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Veröffentlicht am 16.11.2023

Entdeckung einer Großstadt

Idyllisches Berlin
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45 verwunschene Orte in Berlin, die so gar nicht zum Großstadtgewimmel zu passen scheinen, hat der Autor besucht, fotografiert und in gut lesbaren, kurzen Texten beschrieben. Auch ein paar Extras sind ...

45 verwunschene Orte in Berlin, die so gar nicht zum Großstadtgewimmel zu passen scheinen, hat der Autor besucht, fotografiert und in gut lesbaren, kurzen Texten beschrieben. Auch ein paar Extras sind noch eingefügt, bei einem musste ich schon bei der Überschrift im Inhaltsverzeichnis schmunzeln „Rieselfelder“! Ich habe als Kind in Pankow gewohnt, da roch man sie, wenn der Wind ungünstig stand, bin die Stadt hinein. Und Le Petit Village, das Französisch Buchholz, das kenne ich aus Kindertagen als ein Dörfchen mit Kirche und Endhaltestelle der Straßenbahn 49 (heute fährt dort die 50), riesige Kleingartenanlagen, wo mein Onkel Gustav (nicht verwandt mit dem Kneipenwirt!) eine kleine Laube hatte. Davon ist heute nichts mehr übrig, es wurde ein riesiges Neubaugebiet darauf errichtet. Aber die Kirche ist noch da, wie man sie im Buch sieht.
Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, egal ob Berliner oder Tourist, jeder wird interessante Stellen finden, die er noch nicht kennt. Bei meinem nächsten Berlinurlaub werde ich mindestens drei der Empfehlungen von Gary Schunack ansteuern: den Südstern mit dem polnischen Spezialitätenrestaurant, den Friedhof In den Kisseln, wo ein 1945 gefallener Verwandter von mir ruht, und auf jeden Fall die Gartenstadt Staaken. Denn selbst 45 Jahre Leben in Berlin haben mich dort nie hingeführt.
Ein liebevoll gestaltetes Buch mit vielen Ideen und passenden stimmungsvollen Fotos. „Berlin ist ein Dorf“ war schon früher ein geflügelter Ausdruck, Schunack bestätigt das auf unterhaltsame Weise.

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Veröffentlicht am 29.10.2023

Heilige, Galgen und Ruinen wollen erforscht werden

Lost & Dark Places Odenwald
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Das Buch „Odenwald“ ist bereits das dritte Buch der Reihe „Lost & Dark Places“, das die geschichtsbegeisterte Fotografin in diesem Jahr vorlegt. Nach „Sachsen“ ist ihr damit ein weiterer großer Wurf gelungen. ...

Das Buch „Odenwald“ ist bereits das dritte Buch der Reihe „Lost & Dark Places“, das die geschichtsbegeisterte Fotografin in diesem Jahr vorlegt. Nach „Sachsen“ ist ihr damit ein weiterer großer Wurf gelungen. Aus verschiedenen Gründen lese ich diese Bücher eher mit geschichtlichem Interesse, als dass ich sie auf meinen Reisen nutze. Es ist in jedem Fall eine absolute Bereicherung des Geschichts- und Regionalwissens, wenn man dann noch das Glück hat, den einen oder anderen Ort zu besuchen, umso besser.
Es sind 33 geheimnisvolle Orte, die beschrieben und mit sehr stimmigen Bildern illustriert werden. Ich greife hier nur ganz wenige Geschichten heraus, die es mir besonders angetan haben: Das Grab des Wunderrabbis in Michelstadt und im gleichen Ort die Einhardsbasilika aus der Karolingerzeit. Erwähnenswert der Zusatztipp: Abstecher zur Synagoge im gleichen Ort. Dann fand ich besonders verlockend die Burg Breuberg, die Ruine Schauenburg oder die Pfeilerbasilika in Amorbach. Egal, alle 33 Ziele sind so hingebungsvoll beschrieben, so detailliert recherchiert und fantastisch bebildert, ich bin einfach begeistert. Übrigens, der einzige Ort, den ich schon besucht habe, ist Heidelberg. Dass dort eine Thingstätte ist, wusste ich nicht.
Die für mich schönste Geschichte jedoch ist die der Walburga. Sie scheint mir so spannend und historisch wertvoll, da könnte ich mir vorstellen, es gäbe ein ganzes Buch über sie. Ich war kürzlich in Antwerpen, wo ein von Peter Paul Rubens geschaffener Hochaltar für die Walburgakirche existierte, die Kirche wurde abgerissen, der Altar zersägt, aber es soll Reste in der Liebfrauenkathedrale geben. Die habe ich leider beim Besuch nicht gesehen oder bemerkt. Im Nachhinein finde ich das trotzdem spannend.
Das Einzige, was mir am Buch im Gegensatz zum Band „Sachsen“ nicht so gefällt, ist die typografische Idee, die Seiten mit einem „antiken Grauschleier zu versehen“. Schade, so sehen die Seiten nicht schöner aus und ich dachte immer wieder, ich hätte einen Fehldruck vor mir. Aus meiner Lehrzeit weiß ich, dass manchmal die Transportwalzen für die gedruckten Bögen schmutzig waren, das sah dann auch so aus.
Cornelia Lohs hat einen gut lesbaren Erzählstil, ein fundiertes Wissen und offensichtlich viel Freude an den Orten, die sie sich erwählt. Auch die Zusatztipps sind oft echte Schmankerl für Geschichtsfans!
Fazit: Wer gerade nicht reist, nimmt Geschichtsunterricht! Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.

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Veröffentlicht am 23.10.2023

Ein Vergnügen der besonderen Art

Unterwegs
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Dieses Buch ist wunderschön. Ich konnte nicht aufhören, es durchzublättern, die Geschichten in meiner eigenen Reihenfolge zu lesen und alles immer wieder anzuschauen. Der deutsche Schreibstil gefällt mir ...

Dieses Buch ist wunderschön. Ich konnte nicht aufhören, es durchzublättern, die Geschichten in meiner eigenen Reihenfolge zu lesen und alles immer wieder anzuschauen. Der deutsche Schreibstil gefällt mir sehr, es ist eine wunderbare Übersetzung von Dagmar Brenneisen. Das englische Original hingegen, das ich zum Vergleich angeschaut habe, ist nicht so mein Geschmack. Nur der Titel "The Writer's Journey" ist fast noch besser als "Unterwegs". Die Gestaltung des Buches lehnt sich eng ans Original, die Schriftauswahl der Grundschrift für die deutsche Ausgabe ist jedoch durch die Serifenschrift wesentlich angenehmer lesbar.
Der Titel UNTERWEGS suggeriert ja zuerst einmal nur ein Reisebuch, erst beim Lesen des Untertitels "Die Reisen großer Schriftstellerinnen und Schriftsteller" weiß man, dass hier nicht nur die Welt mit ihren außergewöhnlichen Orten erkundet wird, sondern auch das Leben und die Gedanken von Schriftstellern. Da ich gern und viel lese und gern und viel reise, für mich die perfekte Kombination. Travis Elborough hat ganz verschiedene Schriftsteller ausgewählt, von Hans Christian Andersen über Hermann Hesse bis zu Virginia Woolf trifft man auf Berühmtheiten ohne Ende. Ein Vergnügen der besonderen Art. Dass man sich mit diesen Geistesgrößen dann auf große Fahrt begeben kann, ist nicht nur interessant zu lesen, es bringt einem auch jede Menge neuer Erfahrungen zur Lebensgeschichte der Schriftsteller wie zur Geschichte der Reiseziele. Mich hat das Buch total fasziniert. 35 Storys reihen sich aneinander, eine so schön wie die andere. Herausgreifen möchte ich für die Rezension nur die von Patricia Highsmith, Travis Elborough erzählt von ihren mehr oder weniger glücklichen Liebeserlebnissen, einer "unmöglichen Ehe" und ihren weiblichen Partnerinnen und wie sie in Positano ganz nebenbei eine ihrer wichtigsten Hauptfiguren fand: Mr. Ripley. So kurz und so anmutig ist das alles beschrieben, man muss sofort zum Bücherschrank, die Krimis von Highsmith wollen noch einmal gelesen werden.
Fazit: wer Schriftsteller, Reisen und Lesen liebt, der ist bei diesem Buch richtig, ein Lesevergnügen der besonderen Art.

Unterwegs

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Veröffentlicht am 14.10.2023

Fabulierkünstler Kehlmann in Hochform

Lichtspiel
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Daniel Kehlmann ist immer für eine Überraschung gut! Lichtspiel ist ein wunderbarer Roman und Ulrich Nöthen macht ihn zu einem Hörgenuss der Extraklasse.
Es mischen sich wahre Ereignisse mit Fiktionalem, ...

Daniel Kehlmann ist immer für eine Überraschung gut! Lichtspiel ist ein wunderbarer Roman und Ulrich Nöthen macht ihn zu einem Hörgenuss der Extraklasse.
Es mischen sich wahre Ereignisse mit Fiktionalem, der Fabulierkünstler Kehlmann ist hier zur Hochform aufgelaufen. Das Porträt von G. W. Pabst, dem berühmten Filmregisseur, und das Porträt einer Diktatur, die die Kunst vor ihren Karren spannte, beides ist absolut hörenswert und verschmilzt zu einer mitreißenden Symbiose.
Das größte Lob für ein Hörbuch ist es doch, dass ich sofort das Buch kaufen möchte, um alles noch einmal intensiv zu erleben. Nöthens Stimme werde ich dabei wohl immer im Kopf haben.

Lichtspiel

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Veröffentlicht am 26.09.2023

Liebevoller Nachruf auf eine glühende Anhängerin der rhetorischen Trias

Eigentum
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Wolf Haas, mir eher bekannt durch seine niveauvollen Brenner-Krimis, gedenkt mit diesem Roman seiner Mutter, die mit 95 Jahren in einem Altersheim verstorben ist.
Mit ihren Worten formt er ein so plastisches ...

Wolf Haas, mir eher bekannt durch seine niveauvollen Brenner-Krimis, gedenkt mit diesem Roman seiner Mutter, die mit 95 Jahren in einem Altersheim verstorben ist.
Mit ihren Worten formt er ein so plastisches Bild von ihr und ihrem Leben, von den Umständen und Zeitläuften, dass man das Buch, einmal begonnen, kaum noch aus der Hand legen mag.
Marianne Haas, eine Tochter aus einfachsten Verhältnissen, mit vielen Geschwistern und keiner Chance auf höhere Bildung, entwickelt sich trotz aller Widrigkeiten zu einer lebenstüchtigen, schlauen und hartnäckigen Frau und Mutter. Sie übersteht den Krieg und arbeitet acht Jahre lang in der Schweiz, um ihren Eltern Geld für ein im Bau befindliches Haus senden zu können. Als sie in jenem Haus dann selbst wohnen möchte, bekommt sie die kleinste Stube mit Küche für sich und ihre Familie. Kein Dank, nirgends, kein Geld, keine Freude.
Haas erinnert sich in diesem Roman also an alles und jedes, was seine Mutter, mit bemerkenswerter Vehemenz und Energie, von sich gegeben hat und wie er es damals und heute bewertet. Gut kann ich mir vorstellen, wie er und sein Bruder das eine oder andere Mal die Augen verdrehten oder das Weite suchten, wenn die Tiraden der Mutter auf sie niedergingen.
Obwohl man beim Lesen ja weiß, dass die Mutter sterben wird, das sagt Haas gleich zu Beginn, ist es kein trauriges Buch, es macht nachdenklich, aber immer wieder musste ich schmunzeln, laut auflachen und manchen Satz zur Erbauung gleich ein zweites Mal lesen. Genau: Lesen lesen lesen – sparen sparen sparen – schreiben schreiben schreiben… Wolf Haas hat es mit dem Denken denken denken, an einer Stelle im Buch beantragt sein Hirn Sabbatical. Ich kann das verstehen, wenn es immer nur denkt, braucht es auch mal Ruhe, selbst wenn es einem Wolf Haas gehört. Und Niedergeschlagenheit findet keinen Platz, egal wie trüb die Aussichten sind.
Mir hat dieser Roman sehr gefallen, besonders die im österreichisch gefärbten Dialekt geschriebenen Gespräche mit der Mutter, ihre Erinnerungen, zeugen von viel Liebe und Warmherzigkeit.
„Bist bes auf mi, Mutti?“ – „Des hättma, finito, Ende der Diskussion."
Ich kann dieses Buch sehr empfehlen.

Eigentum

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