Die Verletzungen des Lebens
Der Alltag von Leni ist eintönig und wenig aufregend. Als kinderlose Ehefrau des gefragten Architekten Ivan Müller kümmert sie sich vorwiegend um den Haushalt und das Wohlbefinden ihres Gatten. Die Wohnung ...
Der Alltag von Leni ist eintönig und wenig aufregend. Als kinderlose Ehefrau des gefragten Architekten Ivan Müller kümmert sie sich vorwiegend um den Haushalt und das Wohlbefinden ihres Gatten. Die Wohnung im Berliner Stadtteil Steglitz verlässt sie nur, um Einkäufe und andere Erledigungen zu machen. Dann allerdings kann es zu Streifzügen durch das Viertel kommen. Eine Entwicklung zwingt sie dazu, ihr Leben anders zu führen…
„Steglitz“ ist ein Roman von Inès Bayard.
Meine Meinung:
Der Roman gliedert sich in 14 Kapitel. Die Handlung umfasst einen Zeitraum von mehr als einem Jahr und spielt in Berlin, wie der Titel bereits verrät.
Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge mit diversen Rückblenden, vorwiegend aus der Perspektive Lenis, wobei dieses Vorgehen an wenigen Stellen durchbrochen wird. Der Schreibstil ist sehr atmosphärisch, dialoglastig und zum Teil bildstark. In sprachlicher Hinsicht bleibt die Erzählerin bisweilen bewusst uneindeutig und vage, was dem Text viel Interpretationsspielraum verleiht und ein aufmerksames Lesen erfordert. Was ist real? Was ist der Fantasie oder der verzerrten Wahrnehmung der Protagonistin zuzurechnen? Dieses Verwirrspiel beherrscht die Autorin sehr gut. Nur wenige sehr detaillierte und damit langatmige Ortsbeschreibungen haben mich gestört.
Die Protagonistin bleibt sehr lange undurchsichtig, ihr Verhalten befremdlich und nicht nachvollziehbar. Allerdings manifestiert sich zunehmend der Eindruck, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Auch die übrigen Figuren wirken ein wenig seltsam, zum Teil zwielichtig oder widersprüchlich. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass die Leserschaft diese Charaktere nur durch die Brille Lenis betrachten kann.
Inhaltlich spielen vor allem psychische Probleme und Traumata eine wesentliche Rolle. Konkret geht es dabei um die Fragen, was passiert, wenn diese nicht richtig aufgearbeitet werden (können), und wie unterschiedliche Menschen damit umgehen.
Auf den knapp 190 Seiten ist die Geschichte recht handlungsarm und bedient sich wiederkehrender Elemente. Dennoch entwickelt der Roman einen Sog und hält die Spannung hoch, indem sich erst im letzten Drittel die Hintergründe von Lenis Trauma offenbaren. Letzteres führt allerdings dazu, dass mich die Geschichte erst gegen Ende wirklich berühren konnte. Nicht alle offenen Punkte werden eindeutig geklärt, was ich jedoch nicht als negativ empfunden habe.
Der deutsche Titel ist wortwörtlich vom französischen Original übernommen. Das Cover mit dem verzerrten Spiegelbild passt aus meiner Sicht hervorragend zum Inhalt.
Mein Fazit:
Obwohl mich die Autorin nicht in allen Aspekten überzeugt und die Lektüre einiges abverlangt, ist „Steglitz“ alles in allem ein durchaus lesenswerter Roman.