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Veröffentlicht am 18.11.2023

Berührend

Vatermal
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VATERMAL
Necati Öziri

„Ich werde diese Geschichten aufschreiben, dir und meinen beiden Halbbrüdern. Damit sie wissen, dass sie noch einen Bruder und auch eine Schwester hatten, damit sie erfahren, wem ...

VATERMAL
Necati Öziri

„Ich werde diese Geschichten aufschreiben, dir und meinen beiden Halbbrüdern. Damit sie wissen, dass sie noch einen Bruder und auch eine Schwester hatten, damit sie erfahren, wem ihr Vater nie Vater war, damit sie schätzen lernen, wie viel Zeit und Liebe sie von dir bekommen.“ (S. 20)

Arda liegt mit einer Autoimmunhepatitis im Krankenhaus und weiß nicht, ob er dieses lebend verlassen wird.
Er schreibt seine Lebensgeschichte für seinen Vater auf, für einen Menschen, an den er fast keine Erinnerungen hat. Dieser hatte seine Familie ohne ein Wort des Abschieds vor Jahren verlassen. Dieses Ereignis hat nicht nur sein Leben geprägt und dramatisch verändert, sondern auch das der Mutter Ümran und Schwester Aylin. Zwei Frauen, die nie einen besonderen Draht zueinander hatten und seit frühester Kindheit immer im Streit lagen.

„[…] wird mir klar, dass ich schon immer der Klebstoff war, der meine Mutter und meine Schwester zusammengehalten hat.“ (S. 83)

Dabei wollte doch seine Mutter alles besser machen. Besser als ihre eigene Mutter, die ihre Kinder damals nach dem großen Erdbeben einfach bei der schrecklichen Tante in der Türkei zurückließ und sie erst Jahre später nach Deutschland nachholte.
Doch so gut ihre Vorsätze auch waren, das Leben kam für Ümran anders.

Wow, was für ein großartiges Debüt!
Ümrans, Ardas und Aylins Leben in Rückblicken erzählt, ist feinfühlig, traurig, authentisch und bewegend. Ganz besonders gut gefielen mir die wechselnden Erzähler-Perspektiven.
Ein Buch, das mich sehr berührt hat und zu Recht auf der Shortlist 2023 stand - aber leider nicht gewonnen hat.
Von mir gibt es eine große Leseempfehlung.
5/ 5

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Veröffentlicht am 12.11.2023

Wahnsinns Buch!

Von den fünf Schwestern, die auszogen, ihren Vater zu ermorden
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VON DEN FÜNF SCHWESTERN DIE AUSZOGEN, IHREN VATER ZU ERMORDEN
Melara Mvogdobo

Die vier Afroschweizer-Schwestern Sheshe, Céleste, Lea und Marion reisen nach Kamerun, wo ihre fünfte Schwester Séraphine ...

VON DEN FÜNF SCHWESTERN DIE AUSZOGEN, IHREN VATER ZU ERMORDEN
Melara Mvogdobo

Die vier Afroschweizer-Schwestern Sheshe, Céleste, Lea und Marion reisen nach Kamerun, wo ihre fünfte Schwester Séraphine lebt. Gemeinsam mit ihr wollen sie ihren kamerunischen Vater, Hilaire Bongo Nkomo, der sie alle im Kindesalter sexuell missbrauchte, umbringen.
Wo immer dieser Mann lebte, betrog und täuschte er Menschen, die ihm nahe standen.
Jede der fünf Frauen versucht seit der Kindheit auf unterschiedlichster Weise mit ihren Traumata zu leben - nicht jeder gelingt es gut.
Jetzt möchten sich die Frauen rächen und endlich mit ihm abrechnen.
Doch wie das Leben so spielt, kommt es auf einmal ganz anders …

Was für ein Debüt! Chapeau Melara Mvogdobo!
Trotz der belastenden Themen führt uns die Autorin leichtfüßig durch diese Geschichte.
Wir erfahren über kamerunische Rituale, spirituelle Bräuche und erleben afrikanische Kultur. Natürlich wird die grausame Tat benannt, aber nicht im Detail erzählt, dennoch haben wir einen tiefen Einblick in die verletzten Seelen der fünf misshandelten Frauen.
Der Aufbau des Buches ist unglaublich spannend und anders. Ja, an einigen Stellen musste ich wirklich schmunzeln.
Kaum zu glauben, dass dieses Manuskript fast 20 Jahre in der Schublade der Autorin lag und kein Verlag es verlegen wollte. Erst „ME TOO“ machte es möglich, dass Themen wie diese erzählt werden dürfen - dass Frauen, denen so etwas Schreckliches passiert, aufstehen dürfen!
Melara Mvogdobo Geschichte muss gelesen werden! Sie steht hier stellvertretend für das, was so vielen Frauen und Kindern auf der Welt in diesem Moment irgendwo angetan wird.
Danke an EDITION 8, dass ihr den Mut hattet, diese Geschichte zu verlegen und dir Melara Mvogdobo wünsche ich eine große Leserschaft und hoffe, dass dein nächstes Buch ganz schnell in die Regale findet.
Bitte lest dieses Buch!
5/ 5

P.S. Und wenn es wirklich eine Fee gibt, dann wünsche ich mir dieselben drei Wünsche wie Sheshe! Einfach genial.

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Veröffentlicht am 02.11.2023

Großartig!

Vladimir
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VLADIMIR
Julia May Jones

Unsere namenlose 58-jährige Literaturdozentin lehrt an einem kleinen amerikanischen Collage im Fachbereich Literatur. Sie war schon immer autark, beliebt und intelligent, doch ...

VLADIMIR
Julia May Jones

Unsere namenlose 58-jährige Literaturdozentin lehrt an einem kleinen amerikanischen Collage im Fachbereich Literatur. Sie war schon immer autark, beliebt und intelligent, doch hat sie seit Neuestem ein großes Problem mit dem Älterwerden. Und das spiegelt sich auch in ihrer Ehe mit Ehemann John, der am selben Collage unterrichtet, wieder. Beide führen eine "offene Ehe, was nie ein Problem darstellte, schließlich hat ihr Ehemann ein größeres Interesse an sexuellen Aktivitäten.
Doch dann lernt sie ihren neuen, jüngeren Kollegen Vladimir kennen und ihre sexuelle Energie erwacht. Zeitgleich droht John eine Suspendierung: Mehrere weibliche Studierende haben den Professor wegen sexueller Übergriffe beim Dekan angezeigt. Daraufhin wurde eine Anhörung eingeleitet.

Wer jetzt denkt, dass Vladimir eine kitschige Liebesgeschichte ist, den muss ich hier direkt an dieser Stelle enttäuschen.
Obwohl es hauptsächlich um ein alterndes und lang verheiratetes Ehepaar geht (die offensichtlich gerade in einer Lebenskrise stecken), so werden Themen wie Depressionen, Drogenkonsum und Missbrauch im Kontext angesprochen.
Ich habe so ein feines Buch, was so unglaublich schön vom Sprachstil ist und mich gefühlt in das Wohnzimmer vom Ehepaar Hustvedt/Auster katapultiert hat, nicht erwartet - eine unglaubliche Überraschung.
Ein Buch, das zum Ende eine ganz andere, nicht vorhersehbare Wendung bekommt und noch einmal richtig aufdreht.

Fazit:
Ein Wahnsinnsdebüt! Stark aus dem Amerikanischen von Eva Bonné übersetzt.

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Veröffentlicht am 26.10.2023

Genial mit Abstrichen

Lektionen
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LEKTIONEN
Ian McEwan

1959:
Roland Baines wächst in Libyen auf, wo sein Vater als Armeeoffizier stationiert ist. Mit 11 Jahren wird er in ein britisches Internat eingeschrieben, wo er den Highschool-Abschluss ...

LEKTIONEN
Ian McEwan

1959:
Roland Baines wächst in Libyen auf, wo sein Vater als Armeeoffizier stationiert ist. Mit 11 Jahren wird er in ein britisches Internat eingeschrieben, wo er den Highschool-Abschluss absolvieren soll. Doch es kommt anders:
Seine Klavierlehrerin Miriam Cornell verführt den Jungen im Alter von 14 Jahren und aus diesem Grunde trifft Roland eine Entscheidung, die sein ganzes Leben verändern wird.

1996:
Jahre später wacht Roland eines morgens auf und findet den Abschiedsbrief seiner Frau Alissa neben sich. Mit den Worten. „Ich habe das falsche Leben gelebt“ verlässt sie nicht nur ihn, sondern auch ihren vier Monate alten Sohn, Lawrence.
Roland, der nie einen richtigen Beruf erlernte, widmet sich fortan der Kindeserziehung.

In nicht immer chronologischen Rückblicken, doch konsequent mit einem roten Faden, erzählt uns Roland aus seinem Leben. Er nimmt uns mit in die Kuba-Krise, wir erleben ein weiteres Mal Tschernobyl und er erzählt detailliert die Lebensgeschichten seiner Freunde und Verwandten. So treffen wir Mitglieder der Weißen Rose, gehen noch einmal durch den Checkpoint Charly und reisen in die DDR und sind dabei, wenn die Mauer fällt. Selbst im Corona Lockdown leisten wir ihm Gesellschaft.
Dabei steht Roland immer im Mittelpunkt, wir begleiten ihn, trauern und freuen uns gemeinsam.

Ich bin nicht die Erste, die darauf kommt, dass der Protagonist Roland sehr viele Parallelen zu unserem Autor McEwan hat. Ob einige Passagen aus dem Buch autobiografisch sind, vermag ich jetzt nicht zu klären, was ich aber mit Bestimmtheit sagen kann ist, dass das Buch viele Lebensweisheiten - hier schlicht Lektionen genannt, beinhaltet. Auch wenn ‚Lektionen', ein kleines bisschen hinter McEwans früheren Werken wie 'Abbitte', 'Saturday' und 'Kindeswohl' zurücksteht, ist es dennoch für mich ein Meisterwerk (mit kleineren Längen), das eine Wortgewandtheit aufweist und kaum zu übertreffen ist.

Mein Lieblingszitat:
„Er hatte jene Lebensphase erreicht - mit Ende dreißig nicht ungewöhnlich -, in der die Eltern anfangen abzubauen. Wer sie waren, was sie taten, war bis dahin ganz allein ihre eigene Sache gewesen. Nun aber verloren sie kleine Stückchen ihres Lebens, die von ihnen abfielen oder so plötzlich abgerissen wurden wie der Rückspiegel vom Wagen des Majors. Später lösten sich größere Brocken ab und mussten von ihren Kindern eingesammelt oder im Flug aufgefangen werden. Ein langer Prozess. (S. 158)

Fazit:
Wunderbar erzählt. Literatur vom Feinsten.
5-/ 5

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Veröffentlicht am 13.10.2023

Toll!

Der Brand
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DER BRAND
Daniela Krien

Rahel und Peter sind seit fast 30 Jahren verheiratet, die Kinder sind bereits aus dem Hause. Ihr Urlaub steht an, doch der Brand ihres Feriendomizils zwingt das Ehepaar zum Umdisponieren. ...

DER BRAND
Daniela Krien

Rahel und Peter sind seit fast 30 Jahren verheiratet, die Kinder sind bereits aus dem Hause. Ihr Urlaub steht an, doch der Brand ihres Feriendomizils zwingt das Ehepaar zum Umdisponieren.
Als ihre sehr viel ältere Freundin Ruth anruft und sie bittet, ihr Haus und Hof in Uckermark zu hüten, damit sie ihren Mann Viktor, der sich nach einem Schlaganfall in einer Rehaklinik befindet, besuchen kann, sagt Rahel spontan zu.

Rahel und ihre Mutter Edith waren früher öfter Gäste in diesem Haus.
Heute ist alles ein bisschen in die Jahre gekommen, aber dennoch weckt das Haus alte Erinnerungen. Besonders das Atelier des Künstlers Viktor hat es Rahel angetan. Überraschenderweise findet sie hier einige Zeichnungen, wo sie selbst drauf abgebildet ist.
Während Rahel mit dem Haus und Garten beschäftigt ist, kümmert sich Peter um das viele Getier - Katzen, Pferd und auch Herr Storch wollen versorgt werden.
Doch wer jetzt denkt, dass dem Ehepaar eine harmonische Zeit bevorsteht, den muss ich leider enttäuschen: Rahel und Peter leben nebeneinander her. Die frühere Vertrautheit ist ihnen abhandengekommen. Peter spricht kaum und geht Rahel aus dem Weg. Während Rahel das Gespräch sucht und von Peter abgewiesen wird.
Schnell wird uns klar, dass die Ehe von Ruth und Peter gerade in einer Krise steckt. Wir erfahren auch warum, und überhaupt kommen einige wichtige Dinge ans Licht. Ich würde es euch erzählen, aber leider muss ich schnell den Tisch decken, denn Selma, die immer schwierige Tochter von Rahel und Peter, hat sich mit ihren zwei kleinen Jungs zum Mittagessen angekündigt. Ihr solltet das Buch einfach selber lesen.

Es war mein erstes Buch der Autorin Daniele Krien und es gefiel mir außerordentlich gut. In zwei Nachmittagen habe ich diesen unterschwelligen Brand verschlungen.
Ein Buch mit einer fesselnden Tiefe. So unglaublich ehrlich - bildlich und wunderbar erzählt. Für mich ein wirkliches Highlight! Große Leseempfehlung.

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