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Veröffentlicht am 17.10.2023

Szenen einer Ehe

Auf immer verbunden
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Vanda und Aldo, ein in die Jahre gekommenes Ehepaar, kehren aus dem Urlaub zurück und finden ihre Wohnung total verwüstet vor. Während der Aufräumarbeiten entdeckt Aldo längst vergessene Briefe, die Vanda ...

Vanda und Aldo, ein in die Jahre gekommenes Ehepaar, kehren aus dem Urlaub zurück und finden ihre Wohnung total verwüstet vor. Während der Aufräumarbeiten entdeckt Aldo längst vergessene Briefe, die Vanda einst an ihn geschrieben hatte. Er versinkt in Erinnerungen an die gemeinsamen Ehejahre. Sehr schnell verflog damals die Verliebtheit, zwei Kinder wurden geboren, der Alltag kehrte ein und Aldo flüchtet in eine neue Beziehung. Er verliebt sich in Lidia, eine junge, attraktive Frau, zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und zurück bleiben die beiden Kinder und die tief verletzte Vanda. Aldos neue Liebe hält nur drei Jahre, dann kehrt er reumütig in die eheliche Bequemlichkeit zurück. Nun sind Jahrzehnte vergangen, doch die einstigen Kränkungen sind nur scheinbar vergessen …

Domenico Starnone, geb. 1943 in Saviano, ist ein italienischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Er ist mit der Übersetzerin Anita Raja verheiratet, über die gesagt wird, dass sie unter dem Pseudonym Elena Ferrante publiziert. Starnone schrieb zahlreiche Romane, deren Themen oft von seiner Berufstätigkeit als Lehrer geprägt sind und von denen nur wenige in Deutsch übersetzt wurden. „Auf immer verbunden“ (2018) wurde unter dem Originaltitel „Lacci“ bzw. unter dem internationalen Titel „The Ties“ im Jahre 2020 verfilmt und war als Eröffnungsfilm der 77. Internationalen Filmfestspielen von Venedig zu sehen.

Wahrlich keine neue Geschichte, die der Autor hier erzählt, aber wie er sie erzählt ist einfach großartig. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Zunächst lesen wir Vandas Briefe, die sie zu der Zeit als er sie verlassen hatte, an ihren Mann geschrieben hatte. Im zweiten Teil kommt Aldo zu Wort. Seine Sicht der Dinge ist für den Leser wesentlich ehrlicher und glaubwürdiger als die hasserfüllten Briefe seiner Frau. Wir erfahren vom Glück mit einer anderen Frau, aber auch von seinen Schuldgefühlen, besonders seinen Kindern gegenüber, und von seiner reumütigen Rückkehr ins Familienleben. Im dritten Teil schließlich lernen wir die beiden mittlerweile erwachsenen Kinder besser kennen. Ob man ihr Verhalten, das zu einem überraschenden, tragikomischen Ende der Geschichte führt, billigen kann, sei dahingestellt.

Bei der Schilderung seiner Protagonisten zeigt der Autor überraschend viel Feingefühl. Er ergreift nie Partei, sondern überlässt es dem Leser, sich selbst ein Urteil zu bilden. Durch seinen empathischen und analysierenden Schreibstil werden die Abgründe dieses Ehelebens in den Vordergrund gerückt, was das Lesen nicht gerade einfach macht. Das Gelesene wirkt noch längere Zeit nach, indem es den Leser schmerzhaft dazu anregt, über seine eigene Ehe und sein Verhalten nachzudenken.

Fazit: Von der großen Liebe zur Hölle auf Erden – schonungslose Analyse einer Ehe. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 08.10.2023

Rom, die Ewige Stadt - und eine vergängliche Liebe

Der letzte Sommer in der Stadt
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Um der Tristesse seines Elternhauses in Mailand zu entfliehen, nimmt der beinahe 30jährige Leo Gazzarra einen unbedeutenden Job als Korrespondent bei einer medizinisch-literarischen Zeitschrift in Rom ...

Um der Tristesse seines Elternhauses in Mailand zu entfliehen, nimmt der beinahe 30jährige Leo Gazzarra einen unbedeutenden Job als Korrespondent bei einer medizinisch-literarischen Zeitschrift in Rom an. Die mäßige Bezahlung nimmt er gerne inkauf, wichtig ist ihm das Flair der Stadt und die Nähe zum Meer. Doch bald wird das Büro geschlossen und Leo ist ohne Einkommen, Gelegenheitsjobs halten ihn nun über Wasser. Von Freunden, die beruflich einige Zeit im Ausland leben müssen, darf er die leer stehende Wohnung benutzen und kann auch deren Alfa Romeo übernehmen. Jetzt kann er sich ganz dem Dolce Vita hingeben, an der Piazza Navona herumhängen, das Nachtleben der Stadt genießen, betrunken durch die Bars ziehen und die Tage verkatert am Strand von Ostia vertrödeln. Er lernt Arianna kennen und lieben. Die junge Frau ist exzentrisch und labil, sie lockt ihn immer wieder an, um ihn gleich wieder wegzustoßen, denn sie hat andere Pläne. Sie ist auf der Suche nach einem reichen Villenbesitzer, mit einem Verlierer wie Leo sieht sie keine Zukunft. Als auch noch sein bester Freund stirbt, verliert Leo jeden Halt …

Gianfranco Calligarich, geb. 1947 in Asmara/Eritrea, ist ein italienischer Schriftsteller und stammt aus einer Triester Familie. Er wuchs in Mailand auf, zog dann nach Rom, wo er als Journalist und Drehbuchautor arbeitet. Die Originalausgabe seines Romans „Der letzte Sommer in der Stadt“ erschien bereits 1973, wurde aber jetzt erst ins Deutsche und in weitere zwanzig Sprachen übersetzt.

Gleich zu Beginn des Romans sitzt Leo in seiner Lieblingsbucht am Meer, wo wir ihn auch am Ende der Geschichte wieder antreffen. Dazwischen erzählt er uns über seine Zeit in Rom, seine Erlebnisse, seine Hochs und Tiefs. Wir erfahren vom Zauber Roms, von Sehnsüchten und Wunschträumen – und von gescheiterten Existenzen. Wir begleiten ihn in durchzechten Nächten und an sonnenheißen Tagen, treffen vermeintliche Freunde und teilen mit ihm Schicksalsschläge und psychische Probleme.
Der Schreibstil des Autors ist ausgezeichnet, sehr intensiv und voll poetischer Sehnsüchte. Im Ich-Erzähler kann man einiges aus der Vita Calligarichs erkennen, auch er zog von Mailand nach Rom, um sich dort als Autor zu etablieren. Sehr vielschichtig und differenziert, mit all ihren menschlichen Schwächen und Fehlern, sind die handelnden Personen dargestellt. Die Beschreibung der wunderschönen Stadt, der romantischen Bucht am blauen Meer und der südländischen Atmosphäre weckt die Sehnsucht nach Urlaub und Abenteuer, die aber durch die Melancholie und Tristesse, die das ganze Buch unterschwellig durchzieht, wieder gemildert wird.

Fazit: Ein wunderbarer Roman, ein kleines Meisterwerk, das wiederentdeckt und nun endlich ins Deutsche übersetzt wurde – empfehle ich gerne weiter!

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Veröffentlicht am 07.10.2023

Alte Birnensorten – neue Freundschaften

Alte Sorten
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Die siebzehnjährige Sally ist eine Außenseiterin, sie kann und will sich nicht anpassen. Wieder einmal ist sie abgehauen, diesmal aus einer psychiatrischen Klinik, in der man sie zurechtbiegen wollte. ...

Die siebzehnjährige Sally ist eine Außenseiterin, sie kann und will sich nicht anpassen. Wieder einmal ist sie abgehauen, diesmal aus einer psychiatrischen Klinik, in der man sie zurechtbiegen wollte. Am Rande eines Dorfes trifft sie auf Liss, eine ältere, verschlossene und wortkarge Frau, die keine Freunde hat und alleine einen alten Bauernhof bewirtschaftet. Sie gewährt Sally für eine Nacht Unterschlupf – und es werden Wochen daraus. Sally hilft Liss bei den anfallenden Arbeiten im Hof, auf dem Feld, im Wald und bei der Weinlese. Diese Tätigkeiten in der Natur helfen der jungen Frau, sich zu erden und ihren Frust abzubauen - und auch Liss profitiert davon, indem sie aus ihrer Isolation und Vereinsamung herausgerissen wird. Ganz langsam kommen sich die beiden Frauen näher und ganz allmählich kommen auch ihre bisher unterdrückten Gefühle und erlittenen Verletzungen ans Tageslicht …

Ewald Arenz, geb. 1965 in Nürnberg, ist ein deutscher Schriftsteller. Er machte sein Abitur in Fürth, studierte an der Universität in Erlangen-Nürnberg zunächst Jura, wechselte dann das Studienfach zu Anglistik, Amerikanistik und Geschichte. Für seine literarischen Arbeiten wurde er bereits mit zahlreichen Kulturpreisen ausgezeichnet. Arenz ist Gymnasiallehrer in Nürnberg, wo er Englisch und Geschichte unterrichtet. Er ist Vater von drei Kindern und lebt in der Nähe von Fürth.

Ein Autor, ein Mann der über Frauen und ihre Gemütslage schreibt, das kann doch wohl nicht gut gehen? Doch, es geht sogar sehr gut, wie man hier feststellen kann. Arenz hat die seelischen und körperlichen Situationen, die mentale Verfassung und momentanen Stimmungen der beiden Frauen brillant erfasst und großartig zu Papier gebracht. Vom ersten Zusammentreffen an spürt man eine Harmonie zwischen ihnen, eine Seelenverwandtschaft, wie sie sonst nur zwischen Mutter und Tochter zu spüren ist bzw. zu spüren sein sollte.

Doch nicht nur die beiden Frauen sind Thema dieses Buches, eine wesentliche Rolle spielt auch die Natur. Mit Sally lernen wir die verschiedenen Obstsorten kennen, sind bei der Kartoffelernte und der Weinlese dabei, zeichnen im Wald die Bäume an und helfen den Bienen gut zu überwintern. Der Schreibstil ist dabei ausdrucksvoll und fesselnd von Anfang an. Besonders die beiden Protagonistinnen, aber auch alle Nebenfiguren, sind klar und präzise herausgearbeitet. Nach anfänglich ruhigem Dahingleiten nimmt die Geschichte ab etwa der Hälfte des Buches ordentlich Fahrt auf, um dann in einem unerwarteten, aber völlig realistischen Ausblick in eine hoffnungsvolle Zukunft zu enden.

Fazit: Ein stilles, unaufgeregtes Buch voller Zuversicht, das berührt und nachdenklich stimmt. Empfehle ich gerne weiter!

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Veröffentlicht am 02.10.2023

Winterzeit – Lesezeit

Literarische Schlittenfahrt
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Eine neue Ausgabe des beliebten Klassikers winterlicher Geschichten „Literarische Schlittenfahrt“, die mir als eBook vorliegt. Fünfzehn Kurzgeschichten verschiedener Autoren, z.B. Charles Dickens, Oscar ...

Eine neue Ausgabe des beliebten Klassikers winterlicher Geschichten „Literarische Schlittenfahrt“, die mir als eBook vorliegt. Fünfzehn Kurzgeschichten verschiedener Autoren, z.B. Charles Dickens, Oscar Wilde, Luise Büchner, E.T.A. Hoffmann, Ludwig Thoma u.a. - und im Vorspann ein kleines Gedicht von Goethe. Aufgelockert werden die Geschichten durch dazwischen eingefügte wunderschöne Zeichnungen, die uns großartig auf den bevorstehenden Winter und die besinnliche Weihnachtszeit einstimmen.

Da ich bereits vom Inhalt des eBooks voll überzeugt bin, werde ich das gedruckte Buch an liebe Freunde und Verwandte verschenken. Es ist ein optisches Highlight und besticht durch seine hochwertige Ausstattung mit Goldfolie auf dem Cover und einem interessanten Wickelknopf-Verschluss. Zudem kann jede Seite aufgetrennt werden, was dem Leser eine ganz besondere Beziehung zu dem Buch vermittelt.

Fazit: Literarisch und optisch ein Highlight und eine wunderbare Geschenkidee.

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Veröffentlicht am 28.09.2023

Flucht ins Ungewisse

Die Kinder des Don Arrigo
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Natan ist 11 Jahre alt, als sein Vater nachts von den Braunhemden abgeholt wird. Es ist für Juden sehr gefährlich geworden in Berlin, deshalb versucht eine Organisation um Frau Recha Freier wenigstens ...

Natan ist 11 Jahre alt, als sein Vater nachts von den Braunhemden abgeholt wird. Es ist für Juden sehr gefährlich geworden in Berlin, deshalb versucht eine Organisation um Frau Recha Freier wenigstens die Kinder in Sicherheit zu bringen. In kleinen Gruppen geht’s mit dem Zug nach Wien, dann nach Graz und von dort auf einem LKW zur Grenze nach Jugoslawien, wo sie im Schneetreiben vergeblich auf einen Schleuser warten. Ein hilfsbereiter Bauer bringt sie über die Grenze ins nächste Polizeirevier, von wo aus man sie weiter nach Zagreb schickt. Aber auch dort tauchen bald die Häscher in den braunen Hemden auf. Mit falschen Papieren kommen die Kinder weiter nach Slowenien, wo sie in einem alten Schloss für etwa ein Jahr in Sicherheit sind. Danach geht‘s mit dem Zug weiter nach Italien, zunächst nach Modena und dann weiter in den kleinen Ort Nonantola, wo sie in der alten verlassenen Villa Emma Unterschlupf finden. Hier können sie bleiben und zur Ruhe kommen, obwohl ihr Ziel eigentlich Israel ist. Die Dorfgemeinschaft unter Pfarrer Don Arrigo tut alles, dass sich die Kinder wohlfühlen. Doch dann tauchen auch hier die ersten Nazi-Soldaten auf …

Der italienische Schriftsteller Ivan Sciapeconi, geb. 1969, ist Grundschullehrer und schrieb bisher Kinder- und Jugendbücher. Seine Begeisterung für Geschichte brachte ihn zur Recherche für seinen ersten Roman für Erwachsene „Die Kinder des Don Arrigo“ (2023). Der Autor lebt mit seiner Frau in Modena.

Seine akribischen Recherchen veranlassten Sciapeconi, diesen Roman nach einer wahren Geschichte zu schreiben. Der Protagonist und Erzähler des Geschehens, Natan, ein zu Beginn elfjähriger jüdischer Junge, ist eine ausgedachte Figur. Es sind hauptsächlich seine Gedanken, seine Gefühle, seine Erlebnisse und seine Ängste, die uns so berühren. Alle anderen Charaktere, auch die Betreuer der Gruppe, sind sehr authentisch und ihre Handlungsweisen gut nachvollziehbar. Der Schreibstil ist dabei eher ruhig gehalten. Der Roman ist eine Hommage an den Mut der vielen, teils unbekannten, Retter und an die Bevölkerung des Dorfes Nonantola, die die jüdischen Kinder vor den Nazis schützten und versteckten. Am Ende des Buches sind die 85 Namen der Kinder, Jugendlichen und ihrer Begleiter, die dort in der Villa Emma Unterschlupf fanden, aufgeführt. Im Nachwort des Autors berichtet er über das weitere Schicksal einiger Helfer, damit ihre Namen nie in Vergessenheit geraten werden.

Fazit: Roman nach einer wahren Geschichte über eine schier unglaubliche Flucht – ein Stück Zeitgeschichte. Sehr lesenswert!

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