Profilbild von hasirasi2

hasirasi2

Lesejury Star
offline

hasirasi2 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit hasirasi2 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.10.2023

Das das dynamische Trio ermittelt wieder

Mrs Potts’ Mordclub und der tote Bräutigam
0

„Ich verdiene mein Geld mit Kreuzworträtseln. Ich kann es einfach nicht ertragen, ein Rätsel ungelöst zu lassen. Und nichts war ein größeres Rätsel, als der Mord an Sir Peter.“ Seitdem Judith und ihre ...

„Ich verdiene mein Geld mit Kreuzworträtseln. Ich kann es einfach nicht ertragen, ein Rätsel ungelöst zu lassen. Und nichts war ein größeres Rätsel, als der Mord an Sir Peter.“ Seitdem Judith und ihre Freudinnen Suzie und Becks vor einem Jahr eine Mordserie aufgeklärt haben, sind sie lokale Berühmtheiten in Marlow, aber inzwischen ist es wieder ruhig um sie geworden. Darum ist Judith auch überrascht, als Sir Peter Bailey sie zur Party am Vorabend seiner Hochzeit einlädt: „Ich hoffe, Sie erwarten keine Morde auf ihrer Gartenparty?“ Doch was sie im Scherz gesagt hat, wird Wirklichkeit. Während der Feier kracht es plötzlich im Arbeitszimmer. Viele Gäste, darunter auch Judith und ihre Freundinnen, stürmen hin, doch das Zimmer ist verschlossen. Als sie die Tür endlich aufgebrochen haben, ist der Gastgeber tot – erschlagen von einem uralten, extrem großen Schrank, der eigentlich in der Wand verankert war. Und obwohl Sir Peter den Zimmerschlüssel selber einstecken hatte und die Polizei an einen unglücklichen Unfall glaubt, ist Judith überzeugt, dass er ermordet wurde. Sie beginnt zu ermitteln.
„Vater war ein alter Sack, ein Witzfigur, wer sollte ihn denn umbringen wollen?“ Doch Verdächtige gibt es bald mehr als genug. Die Verlobte galt als Goldgräberin. Der Sohn des Toten war wegen seines Lebenswandels verstoßen worden. Mit der Tochter gab es Streit, weil sie das Anwesen zwar seit Jahren führte, aber als Frau nicht erben durfte. Die Ex-Frau war mit einer extrem mickrigen Apanage abgefunden wurden und zwischen der Familie des Gärtners und den Baileys gab es seit Generationen eine Blutfehde. Motive gibt es also genügen, aber leider hat jeder Verdächtige ein hieb- und stichfestes Alibi …

Die drei Damen sind echte Originale. Judith, knapp 80 und etwas exzentrisch, liebt das Nacktschwimmen in der Themse, Whiskey und die Kreuzworträtsel, die sie für überregionale Zeitungen erstellt. Diesmal fühlt sie sich bei ihrer Ehre gepackt, weil in den Rätseln der Marlow-Free-Press neuerdings Hinweise auf Treffpunkte versteckt sind – treibt etwa ein Drogenring in Marlow sein Unwesen?
Suzie ist ihre Berühmtheit ein kleines bisschen zu Kopf gestiegen. Neben ihrem Job als Hundesitterin arbeitet sie beim lokalen Radio, verdient damit aber leider kein Geld. Sie prescht immer ein etwas voraus und kann Geheimnisse nur schwer für sich behalten. Aber sobald sie am Mikro sitzt, ist sei ein absolutes Ass.
Auch Becks hat sich verändert, allerdings zu ihrem Vorteil. Sie ist schlanker und schicker und bekommt Anrufe, die sie in Gegenwart ihrer Freundinnen nicht annimmt. Was verheimlicht sie ihnen? Außerdem sie hat den geschulten Blick einer erfahrenen Hausfrau und entdeckt Dinge, die Judith und Suzie nie auffallen würden.

Detektiv Sergeant Malik, mit der sie beim letzten Mal zusammen ermittelt haben, wird diesmal leider von ihrem Chef ausgebremst. „Wir sind schon überlastet genug. Dann müssen wir nicht auch noch versuchen Morde aufzuklären, wo keine stattgefunden haben.“ Doch sie glaubt Judith und ermittelt zusammen mit dem dynamischen Trio auf eigen Faust.

Schon mit seinem ersten Krimi „Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar“ hat mich Robert Thorogood extrem gut unterhalten und das gelingt ihm auch mit dem zweiten Teil der Reihe. Durch geschickte Wendungen und immer wieder neu eingestreute Hinweise hält er die Spannung bis zum Schluss. Außerdem gefällt mir der leise Humor der Reihe.
Auch die Sprecherin Christine Prayon konnte mich mit ihrer Interpretation der verschiedenen Charaktere wieder überzeugen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.10.2023

Anyone can cook

Everyday Cooking
0

Wenn man Essen, Kochen und Backen liebt, suchen viele heute lieber auf Blogs, Instagram und in Apps nach neuen Rezepten, als in klassischen Kochbüchern. Ich gehöre allerdings noch zu denen, die lieber ...

Wenn man Essen, Kochen und Backen liebt, suchen viele heute lieber auf Blogs, Instagram und in Apps nach neuen Rezepten, als in klassischen Kochbüchern. Ich gehöre allerdings noch zu denen, die lieber in einem Buch blättern, um sich Anregungen zu holen, darum war ich gespannt, welche Rezepte der Koch-App „Kitchen Stories“ in den letzten 10 Jahren am beliebtesten waren und es ins gerade erschienene Kochbuch geschafft haben.

Kitchen Stories verspricht einfache und leckere Alltagsrezepte für jeden Geschmack und jede Gelegenheit – ganz nach dem Motto „Anyone can cook“.

Das Buch startet mit Tipps zu Küchenutensilien und Vorräten, was man beim Einkaufen und Lagern von z.B. Obst und Gemüse beachten sollte, was man ganz einfach einfrieren kann und wie man den Kühlschrank am besten einräumt, um die verschiedenen Temperaturen darin optimal zu nutzen. Diese Hinweise sind für erfahrene Köche zwar nicht neu, aber das Buch soll auch Anfänger ansprechen.
Darauf folgen ein paar Grundrezepte und Tricks und Tipps.

Die Rezepte selber sind in Expressküche (wie z.B. schnelle Nudel- und Reisgerichte – und die besten Pancakes aller Zeiten), All in One (oder One Pott, probiert hier unbedingt die Kürbissuppe), Snack Attack (Essen zum Mitnehmen oder für den kleinen Hunger, wie tolle Salate und Sandwiches), Slow down (Gerichte mit mehr Zutaten und Zeitaufwand) und Clever backen (z.B. Kuchen, Kekse und Brot) unterteilt.

Die Gerichte kommen dabei aus aller Herren Länder und es gibt natürlich auch vegetarische und vegane Alternativen. Sie werden Schritt-für-Schritt erklärt und durch sehr appetitanregende Fotos unterstützt. Zusätzlich gibt es ab und an QR-Codes zu Videos von einzelnen Gerichten oder Zubereitungsschritten bzw. -arten.

Unsere bisherigen Highlights aus dem Kochbuch sind die oben schon erwähnten super fluffigen Buttermilch-Pancakes, die leicht orientalisch gewürzte Kürbissuppe, deren Zutaten ganz easy alle zusammen im Ofen gegart und dann nur noch püriert werden, das Shakshuka und das No-knead-Bread.

Also wer bei dem Kochbuch noch hungrig aus der Küche geht, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen 😉.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.10.2023

Das Haus der blauen Kinder

Winterherz
0

„Sie werden sehen, die sind alle blau, die Herzkranken.“ (S. 8) Kurz vor Weihnachten wird der 14jährige Wilhelm von seiner Mutter aus Berlin ins Sanatorium Gottleuba bei Dresden gebracht. Erst vor wenigen ...

„Sie werden sehen, die sind alle blau, die Herzkranken.“ (S. 8) Kurz vor Weihnachten wird der 14jährige Wilhelm von seiner Mutter aus Berlin ins Sanatorium Gottleuba bei Dresden gebracht. Erst vor wenigen Wochen wurden bei ihm schwere Herzprobleme festgestellt, aber selbst in der berühmten Charité hat man nicht herausfinden können, welche Krankheit er hat. Doch sie scheint galoppierend voranzuschreiten, niemand weiß, ob er Weihnachten noch erlebt.
In seinem Viererzimmer, dass er sich mit Milo, Edgar und Bruno teilt, ist er der Jüngste und augenscheinlich Gesündeste, den ihm fehlen (noch) die typischen blauen Lippen. Und er ist der Unternehmungslustigste, denn „Ich will Abenteuer erleben und nicht vor Langeweile sterben.“ (S. 63) Damit manövriert er sie immer wieder in gefährliche Situationen, aber die vier Freunde haben endlich wieder Spaß am Leben. Doch in einem Heim, das von starren Regeln geprägt ist, ist Individualität unerwünscht ...

Die Geschichte der Jungen ist sehr berührend, denn sie sind dem Tod geweiht und wissen das auch. Jeder Tag ist ein Geschenk. Die Ärzte können ihnen nicht mehr helfen, ihre Leiden durch die Kur nur lindern und ihnen dadurch vielleicht etwas mehr Lebenszeit schenken, in der sie allerdings nicht viel von dem machen dürfen, was Jungs in dem Alter Spaß macht. „Du wirst tot sein, mein Freund. Wie wichtig sind dir diese Regeln, wenn es um eine Abenteuer geht?“ (S. 80)

Für Wilhelm ist es besonders schlimm, weil er erst seit kurzem krank ist. Er hat Angst, ist zum ersten Mal von seiner Mutter getrennt und darf nicht mit ihr telefonieren, dabei macht er sich aus einem ganz bestimmten Grund Sorgen um sie. Und er entdeckt die Liebe, erst zu einer Schwesternschülerin und durch sie zu Büchern.
Edgar ist schon 18, verlobt und hat heimlich Hanteln in die Kur geschmuggelt, um weiter trainieren zu können. Denn wenn er schon sterben wird, will er dabei wenigstens gut aussehen.
Bruno ist eine echte Leseratte und hat unzählige Bücher dabei, um in ihnen die Abenteuer zu erleben, von denen er nur träumen kann: „Sie helfen mir, viele Leben zu haben.“ (S. 17)
Milos ist dunkelhäutig, weil sein Vater, den er nie kennenlernen durfte, aus Mosambik stammt. „Mein Vater wurde in sein Land zurückgeschickt, bevor ich geboren wurde. Er durfte meine Mutter nicht lieben. Es war bei Strafe verboten. Ich bin ein verbotenes Kind.“ (S. 19)

Ralf Günthers „Winterherz“ weckt bei mir sehr ambivalente, bittersüße Erinnerungen. Ich bin in Dresden geboren und aufgewachsen und war als Kind jeden Sommer (insgesamt 10- oder 11-mal) für jeweils 6 Wochen in Bad Gottleuba zur Kur. Ich erkenne die beschriebene Treppe und die Gebäude wieder und habe genau das erlebt, was der Autor beschreibt. Die Kuren fanden getrennt nach Geschlechtern statt, es gab nur über Briefe Kontakt zu den Familien und alles unterlag extrem strengen Regeln, an die man sich gefälligst zu halten hatte. Kein schönes Klima für Heranwachsende. Die mehr oder weniger versteckte Kritik am DDR-Regime kann ich sehr gut nachvollziehen.
Die Gebäude waren bei uns allerdings alle wieder aufgebaut und ich glaube, die erwähnte Zisterne war das kleine Schwimmbecken im Keller des Haues, in dem ich immer gewohnt habe. Und wir mussten uns die Wannen für die Schwefel- und Moorbäder nicht mehr teilen ...

Mein Fazit: Eine herzzerreißende Weihnachtsgeschichte über Freundschaft, über Leidensgenossen, bei den das Sterben zum Alltag gehört, über ihre gemeinsamen Träume und (vielleicht letzten) Abenteuer …

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.10.2023

Ein Leben für die Mode

Der Glanz der Zukunft. Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent
0

„Ich kenne keinen Menschen, der so besessen von Kleidern und Accessoires ist wie Du.“ „Nun, es macht mir Spaß, meine Garderobe auf meine eigene Weise zu gestalten. Es ist wie ein Abenteuer mit ungewissem ...

„Ich kenne keinen Menschen, der so besessen von Kleidern und Accessoires ist wie Du.“ „Nun, es macht mir Spaß, meine Garderobe auf meine eigene Weise zu gestalten. Es ist wie ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.“ (S. 83)
1966: Louise le Bailly de la Falaise ist 18, als sie von ihrer Mutter aus New York nach London geschickt wird, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Nach vier sehr freien Jahren in der New Yorker Kunst- und Kulturszene „quält“ ihre Großmutter, Lady Rhoda Birly, sie jetzt mit Ballettstunden und Festivals, auf denen Louise ihre selbstgeschriebenen Gedichte vortragen muss und passenden Ehemännern in spe vorgestellt wird. Dabei würde sie ihre Freiheit gern noch ein bisschen genießen und lieber weiter durch Ateliers und über Flohmärkte streifen, um sich zu ihrer auffälligen Garderobe inspirieren zu lassen.
Schnell findet sich der perfekte Ehemann – der letzte Ritter Irlands. Desmond Fitz Gerald, The Knight of Glin, ist 10 Jahre älter als Louise und beeindruckt sie mit seiner Weltgewandtheit, Erfahrung, Abstammung und seinem Freundeskreis, zu dem u.a. Mick Jagger gehört. Ihre Großmutter und Eltern sind begeistert, alles wird arrangiert, ohne nach ihrer Meinung zu fragen. Doch ihr ausgeflippter Stil, der Desmond vor der Ehe gefiel, passt so gar nicht auf sein irisches Schloss und zu seiner Ehefrau. Auch, dass sie einen Schreibmaschinenkurs macht und als Moderedakteurin beim Queen-Magazin arbeitet, gefällt ihm nicht. Die Ehe scheitert. Sie geht nach New York und Paris, taucht noch tiefer in die Modewelt ein und lernt Yves Saint-Laurent kennen …

Michelle Marly verwebt in ihrem neuesten Buch geschickt Realität und Fiktion und bringt mir eine bemerkenswerte Frau näher, die ich bisher nicht kannte. Das Buch liest sich wie das Who-is-Who der 60er und 70er, lässt Modeikonen, Fotografen, Balletttänzer, Maler, Schauspieler und Musiker dieser Zeit wieder lebendig werden.

Louise wurde nach der Scheidung ihrer Eltern hauptsächlich von ihrer Mutter, einem früheren Modell und It-Girl erzogen, die sich für ihre Tochter den sicheren Hafen einer guten Ehe erhoffte. Sie versuchte Louise nach ihrem Vorbild zu formen und mischte sich in wirklich alles ein. Dabei wollte die nichts anderes, als sich durch (ihre) Mode ausdrücken und selbst verwirklichen. Als Loulou de Falaise erfand sie sich neu, brachte endlich ihr wahres Ich zum Vorschein. „Ihre größten Ziele waren zweifellos nicht die Liebe oder gar Versorgung fürs Leben, sondern Selbständigkeit und Erfolg.“ (S. 248) Sie war eine junge Frau zwischen Tradition und Moderne, zwischen Burberry und Flowerpower, zwischen Haute Couture und Flohmarkt. Sie startete als Modell, wurde Mode-Assistentin, (Schmuck-)Designerin und ließ sich von allem inspirieren, was sie umgab.

Anders als man beim Buchtitel vermuten könnte, spielt Yves Saint-Laurent nur eine Nebenrolle, trotzdem bekommt man einen guten Eindruck von ihm und seiner Arbeitsweise. Er ist extrem schüchtern und introvertiert, arbeitet bis zum Umfallen und vergöttert seine Mutter und Coco Chanel, die ihn leider zu einem seiner größten Fehlschläge inspirieren.

Natürlich spielen in einem Buch über diese Zeit und Szene auch Drogen eine große Rolle. Es wurde so ziemlich alles und leider oft viel zu viel konsumiert, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen. Loulou schien sich dabei aber sehr zurückgehalten zu haben.

Ein beeindruckendes Buch über das sehr bewegte, bunte Leben einer Frau und Künstlerin, die sich selbst neu erfand und in der Mode verwirklichte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.09.2023

Herz aus Gold

Fräulein Gold: Die Lichter der Stadt
0

„… ihr ging auf, dass eigentlich nichts an ihrem Leben perfekt war. Nichts außer Meta. Und dass sie sich besser beizeiten ein Beispiel an ihrer kleinen Tochter nehmen und endlich genug Liebe für das Unvollkommene, ...

„… ihr ging auf, dass eigentlich nichts an ihrem Leben perfekt war. Nichts außer Meta. Und dass sie sich besser beizeiten ein Beispiel an ihrer kleinen Tochter nehmen und endlich genug Liebe für das Unvollkommene, das Gescheiterte, dass Zweifelhaft ihrer Existenz aufbringen sollte. Nur so könnte sie ihr Leben in etwas verwandeln, auf das sie stolz wäre.“ (S. 16)
Berlin 1929: Seit 2 Jahren arbeitet Hulda als Hebamme in der Mütterberatungsstelle am Nollendorfplatz, allerdings darf sie keine Entbindungen mehr durchführen, sondern den Schwangeren und jungen Mütter nur noch erklären, wie sie mit ihren Babys umgehen und worauf sie achten müssen. Immer öfter vermisst sie ihren alten Job, die damit verbundene Aufregung und Verantwortung. Aber dann könnte sie sich nicht ausreichend um ihre dreijährige Tochter Meta kümmern, die ein echter, sehr dickköpfiger, Sonnenschein ist.
Als die junge Schauspielerin Milli zu ihr in die Beratung kommt, weil sich ihre Tochter nicht richtig entwickelt, fallen Hulda die Hämatome an Millis Armen auf. Ihr ist sofort klar, was das bedeutet, und sie will Milli helfen. Doch die glaubt, es wäre längst zu spät dafür. Das kann und will Hulda nicht hinnehmen.
Zudem sorgt sie sich um ihre Freunde und Bekannten. In Berts Kiosk, Jettes Apotheke und das Café der Winter wurde eingebrochen. Ist eine Bande unterwegs?
Außerdem gibt es weiterhin Stress mit den Nazis. Ihr Vater, der berühmte Maler Benjamin Gold, der sich für unantastbar hielt, wird überfallen und verprügelt. „Gewalt ist stärker als Kultur und gute Sitten.“ (S. 224)
Und dann ist da ein neuer Mann in Huldas Leben, bei dem sie sich endlich wieder als Frau, und nicht nur als Mutter fühlt, aber es ist kompliziert …

„Die Lichter der Stadt“ ist bereits der 6. Band mit der sympathischen Hebamme Hulda Gold und langsam wandelt sich die Reihe vom Krimi zum Gesellschaftsroman. Anne Stern beleuchtet die Zeit, die voller politischer und gesellschaftlicher Unruhen und Umbrüche ist.
Die Handlung dreht sich um Huldas Leben als alleinerziehende Mutter, was damals noch verpönt war, den Spagat zwischen Arbeit und Privatleben. Nicht zuletzt ist sie eine Frau, die sich nach Liebe und Partnerschaft sehnt. Außerdem hat Hulda ein Herz aus Gold. Sie setzt sich für die Schwachen und Hilflosen, Vergessenen und Ausgestoßenen ein, schaut hinter die Fassade der Menschen und versucht, zu helfen. Diesmal verschlägt es sie in die Theaterszene, aber auch Kellerkneipen und Bars, die vor allem von Homosexuellen frequentiert werden, die sich dort (noch) frei fühlen können.

Mit Irma Siegel führt Anne Stern eine neue spannende Protagonisten ein. Die schon ältere weibliche Kriminalbeamtin muss sich in der Polizeidirektion und bei ihren Ermittlungen vor Ort dauernd neu beweisen, muss stets mehr leisten als ihre männlichen Kollegen und wird trotzdem selten ernst genommen. „Schicken die in der Roten Burg jetzt also wirklich schon Frauen zu Kapitalverbrechen? So schlimm steht es bei den Behörden?“ (S. 246) Die Chance, in einem Mordfall zu ermitteln, bekommt sie nur, weil der eigentlich zuständige Kollege besoffen ist. Und sie löst den Fall mit Bravour (und Huldas Hilfe).
Irma ist bärbeißig und schroff, raucht ihre Zigarillos Kette – ein echtes Original. Und sie hat einen Mann und Kinder, aber eigentlich kein Interesse an ihrer Familie. Sie sieht sich in erster Linie als Polizistin und erst in zweiter als Ehefrau und Mutter. Ich hoffe, Irma begegnet Hulda auch in den zukünftigen Büchern wieder.

Ich bin wieder begeistert, wie sehr Anne Stern in die Geschichte ihrer Stadt eintaucht und sie für die Leser erlebbar macht. Und ich liebe ihre poetischen Beschreibungen: „Wie eine greise düstere Königin kam Hulda ihr liebes altes Berlin bei Nacht vor, die sich noch ein letztes Mal die glitzernden Juwelen angehängt hatte und nicht bemerkte, dass sie selbst nur noch Haut und Knochen war. Ein Skelett auf seinem Thron mit notdürftiger Tünche über dem Totenschädel.“ (S. 113)

Seit 6 Bänden fiebere ich mit Hulda mit, die wegen ihrer jüdischen Abstammung in immer größere Gefahr gerät, beobachte gespannt ihre weitere Entwicklung und hoffe, dass noch viele Abenteuer folgen werden. 5 Sterne für dieses Lesehighlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere