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Veröffentlicht am 01.11.2023

Persönliche Familiengeschichte eines türkischen Gastarbeiter-Sohnes

Kartonwand
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Die Kartonwand in Fatih Çevikkollus Familie ist das Symbol für den baldigen Wohlstand, den sie in der Türkei leben werden, wenn sie zurückkehren. Bald. Nur ein paar Jahre noch Geld verdienen in Deutschland, ...

Die Kartonwand in Fatih Çevikkollus Familie ist das Symbol für den baldigen Wohlstand, den sie in der Türkei leben werden, wenn sie zurückkehren. Bald. Nur ein paar Jahre noch Geld verdienen in Deutschland, dann geht es zurück. Doch die Kartonwand wächst und wächst, es zeichnet sich ab, dass eine Rückkehr nicht so bald stattfinden wird. Und wohin eigentlich zurückkehren, wo man nie war? Denn Fatih und seine Brüder sind in Köln geboren und kennen die Heimat, von der seine Eltern immer reden, gar nicht.
Die Heimat wird auch für die Eltern immer ferner. Unfreiwillig schlagen sie mit den Jahren Wurzeln in Köln, sind aber nicht verwurzelt wie sie es in der Türkei waren. Deutschland und die Deutschen sind ihnen auf Jahre hinaus noch fremd.

Wie lebt es sich in einem 'Dazwischen', das immer mehr zum Dauerzustand wird? - Für Fatih Çevikkollus Mutter endete dieser Zustand in einer Psychose, im Alter wurde sie gewissermaßen verrückt.
Çevikkollu macht sich auf die Suche nach seiner Familiengeschichte. Sein Rückblick lässt ihn mit Verwandten in der Türkei, mit Freunden seiner Eltern in Deutschland reden. Herausgekommen ist anhand seiner eigenen Biografie ein sehr persönliches Buch, dessen Inhalt seinen Weg in aktuelle Debatten finden sollte. Für mich als in Deutschland geborene Person hat es einen sehr intimen Einblick in die fundamentalen Probleme der Gastarbeiter:innen und ihrer Familien geboten und mich zum Nachdenken angeregt. Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit für diesen Einblick und empfehle das Buch, ja, einfach allen.

Veröffentlicht am 01.11.2023

Eine süffisante Sagengestalt erzählt aus ihrer Perspektive...

Penelope und die zwölf Mägde
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Oft genug ist die Geschichte von Odysseus erzählt worden, seinem Listenreichtum im trojanischen Krieg, seiner Irrfahrt auf dem Weg zurück zu seiner Gemahlin nach Ithaka. Nun erzählt Penelope aus den Tiefen ...

Oft genug ist die Geschichte von Odysseus erzählt worden, seinem Listenreichtum im trojanischen Krieg, seiner Irrfahrt auf dem Weg zurück zu seiner Gemahlin nach Ithaka. Nun erzählt Penelope aus den Tiefen des Hades, und sie lässt kein gutes Haar an ihrem Mann!

Penelope, die nicht mit der vielbesungenen Schönheit ihrer Cousine Helena gesegnet ist, bleiben weniger Heiratsoptionen. Sie wird Odysseus zur Frau gegeben, den sie als kurzbeinigen Tölpel beschreibt, der nur zu allzu gern mit seinen Tricks prahlt. Überhaupt hält sich Penelope nicht mit Sarkasmus zurück, und zweifelt auch so manche Legende an. Denn der einäugige Zyklop, gegen den Odysseus angeblich gekämpft haben soll, ist sehr viel wahrscheinlicher der einäugige Inhaber einer Hafenkaschemme gewesen, in der ihr Gatte sich nicht zu benehmen wusste. Und überhaupt ist die ganze Bredouille nur Odysseus Schuld, denn während er aller möglicher Abenteuer auf den Meeren und dazwischen fröhnt, muss sie sich auf Ithaka der Freier erwehren, die sie durch sein Fernbleiben zu einer neuen Ehelichung nötigen und dabei die Vorratskammern leerfressen. Penelope, die selbst auch nicht auf den Kopf gefallen ist, hält die Buhler mit unlösbaren Aufgaben in Schach und gibt dabei das Bild der treuen Ehefrau.
Penelope muss in einer männerdominierten Welt ihren eigenen Weg finden zu bestehen oder sich den patriarchalen Strukturen ergeben, die an ihr zerren. Die Intrigen des Hofes von Ithaka kosten Penelopes zwölf treuen Mägde das Leben.

Und da sitzt sie nun im Totenreich und erzählt die Geschichte aus ihrer Sicht mit einer betonten Coolness. Aber auch Penelope scheint keine objektive Erzählerin. Sie beobachtet durch die Jahrhunderte, wie Odysseus sich für Wiedergeburten entscheidet, einzig um den Mägden im Hades für eine weitere Lebenszeit zu entkommen, die ihn mit ihrer Anklage verfolgen. Aber wie sehr kann eine Frau, auch eine hochrangige wie Penelope, dem Patriarchat entkommen, ohne irgendwann vor der Entscheidung zu stehen andere Frauen dem eigenen Wohl zu opfern?

Veröffentlicht am 11.10.2023

Eine Nacht in Tokio

Gute Nacht, Tokio
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Eine Requisiteurin benötigt für einen Film eine für diese Jahreszeit seltene Frucht und steigt zu Matsui ins Taxi, um sämtliche Supermärkte der Stadt zu durchforsten. In jener Nacht befördert Matsui noch ...

Eine Requisiteurin benötigt für einen Film eine für diese Jahreszeit seltene Frucht und steigt zu Matsui ins Taxi, um sämtliche Supermärkte der Stadt zu durchforsten. In jener Nacht befördert Matsui noch einen Privatdetektiv, der einem Geheimnis auf der Spur ist. Ein weiterer Fahrgast ist eine junge Schauspielerin, und sie scheint den Privatdetektiv zu kennen. Später kehrt der Taxifahrer ins „Drehkreuz“ ein, ein nur nachts von vier Frauen bewirtschaftetem Bistro, das am Morgen seine Pforten schließt, und wo es die besten Ham & Eggs von ganz Tokio gibt. Ähnliche Öffnungszeiten hat der seltsame Laden für gebrauchtes Werkzeug, das von einem kauzigen Mann betrieben wird, der kaputten Gegenständen einen neuen Sinn und einen neuen Namen einhaucht.

Es wirkt zunächst wie ein wirres Knäuel aus Ramen-Nudeln, wie diese Leute im nächtlichen Tokio ihren jeweiligen Leben nachgehen und die Wege der anderen kreuzen, während sie ihre individuellen Probleme wälzen. Die Fragmente dieser Geschichte fügen mehr oder weniger gut zusammen wie ein Wandteppich, aus dem am Ende doch noch ein paar lose Enden herausgucken. Den Reiz, dieses Buch zu lesen, muss man im Titel suchen. «Gute Nacht Tokio» fängt die Neonlichter der Stadt, die erst dann wirken, wenn die Nacht sich über die Metropole gelegt hat, erzählerisch ein. Ein ganzes Buch voller Fremder, denen man im Dämmerlicht flüchtig begegnet und sie anschließend wieder ziehen lässt. Gefällt!

Veröffentlicht am 27.09.2023

Eine Freundschaft ungleicher Mädchen

Luftmaschentage
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Ricci ist seit zwei Wochen neu in der Klasse und das genaue Gegenteil der schüchternen Matea. Ricci ist laut und lässt sich nichts gefallen. Aus irgendeinem Grund freunden sie und Matea sich miteinander ...

Ricci ist seit zwei Wochen neu in der Klasse und das genaue Gegenteil der schüchternen Matea. Ricci ist laut und lässt sich nichts gefallen. Aus irgendeinem Grund freunden sie und Matea sich miteinander an, obwohl sie eigentlich nichts zu verbinden scheint. Aber Matea spricht nicht immer, ihre große Zaghaftigkeit setzt ihr einen Kloß in den Hals und verhindert bei den meisten Menschen in ihrer Umgebung, dass sie frei mit ihnen spricht.
Mats und Ricci verbindet schon bald ein Projekt und sie behäkeln Bäume und Zäune, so dass die Nachbarschaft ein richtiger Hingucker wird.
Mateas Mutter zeigt sich besorgt über die neue Freundschaft und mahnt zur Vorsicht. Mats hat keine Ahnung, warum ihre Mutter solche Vorbehalte gegen Riccarda hat. Eins jedoch ist komisch - immer dann, wenn Mats vorschlägt, dass sie doch auch mal zu Ricci nach Hause gehen könnten, reagiert die Freundin ablehnend und zieht sich zurück. Riccarda hat ein Geheimnis, in das sie Matea nicht einweihen kann oder will. Es folgt eine Auseinandersetzung, welche die beiden Mädchen entzweit.

Luftmaschentage ist eines dieser Kinderbücher, die man auch als Erwachsene:r gut lesen kann. Was genau Riccardas Geheimnis ist, wird im Buch nie komplett aufgeklärt. Das macht es unglaublich identifizierbar und regt an zu reflektieren, wie gut es einem möglicherweise geht und zu sensibilisieren für Kinder in beklagenswerteren Lebenslagen als man selbst, weil sie ärmer sind, Gewalt in ihren Familien erfahren, vernachlässigt werden oder ähnliches. Die Freundschaft zwischen Ricci und Mats überwindet auf heitere Weise soziale Unterschiede.
Eindringliches Buch, das ich mir an Schulen als Unterrichtslektüre gut vorstellen kann!

Veröffentlicht am 27.09.2023

EIn Manga ganz nach meinem Geschmack!

Eine Geschichte von sieben Leben 01
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Nanao und Machi sind zwei Straßenkatzen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen. Nahrungsquellen werden immer weniger, die Menschen sind nicht gewillt die Streuner zu dulden. Nachdem Nanao von seinem früheren ...

Nanao und Machi sind zwei Straßenkatzen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen. Nahrungsquellen werden immer weniger, die Menschen sind nicht gewillt die Streuner zu dulden. Nachdem Nanao von seinem früheren Besitzer ausgesetzt wurde, empfindet er Verachtung für die Menschen und findet in Machi einen Mentor, der ihn unter seine Pfoten nimmt und auf ihn aufpasst.
Mitten im Winter finden Nanao und Machi einen behaglichen Schlafplatz in einem warmen Badehaus. Als die Besitzerin die beiden Tiere entdeckt, greift sie zum Besen und verscheucht die unerwünschten Tiere. Sie hat nicht nur eine Abscheu gegen Katzen, sondern einen richtigen Hass. Am nächsten Tag sieht sie eine Gruppe von Katzen und erkennt den weißen Machi mit seinen strahlend blauen Augen wieder. Entgegen ihrer ursprünglichen Reaktion versöhnt sie sich mit Machi und füttert ihn. Sie scheint eigentlich ein gutes Herz zu haben, und doch muss sie in ihrer Vergangenheit etwas erlebt haben, dass sie Katzen verabscheuen lässt.

Eine Geschichte von sieben Leben verwebt die Lebenswege zweier Kreaturen, deren Wege sich zuvor nie gekreuzt haben, die jedoch durch eine gemeinsame Erfahrung miteinander verbunden sind. Machi und Nanao sind Teil einer größeren Katzengemeinschaft mit unterschiedlichen Charakteren, und ich freue mich auf ein Wiedersehen mit einigen von ihnen im zweiten Band. Besonders Machi wirkt auf mich geheimnisvoll, und ich hoffe, dass auch er seine Geschichte offenbaren wird. Wer Stories über Katzen mag, hier ist noch eine!