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Veröffentlicht am 22.11.2023

Wenn die Logik auf der Strecke bleibt...

The Institution
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Willkommen in „The Institution“ @dtv_verlag, der Hochsicherheitseinrichtung irgendwo im Nirgendwo, in der jeder einzelne Insasse eine tickende, völlig unberechenbare Zeitbombe ist und zu Recht von der ...

Willkommen in „The Institution“ @dtv_verlag, der Hochsicherheitseinrichtung irgendwo im Nirgendwo, in der jeder einzelne Insasse eine tickende, völlig unberechenbare Zeitbombe ist und zu Recht von der Außenwelt ferngehalten wird.

Eine ermordete Krankenschwester und ein vermisstes Kind, dessen Überlebenschancen mit jeder Minute geringer werden. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Eine Lösegeldforderung. Fünf Tage bleiben Connie Woolwine, der hinzugezogenen forensischen Profilerin, um das Kind zu retten. Fünf Tage, um Gut von Böse in einer Zwangsgemeinschaft zu unterscheiden, in der selbst das Personal nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Wem kann sie trauen? Eine Frage, deren Beantwortung über Leben und Tod entscheidet.

Für einen Psychothriller ist die Ausgangssituation nicht wirklich neu. Ein düsterer Bau, der aufziehende Sturm, gefährliche Insassen, undurchsichtiges Personal und eine Ermittlerin, die mit eigenen Dämonen kämpft. Diese Eckdaten erinnern unweigerlich an „Shutter Island“ von Dennis Lehane, der allerdings dieses Spielen mit Wahn und Wirklichkeit wesentlich routiniert beherrscht als Helen Fields.

Im Gegensatz zu Lehanes raffiniertem Storytelling hatte ich bei der Autorin permanent das Gefühl, dem Abarbeiten einer To-Do-Liste beizuwohnen: Einleitung detailverliebt und deshalb langatmig klein-klein, Mittelteil mit Radiuserweiterung samt Sicht auf Protagonistin und Verdächtige, Schlusssequenzen ein permanentes Überbieten mit Verwicklungen und dramatischen Wendungen.

Zu dumm nur, dass bei dem Blick auf das Gesamtwerk die Logik völlig auf der Strecke bleibt. Zwei Beispiele gefällig? Da führt die Profilerin trotz knapper Zeit endlose Gespräche mit den Inhaftierten anstatt sich die vorhandenen Unterlagen anzuschauen. Und wo ist es Usus, dass dermaßen hochgefährliche Psychopathen sich ohne Einschränkung und Überwachung frei bewegen und innerhalb der Gruppe Kontakte pflegen können? Ziemlich an der Realität vorbei, oder?

Insgesamt zwar gute Ansätze, aber unterm Strich allesamt unzureichend umgesetzt.

Veröffentlicht am 10.11.2023

Ripper light

Jack the Ripper – ein Fall für „Verbrechen von nebenan“
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Gleich vorweg, ich bin weder ein Fan von True-Crime-Büchern, noch kenne ich den Podcast von Philip Fleiter. Aber ich mag Exit-Rätsel, Spannungsliteratur und historische Romane, die in England verortet ...

Gleich vorweg, ich bin weder ein Fan von True-Crime-Büchern, noch kenne ich den Podcast von Philip Fleiter. Aber ich mag Exit-Rätsel, Spannungsliteratur und historische Romane, die in England verortet sind. Dabei stolpert man zwangsläufig immer wieder über die Whitechapel-Morde und Jack the Ripper.

Natürlich gibt es zu diesem Thema bereits zahlreiche Veröffentlichungen, viele spekulativ und reißerisch, einige mit informativen und durchaus lesenswerten Analysen wie beispielsweise Hallie Rubenholds „The Five“, bei der die Opfer, deren prekäre Lebensumstände und die rigiden Moralvorstellungen der viktorianischen Gesellschaft samt der daraus folgenden Misogynie im Mittelpunkt steht. Ganz im Gegensatz zu den zahllosen Veröffentlichungen, die den Ripper-Mythos feiern und am Leben erhalten, da bis heute die Ergebnisse der Ermittlungen zwar in eine ganz bestimmte Richtung weisen, aber die Identität des Täters schlussendlich nicht zweifelsfrei geklärt ist. Obwohl…

Diese Unsicherheit, was den Täter angeht, macht sich Fleitner in seinem True-Crime-Rätselbuch „Jack the Ripper – ein Fall für Verbrechen von nebenan“ zunutze. In 10 Kapiteln, an deren Ende jeweils eine Rätselfrage steht, nimmt er seine Leser/Leserinnen mit auf Spurensuche in Whitechapel und verarbeitet die bisher bekannten Informationen der historischen Forschung in verkürzter Form. Das mag zwar interessant für diejenigen sein, die sich noch nicht eingehend mit der Thematik befasst haben und eignet sich als Einstieg. Wer allerdings neue Aspekte sucht, ist hier fehl am Platz. Aber das Buch will ja auch keine wissenschaftliche Abhandlung sondern ein unterhaltsamer Zeitvertreib sein.

Erfüllt es seinen Zweck? Die Zutaten sind einem viktorianischen Krimi angemessen. Das East End mit seinen dunklen Gässchen und den flackernden Gaslichtern, bevölkert von zwielichtigen Gestalten und heimatlosen Kindern, die der Polizei und der Journalistin Charlotte Frances Foster, die gemeinsam mit Inspector Abberline auf der Suche nach dem Ripper ist, Informationen zutragen. Prinzipiell ist das stimmig, aber was absolut nicht passt ist die Sprache, insbesondere Fleitners Bemühen, den Slang der Straßenkinder stimmig wiederzugeben. Tut mir leid, aber das ist plump und aufgesetzt.

Und was hat es mit der Qualität der Rätselfragen auf sich? Diese sind recht willkürlich und von unterschiedlicher Qualität, stehen nicht alle im Zusammenhang mit den Ripper-Morden und sind durch aufmerksames lesen und kombinieren schnell einfach zu knacken. Am interessantesten ist noch der „Wer ist Jack?“ Abschnitt am Ende, der in einer Zusammenfassung die vier Hauptverdächtigen präsentiert, wobei ich Fleitners Schlussfolgerung zwar nachvollziehbar, aber etwas gewagt finde. Da halte ich mich eher an die Forschungsergebnisse.

Alles in allem ein Spielbuch, eine Podcast Zweitverwertung, das auf den Popularitätszug dieses historischen Falls aufspringt. Eher „Ripper light“ als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema.

Veröffentlicht am 22.10.2023

Gute Ansätze, aber...

Hope's End
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Ein dem Verfall preisgegebenes Herrenhaus mit einer dunklen Vergangenheit. Lenora, die einzige Überlebende einer Familientragödie, die sich 1929 zugetragen hat. Die bis zum heutigen Tag ungeklärte Frage ...

Ein dem Verfall preisgegebenes Herrenhaus mit einer dunklen Vergangenheit. Lenora, die einzige Überlebende einer Familientragödie, die sich 1929 zugetragen hat. Die bis zum heutigen Tag ungeklärte Frage nach Täter oder Täterin. Kit, eine ungelernte Altenpflegerin ohne sichere Zukunft, die in ihrem neuen Job bei Lenora nicht versagen darf, auch wenn sie dafür mit dem Teufel tanzen muss. Das sind die Zutaten, aus denen Riley Sager seinen Gothic-Thriller „Hope’s End“ gestrickt hat, dessen Ähnlichkeiten mit Daphne du Mauriers „Rebecca“ vielleicht nicht beabsichtigt, aber dennoch offensichtlich sind.

Durch entsprechend intensive Beschreibungen des Settings erschafft Sager eine latent gruselige Atmosphäre, und die im ersten Drittel kaum greifbaren Personen tragen zu den zwiespältigen Gefühlen bei, die im Hinterkopf mehrmals die Frage nach deren Zuverlässigkeit aufploppen lassen.

Über allem steht natürlich die Frage nach Täter und Motiv. Läuft die Antwort tatsächlich auf Lenora hinaus, die nach diversen Schlaganfällen nur noch schriftlich mit ihrer Umwelt kommunizieren kann, aber nun an dem Punkt ist, an dem sie sich das Geschehene von der Seele schreiben will? Aber auch Kit, über deren Vergangenheit man anfangs kaum etwas weiß, ist ein interessanter Charakter. Und was ist mit ihrer Vorgängerin geschehen, die, warum auch immer, Hals über Kopf das Anwesen verlassen hat?

Lenoras Blick in die Vergangenheit und die Ereignisse in der Gegenwart wechseln sich ab, sind im Text durch unterschiedliche Schriftarten kenntlich gemacht. Aber immer wieder stellt man sich die Frage, ob sie die Wahrheit sagt und man ihren Aussagen trauen kann oder ob sie eine begnadete Lügnerin ist. Wer weiß?

Und dennoch, hier wird viel Lärm um nichts gemacht. Klischee reiht sich an Klischee, die immer unglaubwürdigere Handlung wird unnötig in die Länge gezogen, so dass man über kurz oder lang das Interesse verliert, zumal wohl auch der Autor sich in seinem Konstrukt verheddert hat. Und zu allem Überfluss werden dann auch noch übersinnliche Elemente eingearbeitet, oft ein Zeichen für den Mangel an logischen Erklärungen.

Gute Ansätze, die allerdings in der Ausarbeitung bis zum Gehtnichtmehr überstrapaziert werden und die Handlung dermaßen überfrachten, dass man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr herauskommt.

Veröffentlicht am 20.10.2023

Reflexionen eines gelebten Lebens

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
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Eine Seniorenresidenz für Gutbetuchte in Oxfordshire, eine 87-jährige mit scharfem Verstand, ein Geheimnis aus der Vergangenheit, ein pensionierter Lateinlehrer als Sidekick, ein mysteriöser Todesfall, ...

Eine Seniorenresidenz für Gutbetuchte in Oxfordshire, eine 87-jährige mit scharfem Verstand, ein Geheimnis aus der Vergangenheit, ein pensionierter Lateinlehrer als Sidekick, ein mysteriöser Todesfall, der vorschnell als Selbstmord abgetan wird. Gewollt oder ungewollt, allesamt Zutaten, die einen englischen Krimi im Stil der erfolgreichen Donnerstagsmordclub-Reihe suggerieren. Aber davon sollte man sich nicht in die Irre führen lassen, denn dies ist für die Autorin lediglich ein Hilfsmittel, um für ihre Protagonistin eine Ausgangssituation zu schaffen, in der diese am Ende des Wegs auf ein gelebtes Leben voller Liebe und Abenteuer zurückblicken kann.

Die Handlung plätschert über weite Strecken vor sich hin, zieht sich in die Länge und wird unterbrochen von den Erinnerungsfetzen der Hauptfigur, die sich einen Platz an der Oberfläche suchen. Keine Frage, Susan Fletcher hat bereits in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen, dass sie es versteht, mit Sprache umzugehen, dass sie schreiben kann, insbesondere dann, wenn es gilt, mit wenigen Pinselstrichen Atmosphäre zu kreieren oder uns Menschen in ihrer Individualität nahe zu bringen.

Leider hat sie in „Florence Butterfield und die Nachtschwalbe“ für meine Begriffe den Bogen überspannt, verliert sich in ausufernden Beschreibungen, die diesen Roman zu einer langatmigen Lektüre machen, bei der man nicht nur das Interesse an der Aufklärung des Todesfalls sondern auch an den Leichen im Keller der beteiligten Personen verliert.

Veröffentlicht am 08.10.2023

Durchwachsenes "Lesevergnügen"

Holly
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In seinem neuen Roman rückt Stephen King eine Figur in den Vordergrund, die wir zwar aus verschiedenen anderen Werken kennen, die aber bisher eher im Hintergrund agieren durfte. Zuletzt bewusst wahrgenommen ...

In seinem neuen Roman rückt Stephen King eine Figur in den Vordergrund, die wir zwar aus verschiedenen anderen Werken kennen, die aber bisher eher im Hintergrund agieren durfte. Zuletzt bewusst wahrgenommen habe ich „Holly“ von der Detektei Finders Keepers in „Mr Mercedes“, wo sie allerdings hinter den Kulissen auf Mörderjagd ging. Und sie ist nicht die einzige Bekannte aus dem King‘schen Universum, mit der es ein Wiedersehen gibt

Wir sind mitten in der Pandemie. Pete, Hollys Partner ist an Covid erkrankt und in Quarantäne, was dafür sorgt, dass sie als Einzelkämpferin an dem neuen Fall arbeiten muss. Sie ermittelt im universitären Umfeld und sucht nach einer jungen Frau, die ohne Spuren zu hinterlassen von heute auf morgen verschwunden ist. Dabei gerät ein Professorenpaar in ihren Fokus, dessen Ernährungsgewohnheiten, bedingt durch die gesundheitlichen Einschränkungen des Alters, äußerst ungewöhnlich sind…

Es gab einiges, was mir an diesem Buch missfallen hat. Zum einen ist da die zeitliche Einordnung. Die Handlung ist während der Pandemie angesiedelt, und King macht keinen Hehl daraus, dass dieses Ereignis ihn bis in die Grundfesten erschüttert hat. Das kann ich ja noch nachvollziehen, auch wenn ich diese Thematik in einem Roman ziemlich über habe. Was mich allerdings immens gestört hat, ist das permanente Bashing der Menschen in Holly Umfeld, die sich gegen eine Impfung entschieden haben. Tut mir leid, aber dieses sich ständig wiederholende, fast schon wahnhafte Statement des Autors ist mir ziemlich auf den Keks gegangen. Und wenn wir schon von Wahn sprechen, dann kann natürlich besagtes Professorenpaar nicht unter den Tisch fallen. Die Ausführlichkeit, mit der King deren Besessenheit samt Auswirkungen beschreibt, hat einen dermaßen hohen Ekelfaktor, dass ich mehrmals kurz davor war, das Buch abzubrechen.

Glücklicherweise gibt es aber auch Positives zu berichten. Da gibt es immer wieder Passagen, in denen der Autor glänzt, nämlich dann, wenn er mit wenigen Pinselstrichen bedrohliche Situationen aus ganz banalen, alltäglichen Beobachtungen/Beschreibungen kreiert. Ich kenne keinen Autor, der das so meisterhaft beherrscht wie Stephen King. Atmosphäre schaffen, ja, das kann er definitiv.

Fazit: Diese Mischung aus Horror und Splatter ist ein eher durchwachsenes „Lesevergnügen“, für das eine hohe Ekeltoleranz von Vorteil ist.