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Veröffentlicht am 14.11.2023

Über die Zuverlässigkeit der Erinnerung

Memoria
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Ein kluger Autor hat einmal gesagt, dass ein guter Spannungsroman mit einem Knall beginnen muss. Diese Anweisung hat Zoe Beck für den Einstieg in „Memoria“ beherzigt: Ein ICE muss auf freier Strecke halten, ...

Ein kluger Autor hat einmal gesagt, dass ein guter Spannungsroman mit einem Knall beginnen muss. Diese Anweisung hat Zoe Beck für den Einstieg in „Memoria“ beherzigt: Ein ICE muss auf freier Strecke halten, weil der Wald großflächig brennt. Die Zugreisenden, unter ihnen Harriet, eine junge Frau mit einem Leben voller geplatzter Träume, werden evakuiert. Als sie hinter dem Fenster eines in der Nähe stehenden Hauses eine ältere Frau sieht, die Hilfe benötigt, fasst sie sich kurzentschlossen ein Herz und rettet sie. Mission erfüllt, oder etwa doch nicht? Aug‘ in Aug‘ mit der Frau beschleicht sie ein seltsames Gefühl. Es scheint fast so, als ob sie ihr früher schon einmal begegnet wäre. Aber das ist erst der Anfang, denn in den folgenden Tagen, Wochen gibt es immer wieder Situationen, in denen sie eine ähnliche Ahnung beschleicht, sie verunsichert. Bildet sie sich das ein oder kann sie ihren Erinnerungen trauen?

Becks Stoff ist zwar zeitlich in einer nahen Zukunft mit dystopischen Anleihen angesiedelt, aber es sind die brisanten Themen unserer Gegenwart, die den Hintergrund des Thrillers bilden. Die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Besitzenden und Besitzlosen, eine gespaltene Gesellschaft, in der jeder Schritt überwacht wird, Lebensräume, die von den Auswirkungen des Klimawandels verwüstet werden, der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen, der nicht mehr gefahrlos für alle möglich ist, die Möglichkeiten, ob gut oder schlecht, die KI bietet, Ethik, Moral und Verantwortung von Forschung und Wissenschaft, die auf dem Altar des Profits geopfert werden.

Es sind äußerst interessante Themen, die die Autorin hier behandelt und damit jede Menge Denkanstöße liefert. Und gerade durch die Verknüpfung mit den Lebensumständen und der Geschichte der Protagonistin werden sie greifbar, wirken realistisch und nicht zuletzt auch sehr beängstigend. Aber ach, so spannend die Story über weite Strecken auch war, hat sie doch mit der „Auflösung“ ausgetretene Pfade beschritten und offenbar nicht nur meine Vermutungen bestätigt. Das sollte einer erfahrenen Thriller-Autorin nicht passieren, kratzt es doch an dem guten Eindruck, den der Leser/die Leserin bisher hatte. (3,5 von 5)

Veröffentlicht am 20.08.2023

Wer einmal lügt...

Verlogen
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Vor über einem halben Jahr hat die alleinerziehende Maríanna eine kurze Notiz auf dem Tisch hinterlassen und ist spurlos verschwunden. Wegen ihrer problematischen Biografie vermutete die Polizei damals ...

Vor über einem halben Jahr hat die alleinerziehende Maríanna eine kurze Notiz auf dem Tisch hinterlassen und ist spurlos verschwunden. Wegen ihrer problematischen Biografie vermutete die Polizei damals Depressionen mit Selbsttötungsabsicht. Doch nun wurde die Leiche in einer Höhle gefunden und es scheint, als ob sie eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Ein Cold Case, und nach so langer Zeit kein einfacher Fall für Elma und ihren Kollegen Sævar, da auf den ersten Blick niemand aus dem Umfeld der Toten ein Interesse an ihrem Tod hatte. Oder etwa doch? Was ist mit Hekla, der Tochter, die mittlerweile bei liebevollen Pflegeeltern lebt? Oder mit der Pflegemutter, die bereits in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit Maríanna hatte? Viele Fragen, wenig Antworten in Eva Björg Ægisdóttirs „Verlogen“, Bd. 2 der Mörderisches-Island-Trilogie.

Parallel zu der Ermittlungsarbeit von Elma und Sævar, die sehr ausufernd geschildert wird, sind immer wieder Tagebucheinträge einer überforderten Mutter zu lesen, deren Kind offensichtlich eine Entwicklungsstörung, eventuell aus dem autistischen Spektrum hat und die über die Jahre nicht in der Lage ist, ihr Kind anzunehmen und eine Beziehung zu diesem aufzubauen.

Keine Frage, bis zu einem gewissen Punkt liest sich das durchaus spannend und weckt das Interesse, aber mangels der Fortschritte in den Ermittlungen ist bei 360 Seiten irgendwann der Punkt erreicht, an dem man gerne Ergebnisse und die eigenen Vermutungen bestätigt sehen möchte. Wer sagt die Wahrheit, wer erzählt Lügen?

Mir war das insgesamt zu klein-klein erzählt und mit zu vielen Wiederholungen und uninteressanten Nebensächlichkeiten gespickt, die den Fortgang der Handlung immens ausgebremst haben. Das typische Problem bei dem mittleren Band einer Trilogie.

Alles in allem deshalb nur 3,5 von 5.

Veröffentlicht am 12.05.2023

Politthriller mit leichten Schwächen

Die Macht der Wölfe
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„Die Macht der Wölfe“ beginnt relativ unspektakulär. Melia Adans Vater bittet sie um ein Treffen mit der Bundeskanzlerin, die ihre Hilfe benötigt. Diese ist Opfer einer Erpressung, denn ein von ihr verursachter ...

„Die Macht der Wölfe“ beginnt relativ unspektakulär. Melia Adans Vater bittet sie um ein Treffen mit der Bundeskanzlerin, die ihre Hilfe benötigt. Diese ist Opfer einer Erpressung, denn ein von ihr verursachter Unfall mit Todesfolge droht ihr nun auf die Füße zu fallen. Um ihre politische Karriere nicht zu gefährden, hatte sie sich der Verantwortung nicht gestellt, sondern die Eltern des Opfers mit einem großen Geldbetrag zum Schweigen gebracht. Staatssekretär Bovert, den wir bereits aus den Vorgängerbänden kennen, hat Kenntnis von diesem Vorfall und möchte dies zum Vorteil eines rechtskonservativen Netzwerks (ebenfalls aus den Vorgängern bekannt) nutzen, das politische System im Land umbauen und die Macht übernehmen will. Vincent Veih hingegen hat es mit einem kniffligen Fall zu tun. Auf einer Großbaustelle wurde Leichenteile gefunden, aber leider ist es anhand der Teile nicht möglich, die Identität des Toten festzustellen. Und natürlich wird sich im Laufe der Ermittlungen zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Fällen gibt. Stellt sich die Frage, wer der Puppenspieler im Hintergrund ist…

Kurze Kapitel aus wechselnden Perspektiven generieren nicht nur hohes Tempo, sondern halten auch das Interesse der Leser hoch. Keine Frage, Eckert schreibt spannende, realitätsnahe und thematisch brisante Politthriller, aber dass sowohl Melia als auch Vincent mit rechtskonservativen Vätern geschlagen sind…come on. Das ist dann doch schon etwas zu sehr gewollt. Was die Macht der Bilder sowie die politische Einflussnahme mit Hilfe der Medien angeht, das erleben wir tagtäglich, hier bleibt die Handlung nahe an der Realität, auch wenn ich mir hier einen differenzierteren Blick gewünscht hätte, gerade weil die Rollen von Gut und Böse zu offensichtlich verteilt sind. Und zu guter Letzt die Rollen, die Bovert, Osterkamp und Konsorten in dieser Reihe spielen. Das ist mittlerweile hinreichen bekannt, ebenso die Ziele, die sie haben. So ist auch dieser Fall lediglich eine Variation des Themas. Vielleicht sollte der Autor sie endlich aufs Abstellgleis schieben, um Platz für neue Handlungsimpulse zu schaffen.

Veröffentlicht am 13.05.2019

Da gibt es noch Luft nach oben

Kretische Feindschaft
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Wenn der Sommer vor der Tür steht, haben Urlaubskrimis bei deutschen Lesern Konjunktur. Sie bedienen Sehnsüchte. Sei es, weil die Handlung am zukünftigen Urlaubsziel verortet ist, oder man Erinnerungen ...

Wenn der Sommer vor der Tür steht, haben Urlaubskrimis bei deutschen Lesern Konjunktur. Sie bedienen Sehnsüchte. Sei es, weil die Handlung am zukünftigen Urlaubsziel verortet ist, oder man Erinnerungen an Gegenden zurückholen möchte, in denen man bereits schöne Urlaubstage verbracht hat. Mittlerweile deckt dieses Genre fast alle europäischen Urlaubsziele ab, in der Regel von deutschen Autoren unter jeweiligem landestypischen Pseudonym geschrieben. Ein cleverer Schachzug, soll dies doch suggerieren, dass hier jemand schreibt, der Land und Leute wie seine Westentasche kennt.

In diese Kategorie fällt auch Nikos Milonás, wobei dies das offene Pseudonym des Fernsehschaffenden Frank D. Müller ist. Dieser ist nach eigener Aussage Kreta-Kenner und schließt mit seinem Erstling „Kretische Feindschaft“ eine Lücke, denn die griechische Insel war bisher ein weißer Fleck auf der Karte der Urlaubskrimis.

Ausgangspunkt der Handlung ist der vermisste Bürgermeister von Kolymbari. Und da die Polizei vor Ort offenbar weder willens noch in der Lage ist, sich angemessen und engagiert um den Fall zu kümmern, werden Michalis Charisteas und sein Kollege Koronaios (beide Mordkommission Chania) auf Anweisung des Gouverneurs mit dem Fall betraut. Der Vermisste wird gefunden, tot. Offenbar ist er mit seinem Auto von der Straße abgekommen und einen Abhang hinabgestürzt. Fall abgeschlossen, obwohl Michalis große Zweifel an der Version der Kollegen aus Kolymbari hat, weshalb er die Ermittlungen auf eigene Faust und entgegen jeder Anweisung weiterführt. Und schnell wird ihm klar, dass dieser Fall weitaus komplexer als angenommen ist und weit in die Vergangenheit reicht.
Keine Frage, die Story ist spannend und schlüssig aufgebaut, überrascht mit unvorhersehbaren Wendungen. Hier gibt es nichts zu meckern, auch wenn zum Ende hin mir die eine oder andere Erklärung/Motivation nicht schlüssig erscheint und eher lapidar in einem Nebensatz oder gar nicht abgehandelt wird.

Die Personen haben Potenzial, wobei hier Michalis Kollege Koronaios wesentlich interessanter und mit mehr Konturen als dieser daherkommt. Die Love-Story zwischen Michalis und seiner deutschen Freundin Hannah ist unaufdringlich, hätte ich jetzt aber nicht unbedingt benötigt. Sie dient letztendlich nur dazu, die Gegensätze zwischen Kretern und Deutschen aufzuzeigen. Und damit habe ich meine Probleme, denn damit werden Vorurteile zementiert. Kretischer Schlendrian, Mauscheleien in Behörden, Vorteilnahme im Amt…und…und…und.

Chania und Umgebung als Handlungsorte, speziell die Nordküste, scheint mir nicht die beste Wahl, da dieser Teil der Insel mittlerweile viel von seinem Charme und seiner Ursprünglichkeit verloren hat. Was Kreta wirklich ausmacht, findet man eher in den abgelegenen Gegenden.

Der Autor arbeitet in seinen Beschreibungen mit sehr vielen Stereotypen, ganz so, wie der deutsche Urlauber sich die Insel und ihre Menschen vorstellt: der venezianische Hafen (zugegeben, der ist wunderschön), Meeresrauschen, Olivenhaine, wilden Thymian, Orangenbäume und, weil jeder Kreta-Urlauber zum Schluchtenwandern dorthin möchte, die Samaria. Die Kreter trinken jede Menge Frappé, Ellinikós und Raki und essen die köstlichen Gerichte ihrer Heimat (hier bekommt der deutsche Leser natürlich die Übersetzung geliefert) rauf und runter. Ein bisschen zu viel von allem, aber dennoch unterhaltsam mit guten Ansätzen.

Wie es scheint ist „Kretische Feindschaft“ der Auftakt einer Reihe mit Michalis Charisteas, dessen Entwicklung, gerade wenn man Kreta kennt und liebt, im Auge behalten sollte. Luft nach oben ist allemal.

Veröffentlicht am 06.12.2024

Enttäuschte Erwartungen

Italien
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Gleich vorweg, ich hatte hohe Erwartungen an „Italien: Food. People. Stories“ der vier Molcho-Brüder Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, „verschiedene Kulturen durch ...

Gleich vorweg, ich hatte hohe Erwartungen an „Italien: Food. People. Stories“ der vier Molcho-Brüder Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, „verschiedene Kulturen durch außergewöhnliche kulinarische Erlebnisse zusammenzubringen“ und deshalb mittlerweile unter dem Kürzel NENI nicht nur 14 Restaurants in europäischen Städten betreiben, sondern auch schon zahlreiche Kochbücher veröffentlicht haben. Die Besonderheit der Rezepte liegt dabei meist in der Verbindung von Regionalküche verbunden mit dem levantinischen Erbe der Familie. So auch hier, dachte ich zumindest.

Nun also eine Reise durch Italien, und die Route sieht vielversprechend aus. Von Friaul-Julisch Venetien über die Toskana und Rom in den Mezzogiorno, die Amalfi-Küste und Apulien bis hinunter nach Sizilien.

Und damit fängt das Problem an, denn das Buch mit seinen 227 Seiten ist zweigeteilt. In der ersten Hälfte (bis Seite 115) berichten sie über Köche, Restaurants und Erzeuger, die sie auf ihrer Reise gezielt aufgesucht bzw. mehr oder weniger zufällig getroffen haben, wobei die Hintergrundinformationen eher uninteressant sind und die kulinarischen Besonderheiten der Regionen nicht im Zentrum stehen. Dazu kommen Unmengen meist großformatiger Fotos, die zwar nett anzuschauen sind, aber eher in das Fotoalbum der Familie gehören. Das eine oder andere Rezept ergänzt zwar diese Berichte, ist aber weitgehend uninteressant, wenn man sich bereits intensiver mit der italienischen Küche beschäftigt hat.

Nun zu Kapitel 2, überschrieben mit Hayas Cucina. Auch hier sind im Wesentlichen die Klassiker-Rezepte aufgeführt, die man so oder so ähnlich in jedem Italien-Kochbuch finden kann. Keine Spur von besonderen levantinischen Einflüssen, weder bei den Zutaten noch bei den Gewürzen (btw. das bekommt Yotam Ottolenghi um Klassen besser hin). Positiv ist hierbei lediglich, dass die Zutaten in jedem Supermarkt erhältlich sind und die Gerichte keine besondere Herausforderung an Können und Erfahrung darstellen und somit auch von weniger versierten Hobbyköchinnen und -köchen zubereitet werden können. Ergänzt werden die Rezepte, die in die klassische italienische Speisenfolge (Antipasti, Primo, Secundo, Dolci) eingeteilt sind, durch einige Grundrezepte wie Pesto, Brühe, Vinaigrette und die Herstellung von Brotbröseln. Wer’s braucht...