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Corsicana

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Veröffentlicht am 20.11.2017

Das Leben ist nicht perfekt - aber lebenswert

Das Glück an Regentagen
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Auch Regentage kann man nutzen - dies hat die junge Virginia sehr früh erkannt und eine Liste von Dingen aufgeschrieben, die man an Regentagen machen kann. Und diese Liste zieht sich durch die Kapitel ...

Auch Regentage kann man nutzen - dies hat die junge Virginia sehr früh erkannt und eine Liste von Dingen aufgeschrieben, die man an Regentagen machen kann. Und diese Liste zieht sich durch die Kapitel des Buches. Und spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte. Die Liste hängt im kleinen Hotel von Virginias Familie am St. Lorenz Strom, im Bereich der "Thousand Islands", an der Grenze zwischen den USA und Kanada.

Viriginia wird früh sterben. Und ihre Tochter Mae in der Obhut der Großeltern zurücklassen, die das kleine Familienhotel in Alexandria Bay führen. Später werden die Großeltern auch Gabe aufnehmen, der nicht mehr bei seinem alkoholkranken Vater bleiben kann. Und später werden sich Mae und Gabe ineinander verlieben. Aber dann geht Gabe - und Mae wird leiden - und später ein neues Leben in New York beginnen. Bis sie wieder verlassen wird. Und wieder nach Hause kommt. Und dort wieder auf Gabe trifft.

Hat ihre Liebe eine neue Chance? Und warum kriselt es plötzlich in der Ehe ihrer Großeltern? Und wie kam es dazu, dass das kleine Hotel in Familienbesitz gekommen ist? Und wie hat Mae ihre Eltern verloren? Und warum ist Gabe damals gegangen?

All diese Geheimnisse werden nach und nach aufgedeckt. Dies wird spannend und warmherzig erzählt. So ein richtig schöner Familienroman. Über eine Familie, in der sicher nicht alles optimal und nach Plan verläuft. Aber in der die Liebe doch immer wieder überwiegt.

Veröffentlicht am 20.11.2017

Beängstigend realistische Zukunftsvision

Leere Herzen
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Deutschland im Jahr 2025:

Es gibt das bedingungslose Grundeinkommen, eine Regierung unter Beteiligung der BBB (Besorgte-Bürger-Bewegung, so eine Art AFD), eine Innenministerin namens Wagenknecht, eine ...

Deutschland im Jahr 2025:

Es gibt das bedingungslose Grundeinkommen, eine Regierung unter Beteiligung der BBB (Besorgte-Bürger-Bewegung, so eine Art AFD), eine Innenministerin namens Wagenknecht, eine Kanzlerin Namens Regula Freyer (Angela Merkel ist schon vor 8 Jahren zurückgetreten - anlässlich erzwungener Neuwahlen!), Europa zerfällt, die UNO auch, Putin und Trump haben sich verbündet und die Deutsche Regierung schafft so langsam die Demokratie ab.

Die Menschen haben sich im Nicht-Politischen Leben eingerichtet und die meisten würden ihr Wahlrecht jederzeit gegen eine Waschmaschine eintauschen.

Britta und ihr Kollege Babak haben sich in diesem Umfeld mit einer Psychotherapie-Heilpraxis eingerichtet, die sich um Suizidgefährdete kümmert. Und die Praxis läuft sehr gut und hat sie reich gemacht. Aber was genau ist das Erfolgsrezept der Praxis? Und wie kommt es, dass Britta sich neuerdings verfolgt fühlt?

Juli Zeh erzählt wie immer spannend und so realistisch, dass man sich alles bildlich vorstellen kann. Leider. Denn diese Zukunftsvision ist alles andere als erfreulich. Aber nur allzu wahrscheinlich.

In erster Linie wirkt das Buch auf mich weniger als Erzählung sondern eher als Warnung. Vielleicht kann man sagen, eine Warnung in literarischer Form. An alle, die die aktuellen Tendenzen in Deutschland nicht wahrnehmen, nichts unternehmen, sich nur beschweren und nur protestieren. Denn dann könnte es wirklich so kommen, wie es im Buch beschrieben wird. Aber eventuell würden es die meisten Menschen gar nicht so schlimm finden?
Diejenigen nämlich "...die seit Jahrzehnten mit ihrer Mißgunst und Kleinkariertheit an den Fundamenten der Demokratie graben. Die das Internet in eine Schlammschleuder verwandelt haben, die nur glücklich sind, wenn sie auf andere herabschauen können. Die sich und ihre kindischen Bedürfnisse über alles stellen. Die lieber simplen Verschwörungstheorien glauben, als sich mit der komplizierten Wahrheit auseinanderzusetzen. Die ständig fordern, dass sich etwas ändern muss, und durchdrehen, wenn jemand Vorschläge macht. Deren Undankbarkeit nur von ihrer Egozentrik übertroffen wird (....) Jener Bodensatz aus schlecht gelaunten Postdemokraten, die erfolgreich dabei sind, die größte zivilisatorische Errungenschaft der Menschheitsgeschichte ihren persönlichen Minderwertigkeitskomplexen zu opfern" (s. 313).

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Außer vielleicht, dass "Leere Herzen" nicht so ausgefeilt ist, wie der bisher größte Erfolg von Juli Zeh "Unterleuten". Dort waren die Charaktere vielfältig und vielschichtig. Bei diesem Buch hier entsteht kaum Nähe zu den Personen, sie sind eben weitgehend "leer".

Veröffentlicht am 17.09.2017

Wenn man in der neuen Heimat nicht ankommen kann

Am Ende bleiben die Zedern
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Samir und seine kleine Schwester Aline werden als Kinder libanesischer Flüchtlinge in Deutschland geboren. Sie wachsen behütet auf - in einer Nachbarschaft mit anderen Flüchtlingen aus dem Libanon. Immer ...

Samir und seine kleine Schwester Aline werden als Kinder libanesischer Flüchtlinge in Deutschland geboren. Sie wachsen behütet auf - in einer Nachbarschaft mit anderen Flüchtlingen aus dem Libanon. Immer dabei ist die etwas ältere Yasmin, die alleine mit ihrem Vater lebt, die Mutter kam wohl in den Wirren des Bürgerkriegs im Libanon ums Leben.


Als Samir 7 Jahre alt ist, verschwindet sein heißgeliebter Vater plötzlich spurlos. Und Samir verliert den Halt im Leben. Schule interessiert ihn wenig, festen Beziehungen geht er aus dem Weg und auch das Verhältnis zur Schwester wird schwierig.


Erst viele Jahre später wird Samir in den Libanon reisen und auf die Suche nach seinem Vater gehen. Wird er endlich Frieden finden?


Dies ist ein sehr "orientalisches" Buch und es erzählt in der Tradition der alten Geschichtenerzähler aus dem Orient eine Geschichte vom Suchen und Finden (ich musste zwischendurch immer an Rafik Schami denken....). Geschickt und spannend wird Samirs Suche im Libanon mit den Märchen verstrickt, die der Vater immer dem Sohn erzählte. Und nebenher wird sehr viel über die Geschichte des Libanons und des Nahen Ostens erzählt. Und es wird deutlich, warum der Flüchtlingsstrom nicht abreißt. Früher die Libanesen, jetzt die Syrer.


Allerdings sind die eingeschobenen geschichtlichen Einblicke etwas zu "Lehrbuchhaft". Und die sehr gefühlvolle und berührende Geschichte manchmal - etwas zu "kitschig" - es gibt einfach zu viele Zufälle.


Und ich persönlich konnte mit dem Protagonisten nicht so viel anfangen. Mich nervte seine Antriebslosigkeit, sein "Nicht-Weiterkommen-Wollen". Während die Frauen in der Geschichte (Yasmin, die Mutter und die Schwester) sich irgendwann mit den Gegebenheiten abfinden und neue Wege finden, bleibt Samir in der Vergangenheit stecken. In einer Liebe zu einem Vater und zu einem Land, die er beide eigentlich nicht kennt.


Ich habe das Buch im Rahmen eines privaten Lesekreises gelesen. Und die Mitleser hatten etwas mehr Verständnis für das Trauma des Protagonisten und für seine daraus folgenden "Nicht-Taten",



Auf jeden Fall ist es ein beeindruckender Debütroman zu einem aktuellen Thema.

Veröffentlicht am 28.08.2017

Wenn die Herkunft ein verlassener Ort ist

Das Glück meines Bruders
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Die beiden Brüder Arno und Botho kehren nach vielen Jahren für einen Urlaub in das kleine flämische Dorf Doel zurück. Dort wohnten die Großeltern und dort haben sie viele Sommer- und Weihnachtsferien ihrer ...

Die beiden Brüder Arno und Botho kehren nach vielen Jahren für einen Urlaub in das kleine flämische Dorf Doel zurück. Dort wohnten die Großeltern und dort haben sie viele Sommer- und Weihnachtsferien ihrer Kindheit verbracht.
Inzwischen ist Doel ein fast verlassener Ort. Denn der nahe gelegene Hafen von Antwerpen soll vergrößert werden und das Dorf wird dafür aufgegeben.


Wirkt am Anfang der Geschichte noch vieles wie eine Rückkehr ins Paradies der Kindheit, so wird im Laufe der Geschichte doch immer klarer, dass die Kindheit nicht so schön und problemlos war, wie es auf den ersten Blick scheint. Das Dorf ist nicht so malerisch wie gedacht - das Atomkraftwerk ist gleich nebenan. Und in der Kindheit gab es Lieblosigkeit, zu viel Alkohol und Gewalt..


Als die Erinnerungen vehement werden, kehren die Brüder daher eher plötzlich wieder in den Alltag zurück, den sie sich seit der Kindheit aufgebaut haben. Und es wird sichtbar, wie unterschiedlich die Beiden versucht haben, den Dämonen der Kindheit zu entgehen. Arno wirkt ein wenig kindlich-zurückgeblieben, hält es auf keiner Arbeitsstelle länger aus und war lange Alkoholabhängig. Jetzt scheint er jedoch auf einem guten Weg, er hat einen neuen Job und vor allem eine neue Freundin. Sie wirkt wie sein Fels in der Brandung, sein Anker. Und mit ihr will er eine Familie gründen.


Doch kurz vor der Heirat bekommt die Freundin Bedenken. Und flüchtet sich zu Botho. Dieser hat einen ganz anderen Weg gewählt als Arno. Er ist früh aus der provinziellen Enge geflohen, hat Zivildienst gemacht, das Abitur nachgeholt und studiert und arbeitet jetzt - wie die Freundin seines Bruders - als Lehrer. So ganz angekommen in seinem Leben als "Akademiker" ist er jedoch nicht. Sowohl seine Eltern als auch Arno machen ihn immer wieder auf seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen aufmerksam. Und Botho fühlt sich wie im falschen Leben. Er hat auch kaum Freunde und keine richtigen Liebesbeziehungen. Nur seine Jugendfreundin Lenie, die aus Doel stammte, ist immer noch in seinem Kopf. Aber genau wie Doel ist Lenie Vergangenheit und nicht mehr so, wie es/sie einmal war.


Auf Anraten der Freundin seines Bruders setzt sich Botho nun mit seiner Jugend auseinander. Wie wird und kann es weitergehen mit Arno, Botho und der Freundin von Arno?


Dieses Buch besteht aus sehr unterschiedlichen Teilen, die m.E. nicht immer harmonieren. Im ersten Teil fällt vor allem der Schreibstil auf. Die Sätze sind sehr lang, eine Aneinanderreihung von Nebensätzen, dies steigert das Tempo der Erzählung, alles wirkt irgendwie atemlos - wie Kinder eben auch alles "schnell" erleben. In der Gegenwart ist die Schreibweise anders, ruhiger, eher philosophisch und es gibt eine Reihe von schönen und skurrilen Begebenheiten: Eine alte Frau, die stirbt und alle kommen sitzen zusammen in ihrem Wohnzimmer. Ein alter Mann, der immer noch einen Laden führt im fast verlassenen Dorf - aber kaum noch rechnen kann. Eine Familie, die immer noch in das Dorf zum Urlaub kommt, obwohl die Gegend alles andere als landschaftlich schön ist - und das Atomkraftwerk gut sichtbar neben dem Dorf aufragt. Dieser Teil war berührend und schön - wenn auch die Problematik der Kindheit immer deutlicher wurde. Als dann eine tragische Wahrheit ans Licht kommt, fahren die Brüder nach Deutschland zurück.


Und es beginnt ein Teil, in dem die Brüder versuchen, sich im Leben zurecht zu finden. Was sie schon lange versuchen. Meist so, dass Botho sich um Arno kümmert. Aber ist Botho wirklich fähig, sich um einen anderen Menschen zu kümmern? Fehlt ihm nicht das Fundament im Leben?
In diesem Teil wird die Problematik einer Einsamkeit aufgrund der Herkunft thematisiert. Es gab wohl wenig Liebe in der Familie. Und wenig Bildung. Und Botho hat sich durch Abitur und Studium von der Familie entfernt - was Arno und die Eltern ihm vorwerfen. Arno vergräbt sich lieber in einer Art Paranoia und fühlt sich ständig übervorteilt. Beiden fehlt ein gesundes Fundament an Selbstbewusstsein, um wirklich im Leben bestehen zu können.


Im letzten Teil wird das Geschehen m.E. eher absurd, Assoziationen zu Nihilismus und Existentialismus kamen bei mir auf. Hier fiel es mir als Leser eher schwer, die Protagonisten zu verstehen oder ihr Handeln nachzuvollziehen.
Aber vielleicht ist es verständlich, wenn man bedenkt, wie einsam und labil ein Mensch auf Grund mangelnder Fundamente wird.


Ein sehr anspruchsvolles Buch mit einer sehr interessanten Sprache. Das man vielleicht mehrmals lesen sollte, um es zu Verstehen.

Veröffentlicht am 15.06.2017

Realistische und schöne Geschichte einer Freundschaft

Als wir unbesiegbar waren
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1995 liegen vier Freunde im Gras auf dem Campus eines Colleges in Bristol und philosophieren über ihre Zukunft, Die natürlich glänzend und erfolgreich sein wird. 2015 werden die vier Freunde immer noch ...

1995 liegen vier Freunde im Gras auf dem Campus eines Colleges in Bristol und philosophieren über ihre Zukunft, Die natürlich glänzend und erfolgreich sein wird. 2015 werden die vier Freunde immer noch befreundet sein - aber inzwischen wird eine Menge passiert sein.


Es wird beruflichen Erfolg und beruflichen Misserfolg gegeben haben, scheiternde Beziehungen, zuviel Alkohol und zu viel Drogen, geplante Kinder und ungeplante Kinder, Das "normale" Leben eben. Aber das werden die vier Freunde noch lernen müssen, Einfach weiterzumachen im Leben, neue Wege zu denken und neue Wege zu gehen. Und das Glück beim Gehen zu finden.


Wahrscheinlich macht jeder Mensch diese Erfahrungen im Laufe seines Lebens. Und genau deshalb ist das Buch so interessant und aufschlussreich. In irgendeiner Person wird sich jeder Leser in irgendeinem Aspekt wiederfinden. Und vielleicht beginnen, darüber nachzudenken, wie das bei ihm selbst so abgelaufen ist.


Der Schreibstil des Buches ist sehr gut, es werden viele Entwicklungen zwischen 1995 und 2015 gut erläutert (Finanzkrise, Kokain aus Partydroge usw.) und die Charaktere im Buch sind gut herausgearbeitet und vielschichtig, bei allem Klischee. Denn wer erinnert sich nicht an die schillernden Künstlerfiguren, die in der Schule eher mittelmäßig waren - aber sooo anders und sooo interessant - vor ihnen lag doch sicher ein tolles Leben - oder?


Die Auflösung gibt es im Buch.