einer Fortsetzung so dringend den Wunsch davon abzuraten, dieses Buch zu lesen OHNE vorher „Natchez Burning“ zu kennen. Wer hier als Quereinsteiger sein Glück versucht, wird sicherlich schon auf den ersten 100 Seiten verzweifeln und wahrscheinlich den Spaß an diesem Buch verlieren, bevor es richtig losgeht. Der Autor bemüht sich zwar, in dieser langen Anfangssequenz die Geschehnisse des 1000-seitigen ersten Teiles zu komprimieren und zu erklären, aber diese Informationen kommen in so geballter Fülle und sind so trickreich und verschlungen wie die ganze Geschichte mit seinen vielen Protagonisten nun mal ist, so dass ich mir nicht vorstellen kann, wie man das alles verstehen und in logische Zusammenhänge bringen soll. Für mich hingegen war es hilfreich, denn meine Erinnerungen wurden nochmals aufgefrischt und ich konnte deshalb gut und schnell wieder einsteigen. Und bald nimmt die Story wieder ganz gehörig Fahrt auf.
„Die Toten von Natchez“ ist ein fetter blutiger Thriller in dem Greg Iles sich nicht scheut die ganz großen ungelösten Kriminalfälle der USA in epischer Länge anzupacken und seine eigenen Theorien mit tatsächlichen Fakten und Erkenntnissen zu vermischen. Allen voran natürlich die Morde an den drei K’s - wie sie hier genannt werden - JFK, RFK und Martin Luther K. Aber auch der Ku-Klux-Klan kommt nicht zu kurz und die blutigen Unruhen nach dem verheerenden Kathrina-Sturm fehlen ebenso wenig. Die aus dem ersten Teil bereits bekannten Doppeladler sind eine verschworene Verbrecherbande, die bereits seit über einem halben Jahrhundert im Süden der Vereinigten Staaten ihr Unwesen treiben und nach den anfänglichen rassistisch motivierten Morden jetzt mit ihren Söhnen und Enkelsöhnen in allen Bereichen des organisierten Verbrechens angekommen sind. Sie haben bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft ebenso ihre Männer in maßgeblichen Positionen, wie sie Freunde und Partner in allen Wirtschaftsbereichen und der Politik haben. Eine Hand wäscht hier die andere und vor Erpressung, Unterschlagung, Mord und Totschlag wird nicht zurückgeschreckt. Und es scheint fast aussichtlos ihre Gemeinschaft aufzubrechen, ihnen irgendetwas nachzuweisen oder sie gar zur Rechenschaft zu ziehen für ihre Taten. Wer ihnen in den Weg kommt wird vernichtet. Auf die eine oder andere Art und Weise.
Umso unverständlicher mutet es dem Leser an, dass die „vornehmlich Guten“ in dieser Geschichte erst einmal alle eigene Wege gehen, um die Doppeladler zu bekämpfen. Da jeder eine andere Motivation hat und ein anderes Ziel anstrebt, sind jede Menge „Einzelkämpfer“ unterwegs und es ist von vorne herein klar, dass das nicht für jeden gut ausgehen wird und dass sie sicherlich diese Verbrecherorganisation nur gemeinsam vernichten können.
Während Bürgermeister Penn sich mit dem örtlichen Sheriff zusammentut und versucht, seinen Vater zu finden und zu schützen ist eben derselbe unterwegs, um den Gegner mit allen Mitteln zu schwächen und zu verhindern, dass die Doppeladler noch mehr Einfluss erlangen. Die Journalistin Caitlin ist auf der Jagd nach der ganz großen Story und wenn möglich gar dem Pulizerpreis und geht dafür viel zu viele Risiken ein und überblickt nicht immer, in welche Gefahr sie sich und andere mit ihren Enthüllungen bringt. FBI-Agent Keiser indessen will unbedingt die Morde an den drei K’s auflösen. Und jeder verheimlicht jedem wichtige Informationen und Beweise. Die Gegner, allen voran Forest Knox, sind durchtrieben, menschenverachtend, einflussreich und zahlreich und keineswegs zu unterschätzen. Und so wird der blutige Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Ordnung in diesem zweiten Band ähnlich vehement fortgesetzt, wie im ersten Band.
Ja, es gibt ein paar Zufälle, die die Story auf ziemlich deutliche Weise vorantreiben. Ja, nicht jede Handlung der Protagonisten ist nachvollziehbar. Ja, man mag nicht glauben, dass eine Verbrecherbande wirklich solche Machtbefugnisse in der amerikanischen Gesellschaft hat, dass sie Präsidenten und Prediger und Bürgerrechtler ebenso ungestraft töten kann, wie Polizisten und Reporter. Aber trotz all der kleinen Schönheitsfehler hat es Greg Iles geschafft, dass ich mich über 1000 Seiten nicht gelangweilt habe. Seine Charaktere sind glaubhaft und kraftvoll, die Story spannend und mit überraschenden Wendungen. Man merkt, dass der Autor sein Herzblut und jede Menge Recherchearbeit in diesen Dreiteiler gesteckt hat. Man muss an der Geschichte dran bleiben aber man bekommt dafür einen unterhaltsamen, typisch amerikanischen, sehr gehaltvollen Thriller.