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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.09.2017

Anders, aber gewohnt gut

Durst
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Seit drei Jahren ist Harry Hole Dozent an der Polizeischule und hat seinem harten Job als Ermittler Lebwohl gesagt. Das Familienleben ist mehr als glücklich, auch dem Alkohol hat Hole erfolgreich abgeschworen. ...

Seit drei Jahren ist Harry Hole Dozent an der Polizeischule und hat seinem harten Job als Ermittler Lebwohl gesagt. Das Familienleben ist mehr als glücklich, auch dem Alkohol hat Hole erfolgreich abgeschworen. Als Oslo jedoch von einem Serienkiller heimgesucht wird, der unschuldige Frauen mittels Tinder in die Falle lockt, muss Harry wieder zurück in den Ring. Doch zu welchem Preis?

„Durst“ ist der elfte Band mit Harry Hole und „Durst“ ist auch irgendwie anders. Man muss sich als Leser der Reihe erst an einige Dinge gewöhnen: an einen glücklichen Harry zum Beispiel. Ein Harry, der nicht jeden Tag stockbesoffen oder mit dickem Kater aufwacht. Ein Harry, der im Präsidium so gar nichts mehr verloren hat. Mir fiel gerade zu Beginn der Umstieg etwas schwer, dem Autor aber wohl auch. Denn der Fall entwickelt sich etwas schleppend, so richtig Fahrt kommt erst nach einiger Zeit auf. Dann hat es die Handlung aber in sich, Nesbo wagt sich in die Tiefen der menschlichen Psyche und Abartigkeit. Es wird blutig und es wird scheußlich bis eklig, erstaunlich dass der Autor da immer noch überraschen kann. Immer wieder sorgt er für unerwartete Entwicklungen, die man auch als eingefleischter Krimileser nicht hat kommen sehen. Für Spannung ist also reichlich gesorgt, auch sprachlich ist „Durst“ gewohnt gut geschrieben. Nordisch nüchtern und trotzdem mitreißend.
Ein rundum gelungener „neuer“ Harry Hole, der mich mal wieder begeistert hat.

Veröffentlicht am 22.08.2017

Bedrückend gut

Und es schmilzt
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Eva, Pim und Laurens waren die drei Musketiere. Im kleinen Dörfchen Bovenmeer waren sie die einzigen ihres Jahrgangs, bildeten eine kleine 3-Kinder-Klasse und verbringen auch ihre komplette Freizeit miteinander. ...

Eva, Pim und Laurens waren die drei Musketiere. Im kleinen Dörfchen Bovenmeer waren sie die einzigen ihres Jahrgangs, bildeten eine kleine 3-Kinder-Klasse und verbringen auch ihre komplette Freizeit miteinander. Als Pims Bruder Jan stirbt, steht ihre Freundschaft vor einer neuen großen Aufgabe. Auch die Pubertät geht nicht spurlos an dem Trio vorbei. Jahre später fährt Eva zurück nach Bovenmeer und stellt sich ihrer Vergangenheit.

Spits Geschichte bewegt sich auf drei Erzählebenen: heute, Jans Todesjahr und dem Sommer 2002, in dem irgendetwas passiert ist. Was genau das war, lässt die Autorin lange im Dunkeln. Als Leser ist man sich lange auch nicht sicher, ob man wirklich erfahren will worum es sich dabei handelt. Denn schnell wird klar, dass Evas Kindheit nun wirklich nicht das war, was man als „glückliche Kindheit auf dem Land“ bezeichnet. Die Eltern völlig überfordert, beide hängen an der Flasche, der Vater hat immer wieder Selbstmordgedanken. Evas kleine Schwester Tesje entwickelt immer mehr Zwangsneurosen und keiner kann so wirklich etwas dagegen tun. Will eigentlich auch keiner. Da wünscht man Eva einfach nur noch das Beste. Und ahnt doch, dass es das Schicksal nicht gut mit ihr meint. Obwohl Eva sicherlich kein Unschuldslamm ist, empfindet man doch oft Mitleid mit ihr. Die Handlung ist entsprechend emotional aufgeladen, obwohl die Autorin selbst gar nicht zu emotional erzählt. Die Tatsachen sprechen Bände: grausam, gewalttätig und ungerecht, einsam und eiskalt; harter Tobak eben. Sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Ich bin mir fast sicher, dass die Eltern unter den Lesern die Freundschaften ihrer Sprösslinge mal genauer unter die Lupe nehmen werden. Sicherlich wollte die Autorin mit ihrer Darstellung provozieren, doch ein Körnchen Wahrheit steckt bestimmt drin. Mich hat ihre Geschichte schnell in ihren Bann gezogen, ein geradezu soghaftes Lesegefühl. Ein meiner Meinung nach zu recht gelobtes Debut der jungen Belgierin.

Veröffentlicht am 17.08.2017

Wunderbar erzählt

Ein Gentleman in Moskau
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Der junge Graf Rostov ist im besten Lebensalter und doch zu Untätigkeit verdammt. Eingesperrt im Hotel Metropol - zuerst in einer standesgemäßen Suite, dann in einem Dienstbotenzimmer - verliert er trotzdem ...

Der junge Graf Rostov ist im besten Lebensalter und doch zu Untätigkeit verdammt. Eingesperrt im Hotel Metropol - zuerst in einer standesgemäßen Suite, dann in einem Dienstbotenzimmer - verliert er trotzdem weder Lebensfreude noch seinen Charme. Keine einfache Aufgabe, ist er doch ein Niemand, nach der Oktoberrevolution in Russland wurden ihm Land und Titel aberkannt. Verlässt er das Metropol, wartet auf ihn der Tod...

Towles‘ Geschichte hat wirklich das gewisse Etwas. Das Etwas heißt der Graf. Eine charismatische Figur, die an ihrem aussichtslosen Schicksal nicht etwa verzweifelt, sondern das Allerbeste daraus macht. Der beschließt endlich mal alle Bücher aus der väterlichen Bibliothek zu lesen (vorher hatte man ja schließlich keine Zeit) und dann schon nach Essay zwei grandios elegant scheitert (was den Leser wiederum schmunzeln lässt). Man sollte meinen, dass es ihm nach jahrelangem Aufenthalt im Metropol sterbenslangweilig würde. Mitnichten. Es entwickeln sich tiefe Freundschaften, ob mit der kleinen Nina oder dem Hackmesser schwingenden Küchenchef. Diese zwischenmenschlichen Beziehungen werden von allen Seiten beleuchtet und es macht Spaß ihre Entwicklungen zu verfolgen. Dem Metropol ist eine ausgezeichnete Küche (ja, es gehört auch ein Weinkeller dazu) zu eigen, sodass der Graf dem Leser auch allerlei Gaumenfreuden näher bringt. Da er ja nicht in die Welt hinaus darf, kommt die Welt eben zu ihm hinein. Seien es hohe Funktionäre, amerikanische Spione oder große russische Schauspielerinnen, alle finden den Weg ins Metropol und so ist der Mikrokosmos des Hotels immer auch ein Abbild der Verhältnisse in der großen weiten Welt.
Die ganze Geschichte wird vom Autor wunderbar leicht und gleichzeitig elegant erzählt, man könnte meinen, dass es der Graf selbst nicht besser gekonnt hätte. Und so fesselten mich nicht nur die mitreißende Handlung, sondern auch der elegante Stil an die Seiten. Sollte der Graf jemals wieder im Metropol gastieren, ich würde mich jederzeit mit ihm auf ein gutes Glas Wein und ein noch besseres Gespräch treffen.

Veröffentlicht am 05.08.2017

Klasse Schwedenthriller

Die Fährte des Wolfes
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Zack Herry ist tagsüber aufsteigender Stern in der schwedischen Kripo. Nachts zieht er durch die Clubs und gewisse Pülverchen durch die Nase. Ein gefährliches Doppelleben, das ihm alles abverlangt. So ...

Zack Herry ist tagsüber aufsteigender Stern in der schwedischen Kripo. Nachts zieht er durch die Clubs und gewisse Pülverchen durch die Nase. Ein gefährliches Doppelleben, das ihm alles abverlangt. So wie sein neuester Fall: gleich vier Mitarbeiterinnen eines thailändischen Massagesalons wurden auf bestialische Weise ermordet.

Eigentlich bin ich kein Fan von Autorenduos, da ich bisher damit regelmäßig auf die Nase gefallen bin. Kallentoft und Lutteman haben mich jedoch sehr positiv überrascht und einen überzeugenden Thriller abgeliefert. Nordisch düster, mit einer sympathischen, aber irgendwie kaputten Hauptfigur. Zack ist noch relativ jung, trotzdem schon ziemlich fertig. Ermittler mit Drogenproblemen und ganz, ganz schlimmer Kindheit sind jetzt nichts neues auf dem Thrillermarkt, trotzdem hat mich die Figur überzeugt, weil die Autoren diesen altbekannten Eigenschaften ein neues, überzeugendes Gewand verpasst haben. Ich würde mich auf jeden Fall auf weitere Bände mit Zack einlassen. Der Fall entwickelt sich sehr spannend, es gibt immer wieder ungeahnte Überraschungen und Wendungen. Die Ermittlungen sind logisch aufgebaut und führen Zack hin zu menschlichen Abgründen; oft brutal, blutig und mitunter auch recht eklig. Sicherlich kein Thriller für den gemäßigteren Krimileser. Mir hats gefallen ; ) Der Erzählstil ist oft entsprechend derb, manchmal geradezu sachlich nüchtern, insgesamt aber immer passend zur Handlung. Mich hat „Die Fährte des Wolfes“ derart gefesselt, dass ich das Buch am Stück weglesen musste. Ein toller Serieneinstieg, der definitiv Lust auf mehr macht.

Veröffentlicht am 04.08.2017

Grace

alias Grace
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Mitte des 19ten Jahrhunderts wird die 16jährige Grace Marks wegen Mordes an ihrem Dienstherren verurteilt. Ihr Komplize landet am Galgen, sie selbst im Gefängnis. Doch ist Grace wirklich schuldig? Immer ...

Mitte des 19ten Jahrhunderts wird die 16jährige Grace Marks wegen Mordes an ihrem Dienstherren verurteilt. Ihr Komplize landet am Galgen, sie selbst im Gefängnis. Doch ist Grace wirklich schuldig? Immer wieder kommen Zweifel auf. Jahre später befasst sich der Nervenarzt Dr. Simon Jordan mit ihrem Schicksal…

Margaret Atwood hat sich den realen Fall von Grace Marks vorgenommen und daraus eine meisterhafte Erzählung gemacht. Sie lässt Grace ihre Geschichte berichten und man ist als Leser schnell für das junge Mädchen eingenommen. Eine sympathische Figur, die allerlei Scheußliches erlebt. Immer wieder muss man sich in Erinnerung rufen, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, auch wenn Atwood die Lücken in der Historie natürlich füllen musste. Schuldig oder nicht, das ist die große Frage, die jedoch immer wieder in den Hintergrund rückt. Denn Atwood thematisiert u.a. die gesellschaftlichen Strukturen, die Frauenrolle im 19ten Jahrhundert und auch den Umgang mit den „Irren“ in dieser Zeit. Interessante Thematiken also, die sich rundum gelungen mit Grace’s Geschichte verbinden. Unterlegt wird das fiktive Geschehen mit vielen Zeitungsausschnitten, Briefen und Gedichten aus jener Zeit, sodass ein sehr authentisches Bild entsteht. Fasziniert hat mich auch wie unterschiedlich Grace in den historischen Quellen dargestellt wurde: auf der einen Seite das durchtriebene Flittchen mit mörderischen Absichten, auf der anderen Seite die harmlose Irre, die unschuldig im Gefängnis sitzt. Wo die Wahrheit dazwischen liegt, lässt sich bis heute nicht abschließend klären.

Auch Atwoods Erzählstil hat mir sehr gut gefallen, sie findet sowohl für Grace selbst, als auch für Jordan den richtigen Ton. Geduldig rollt sie die Geschichte auf und trotz des etwas holprigen Einstiegs, war ich von der ersten Seite an fasziniert und gefesselt.

Ein Roman, der Realität und Fiktion meisterhaft verbindet. Absolute Leseempfehlung!