Profilbild von Jumari

Jumari

Lesejury Profi
offline

Jumari ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Jumari über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.01.2024

Eine ungeheuer bewegende Geschichte

Das Philosophenschiff
0

Anouk Perlemann-Jakob, 100 Jahre alt, berühmte Architektin und man würde umgangssprachlich sagen "mit allen Wassern gewaschen", möchte ihre Geschichte endlich auf Papier sehen. Für eine Biographie erscheint ...

Anouk Perlemann-Jakob, 100 Jahre alt, berühmte Architektin und man würde umgangssprachlich sagen "mit allen Wassern gewaschen", möchte ihre Geschichte endlich auf Papier sehen. Für eine Biographie erscheint sie ihr Geschichte jedoch zu unglaubwürdig und so bittet sie einen Schriftsteller, aus ihren Erzählungen einen Roman zu machen. Schwankend zwischen Ehrgeiz und Ehrfurcht hört er ihr fasziniert zu. Ja, er wird den Roman schreiben, aber was ihm bevorsteht, das ahnt er nicht.
Jetzt, im Jahr zwei nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, ist es ein sehr bedrückendes Gefühl, an das alte St. Petersburg, die bolschewistische Diktatur, die Unterdrückung und Verjagung der "Intelligenzija" zurückzudenken. Was wird aus dem geliebten Russland werden?
Aunouk hat als Kind und Jugendliche so viel Unrecht und Hass erfahren, mit 100 Jahren erscheint sie abgeklärt und weise. Aber sie ist auch verletzlich, eine einzige Frage, die eine wunde Stelle trifft, bringt sie zuweilen aus dem Gleichgewicht. Spricht man von Schicksal, wenn man so eine Lebensgeschichte hört und aufschreiben soll? Schwer zu sagen, Anouk hat ihren schicksalhaften Weg fast vollendet. Ich erzähle hier keine Einzelheiten, jeder Leser sollte sich selbst in diese Geschichte verlieben, ich jedenfalls habe es getan.
Nach "Zwei Herren am Strand" ist auch dieser Roman von Michael Köhlmeier ein tiefgründiges und philosophisches Werk, das unbedingt noch einmal gelesen werden will! Ein wunderbares Buch!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.12.2023

Fünf Stunden, die unter die Haut gehen

Das späte Leben
0

Bernhard Schlink sucht sich nie leichte, oberflächliche Themen für seine Bücher. Ob der Vorleser oder Olga, ob die frühen Selb-Romane, alles geht in die Tiefe, unter die Oberfläche der Protagonisten und ...

Bernhard Schlink sucht sich nie leichte, oberflächliche Themen für seine Bücher. Ob der Vorleser oder Olga, ob die frühen Selb-Romane, alles geht in die Tiefe, unter die Oberfläche der Protagonisten und unter die Oberfläche der Leser.
Dieser Roman geht beinahe noch tiefer, es macht betroffen, mit Martin, dem wichtigsten Protagonisten dieses Buches, einen sehr endlichen Weg zu gehen.
Martin, Mitte 70, später Vater des sechsjährigen David, Ehemann von Ulla, die wohl 30 Jahre jünger ist als er, erhält die tödliche Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Keine Aussicht auf Heilung oder Lebensverlängerung, ob er die Einschulung des Sohnes erleben wird, steht in den Sternen. Der Schock sitzt tief, bei allen dreien, auch der Junge beginnt zu begreifen, dass er nur noch einen Vater auf Zeit hat. Ulla möchte alles richtig machen, Martin auch, wie hinterlässt man etwas für sein Kind, ohne zu verletzen, zu kränken, sich selbst zu überhöhen.
Noch bringt Martin David in den Kindergarten, holt ihn ab, spielt mit ihm, noch empfindet er Begehren für seine Frau, hat Freude an gemeinsamen letzten Unternehmungen. Aber die Zeiger der Lebensuhr drehen sich schnell, schneller als gedacht. Und es ist nicht alles, wie es scheint, in ihrer Ehe.
Martin hat bis zum Schluss Prüfungen zu überstehen, die fast zu viel sind für ihn, aber immer bleibt er am Ende doch ruhig und verantwortungsvoll. Mit dieser Ehefrau Ulla, die manchmal sehr hart scheint, ist das nicht so einfach. Für David ist er schlimm-müde-krank. Sehr traurig. Die Betrachtung von Sterben und Tod mag für viele Leser oder Hörer sehr unangenehm, vielleicht zu eindringlich wirken, Ulrich Nöthen macht es dem Hörer etwas leichter mit seiner einfühlsamen Sprechweise. Dafür war ich am Ende am meisten dankbar.
Fazit: Tapferes Lebensende eines Todkranken, der nicht jammert, aber der es sehr bedauert, sein Kind nicht aufwachsen sehen zu können. Empfehlenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.12.2023

Kurz und gut verständlich

Laborwerte verstehen. Kompakt-Ratgeber
0

Maria Lohmann hat es auf kurze und gut verständliche Art geschafft, dass ich meinen Labortest nun auch ohne Arzt deuten kann. Das kleine Buch, das erstaunlicherweise so gestaltet ist, dass es auch für ...

Maria Lohmann hat es auf kurze und gut verständliche Art geschafft, dass ich meinen Labortest nun auch ohne Arzt deuten kann. Das kleine Buch, das erstaunlicherweise so gestaltet ist, dass es auch für ältere Brillenträger gut lesbar ist, hat mir sehr geholfen und gut gefallen.

Zu allen Werten erhält man eine kurze Erläuterung, erfährt die Referenzwerte und weiß dann auch, was sich wie auf die Körperfunktionen auswirkt. Mehr braucht man als Laie nicht, wenn es kompliziert wird, sollte man seinen Arzt fragen.

Die Kapiteleinteilung empfinde ich als sehr übersichtlich, man muss also nicht das ganze Buch lesen, wenn man z. B. nur mal schnell etwas über die Leberwerte sucht.

Fazit: ein guter kleiner Ratgeber für den Alltag von Patienten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 16.11.2023

Entdeckung einer Großstadt

Idyllisches Berlin
0

45 verwunschene Orte in Berlin, die so gar nicht zum Großstadtgewimmel zu passen scheinen, hat der Autor besucht, fotografiert und in gut lesbaren, kurzen Texten beschrieben. Auch ein paar Extras sind ...

45 verwunschene Orte in Berlin, die so gar nicht zum Großstadtgewimmel zu passen scheinen, hat der Autor besucht, fotografiert und in gut lesbaren, kurzen Texten beschrieben. Auch ein paar Extras sind noch eingefügt, bei einem musste ich schon bei der Überschrift im Inhaltsverzeichnis schmunzeln „Rieselfelder“! Ich habe als Kind in Pankow gewohnt, da roch man sie, wenn der Wind ungünstig stand, bin die Stadt hinein. Und Le Petit Village, das Französisch Buchholz, das kenne ich aus Kindertagen als ein Dörfchen mit Kirche und Endhaltestelle der Straßenbahn 49 (heute fährt dort die 50), riesige Kleingartenanlagen, wo mein Onkel Gustav (nicht verwandt mit dem Kneipenwirt!) eine kleine Laube hatte. Davon ist heute nichts mehr übrig, es wurde ein riesiges Neubaugebiet darauf errichtet. Aber die Kirche ist noch da, wie man sie im Buch sieht.
Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, egal ob Berliner oder Tourist, jeder wird interessante Stellen finden, die er noch nicht kennt. Bei meinem nächsten Berlinurlaub werde ich mindestens drei der Empfehlungen von Gary Schunack ansteuern: den Südstern mit dem polnischen Spezialitätenrestaurant, den Friedhof In den Kisseln, wo ein 1945 gefallener Verwandter von mir ruht, und auf jeden Fall die Gartenstadt Staaken. Denn selbst 45 Jahre Leben in Berlin haben mich dort nie hingeführt.
Ein liebevoll gestaltetes Buch mit vielen Ideen und passenden stimmungsvollen Fotos. „Berlin ist ein Dorf“ war schon früher ein geflügelter Ausdruck, Schunack bestätigt das auf unterhaltsame Weise.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 29.10.2023

Heilige, Galgen und Ruinen wollen erforscht werden

Lost & Dark Places Odenwald
0

Das Buch „Odenwald“ ist bereits das dritte Buch der Reihe „Lost & Dark Places“, das die geschichtsbegeisterte Fotografin in diesem Jahr vorlegt. Nach „Sachsen“ ist ihr damit ein weiterer großer Wurf gelungen. ...

Das Buch „Odenwald“ ist bereits das dritte Buch der Reihe „Lost & Dark Places“, das die geschichtsbegeisterte Fotografin in diesem Jahr vorlegt. Nach „Sachsen“ ist ihr damit ein weiterer großer Wurf gelungen. Aus verschiedenen Gründen lese ich diese Bücher eher mit geschichtlichem Interesse, als dass ich sie auf meinen Reisen nutze. Es ist in jedem Fall eine absolute Bereicherung des Geschichts- und Regionalwissens, wenn man dann noch das Glück hat, den einen oder anderen Ort zu besuchen, umso besser.
Es sind 33 geheimnisvolle Orte, die beschrieben und mit sehr stimmigen Bildern illustriert werden. Ich greife hier nur ganz wenige Geschichten heraus, die es mir besonders angetan haben: Das Grab des Wunderrabbis in Michelstadt und im gleichen Ort die Einhardsbasilika aus der Karolingerzeit. Erwähnenswert der Zusatztipp: Abstecher zur Synagoge im gleichen Ort. Dann fand ich besonders verlockend die Burg Breuberg, die Ruine Schauenburg oder die Pfeilerbasilika in Amorbach. Egal, alle 33 Ziele sind so hingebungsvoll beschrieben, so detailliert recherchiert und fantastisch bebildert, ich bin einfach begeistert. Übrigens, der einzige Ort, den ich schon besucht habe, ist Heidelberg. Dass dort eine Thingstätte ist, wusste ich nicht.
Die für mich schönste Geschichte jedoch ist die der Walburga. Sie scheint mir so spannend und historisch wertvoll, da könnte ich mir vorstellen, es gäbe ein ganzes Buch über sie. Ich war kürzlich in Antwerpen, wo ein von Peter Paul Rubens geschaffener Hochaltar für die Walburgakirche existierte, die Kirche wurde abgerissen, der Altar zersägt, aber es soll Reste in der Liebfrauenkathedrale geben. Die habe ich leider beim Besuch nicht gesehen oder bemerkt. Im Nachhinein finde ich das trotzdem spannend.
Das Einzige, was mir am Buch im Gegensatz zum Band „Sachsen“ nicht so gefällt, ist die typografische Idee, die Seiten mit einem „antiken Grauschleier zu versehen“. Schade, so sehen die Seiten nicht schöner aus und ich dachte immer wieder, ich hätte einen Fehldruck vor mir. Aus meiner Lehrzeit weiß ich, dass manchmal die Transportwalzen für die gedruckten Bögen schmutzig waren, das sah dann auch so aus.
Cornelia Lohs hat einen gut lesbaren Erzählstil, ein fundiertes Wissen und offensichtlich viel Freude an den Orten, die sie sich erwählt. Auch die Zusatztipps sind oft echte Schmankerl für Geschichtsfans!
Fazit: Wer gerade nicht reist, nimmt Geschichtsunterricht! Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil