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Veröffentlicht am 08.12.2023

Berliner Nächte

Lindy Girls
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„Sie gleichen einander fast vollkommen in ihren glitzernden Kostümen, mit ihren kinnlangen Frisuren, den langen Wimpern, und doch ist jede von ihnen einzigartig. Wie sie die Beine werfen! Ihre langen, ...

„Sie gleichen einander fast vollkommen in ihren glitzernden Kostümen, mit ihren kinnlangen Frisuren, den langen Wimpern, und doch ist jede von ihnen einzigartig. Wie sie die Beine werfen! Ihre langen, schlanken Glieder scheinen aus Gummi arabicum …“ (S. 8) Doch bis zu dieser Perfektion ist es ein langer Weg für die Lindy Girls, acht junge Berlinerinnen, die nicht nur die Nächte durchtanzen, sondern damit ihren Lebensunterhalt verdienen möchten. Geformt und angetrieben werden sie von Wally, die früher selbst Tänzerin war, jetzt eine Tanzschule betreibt und die Idee zu der Truppe hatte, die ihr hoffentlich endlich den langersehnten Erfolg bringt. Als Frau hat sie es nicht leicht, sich in der Geschäftswelt durchzusetzen, also lässt sie sich von ihrem ehemaligen Liebhaber Toni überreden, ihn als Manager mit ins Boot zu nehmen – und hofft dabei auf das Wiederaufleben ihrer Beziehung.

Mit den „Lindy Girls“ entführt Anne Stern ihre LeserInnen in die wilden Partynächte Berlins Ende der 1920er Jahre, in denen man tanzt, um den Alltag zu verdrängen und zu spüren, dass man noch lebt. Der erste WK ist lange genug vorbei, um nicht mehr ständig präsent zu sein, aber man hat ihn noch nicht vergessen. Viele Männer sind schwer traumatisiert zurückgekommen. Wie Jo, der nachts nicht schlafen kann und darum als Gigolo arbeitet, seine Schicht oft aber nur dank Koks übersteht. Oder Gilas Vater, der sich im Wohnzimmer an seinen Likörflaschen festklammert, während sie das Geld als Sekretärin in einer Zeitungsredaktion verdient und manchmal nett zu ihrem Chef ist, damit sie etwas Extra-Geld und zu Essen bekommt. Dabei träumt sie davon, Schriftstellerin zu werden und schreibt jede Nacht an ihrem Roman über eine fiktive Tanztruppe, den sie mit dem würzt, was sie beim Ausgehen sieht und erlebt.
Gila ist es auch, die Thea zu den Lindy Girls bringt, eine Fabrikantentochter, die aus der großelterlichen Villa und arrangierten Verlobung ausbricht, weil sie mehr will. Sie hat ihren durch Rachitis verformten Fuß durch jahrelange Gymnastikübungen und Tanz trainiert, denn. „Nur im Tanz war Thea wirklich sie selbst, war ganz und heil und frei.“ (S. 131).
Für Alice, die tagsüber in einer Nähmaschinenfabrik arbeitet, ist alles Musik, auch die Geräusche der Fabrikhalle. Sie trommelt die Melodie der Maschinen mit und bewegt unbewusst die Füße im Takt. Wenn sie bei Wally tanzt, vergisst sie die Arbeit, den ständigen Hunger und die Sorgen um ihren jüngeren Bruder, der immer wieder in Schlägereien gerät, weil er sich als Jude mit den Braunhemden anlegt.

Das sind nur einige der Protagonisten, die Anne Stern meisterhaft zum Leben erweckt und durch die sie uns an dieser wilden, gefährlichen Zeit teilhaben lässt. Berlin ist im Rausch. Eine Stadt, in der (oft mit der Unterstützung des weißen Pulvers) alles möglich scheint, in der Träume genauso schnell entstehen, wie sie wieder platzen, in der sich alle nach Liebe sehnen, nach jemanden, an den sie sich beim Tanzen anschmiegen können und in der acht junge Frauen und eine Tanzlehrerin vom Durchbruch träumen …

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Veröffentlicht am 20.11.2023

Mein nächstes Ich

The Beautiful Fall - Die vollkommen irritierende Kettenreaktion der Liebe
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„Du erinnerst dich an nichts, weil du an periodischer Amnesie leidest. … Es passiert in regelmäßigen Abständen, das letzte Mal vor knapp 6 Monaten …“ (S. 7) Alle 179 Tage verliert Robert sein Gedächtnis, ...

„Du erinnerst dich an nichts, weil du an periodischer Amnesie leidest. … Es passiert in regelmäßigen Abständen, das letzte Mal vor knapp 6 Monaten …“ (S. 7) Alle 179 Tage verliert Robert sein Gedächtnis, wahrscheinlich durch eine Art Migräne. Damit ihn das nicht erschreckt bzw. er über grundlegenden Dinge Bescheid weiß, hinterlässt das jeweils aktuelle Ich dem nächsten einen Brief mit genauen Anweisungen und Verhaltensregeln – und einer Aufgabe, die ihn beschäftigt, weil er die Wohnung so wenig wie möglich verlassen soll. Seine Aufgabe ist es, aus knapp 84.000 Steinen ein riesiges Domino aufzubauen, das in komplizierten Mustern über von ihm gebaute Treppen und Podeste laufen wird.

Jeden Dienstag werden ihm von einem Mann die Lebensmittel geliefert, aber 12 Tage vor dem nächsten Gedächtnisverlust kommt plötzlich eine Frau – Julie. Irgendetwas an ihr berührt ihn, und so hat er nichts dagegen, dass sie sich langsam in sein Leben schleicht und ihm bei Aufbau der Steine hilft. „Julie mit ihrer komplizierten Vergangenheit, mit ihrer geradezu übernatürlichen Schönheit, hatte mich gesehen und gehört. Und einen winzigen Moment lang hatte sie mich verstanden und auf mich reagiert.“ (S. 94) Bis ihm klar wird, dass er sich in wenigen Tagen nicht mehr an sie erinnern können wird, sie das aber nie erfahren darf, weil das für ihn gefährlich ist. Man könnte ihn in ein Heim stecken, um ihn vor sich selbst zu schützen. „Was auch immer du tust, niemand darf von deiner Krankheit erfahren. Bleib für dich, um du selbst zu bleiben.“ (S. 11)

Robert hat sich in seinem (kurzen) Leben eingerichtet. Er hält sich strikt an die Anweisungen seines Vorgängers und weicht nur insofern ab, dass er seinem Nachfolger neben dem Brief und einigen Erinnerungsstücken, mit denen er selber nichts anfangen kann, auch ein Tagebuch der letzten Tage hinterlassen will, damit dieser besser vorbereitet ist als er. Er weiß aus Briefen und Unterlagen von seiner Krankheit und dass die genauso plötzlich, wie sie gekommen ist, auch wieder verschwinden kann, schmiedet aber trotzdem keine Zukunftspläne, sondern bereitet sich nur auf den Tag des neuerlichen Vergessens vor. Und dann platzt Julie in sein Leben und die festen Tagesabläufe. Sie holt ihn aus seiner Komfortzone, indem sie ihn aus der Wohnung lockt, nach seinen Erinnerungen fragt und ob er irgendwelche Hinweise und auf sein Vorleben hat. Das bringt ihn zum Nachdenken, denn: „Die Vergangenheit mochte ja vor meinem Bewusstsein versteckt sein, aber die Spuren waren überall, wenn man nur wusste, wo man danach suchen musste.“ (S. 29) Sein Unterbewusstsein gaukelt ihm plötzlich eine Variante seiner Zukunft vor, in der Julie von allem weiß und sich um alles kümmert. Dabei kämpft sie selber jeden Tage gegen die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart.

„The Beautiful Fall“ ist eine sehr ungewöhnliche und berührende Liebesgeschichte, die sich ganz anders entwickelt als erwartet. Robert und mit ihm die LeserInnen sehen sich plötzlich mit essentiellen Fragen konfrontiert. Wer sind wir? Was ist unser Bewusstsein, unsere Identität und wie verändert sich im Laufe des Lebens unsere Erinnerung, in wieweit kann sie uns täuschen oder sogar betrügen? „Niemand kann so ehrlich sein. Niemand kann die ganze Geschichte erzählen, ohne sich vor ihren Auswirkungen auf die Zukunft zu fürchten. Wir alle verstecken, beschönigen und vergessen. … Niemand kann so ehrlich sein, am allerwenigsten wir selbst.“ (S. 248)

Mein Tipp für alle, die ungewöhnliche Liebesgeschichten und / oder den Film „50 erste Dates“ lieben.

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Veröffentlicht am 18.11.2023

Außenseiter

Misfits Academy - Als wir Helden wurden
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„… manchmal ist es besser, nur ein weiterer Außenseiter unter vielen zu sein, als irgendwo der einzige.“ (S. 88)
Taylors Eltern haben sie nie darauf vorbereitet oder ihr wenigstens gesagt, dass sie ein ...

„… manchmal ist es besser, nur ein weiterer Außenseiter unter vielen zu sein, als irgendwo der einzige.“ (S. 88)
Taylors Eltern haben sie nie darauf vorbereitet oder ihr wenigstens gesagt, dass sie ein Skill ist – ein Mensch mit einer besonderen Fähigkeit aufgrund eines Gendefekts. Sie kann sich an jeden Ort teleportieren, den sie kennt, und macht das besonders gern, wenn die Schule mal wieder langweilig ist. Leider haben sie ihr auch nicht gesagt, dass das verboten ist. Als Strafe und zu ihrem eigenen Schutz wird sie auf die Misfits Academy auf der Insel Guernsey geschickt.
Dort wird sie in die eingeschworene Clique von Eric, der die Stimmung seiner Mitmenschen beeinflussen kann, dem Feuerkopf Fionn und June, mit der sie sich das Zimmer teilt, aufgenommen. Doch am meisten fasziniert ist sie von Dylan, einem Außenseiter, der sich sehr geheimnisvoll gibt.

Adriana Popescu erschafft eine Welt, in der Menschen mit besonderen Gaben als Gefahr und Bedrohung angesehen und bekämpft werden. „Ihr breitet euch überall aus, verseucht unsere Schulen, unsere Städte, drängt euch in die Politik und wollt uns weismachen, dass das alles ganz normal wäre.“ (S. 11)
Die Schüler der Misfits Academy haben alle etwas „ausgefressen“ und wurden zu ihrer eigenen Sicherheit und der der normalen Menschen an die Academy verbannt, wo sie lernen sollen, ihre Besonderheiten zu steuern und kontrollieren.
Wie in jeder Schule gibt es auch hier eine Elite, Schüler mit Skills, die besser und außergewöhnlicher sind als andere, und Kinder berühmter oder reicher Eltern. Aber eins eint sie alle – sie sind Misfits – Außenseiter.
Taylor, die Neue, schert sich nicht darum und wird so das Bindeglied bzw. die ausgleichende Komponente zwischen Erics Gruppe und Dylan. In einer gemeinsamen Unterrichtsstunde bemerken sie etwas Beängstigendes und geraten bei dem Versuch, das zusammen aufzuklären, in Lebensgefahr.

„Misfits Academy“ ist mein erster Urban-Fantasy-Roman und ein im doppelten Wortsinn fantastisches Buch. Adriana Popescu hat 5 starke, sehr vielschichtige Charaktere geschaffen, die mit ihren besonderen Fähigkeiten nicht angeben oder sie anderen schnell offenbaren, sondern sich oft fragen, warum ausgerechnet sie diesen speziellen Gendefekt haben, der sie sehr fordert und nicht nur Gutes bewirken lässt. Sie alle haben deswegen bereits schlechte Erfahrungen gemacht und schlimme Dinge erlebt oder ausgelöst, aber auch ihre Geheimnisse und Ängste verbergen sie tief in sich drin.

Das Buch ist extrem spannend und explosiv. Die 5 Jugendlichen kommen etwas sehr Gefährlichem auf die Spur, dass sie weder einschätzen noch beherrschen oder besiegen können – ich bin äußerst gespannt, wie es im nächsten Band weitergeht.

Das gemeinsame Abenteuer schweißt sie zusammen. Sie entdecken, wie wichtig ihre Freundschaft ist und das daraus manchmal Liebe wird. Außerdem lernen sie, ihre Abneigungen und Vorurteile zu überwinden und hinter die Fassade ihres Gegenübers zu sehen, sich auf das zu konzentrieren, was sie gut können und was sie besonders macht, zusammenzuarbeiten. Und, dass sie sich aufeinander verlassen können und füreinander da sind. Eine wunderschöne Geschichte über Freundschaft und Erwachsenwerden und ein absolutes Lesehighlight.

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Veröffentlicht am 07.11.2023

Einfache und bodenständige Rezepte mit Pfiff

Vierundzwanzigsieben kochen
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„„Das Einfache“ ist zeitgemäß. Insbesondere zu Hause. Die eigene Küche ist für mich kein Ort, an dem man sich verkünsteln und mit anderen messen sollte. ... Es ist ein Ort, um es sich wirklich gut gehen ...

„„Das Einfache“ ist zeitgemäß. Insbesondere zu Hause. Die eigene Küche ist für mich kein Ort, an dem man sich verkünsteln und mit anderen messen sollte. ... Es ist ein Ort, um es sich wirklich gut gehen zu lassen.“ (S. 9) sagt Tim Mälzer in seinem neuen Kochbuch „Vierundzwanzigsieben kochen“ und ich kann ihm nur zustimmen. Kochen soll Spaß machen und nicht zu schwer sein, wobei ich Herausforderungen nicht abgeneigt bin, und das Ergebnis soll schmecken. Wenn es dann noch gesund und abwechslungsreich ist, bin ich dabei. An Tims Rezepte traut sich übrigens sogar mein kochuntauglicher Mann, denn sie sind einfach und bodenständig, aber mit Pfiff.

So gibt es zum Frühstück deutschen Mett-Igel oder Porridge, japanische Suppe, English Breakfast Sandwich, israelische Shakshuka oder Smoothies.
Bei den belegten Broten setzte er auf Ei, Käse, Fleisch oder Fisch – ich empfehle hier die Fischbuletten. Sie sind relativ schnell gemacht und sehr lecker. Ich habe sie mit den Quarkbrötchen kombiniert, die eigentlich zum Frühstück gehören, und uns so eine schmackhafte, eiweißreiche und sehr sättigende Mahlzeit gezaubert.
In der grünen Kiste wird verarbeitet, was an Obst und Gemüse gerade Saison hat. Auch hier gibt es Rezepte mit und ohne Fleisch. Mein Mann hat sich an den Brezensalat gewagt und ihn ganz allein hinbekommen 😉. Meine Highlights sind der gerillte Radicchio, die Brotsalate und vor allem die Eier in Currysauce.
Wer sich noch an Tims erste Sendung „Schmeckt nicht, gibt's nicht“ erinnern kann, hat sicher auch noch seine Pastagerichte im Gedächtnis, die oft nur wenig Beiwerk brauchen – ein gutes, selbstgemachtes Pesto, verschiedene (Tomaten-)Saucen oder die fantastischen Meatballs – die sind ein echtes Seelenfutter.
Suppen und Eintöpfe haben bei uns vor allem in Herbst und Winter Saison, dementsprechend gehaltvoll sind sie oft. Tim Mälzer serviert Chili, Ratatouille, Gemüse– oder Muschelsuppe.
Des Deutschen Lieblingsgemüse, Kartoffeln, haben ein eigenes Kapitel verdient. Neben Püree, Auflauf oder Gnocchi kann ich vor allem die Kartoffel-Buletten empfehlen. Sie sind perfekt, um Reste zu verwerten, da sie aus gekochten Kartoffeln vom Vortag, Frühlingszwiebeln und Tiefkühlerbsen gemacht werden (man kann auch andere Gemüsereste verwenden) und mit einem frischen Salat mit Schmand-Zitronen-Dressing wirklich lecker schmecken.
Fisch und Fleisch kommen bei uns nur selten auf den Tisch, aber auch da habe ich Anregungen finden können, wie den Kabeljau auf Fenchelsalat, Seelachs Bordelaise und verschiedene Geflügelgerichte.
Obwohl er in seiner Fernsehsendung „Kitchen Impossible“ oft behauptet, dass er nicht backen kann und Desserts auch nicht seins sind, finden sie sich auch in seinem Kochbuch. Und ob Brownies mit Marshmallows, Schoko-Erdnuss-Cookies, Tiramisu, Griessflammeri Brûlée oder seine Käsekuchen-Variationen, sie alle lassen einem das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Unterstützt werden die Rezepte ansprechende Fotos und Illustrationen des Künstlerduo Doppeldenk, gewürzt mit kulinarischen Alltagsbeobachtungen von Thees Uhlmann.

Ein tolles Kochbuch für jeden Tag, in dem auch Anfänger und wenig geübte Köche tolle Anregungen finden werden.

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Veröffentlicht am 03.11.2023

Aufbruch in ein neues Leben

Ich bin Frida
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„Um an der Seite diese übermächtigen Genies bestehen zu können, brauchte sie etwas Eigenes, und das konnte nur die Kunst sein.“ (S. 9)
Mexiko 1938: Frida ist seit 10 Jahren mit Diego Rivera verheiratet ...

„Um an der Seite diese übermächtigen Genies bestehen zu können, brauchte sie etwas Eigenes, und das konnte nur die Kunst sein.“ (S. 9)
Mexiko 1938: Frida ist seit 10 Jahren mit Diego Rivera verheiratet und unzufrieden, da er ihr immer mehr entgleitet, Affären hat und nur für seine Kunst lebt. Sie kommt sich oft eher wie seine Köchin, als eine gleichberechtigte Partnerin und Künstlerin vor. Dabei ist auch sie inzwischen als solche anerkannt. Der französische Surrealist André Breton will sie in Paris ausstellen, weil er sie für die erste (und einzige) mexikanische Surrealistin hält. Doch zuvor organisiert der Galerist Julien Levy eine Einzelausstellung in New York. Dass Diego sie nicht nach Amerika begleitet, ist ein weiterer Dolchstich und macht ihr klar, dass sie ihre Beziehung und die jeweilige Rolle, die sie und Diego darin spielen, dringend überdenken muss.

„Ich bin eine Revolution … Ich bin eine Malerin, die Erfolg hat, und ich bin eine Frau, die geliebt wird. Ich bin glücklich.“ (S. 145) In New York lebt Frida dann trotz ihrer ständigen Schmerzen und körperlichen Einschränkungen auf. Ihre Ausstellung ist ein voller Erfolg. Sie bekommt Aufträge für neue Bilder und hat endlich Zeit und Platz zum Malen. Außerdem genießt sie das Nachtleben, die Bewunderung der Männer, die sie als Frau wahrnehmen, und beginnt eine Affäre mit dem Fotografen Nicolas Muray, den sie schon von früher kennt. Sie hat sich endlich von Diego freigeschwommen und ist auch finanziell von ihm unabhängig. Aber sie würde sich nie von ihm trennen oder scheiden lassen, denn er hat sie zu dem gemacht, was sie jetzt ist, hat sie unterstützt und angeleitet und ist trotz allem die Liebe ihres Lebens. Kann sie beide Männer haben? Diego als künstlerischen Partner und Nick als Liebhaber? Oder muss sie sich entscheiden?

„Ich male, wer ich bin. Ich male mein Leben, auch meine Schmerzen, denn die sind mein Leben.“ (S. 327) Wie schon in „Frida Kahlo und die Farben des Lebens“ lässt Caroline Bernard ihre LeserInnen wieder unmittelbar an Fridas Leben teilhaben. Man erlebt alles hautnah mit und sieht es mit ihren Augen: die Demütigungen, wenn Diego die Nacht anderen Frauen verbringt, ihren Schaffensprozess, die Momente, wenn sie die Inspiration zu einem neuen Bild sucht und findet, ihre Erfolge als Künstlerin, das Glück in den Armen ihrer Liebhaber, aber auch die Schmerzen und Einschränkungen, die ihr Köper ihr auferlegt.
Ich habe das Gefühl, ihr noch näher gekommen zu sein und noch besser verstehen zu können, dass sie nicht nur ihre Bilder durch ungewöhnliche Rahmen, sondern auch sich selbst in Szene setzt: durch ihre traditionelle mexikanische Kleidung, den ausgefallenen Schmuck und ihre Haare, die sie oft mit Blumen geschmückt als Krone trägt. Sie will um jeden Preis auffallen und gesehen werden und sieht sich als Gesamtkunstwerk. Und sie will ihr Leben auskosten, so lange es geht, denn sie ist sich ihrer fragilen Gesundheit und Sterblichkeit stets bewusst: „… ihr seid gesund, euer Leben ist lang, und ihr habt Zeit. Bei mir ist das anders. Ich muss doppelt so schnell leben wie ihr.“ (S. 142)

Caroline Bernard schreibt extrem fesselnd und sehr bildlich. Nach New York reist Frida tatsächlich noch nach Paris, wo alles anders wird als erwartet oder geplant. Zwar taucht sie auch dort tief in die Kunstszene und das Nachtleben ein und lernt u.a. Josephin Baker, Elsa Schiaparelli, Miró, Kandinsky und Picasso kennen, aber auch spanische Flüchtlinge. Man spürt bereits, dass der zweite WK kurz bevorsteht, die Welt ein Pulverfass ist.

Frida hat mich beeindruckt, sie arbeitet über ihre körperliche und Schmerzgrenze hinaus, bis zum nächsten Rückfall oder Zusammenbruch. Und sie „erträgt“ Diego, den großen schweren Mann, der mit der kleinen starken Frau an seiner Seite immer weniger zurechtzukommen scheint. Die Welt und Frida sollen sich gefälligst um ihn drehen. Sie darf zwar auch Künstlerin sein (ihre Bilder sind ja zum Glück viel kleiner als seine), aber dauerhafte Liebhaber gesteht ihr der notorische Fremdgänger nicht zu.

„Ich bin Frida“ hat mich wieder auf eine emotionale Reise mitgenommen, zeigt Frida Kahlos Emanzipation von ihrem Mann und wie sie zu der Künstlerin wurde, als die man sie heute kennt.

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