Mitreißende Lebensgeschichte
Wo die Asche blüht „Chị hai, wir sind nur Wasserhyazinten, die auf einem Fluss treiben. Lass dich von der Strömung nicht nach unten ziehen. Schütze dich, denn da kann niemand außer dir.“ (S. 251)
Vietnam, 1969: ...
„Chị hai, wir sind nur Wasserhyazinten, die auf einem Fluss treiben. Lass dich von der Strömung nicht nach unten ziehen. Schütze dich, denn da kann niemand außer dir.“ (S. 251)
Vietnam, 1969: Trang richtet sich auf, blickt zum rot glühenden Horizont und wischt mit dem Arm die feinen Schweißperlen von ihrer Stirn. Ihr Traum ist es, Medizin zu studieren und in die große Stadt zu gehen, doch seit sie durch die Tú-tài-Prüfung gefallen war, ist ihr Traum in weite Ferne gerückt. Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Quỳnh arbeitet sie auf dem Reisfeld ihrer Eltern, seit der Vater als Invalide von der Front zurückgekehrt ist. Um wieder laufen zu können, benötigt er eine Operation, aber das Geld ist knapp. Es sind schwierige Zeiten, aber die Verse ihres Lieblingsbuchs „Das Mädchen Kiều“ geben ihr Kraft, weiterzumachen. Als Trangs Freundin Hân den Schwestern anbietet, mit ihr nach Sài Gòn zu kommen, um dort als Barmädchen zu arbeiten, ergreifen sie die Chance - und damit die Möglichkeit auf ein besseres Leben für ihre Familie. Eines Abends lernt Trang einen amerikanischen Soldaten kennen; er ist anders als all die anderen Männer, die sich leeren Blicks allabendlich in die Bar kommen. Seine Augen strahlen Wärme aus, scheinen ihr schlagendes Herz hinter der Maske zu sehen, die sie in der fremden Stadt aufgesetzt hat. Ein fragender Blick, eine zarte Berührung, ein Kuss – und Trangs Leben soll sich für immer verändern.
Sein Leben lang hat Phong im Schatten der Gesellschaft gelebt; er ist ein Bụi đời, Staub des Lebens. Seine Mutter ist Vietnamesin, sein Vater ein Schwarzer GI, doch er kennt weder ihre Namen noch ihre Gesichter. Kurz nach seiner Geburt wurde er in einem Waisenhaus abgegeben, aber alsbald musste er seinem Nest entfliehen, obgleich ihm niemand gezeigt hatte, wie man fliegt. Dabei wünscht er sich doch nur, dass er gesehen wird, eine Hand, die ihn hält, und: heimzukehren.
Dan war Anfang zwanzig, als er eingezogen wurde. Auch vierzig Jahre später sieht er immer noch seine Kameraden vor sich, hört das Kommando, das sie ihm zurufen, als - er schluckt. Vieles hat er seiner Frau Linda erzählt von seiner Zeit in Vietnam, aber da ist etwas, das er verdrängt, etwas, das immer lauter wird, ihm keine Ruhe mehr lässt. Er kehrt zurück nach Ho-Chi-Minh-Stadt, ins ehemalige Sài Gòn, um Antworten zu finden, Gewissheit, und vielleicht eine alte Schuld wiedergutzumachen.
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“Ganz gleich, wer den Krieg gewinnt, die Menschen verlieren immer. [Man] wird den Krieg nicht los.“ (S. 327)
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Lange ist der Vietnam-Krieg vorbei, doch in den Menschen lebt er weiter: Noch heute erleben die Kinder vietnamesischer Veteranen Diskriminierung, werden nicht zum Studieren zugelassen, finden keine Arbeit. Und anders als die ehemaligen Soldaten der US Army erhalten sie keine Unterhaltszahlungen, kein Denkmahl erinnert an ihren Schmerz, schlaflose Nächte, die Paralyse des allgegenwärtigen Todes, die sie mit Alkohol und Selbstverletzung zu verdrängen versuchen, PTBS. Im Jahr 1989 wurde der Amerasian Homecoming Act verabschiedet, der es in Vietnam geborenen Kindern amerikanischer Soldaten und ihren nahen Angehörigen ermöglichen sollte, als Flüchtlinge in den USA zu emigrieren, und der gegenwärtigen Armut, den Anfeindungen zu entkommen.
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In ihrem Roman „Wo die Asche blüht“ verwebt Nguyễn Phan Quế Mai die Lebenswege einer jungen Vietnamesin, eines amerikanischen Veteranen und eines Waisenkindes miteinander, und bildet, in poetischer, die Schwere tragender und Räume öffnender Sprache über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten unterschiedliche, kritische Perspektiven auf den Vietnam-Krieg und seine Folgen ab; für das Land und seine Menschen. Claudia Feldmann bildet in ihrer Übersetzung all die emotionalen und individuellen Facetten der Protagonist:innen und die unterschiedlichen Farben ihrer jeweiligen Sprache hervorragend ab, stellenweise aber schlägt die Poesie allzu schnell in Pathos über.
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„Ein Leben ohne Fantasie [war nur] ein Existieren und ein Leben ohne Bücher die größte Strafe.“ (S. 346)
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Ein zentrales Thema des Romans ist neben den historischen Kämpfen die Rolle der Literatur, die insbesondere Trang und Dan miteinander verbindet. Sie ziehen Kraft aus den Geschichten, lässt sie sie ihr jeweiliges Leben mit anderen Augen und neuer Hoffnung betrachten. Kritisch betrachtet sie auch das Ansehen und die Rolle der Frau in der vietnamesischen Gesellschaft zur Zeit des Krieges: Sie gelten als schmutzig, minderwertig gegenüber männlichen Nachkommen; Bildung wird ihnen versagt, bedeutete sie Macht und die Eröffnung neuer Lebensperspektiven, die für sie nicht vorgesehen waren. In der Öffentlichkeit geht es um das Ansehen, Prestige und Eleganz, Makellosigkeit in Erscheinung und Vita.
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Die Geschichte hat mich auf vielerlei Weisen ungemein bewegt und mitgerissen, der Verlauf der Handlungsstränge immer wieder überrascht. Nguyễn Phan Quế Mai schafft es, mit Leichtigkeit eine Vielzahl intensiver Themen nahbar und feinfühlig miteinander zu einer Geschichte zu verbinden, deren Bilder einem noch lange im Gedächtnis bleiben. Eine große Empfehlung!