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20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Rowohlt
  • Themenbereich: Belletristik - Kurzgeschichten
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 96
  • Ersterscheinung: 14.03.2023
  • ISBN: 9783498003647
Toni Morrison

Rezitativ

Tanja Handels (Übersetzer)

Die Wiederentdeckung von Toni Morrisons einziger Erzählung, erstmals 1983 erschienen und nie zuvor ins Deutsche übersetzt, ist eine literarische Sensation und enthält die Quintessenz ihres Schaffens. Die Nobelpreisträgerin spielt darin mit unserer Wahrnehmung: Von Beginn an wissen wir, dass eine der beiden Hauptfiguren schwarz ist und die andere weiß – doch welche ist welche?

Twyla und Roberta begegnen sich als Achtjährige im Kinderheim. Sie werden Vertraute, geben einander Halt und Trost. Sie sind unzertrennlich, doch später verlieren sie sich aus den Augen. Zufällig begegnen sie einander immer wieder, erst in einem Diner, dann im Supermarkt und bei einer Demonstration. Sie stehen in jeder Hinsicht auf verschiedenen Seiten und sind sich uneinig über die wichtigsten Fragen – trotzdem fühlen sich die beiden Frauen einander tief verbunden.

Rezitativ erzählt eindrucksvoll und mit frappierender Aktualität über eine Mädchenfreundschaft und die Auswirkungen von Rassismus und Klassenzugehörigkeit auf die Beziehungen, die unser Leben prägen.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.10.2023

Ein so lehrreiches Buch, dass es an europäischen Schulen Einzug halten sollte.

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Twylas Mutter Mary tanzt die ganze Nacht, Robertas Mutter ist krank. Das ist der Grund warum sich die beiden Mädchen in einem Heim begegnen. Obwohl sie äußerlich unterschiedlich scheinen, eint sie die ...

Twylas Mutter Mary tanzt die ganze Nacht, Robertas Mutter ist krank. Das ist der Grund warum sich die beiden Mädchen in einem Heim begegnen. Obwohl sie äußerlich unterschiedlich scheinen, eint sie die Erfahrung vernachlässigt, nicht gesehen oder gehört zu werden. Dank einem tiefen Verständnis füreinander freunden sich die beiden an. Die großen Mädchen, Gar-Girls machen den beiden Angst, sie quälen die Jüngeren, stellen Beine, rufen Ausdrücke hinterher. Das Küchenmädchen Maggie wurde auch schon von ihnen zu Fall gebracht und sie kann nicht einmal Schreien. Maggie wird für Twyla die Stellvertreterin ihrer tanzenden Mutter, taub und stumm. Kein Mensch dadrinnen, der hörte, wenn man nachts weinte.

Diese außergewöhnliche Kurzerzählung, die einzige, die Toni Morrison schrieb, hat es in sich. Nicht nur des Themas wegen, sondern weil die Autorin die Geschichte einer weißen und einer schwarzen Frau erzählt, jedoch an keiner Stelle preisgibt, wer welche Hautfarbe hat. Sie überlässt die Auseinandersetzung den Leser:innen. Rezitativ war als literarisches Experiment gedacht. Und bei mir hat es wunderbar funktioniert. Während des Lesens habe ich ständig versucht, anhand irgendwelcher Attribute einzuschätzen, wer die “Weiße” ist und welche die “Schwarze”.

Ist Twyla die Schwarze, weil sie die Hauptprotagonistin einer schwarzen Ich-Erzählerin ist? S. 51

Das sie sich nie die Haare waschen und komisch riechen. Wie Roberta, also sie roch wirklich komisch. S. 53

Die Geschichte endet auf Seite 43 und dann beginnt das Nachwort, ein Essay von Zadie Smith. (Britische Schriftstellerin) Sie analysiert die Geschichte und findet ganz großartige Worte, die nicht belehren wollen, sondern mit großer Toleranz für beide Seiten einer Schwarz-Weiß-Konstruktion, Lösungen sucht.

Geschichte wird nie vollständig wiedergegeben, viele wollen vergessen, dass die Geschichte des afrikanischen Kontinents, eben auch eine Geschichte über die lange, blutige, verworrene Begegnung mit der europäischen Bevölkerung ist.

Wenn in der Präsentation eines alten englischen Herrenhauses nicht nur berichtet wird, woher die schönen Gemälde stammen, sondern auch woher das Geld kam, mit dem sie erworben wurden – wer wie und warum leiden musste und ums Leben kam, um dieses Geld zu beschaffen, dann wird Geschichte vollständig erzählt.

Wir leben seit vielen hundert Jahren in bewusst rassifizierten, menschengemachten Strukturen – mit anderen Worten, in gesellschaftlich verankerten und mitunter gesetzlich verpflichtenden Fiktionen, die sich als unfähig erweisen, Unterschiede und Gleichberechtigung nebeneinander anzuerkennen.

Wie können wir das schmutzige Badewasser “Rassismus” jetzt plötzlich ausschütten, wo wir das Kind race jahrhundertelang so fest ans Herz gedrückt und – selbst wenn wir das ganze Grauen mitrechnen – auch so viel schönes aus ihm erschaffen haben?

Fazit: Ein wohltuendes Buch, das mich meinen eigenen Hang zu Vorurteilen erkennen lässt, ohne mich dafür zu verurteilen. Ein Buch, das an europäischen Schulen Einzug halten sollte und Schüler darüber nachdenken lassen könnte, warum wir uns in diesem System zwangsläufig an anderen bereichern, denen es schlechter geht, je besser es uns geht.

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