Mutter, Werwolf, Nightbitch?
Es war einmal eine Frau, die war Künstlerin und Galeristin und hatte große Freude an ihrem Beruf. Sie wurde Mutter und sie liebte ihren Sohn sehr. Aufopferungsvoll kümmerte sie sich um sein Wohlergehen, ...
Es war einmal eine Frau, die war Künstlerin und Galeristin und hatte große Freude an ihrem Beruf. Sie wurde Mutter und sie liebte ihren Sohn sehr. Aufopferungsvoll kümmerte sie sich um sein Wohlergehen, fütterte, wickelte, kochte, putzte, stand nachts auf. Sie wollte die perfekte Mutter sein, dabei auch "sie selbst" bleiben und ihre Karriere nicht aufgeben. Ihr Mann hatte einen furchtbar anstrengenden Job mit ständigen Geschäftsreisen, war ihr also keine Hilfe. Eines Tages merkte sie, dass der Hut, unter den sie alles zu stopfen versuchte, immer kleiner wurde. Überall schaute etwas heraus, sie bekam es einfach nicht mehr hin. Also kündigte sie ihren Job. Doch das Vollzeit-Mama-Sein zermürbte sie, höhlte sie innerlich aus. Wie sollte sie umgehen mit all ihren Unzulänglichkeiten, im Gegensatz zu den vermeintlich perfekten Müttern um sie herum? Denn wenn sie nicht gestorben ist, versorgt sie noch immer....? Halt, Stopp! Kurz vor dem Durchdrehen oder mittendrin (?) wurde sie zu Nightbitch. Als Nightbitch war sie unbesiegbar. Nacht für Nacht verwandelte sie sich nun in einen Hund...
Klingt absurd und skurril? Ist es auch. Aber auf die beste Art und Weise. Was anmutet wie ein modernes Märchen ist leider Realität für viele Frauen und Mütter. Dieses Gefühl, nicht mehr sie selbst zu sein seit der Mutterschaft, sich aufzuopfern für ein kleines, alles bestimmendes Wesen. Keine Kontrolle mehr über den Tagesablauf, geschweige denn den eigenen Körper zu haben. Ich konnte mich sehr hineinfühlen in diese Gefühle und Gedanken. Schlafmangel und dieses ständige Präsentsein-Müssen bei jungen Müttern weckt im wahrsten Sinne des Wortes animalische Triebe: völlig ungeahnte Wut und heillose Überforderung.
Was Rachel Yoder daraus macht ist absolut irre und genial. Mit zynischem Ton und einer ordentlichen Prise schwarzen Humors nimmt sie sich der modernen Mutterschaft an und seziert diese mithilfe der Idee einer animalischen Verwandlung. Das ist anders, klug und eröffnet Identifikations- und Interpretationsräume. "Nightbitch" ist eine schonungslose Abrechnung mit dem gesellschaftlich völlig überhöhten Bild der Supermutter, die alles kann und alles schafft. Hier geht es den unrealistischen Erwartungen und Idealen an Mutterschaft an den Kragen und das ist längst überfällig und notwendig. Dieser Roman reiht sich ein in eine lange Liste an Büchern, die ich in den letzten Jahren zu diesem Thema gelesen habe. Ich bin begeistert, dass immer mehr Autorinnen ihre Stimme erheben und sich stark machen für ein neues, authentisches Bild von moderner Mutterschaft und Frausein. Bitte mehr hiervon, Frau Yoder!