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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.10.2023

Hervorragend

Lichtspiel
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Daniel Kehlmanns Bücher beschäftigen sich fast immer mit Personen der Geschichte. In diesem Buch hat er sich den heute fast vergessenen Regisseur G.W. Pabst ausgesucht und ihn zur Hauptfigur seines Buches ...

Daniel Kehlmanns Bücher beschäftigen sich fast immer mit Personen der Geschichte. In diesem Buch hat er sich den heute fast vergessenen Regisseur G.W. Pabst ausgesucht und ihn zur Hauptfigur seines Buches gemacht.
Pabst drehte zuerst Stummfilme, entdeckte Greta Garbo und später auch Tonfilme. Da er als "links" galt, floh er vor den Nazis nach Hollywood, wo er keinen Erfolg hatte. Frustriert kehrte er mit seiner Familie in seine Heimat Österreich zurück und versuchte des Spagat zwischen Anpassung und Widerstand gegen die Nazis. Er konnte ohne das Filmen nicht leben und musste immer wieder Kompromisse eingehen.
Kehlmann zeigt diesen Konflikt großartig auf. In mal feinfühligen, mal bizarren Szenen schildert er die innere Zerrissenheit des Regisseurs und die daraus folgenden Krankheiten. Seine Familie zerbricht fast an der Situation und sein Sohn sucht eine neue Vaterfigur bei den verhassten Nazis. Manchmal blitzt aber auch so etwas wie Schalkhaftigkeit auf, Kehlmann schafft da wunderbare Grenzgänge.
Ich bin von diesem Buch begeistert, es vereint alles, was ein gutes Buch braucht.

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Veröffentlicht am 01.10.2023

Hervorragend

Übertretung
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1975 in Belfast. Cushla Lavery ist Lehrerin an einer katholischen Schule, lebt aber auf der Grenzlinie zwischen den verfeindeten Religionen. Ihre Mutter trinkt und versinkt in Selbstmitleid, ihr Bruder ...

1975 in Belfast. Cushla Lavery ist Lehrerin an einer katholischen Schule, lebt aber auf der Grenzlinie zwischen den verfeindeten Religionen. Ihre Mutter trinkt und versinkt in Selbstmitleid, ihr Bruder betreibt einen Pub, in dem auch englische Soldaten verkehren. Cushla hilft, wo sie nur kann, sorgt für ihre Mutter, kellnert im Pub und sorgt sich auch noch um die Sicherheit ihrer Schüler. Als sie im Pub dem protestantischen Anwalt Michael begegnet und sich in den verheirateten Mann verliebt, nehmen schreckliche Ereignisse ihren Lauf.

Das Buch ist sehr vielschichtig. Nicht nur die Liebesgeschichte zwischen Cushla und Michael spielt eine wichtige Rolle, sondern auch der Schrecken des Bürgerkriegs, die ständige Angst vor Anschlägen, die Schikanen durch die englischen Soldaten, die prekäre Situation der Familien mit der hohen Arbeitslosigkeit, die Aussichtslosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Jugendlichen. Dadurch ist das Buch sehr realistisch und sehr politisch. Manchmal musste ich das Buch aus der Hand legen und konnte nicht weiterlesen, weil mir die geschilderten Ereignisse so unter die Haut gingen.

Es ist hilfreich, wenn man sich zumindest in groben Zügen mit der Geschichte Irlands und den "Troubles" von 1973 bis 1998 auskennt. Ich hatte vorher schon den Film "Belfast" gesehen, was mir persönlich beim Verständnis des Buches sehr geholfen hat.

Louise Kennedy schreibt zwar nüchtern, aber gerade dadurch wird das Buch sehr eindringlich und wirkt lange nach. Ich bin eigentlich bei solchen hochgelobten Büchern sehr misstrauisch, aber dieses Buch hat jedes Lob verdient. Unbedingt lesenswert! Für mich war es eines der besten Bücher des Jahres 2023.

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Veröffentlicht am 22.09.2023

Berührend

Kein guter Mann
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Walter ist ein alter weißer Mann und entspricht mit seiner Granteligkeit jedem Klischee. Als Postbote hat er mit vielen Menschen zu tun und manchmal flippt er aus, z.B. als er sich mit dem ebenso granteligen ...

Walter ist ein alter weißer Mann und entspricht mit seiner Granteligkeit jedem Klischee. Als Postbote hat er mit vielen Menschen zu tun und manchmal flippt er aus, z.B. als er sich mit dem ebenso granteligen Herrn Leyendecker anlegt. Daraufhin wird er zur Strafe in die Christkindfiliale der Post in Engelskirchen versetzt. Er soll Kinderbriefe beantworten und lernt dabei den kleinen Ben kennen, der in echten Problemen steckt. Nach und nach stellt sich heraus, dass Ben sehr einsam ist und seine Mutter an schweren Depressionen leidet. Walter will helfen, aber das gelingt nicht wirklich. Denn auch Walter schleppt eine schwere Bürde mit sich, seit mit seiner Familie alles schief ging.

Das Buch hat mich total überrascht. Ich hatte eine etwas kitschige Weihnachtsschmonzette erwartet, aber ich bekam ein berührendes und tiefgründiges Buch über Aufstieg und Fall, Erfolg und Scheitern, das mich nicht losgelassen hat. Ich konnte es nicht aus der Hand legen und habe es fast in einem Rutsch durchgelesen. Dazu trug der sehr flüssige Schreibstil von Andreas Izquierdo bei, aber auch die abwechslungsreiche Handlung mit den eingestreuten Mails und Briefen. Immer wieder gab es neue Wendungen und Walter wurde nach und nach zu einem Menschen, dem man sich sehr nahe fühlen konnte und dem man viel Glück gewünscht hätte. Er war doch "ein guter Mann", wie sein Schwiegervater anfangs schon bemerkte, aber das Leben war ihm nicht wohlgesonnen.

Eine berührende weihnachtliche Geschichte ohne Kitsch und sehr nah am richtigen Leben!

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Veröffentlicht am 24.08.2023

Bewegend

Sekunden der Gnade
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Wie weit geht man, wenn einem alles genommen wird? Die Frage stellt sich für Mary Pat Fennessy, die nach ihren Mann und ihrem Sohn nun auch ihre geliebte Tochter Jules verloren hat. Sie ist eines nachts ...

Wie weit geht man, wenn einem alles genommen wird? Die Frage stellt sich für Mary Pat Fennessy, die nach ihren Mann und ihrem Sohn nun auch ihre geliebte Tochter Jules verloren hat. Sie ist eines nachts einfach verschwunden und niemand kann sagen, wo sie ist. In ihrer Verzweiflung geht Mary Pat über alle Grenzen und legt sich mit dem mächtigen Bandenboss des Stadtviertels von Boston an.
Das alles erzählt Lehane vor dem Hintergrund des "Bussing" im Jahr 1974. Dabei sollten schwarze und weiße Schulkinder in Schulen der jeweils anderen Hautfarbe transportiert werden, um eine bessere Mischung zu erreichen und im besten Fall das Verständnis füreinander zu fördern. Die Proteste waren ungeheuer, im ganzen Land kam es zu Demos und Gewalt.
Das Buch ist außerordentlich gut geschrieben und sehr bewegend. Es zeigt, was Rassismus damals anrichtete und was er auch heute anrichtet. Ich konnte nicht aufhören zu lesen und war von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Das Problem ist heute so aktuell wie vor fünfzig Jahren und ich lege es allen Leserinnen und Lesern sehr ans Herz.

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Veröffentlicht am 27.07.2023

Großartig

Die letzte Nacht
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Fünfzehn Jahre nach ihrer Vergewaltigung wird Sara Linton wieder heftig an das Geschehen damals erinnert, als eine junge Frau ins Hospital eingeliefert wird, die ebenfalls vergewaltigt wurde. Alles weist ...

Fünfzehn Jahre nach ihrer Vergewaltigung wird Sara Linton wieder heftig an das Geschehen damals erinnert, als eine junge Frau ins Hospital eingeliefert wird, die ebenfalls vergewaltigt wurde. Alles weist darauf hin, dass sie nicht das einzige Opfer des Vergewaltigers war und Sara sucht nach Spuren. Sie steht kurz vor ihrer Hochzeit mit Will Trent und Will und seine Partnerin Faith ermitteln heimlich in den Kreisen, in denen auch Sara früher verkehrte. Alle ehemaligen Studenten und Assistenzärzte sind erfolgreiche Ärzte geworden, aber schon bald ergeben sich Spuren zu einem "Vergewaltigerclub". Sara hat schwer zu kämpfen, um mit all dem fertig zu werden.
Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite sehr spannend und hat mich nicht losgelassen. Ich mag die Bücher von Karen Slaughter schon lange, aber dieses Buch ist eines ihrer besten. Es geht unter die Haut und ist sicher keine leichte Feierabendlektüre.
Gut geschrieben, sehr fesselnd und keine Minute langweilig - besser geht es nicht!

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