Wenn die Hoffnung stirbt und alle schweigen
Nach 34 Tagen des Bangens und des Hoffens ist es traurige Gewissheit: der 11jährige Lennard Grabbe kommt nie wieder nach Hause. Er wurde tot aufgefunden und von seinem Mörder fehlt jede Spur. Ein Albtraum ...
Nach 34 Tagen des Bangens und des Hoffens ist es traurige Gewissheit: der 11jährige Lennard Grabbe kommt nie wieder nach Hause. Er wurde tot aufgefunden und von seinem Mörder fehlt jede Spur. Ein Albtraum für alle Eltern – hier aber besonders für seine Mutter Tanja, die ihr ganzes Leben nach ihrem Sohn ausgerichtet hat und der nun der Lebensinhalt entzogen wurde. Ihr ganzes Glück verschwand durch den Mord an Lennard und dieses Verbrechen zieht weite Kreise.
Wut, Verzweiflung, Bitterkeit, Selbstvorwürfe, Entfremdung der Eheleute, Geheimnisse und Hoffnungslosigkeit werden durch die eindringliche Erzählung von Friedrich Ani sofort greifbar und dringen bis zum Leser durch. Mitten in diesem Strudel an Gefühlen befindet sich Jakob Franck, der die Todesnachricht überbringt. Freiwillig hat er sich dafür gemeldet, obwohl er bereits in Pension ist – er hat sich dies zu seiner Aufgabe gemacht. Seine Aufklärungsrate während seiner Dienstzeit war sehr hoch und er kann sich nicht damit abfinden, einen Fall ungelöst zu den Akten zu legen. So unterstützt er seine „Kollegen“ und rollt sämtliche Befragungen zum Verschwinden von Lennard neu auf. Er verbeißt sich geradezu in den Fall und gibt nicht auf. Leider holt ihn seine eigene Vergangenheit ein und macht ihm die Ermittlung nicht leichter. Jakob Franck ist sympathisch und ein prima Zuhörer, doch er zieht sich bisweilen in sich zurück und wirkt dann verschlossen. Währenddessen versinken Lennards Eltern und sein Onkel in Trauer und Sprachlosigkeit. Tanja Grabbe sperrt ihre komplette Umwelt aus, zieht sich in Lennards Zimmer zurück und nicht einmal ihr geliebter Bruder Max kommt an sie ran.
Der eindringliche Schreibstil des Autors gab mir das Gefühl, mitten unter den Familienangehörigen zu sein und mitzuleiden. Zudem konnte ich mich gut in die Gedankengänge und die Hartnäckigkeit von Jakob Franck hineinversetzen. Es grenzt schon an Besessenheit, wie er die Suche nach dem Mörder vorantreibt und dabei sehr unbequem und sogar lästig wird – für seine Kollegen und die Angehörigen.
Ich habe mich etwas gewundert, dass ein Ex-Kommissar sich so intensiv in die Ermittlungen einmischen darf. Ob das rechtens ist? Im Laufe des Lesens wurde mir das zunehmend unwichtig, denn es kam immer mehr Spannung auf und schließlich haben sich die Ereignisse überschlagen, so dass gar keine Zeit mehr blieb, einen Gedanken daran zu verschwenden. Der Autor versteht es hervorragend, die Gefühle, Gedanken und Handlungen der Protagonisten zu beschreiben, so dass der Leser geradezu in die Geschichte hineingezogen wird. Er lässt einzelne Charaktere zu Wort kommen, indem er ihre Gedanken einfühlend und glaubhaft beschreibt. Die Reaktionen von Tanja Grabbe sind heftig und erzeugen eine bedrückende und düstere Stimmung, was nicht für jeden stimmen mag. Doch wer weiß schon, wie er sich verhalten würde, wenn einem das eigene Kind mit Gewalt genommen wird. Durch die Rückblicke in die Vergangenheit (13 Jahre vor dem Mord) wird die besondere Verbindung zwischen den Geschwistern Tanja und Max beleuchtet und umso trauriger stimmt das Zerbrechen dieser nach dem Tod von Lennard.
Ohne viel Action, Blut und großen Nervenkitzel zeichnet Friedrich Ani ein melancholisches, oft düsteres, aber auch einfühlsames Bild von einer Lawine an Gefühlen, die durch den Tod des Jungen ausgelöst wird. Das Ende des Falles überrascht und ist in sich schlüssig. Friedrich Ani ist es gelungen, die Dynamik, die der Verlust eines geliebten Menschen mit sich bringt, sehr anschaulich und auch spannend zu beschreiben. So ist das Buch nicht nur ein einfacher Krimi, sondern richtet den Blick auf das Umfeld und nur am Rande auf den Täter. Der Schwerpunkt hat sich somit verschoben und das mag für den einen oder anderen Leser enttäuschend sein, wenn er einen herkömmlichen Krimi erwartet hat. Mich hat das Buch begeistert und von Anfang an mitgenommen in eine Familie, die den Tod von Lennard als „Ermordung des Glücks“ empfindet und daran zu zerbrechen droht.