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Veröffentlicht am 13.12.2023

Weder zielführend noch aussagekräftig

An der Grasnarbe
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Was Mirjam Wittig mit ihrem Debütroman „An der Grasnarbe“ bezwecken will, bleibt mir leider bis zum Erstellen dieser Rezension verschlossen. So begleiten wir die junge Noa zu ihrer Arbeitsauszeit auf einen ...

Was Mirjam Wittig mit ihrem Debütroman „An der Grasnarbe“ bezwecken will, bleibt mir leider bis zum Erstellen dieser Rezension verschlossen. So begleiten wir die junge Noa zu ihrer Arbeitsauszeit auf einen Bauernhof nach Frankreich, um die Erlebnisse dort geschildert zu bekommen und zum Schluss leider mit zu vielen Fragezeichen gefühlt fallen gelassen zu werden. Aber noch einmal zurück. Noa ist scheinbar eine junge Person, die mit den Unsicherheiten der Welt, mit welcher sie Zeit ihres Lebens konfrontiert wird, nicht klarkommt. Ohne selbst jemals einen Terroranschlag erlebt zu haben, hat sie panische Angst vor einem solchen und erleidet Panikattacken, wenn sie Menschen des „Phänotyps“ Terrorist (dunkle Hautfarbe, langer Bart), ein stehengelassenes Gepäckstück oder generell Menschenmengen sieht. Dass dies übertrieben ist und ungleich stärker rassistisch ist ihr bewusst, aber das ändert nichts an der Sache, macht ihr nur Schuldgefühle. Somit nimmt sie sich eine Auszeit aus der deutschen Großstadt und verfrachtet ihr neurotisches Wesen aufs französische Land zu einer deutschen Selbstversorgerfamilie als Hilfskraft.

Der Klappentext – ja ich weiß, darauf sollte man nur bedingt hören - betont neben der „Flucht aufs Land, inneren Widersprüchen“ die „Auswirkungen der Klimakrise“ sichtbar im Roman. Nun ja, Ersteres wird beschrieben, Check. Zweiteres schon weniger gut, aber trotzdem Check. Das Letztere zeigt sich jedoch lediglich in einem trockenen Boden und einem Unwetter mit Sturzregen. Besondere Tiefe sollte man bei diesem Text nicht erwarten. Es werden unglaublich viele Themenstränge für so ein 190 Seiten dünnes Büchlein angedeutet, dann aber nicht wieder aufgenommen, geschweige denn zu Ende geführt. Versprochen wird außerdem im Klappentext: „mit großem Einfühlungsvermögen und starker atmosphärischer Kraft“, beides Komponenten, die dieser Roman meines Erachtens eher vermissen lässt. So wabert die Geschichte irgendwie vor sich hin, ohne Ziel und auch ohne Aussage. Die Figuren bleiben blass und hinterlassen keinen bleibenden Eindruck. Die Beziehungen der Figuren untereinander bleiben unklar. Sprachlich will die Autorin zu viel, auch wenn sie eine Panikattacke aus Sicht der Ich-Erzählerin Noa ganz gut rüberbringen kann. Für mich hat sich der Roman zwar zum Ende hin etwas flüssiger lesen lassen, was mit der zunehmenden Ausgeglichenheit der Erzählerin zu tun haben könnte, trotzdem präsentierte sich mir der Roman nicht als ein Lesevergnügen. Er stellt sich mitunter genauso planlos wie die Ich-Erzählerin dar und wird inhaltlich belanglos.

Abschließend fragt man sich nach der Lektüre von „An der Grasnarbe“, was die Autorin mit diesem Roman aussagen wollte oder ob sie lediglich einen selbst erlebten Selbstfindungstrip in die Natur in Romanform gepackt hat. Eine emotionale Tiefe jedweder Art bleibt dabei den Außenstehenden jedoch verschlossen. Somit kann ich diesen Roman leider nicht weiterempfehlen. Die Lektüre tut nicht weh, aber sie bringt auch nicht viel. Ist scheinbar nicht zielführend. An einer Stelle sagt ein Protagonist: „Kann schon sein, ich klinge wie ein Achtsamkeitsbuch. Tut mir leid, dass ich dir nichts Interessanteres dazu sagen kann.“ Dies scheint das Motto des vorliegenden Romans zu sein...

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Veröffentlicht am 06.12.2023

Mutige vor! Fordernde Lektüre sucht passende Leser:innen.

Ich und Jimmy
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Wer sich an die 400seitige Kurzgeschichtensammlung der brasilianischen Autorin Clarice Lispector (1920-1977) in der Ausgabe des Manesse Verlags heranwagt, sollte viel Mut, Geduld und Intellekt mitbringen. ...

Wer sich an die 400seitige Kurzgeschichtensammlung der brasilianischen Autorin Clarice Lispector (1920-1977) in der Ausgabe des Manesse Verlags heranwagt, sollte viel Mut, Geduld und Intellekt mitbringen. Ganze 30 Erzählungen versammelt das auf den ersten Blick sehr schön gestaltete Büchlein des Verlags. Diese sind entweder aus der Sicht einer oder über eine weibliche Figur geschrieben und befassen sich mit den Bedürfnissen, Wünschen sowie (Nachtschlaf-)Träumen aber auch Alltagserlebnissen ebendieser Mädchen und Frauen. Nun sind Träume ja meist sog. „zerrissene Geschichten“ und genauso verhält es sich auch mit den Erzählungen von Clarice Lispector.

Viele der Erzählungen wirken wie intellektuelle Fingerübungen der Autorin. Häufig hat sich eine in den Texten verpackte Aussage, eine Message für mich nicht herauskristallisieren können. Häufig war für mich unklar, wohin es gehen soll mit diesen Frauen aus der Oberschicht Brasiliens. Am Ende fast jeder Geschichte standen für mich große Fragezeichen, die jedoch nicht zur weiteren Beschäftigung mit dem Gelesenen anregen konnten. Selten wurde ich emotional berührt. Dies schaffte im Rückblick betrachtet allein die zweite Geschichte des Bandes „Die Flucht“, in welcher eine Ehefrau zumindest für einen Tag den Mut aufbringt, ihrem Ehemann und der Ehe den Rücken zu kehren und beginnt zu träumen. Von der Flucht aus Zwängen, Gedankengefängnissen und Alltag hin zu einem Leben in Übersee. Sie muss, aufgrund der wenigen einer Frau zu dieser Zeit (schätzungsweise 1940er Jahre) zur Verfügung stehenden Mittel und Freiheiten ihre Flucht abbrechen. Eine traurige einprägsame Geschichte, die nachhallt. Ein Großteil der restlichen Geschichten bleibt jedoch Arbeit für die Lesenden. Das muss nicht per se etwas Schlechtes bedeuten, ist in diesem Falle über das gesamte Buch hinweg jedoch eine äußerst ermüdende Arbeit. Immer wieder verstecken sich in den hoch anspruchsvollen Geschichten kleine, stilistisch wunderschöne Miniaturen. Sätze, die aber durch darauffolgende Formulierungen wieder verblassen ob ihrer Schönheit. Frau Lispector ist demnach durchaus eine begabte Autorin gewesen. Nur das Publikum sollte auch zu ihren Arbeiten passen. Man sollte sich auf Hochliteratur und äußerst kafkaeske Szenarien und Formulierungen einstellen, wenn man sich an diese anspruchsvolle Autorin heranwagt, denn es gibt nicht wenige Geschichten, in denen fast jeder Satz ein Rätsel ist, welches häufig ungelöst bleiben muss. So die wild assoziierte Geschichte um einen nächtlichen Traum „Wo wart ihr in der Nacht“ als exzentrischer „Höhepunkt“ der Sammlung mit Sätzen wie: „Doch sie streuten gemahlene Pfefferschoten auf ihre Genitalien und krümmten sich vor brennendem Schmerz. Und plötzlich der Hass. Sie brachten einander nicht um, verspürten aber einen so unerbittlichen Hass, dass es war, als träfe ein Wurfpfeil einen Körper. Und sie jauchzten, verdammt durch das, was sie spürten. Der Hass war Erbrochenes, das sie von einem größeren Erbrochenen befreite, dem Erbrochenen der Seele.“ (Definitiv die Geschichte, durch welche ich mich am meisten quälen musste.)

Um schon einmal ein Resümee zum Inhalt und Stil der Kurzprosa zu ziehen: Aufgrund der durchwachsenen Leseerfahrung würde ich an diesem Punkt als Bewertung 3 Sterne vergeben. Allerdings ist meines Erachtens hier die Ausgabe des Manesse Verlags als Gesamtheit zu betrachten und auch so zu bewerten:

Wie schon erwähnt, ist das Büchlein wirklich sehr hübsch gestaltet und liegt in seinem kleinen Format gut in der Hand. Allerdings gibt es meiner Meinung nach an einigen Stellen Minuspunkte in der editorischen Arbeit. So ist am augenscheinlichsten, dass sich an keiner Stelle im Buch oder auf dem Schutzumschlag biografische Angaben zur Autorin finden lassen. Wer das Buch im Buchladen zur Hand nimmt und noch nichts zur Autorin weiß, könnte nicht einmal das Geburts- und Sterbejahr zur groben historischen Einordnung erfahren! Bei egal welcher Lektüre ist das für mich eine absolute Grundlage für jede Buchveröffentlichung. Ich möchte einfach nicht eine Internetsuchmaschine für die aller grundlegendsten Informationen bemühen müssen. Darüber hinaus sind auch die einzelnen Geschichten nicht mit einer Jahreszahl versehen, sodass man sie historisch und biografisch einordnen könnte. Allein, dass sie chronologisch geordnet seien, erfährt man ganz zum Schluss der Lektüre, mehr aber auch nicht. Gerade ein Sammelband zu einer modernen Klassikerin sollte diese Einordnung anhand von original Veröffentlichungsjahren doch ermöglichen. Des Weiteren schwanken die zu den Geschichten vorhandenen 83 Anmerkungen, welche laut editorischer Notiz in Zusammenwirken aus Übersetzer und Manesse Verlag entstanden sind, stark in ihrer Qualität und Nachvollziehbarkeit. So geben viele Anmerkungen durchaus für das Verständnis der Sätze Lispectors wichtige Hinweise bezüglich genutzter Zitate, Anspielungen und genannten Personen. Andererseits fragt man sich, warum man den Lesenden dieser anspruchsvollen Geschichten nicht mehr Allgemeinwissen zutraut und extra erläutert wird, wer Händel, Kissinger oder Édith Piaf waren; und ein ausgerufenes „Viva!“ mit der Anmerkung versehen wird: „Port. «Leben!»“. An anderer Stelle erscheinen die Anmerkungen dann genauso wenig selbsterklärend und kryptisch wie der Text von Lispector selbst. Da klafft etwas in der Auswahl der Anmerkungen meilenweit auseinander, was den Lesefluss durchaus stört.

Schweren Herzens kann ich somit in der Gesamtheit dem Buch nur eine 2-Sterne-Bewertung geben, da es mir zu viele Punkte Abzug für die formelle Gestaltung gab. Das Buch würde ich nicht pauschal verurteilen und von der Lektüre ist durchaus nicht von vornherein abzuraten. Aber jede Person mit Interesse an der Autorin sollte sicherheitshalber in einem Buchladen mal aus dem ersten, dem mittleren und dem letzten Teil des Buches eine Geschichte lesen, um abschätzen zu können, ob die Lektüre wirklich für einen selbst passt. Die digitale Leseprobe, welche lediglich die ersten drei der insgesamt 30 Geschichten abbildet, ist definitiv noch keine valide Quelle für eine gute Entscheidung.

Also heißt es nun: Mutige vor! Diese fordernde Lektüre benötigt hochmotivierte Leser:innen, die Gefallen an im höchsten Maße anspruchsvoller Literatur haben.

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Veröffentlicht am 29.09.2023

Schwammig, verschwurbelt, vage

Meine Männer
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Die Norwegerin Victoria Kielland beschäftigt sich in ihrem Roman „Meine Männer“ mit der historischen Figur der Brynhild/Bella/Belle Gunness, einer Frau, die aus Norwegen um die Jahrhundertwende 1900 herum ...

Die Norwegerin Victoria Kielland beschäftigt sich in ihrem Roman „Meine Männer“ mit der historischen Figur der Brynhild/Bella/Belle Gunness, einer Frau, die aus Norwegen um die Jahrhundertwende 1900 herum in die USA auswanderte und dort begann ihre Ehemänner bzw. später auch Anwärter auf eine Ehe umbrachte. Der Roman setzt bereits beim ärmlichen Leben der Siebzehnjährigen (damals noch) Brynhild auf einem norwegischen Bauernhof, auf welchem sie als Magd angestellt ist, ein. Sie scheint wild verliebt in den Hoferben, lässt sich auf sexuelle Kontakte ein, die zwischen leidenschaftlichem und gewaltvollem Sex oszillieren und wird von ihm schwanger. Nach der Offenbarung ihm gegenüber prügelt er nicht nur das Kind aus ihr heraus, sondern scheinbar auch einen Teil ihres Vertrauens in die Menschen, spezieller die Männer. Nach dem Umzug in den Norden der USA beginnt sie Männer aus dem Weg zu räumen und sackt deren Geld ein, um vorgeblich ihre Kinder zu ernähren.

Das, was in der oben zusammengefassten Inhaltsangabe so verständlich und übersichtlich klingt, ist es im Text von Kielland keinesfalls. Kielland schreibt in einer Art und Weise vage, verschwurbelt, schwammig und nichtssagend, dass man zwischenzeitlich vergisst, um was es im Roman eigentlich geht. Obwohl nur 185 Seiten kurz, erschien dieser Roman so unaushaltbar lang, wie die Sätze der Autorin. Da der Schreibstil nicht immer mal wieder zwischendurch nur einen verschachtelten, vagen Satz präsentiert, über den man dann genüsslich nachdenken könnte, sondern durchweg derart formuliert wird, verliert man irgendwann die Lust daran, das Geschrieben tiefgründig verstehen zu wollen. Was zu Beginn noch wie die poetische, intensive Darstellung der ersten, verhängnisvollen Liebe dieser zukünftigen Serienmörderin wirkt, stellt sich schnell als durchgängiger Schreibstil heraus, der in seiner Schwammigkeit und künstlicher Aufgeladenheit mit philosophischer Tiefe das eigentliche Geschehen vollkommen überdeckt. Zwischenzeitlich hatte ich sogar vergessen, dass es um eine Mörderin geht, so vage werden ihre Handlungen dargestellt. Man springt von einer Anekdote zur nächsten, ohne sich irgendwo festhalten zu können.

Um vorab besser einschätzen zu können, ob man diesen Schreibstil aushält, habe ich hier nur drei Stellen herausgegriffen, die aber exemplarisch für den gesamten Roman stehen, für jeden einzelnen Satz in diesem Buch:

„Der durchgeprügelte Kopf, der Druck hinter den Augen, es hörte nie auf, jedes Mal explodierte dieselbe Erinnerung und rieselte langsam zu Boden, das schmelzende schwarze Licht breitete sich in jeden Winkel aus und stachelte hoch ins Gesicht, Gottes große Hand hob sie empor durch die Nacht, hinauf ins Licht, durch die Wolken hindurch, bis sie unter sich das sandig wüste Flussbett sah, alles was noch immer dort am Grund lag, trug sie zwischen den Bäumen hindurch, zu der stinkenden schwarzen Lache.“ (S. 51)

Am Anfang eines solchen Bandwurmsatzes hat man noch das Gefühl: Okay, ich habe eine Ahnung, was gemeint sein könnte. Aber mit zunehmender Aneinanderreihung von merkwürdigen Metaphern, verliert man jeglichen Halt und fragt sich, warum man das noch liest.

Im Verlauf wird es aber auch nicht besser:

„Bella war umgeben von ihresgleichen, Blut, Tränen und Urin, es flimmerte lautlos und ruhig, die Trauerweiber, die dasselbe Schiff genommen hatten wie sie, Familien, die lebten und starben, und trotzdem erkannte sie sich nicht wieder, es gab keine bewährte Liebe, nur einen Hauch Routine.“ (S. 121)

oder

„Und die anhaltendste Bewegung war weder Sehnsucht noch Liebe, sondern das Schlagen der Schmetterlingsflügel im Garten, war der Tod, das Auge, das dauernd Blickkontakt aufnahm, das anhaltendste, ewige Flimmern.“ (S. 157)

Alles verstanden? Es ändert übrigens nichts, wenn man den Kontext kennt, aus dem diese Zitate stammen.

Es tut mir leid, sehr hätte mich dieses Thema der ersten großen weiblichen Serienmörderin der USA literarisch aufgearbeitet interessiert. Aber bei dieser unglaublich vagen Sprache, konnte ich leider nicht viel bis gar nichts aus der Lektüre mitnehmen, denn an keiner Stelle (außer zu Beginn) hat mich dieser Roman abgeholt und mitgenommen in das Leben und die Psyche von Brynhild/Bella/Belle, von der ich so gern mehr erfahren hätte. So bleibe ich ahnungslos zurück und kann leider auch meinerseits nicht die Lektüre weiterempfehlen. Und dabei hat mich das tolle Cover doch gleich angelockt, die Leseprobe zumindest Interesse geweckt, der Roman dann aber doch enttäuscht. Schade.

2/5 Sterne

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Veröffentlicht am 03.06.2023

Nicht die große Liebe

Eine Liebe
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In Sara Mesas von mir heiß erwarteten neuen Roman „Eine Liebe“ zieht eine Anfang 30-Jährige aus einer größeren Stadt aufs spanische Land. Mitten in die Provinz, nicht ans Meer, denn das kann sie sich nicht ...

In Sara Mesas von mir heiß erwarteten neuen Roman „Eine Liebe“ zieht eine Anfang 30-Jährige aus einer größeren Stadt aufs spanische Land. Mitten in die Provinz, nicht ans Meer, denn das kann sie sich nicht leisten. Nat ist Übersetzerin und versucht sich nun mit einer freien Literaturübersetzung über Wasser zu halten. Aber schon das Ankommen im neuen Dorf und im gemieteten Haus wird ihr nicht leicht - man könnte gar sagen besonders schwer - gemacht. Nicht nur vom schmierigen Vermieter auch von vielen der Ortsbewohner, die die Zugezogene nicht gleich ins Herz schließen wollen. Mit Píter freundet sie sich an, einen verwahrlosten Hund bekommt sie vom Vermieter abgetreten und so macht sie sich auf, das Haus in Stand zu setzen und den Garten zu bewirtschaften. Als das undichte Dach geflickt werden muss, macht ihr ein Anwohner, genannt „Der Deutsche“ ein scheinbar unmoralisches Angebot. Er schlägt ihr ein Tauschgeschäft vor: Sex gegen Handwerkerleistung.

Aus diesem Angebot entspinnt sich nun eine nicht nachvollziehbare Obsession von Nat bezüglich einer „Liebes-“Beziehung mit Andreas, Dem Deutschen. Nicht nachvollziehbar bleibt diese merkwürdige Geschichte, weil uns Sara Mesa zwar ausgedehnt an dem unablässigen Hinterfragen der Protagonistin bezüglich ihrer Einstellungen, Gedanken, Eindrücke etc. teilhaben lässt, jedoch nie irgendwelche Hintergründe bzw. tiefgründige Informationen zur Protagonistin anbietet. Nat ist unglaublich neurotisch angelegt in ihrer Persönlichkeit. Das kann funktionieren, sofern sie als Person im Roman dann auch irgendeine Arte von – wenn auch leichter – Veränderung durchlaufen würde. Tut sie aber nicht und das führte bei mir zu einer unglaublichen Abneigung der Protagonistin gegenüber. Unangenehm nervig schieben sich die Überlegungen von Nat in den Vordergrund, wobei sie trotzdem als Figur flach bleibt. Ebenso wie die vielen Nebenfiguren des Dorfes. Hier wäre Potential da gewesen, um eine interessante Studie zum Dorf aufmachen zu können. Aber auch das macht die Autorin nicht. Wir verbringen zu viele der nur 190 Seiten in der abstrusen Beziehung zwischen Nat und Andreas. Ein Einblick in die Vergangenheit Nats oder eine ausführlichere Erklärung ihres kuriosen Beziehungsverhaltens über eine zwei Zeilen lange Erwähnung eines Missbrauchs in der Kindheit hinaus, hätten den Roman eventuell noch interessant machen können. Aber nein, die Autorin wirft den Missbrauch als mögliche Erklärung mal eben so nebenher den Lesenden vor die Füße und diskreditiert damit das Thema vollkommen. Selten habe ich einen unglücklicheren Umgang mit einem solchen Thema in einem Buch gelesen.

Ein Paukenschlag, eine erklärende Wendung, irgendetwas dieser Art am Ende des Romans wären auch ein Weg gewesen, diesen noch zum Besseren zu führen. Aber auch hier verpasst die Autorin eine Chance und lässt ihn ausplätschern. Auf gefühlt einer halben Seite gibt es plötzlich eine Veränderung bei Nat, die aber in dieser Form nicht nachvollziehbar gestaltet wurde und die Lesenden ratlos zurücklässt. Von den nur 190 Seiten war ich in einem Maße genervt, dass man der Autorin schon fast anrechnen könnte, dass sie zumindest das mit dem Roman bewirkt hat. Ansonsten konnte sie bei mir leider gar nichts bewirken. Der Roman konnte mir nichts geben und ich bin froh, die Lektüre endlich beendet zu haben.

Empfehlen kann ich die Lektüre leider gar nicht. Mit den gegebenen 2 Sternen möchte ich lediglich anerkennen, dass die Autorin eine flüssige Schreibe hat, die sich – trotz Qualen ob des Inhalts – zügig bewältigen lässt. Mal davon abgesehen, dass man diskutieren kann, warum die Autorin ihren Roman überhaupt „Eine Liebe“ genannt hat, kann ich nur resümieren, dass der Roman für mich nicht die große Liebe war, im Gegensatz eher eine literarische Schreckensbeziehung.

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Veröffentlicht am 27.10.2023

Sonderzug nach Steglitz, oder wie war das?

Steglitz
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Wäre in diesem Roman, der nicht nur im Berliner Stadtteil Steglitz spielt, sondern sogar nach ihm benannt ist, wenigstens ein Stieglitz aufgetaucht, hätte ich ihm vielleicht etwas abgewinnen können. So ...

Wäre in diesem Roman, der nicht nur im Berliner Stadtteil Steglitz spielt, sondern sogar nach ihm benannt ist, wenigstens ein Stieglitz aufgetaucht, hätte ich ihm vielleicht etwas abgewinnen können. So bleibt leider wenig bis gar nichts übrig, was mich von diesem Roman-Experiment überzeugen hätte können.

Gleich vorweg: Es handelt sich um einen Roman, der ständig zwischen surrealem Erleben und der (vielleicht) Realität hin und her schwankt. Dementsprechend schwer wird es jetzt für mich, die „Handlung“ kurz zusammenzufassen. Also, es wird alles vage bleiben und ich erhebe keinerlei Anspruch auf Korrektheit!

Leni Müller ist mit Ivan verheiratet und lebt in Steglitz in der Markelstraße. Sie geht einem rigiden Tagesablauf nach, indem sie als reine Hausfrau den Tag über mit kleinen Erledigungen durch das Viertel streift und ansonsten vollkommen unselbstständig an ihrem Mann hängt. Als ihr Mann zu einer Dienstreise aufbricht und angeblich nicht zurückkehrt, wird sie von ihrem Bruder in einer zwielichtigen Spelunke einquartiert. Es passieren immer merkwürdigere Dinge, die irgendwie mit ihren Erlebnissen aus der Kindheit verbunden zu sein scheinen. Ähm… und irgendwann erreichen wir das Ende des Romans. So oder so ähnlich könnte man den Roman, den man sich am besten von David Lynch verfilmt vorstellt, zusammenfassen.

Also wer David Lynch Fan ist, oder gar „Weiße Nacht“ von Bae Suah mochte, könnte Gefallen an diesem merkwürdigen Experiment finden. Ich musste mich unglaublich überwinden den Roman überhaupt zu Ende zu lesen. Zu häufig (gefühlt in jedem zweiten Satz) droppt die französische Autorin, die während des Verfassens des Romans in Steglitz während der Corona-Pandemie lebte, irgendwelche Straßennamen, die einer Person, die dort nicht lebt, überhaupt nichts sagen und nur stören. Eine Atmosphäre, die typisch für diesen Stadtteil sein könnte, schafft sie dabei nicht heraufzubeschwören. Daneben geschehen, wie gesagt, surreale „Dinge“, die aber meines Erachtens nach nicht zu einem Ganzen sinnvoll zusammengeführt werden. Vielleicht ist ja auch das genau das Wesen von surrealen Werken. Aber es ist nicht meins, denn das Verhalten der Protagonistin ist psychologisch nicht fundiert nachvollziehbar und bewegt sich bis kurz vor Schluss in einem unsteten, luftleeren Raum. Nur vage könnte man nach Beenden des Romans erahnen, was mit der Protagonistin los ist.

Stilistisch kann ich weder etwas Positives für noch gegen die Schreibe der Autorin sagen. Was vielleicht das langweiligste Urteil überhaupt sein kann. Ja, Bayard kann grammatikalisch richtige Sätze formulieren. Aber diese reißen nie vom Hocker, bieten nie etwas Besonderes, über das man sich literarisch freuen könnte.

Eine Stelle habe ich mir auf Seite 54 markiert, die so ziemlich mein Lektüreerlebnis festhält:

„Christians Erzählung, so schlimm sie auch gewesen sein mochte, hatte sie nicht berührt, nur zutiefst gelangweilt. Sie erkannte, dass sie ihm aus reiner Höflichkeit zugehört und dass die Schilderung seiner harten Prüfungen in ihr nichts als Gleichgültigkeit geweckt hatte.“

So erging es mir mit diesem Roman leider auch. Ich habe aus reiner Höflichkeit und Verpflichtung, da es sich um ein Leseexemplar handelt, weitergelesen. Mich konnte der Roman weder abholen noch irgendwohin mitnehmen. Erst recht nicht nach Steglitz. Ich habe durch den Stil keinerlei Interesse an den Figuren, ihrer Geschichte noch ihren psychischen Zuständen (und das will etwas heißen!) entwickeln können.

Damit ist dieser Roman, dem ich leider so gar nichts abgewinnen konnte, bisher mein persönlicher Flop des Jahres, was nicht für alle Leser:innen gelten muss. Wer sich also heranwagt, hat meinen vollen Respekt und soll dies gern tun. Ich werde zukünftig hingegen einen großen Bogen um die Autorin machen und biege dafür vor der Markelstraße an der Lepiusstraße ab, gehe auf die Schildhornstraße, meide aber den Sportplatz Schildhornstraße indem ich auf die Gritznerstraße abbiege und über die Buggestraße zum Breitenbachplatz gelange. Dort setze ich mich in die U-Bahn bis zur Endhaltestelle Krumme Lanke und verlasse erleichtert Berlin über Zehlendorf ins Umland.

1,5/5 Sterne

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