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Veröffentlicht am 18.11.2023

Immer wieder das Gleiche

Die Einladung
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Wie macht Fitzek das, dass am Ende Tausende schreien: Wow, was für ein toller Psychothriller? Nun ja, ganz einfach. Er schreibt schnell, wechselt rasant die Zeiten und haut einem die Wendungen nur so um ...

Wie macht Fitzek das, dass am Ende Tausende schreien: Wow, was für ein toller Psychothriller? Nun ja, ganz einfach. Er schreibt schnell, wechselt rasant die Zeiten und haut einem die Wendungen nur so um die Ohren, dass es klingelt. Wenn man dann am Ende ganz kirre und der Meinung ist, das hat man so nicht kommen sehen, kann man schnell annehmen, man hätte einen mega guten Thriller gelesen.
Doch Fitzek manipuliert, konstruiert und stiftet sinnlos Verwirrung. Aber einem Ruf gerecht zu werden und noch einen drauf zu setzen, wird mit der Zeit immer schwieriger, wie mir scheint.
Hier nun die Zutaten zum neusten Werk. Man nehme den überstrapaziertesten Horrorplot eines seichten C-Movies schlechthin, verfrachte alle stereotypen Figuren in eine einsame Hütte, irgendwo in den eingeschneiten Bergen ohne Kontakt zur Außenwelt und kille einen nach dem andern. Vorher und hinterher schiebe man am besten ganz viele Erklärungen rein, springe wahllos in der Zeit herum, dass der Leser möglichst schnell den Überblick verliert. Und damit ein waschechter Fitzek draus werde, mixe man das Ende mit so viel Twists, wie nur irgendwie möglich, schließlich ist er ja der Meister der Wendungen. Ach ja, und nicht vergessen, immer wieder alles zu revidieren, was vorher vermeintlich geschah.
Um diesem abgedroschenen Plot einen modernen Anstrich zu verleihen, reicht es nun mal nicht, ihn als Escape-Game zu bezeichnen. Hier hätte ich von einem Autor, der sein Handwerk versteht, neue Ideen erwartet, doch er hat das Potenzial unter der Schneedecke liegen lassen, genau wie seine Leichen.

Natürlich hangelt sich Fitzek wieder an seinem Lieblingsthema entlang, mit dem sich alles und nichts erklären lässt – Wahrnehmungsstörungen. Genauso wie die Protagonistin Marla Realität und Einbildung nicht mehr unterscheiden kann, ging es mir als Leserin auch bald. Teils hanebüchene, zusammenhangslose Behauptungen sollen bitte was genau jetzt erklären? Na ja, lieber Leser, friss oder stirb oder erkenne die Genialität des Schriftstellers an.

Woran es hauptsächlich mangelt, ist eine gute, logische Storyline, der man als Leser*in folgen kann, die nachvollziehbar ist. Stattdessen klatscht er uns einen blutigen Schocker nach dem anderen hin, die allesamt aus dem Nichts kommen. Die Auflösung am Ende hätte auch irgendeine andere sein können. Mit der eigentlichen Geschichte hatte sie nur wenig zu tun. Für mich fühlte sich das an, wie eine billige Zaubershow, in der die Wendungen rasend schnell aus dem Hut gezogen werden, dass man als Zuschauer nicht mehr folgen kann. Das mag zwar bei vielen »Ohs« und »Ahs« hervorrufen, ich kam mir leider nur verschaukelt vor.

Tja, das war’s dann wohl mit unserer jahrelangen Beziehung. Erfolgreich zu sein bedeutet wahrscheinlich nur, den Markt mit massentauglichen, schablonierten Konzepten zu bedienen. Keine Überraschungen mehr, keine innovativen Plots, keine neuen Ideen. Ich bin froh, dass Fitzek kein Koch ist. Hinterher hätte ich zwar ein Völlegefühl, könnte aber nicht mehr sagen, wonach es geschmeckt hat, weil zu viel Salz in der Suppe war.

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Veröffentlicht am 23.09.2023

Hat mich verwirrt

Sinkende Sterne
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Der namensgleiche Protagonist in Thomas Hettches neuem Buch hat seinen Job als Hochschullehrer verloren und macht sich auf ins Wallis, wo das Haus seiner Kindheit steht. Erinnerungen und Vergänglichkeit ...

Der namensgleiche Protagonist in Thomas Hettches neuem Buch hat seinen Job als Hochschullehrer verloren und macht sich auf ins Wallis, wo das Haus seiner Kindheit steht. Erinnerungen und Vergänglichkeit erwarten ihn im Chalet seiner verstorbenen Eltern. Doch im Ort ist man ihm nicht wohlgesonnen. Als Deutscher habe er kein Bleiberecht mehr, sein Haus würde in einer Kürze versteigert und er müsse das Land verlassen.
Irgendwie ist alles noch so, wie es war, aber eigentlich ist doch nichts mehr so. Vor einiger Zeit hat es einen massiven Bergrutsch gegeben, der die Rhone zu einem See angestaut hat und dabei etliche Dörfer versenkt hat. Alte Machtstrukturen haben sich wieder etabliert, nachdem sich das deutschsprachige Wallis vom französischsprachigen separiert hat.
Doch Hettche bleibt. Vielleicht ist auch seine alte Jugendliebe Marietta der Grund. Eine der wenigen, die geblieben ist, und nun in alter Tradition das Vieh im Sommer in die Berge treibt. Ihr folgt er für ein paar Wochen in die karge Welt der Hochalpen, wo er ihr wieder näherkommt, bei der Käserei hilft und Serafine, Mariettas Tochter, ihm Mythen der Berge erzählt.

»Und wenn der Gletscher ächzt und stöhnt, seien das die Klagelaute der Armen Seelen. Sie sind eingefroren im spiegelhellen Eis, wandern durch die blau- und grünschimmernden Gänge und Spalten oder versammeln sich in den weitbogigen Gewölben. So zahlreich sind die Armen Seelen im eisigen Kerker, man kann keinen Fuß auf den Gletscher setzen, ohne ihnen aufzutreten.« S.90

Hettche hat mich mit seiner bildgewaltigen Sprache und kraftvollen Naturbeschreibungen durch die erste Hälfte des Buches getragen. Auch seine Erinnerungen an seine Gespräche mit seinem letzten Studenten Dschamil über die Odyssee und Sindbad mochte ich gern folgen. Etwas abgefahrener war da schon das Treffen mit einer etwas seltsamen Bischöfin. Aber dann hat er mich langsam verloren.

Auch wenn ich der Suche und dem Irren des Protagonisten oft folgen konnte, seine Zweifel an der immer schneller werdenden Zeit, die alles infrage stellt, verstehen konnte, verlor sich seine anfängliche Handlung in ausschweifenden, essayartigen Reflexionen. Immer wieder bezugnehmend auf Literatur und Kunst hätte ich wahrscheinlich unzählige Werke lesen müssen, um die Essenz dahinter zu verstehen. Ich fand es äußerst mühsam, seinen Gedanken und Ausführungen zu folgen, und habe gleichzeitig auf den Fortgang der Handlung gehofft. Doch anfänglich aufgeworfene Konflikte versanden, der Protagonist versinkt in einem Fieberwahn und schreibt lieber über Rilke.
Ich bin halt nur eine Durchschnittsleserin, und mich interessiert keine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Schreibprozess oder wenn er über Wittgenstein, Proust oder Lukrez doziert. Sollen sich die Literaturkritiker daran erfreuen, ich bin raus. So wurde nach anfänglicher Freude das Buch für mich leider zur Enttäuschung.

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Veröffentlicht am 15.08.2023

Bemüht korrekt mit angezogener Handbremse

Die Bücherjägerin
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Vielleicht vorweg, wie erwartet, handelt es sich hier um eine äußerst leichte Lektüre, weshalb ich meine Ansprüche runtergeschraubt habe. Trotzdem konnte mich die »nette« Geschichte nicht erreichen, ebenso ...

Vielleicht vorweg, wie erwartet, handelt es sich hier um eine äußerst leichte Lektüre, weshalb ich meine Ansprüche runtergeschraubt habe. Trotzdem konnte mich die »nette« Geschichte nicht erreichen, ebenso wenig wie die Protagonisten. Nun denn, schauen wir mal, woran das liegt.

Zum Inhalt sag ich nichts, der ist überall nachzulesen. Die Autorin hat sich echt bemüht, das ist in jeder Szene spürbar gewesen, denn alles funktionierte nach altbewährten Schreibratgebern. Will sagen, ich spüre zwar, dass sie hier ihr ganzes Herzblut reingesteckt hat, uns aber letztlich zu bemüht, zu verhalten und zu konstruiert eine Geschichte präsentiert, die nichts Neues erzählt. Ich denke, ihr fehlt die Erfahrung und sie sollte sich etwas mehr trauen, denn Talent hat sie.
Was uns hier als Roadtrip angepriesen wird, ist wohl eher eine Kaffeefahrt bei Sonnenschein und freier Autobahn. Allgemein wird etwas zu dick aufgetragen, denn unter einer »Odyssee« (dieses Wort benutzt die Autorin wiederholt) verstehe ich tatsächlich was anderes. Nun gut, dass Benjamin sich in seinem Heimatort London auf dem Weg zu seinen Eltern MIT Navi verfährt, ist schon echt abenteuerlich.
Also, man nehme zwei verpeilte Charaktere, Sara und Ben, und schicke sie nach einiger Diskussion auf eine Reise nach Frankreich. Gut denke ich, jetzt gehts los. Nein, erst mal gehts wieder in die Vergangenheit von Sara. Und das ständig. Irgendwie kam die Geschichte einfach nicht in die Gänge, maximal in den 2. mit angezogener Handbremse. Okay, irgendwann sind sie dort, passiert aber auch nicht wirklich was. Außer dass sie Bonnie und Clyde dort lassen. Ach ja, diese Schildkröten! Stand bestimmt auch im Schreibratgeber, dass sowas immer tierisch gut ankommt bei den Lesern. Ach komm, hauen wir gleich noch nen Uhu in die Story. Hey, was hatten die denn für eine Funktion?
Ihr merkt schon, hier baut sich latenter Frust in mir auf, sorry.

Mit den Figürchen hatte ich auch so meine Problemchen. Sara hat zwar ein Händchen für Bücher aber nicht für Menschen, hatten wir jetzt auch schon reichlich. Da tauchen während der Geschichte einige Ungereimtheiten auf. Und echt jetzt, sie glaubt, dass man mit einem Rechtslenker nicht durch Europa fahren darf? Oh man! Wenn hier ein Witz geplant war, dann hat sie ihn vor die Wand gefahren.
Überhaupt wirken alle Figuren wie auf dem Reißbrett gezeichnet, um in den Plot zu passen. Sara hätte auch jeden x-beliebigen Beruf haben können, denn es geht viel mehr darum, wie sie tickt und von Amalia erzogen wurde. Schade.
Mir ist auch die Zielgruppe noch nicht ganz klar. Teilweise kam es mir vor wie ein Aufklärungsbuch, mit Rätseln für Grundschüler. Dann spickt sie ihren Text wieder mit seltenen Fremdwörtern, aus denen sich nicht mal ein Sinn beim Lesen ergibt. Macht man nicht. (Inkommensurabel – ach ja, wer benutzt das Wort nicht täglich!)
Der Schreibstil ist sonst genregerecht leicht lesbar, bis auf die etwas seltsam anmutenden Genderexperminte, für die sie sich im Nachwort rechtfertigt. Ja, hier wollte die Autorin es wieder allen recht machen. Apropos recht machen: Die Autorin, so kommt es mir vor, will sich hier politisch korrekt am Zeitgeist entlang hangeln. Gefühlt befinden wir uns mehr in der Kindheit der Protagonistin, die von Amalie sowas von überkorrekt erzogen wurde, dass es mir schon unglaubwürdig vorkam. Sie hat wirklich nie, nie einen Fehler gemacht. Und wirklich kein Thema ausgelassen.

Und was ist denn nun mit der Jagd nach dieser Karte? Hab ich mich auch ab und zu gefragt. Das läuft so nebenbei mit. Auch hier ist manches an den Haaren herbeigezogen, wenig abenteuerlich aber mit peinlichen Äußerungen gegenüber den Briten bestückt. Wo die Autorin doch so drauf bedacht ist, keinen zu diskriminieren.

Bestimmt wird das Buch vielen gefallen. Für mich war es ein kurzer Ausflug ins völlig falsche Genre, das mich eher augenrollend zurückgelassen hat.

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Veröffentlicht am 20.07.2023

Schrill, freakig, überambitioniert

Der Kaninchenstall
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Blandine ist die tragische Heldin im Kaninchenstall, einem heruntergekommenen Wohnblock in der fiktiven Stadt Vacca Vale, Indiana. Mitten im »Rust Belt«, in den ehemaligen Industriehochburgen, wo die Zukunftsaussichten ...

Blandine ist die tragische Heldin im Kaninchenstall, einem heruntergekommenen Wohnblock in der fiktiven Stadt Vacca Vale, Indiana. Mitten im »Rust Belt«, in den ehemaligen Industriehochburgen, wo die Zukunftsaussichten heute gegen null gehen. Die 18-Jährige hat bereits einiges hinter sich, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie geschoben, beginnt sie ein Verhältnis mit ihrem Musiklehrer, bricht die Schule ab, obwohl sie als hochintelligent gilt. Sie arbeitet in einem Diner als Bedienung und wohnt mit drei jungen Kerlen zusammen, die aus Spaß Tiere töten und ständig high sind. Das kontaktscheue Mädchen ist der Mystikerin H. v. Bingen verfallen und träumt davon, ihren Körper zu verlassen. In dem Moment, wo sie es tatsächlich tut, startet die Geschichte und wir machen einen Schwenk quer durch die verschiedenen Appartements voller hoffnungsloser Existenzen, die, nur getrennt durch papierdünne Wände, nicht umhinkommen, am Leben ihrer Nachbarn teilzuhaben. Eine psychisch kranke Mutter, die Angst vor den Augen ihres Babys hat; ein verzweifelter Mann, der ein Online-Date sucht und nur Ablehnung erfährt; eine Frau, die auf einem Online-Portal für Nachrufe Kommentare moderiert und am liebsten ungesehen bleiben will.
Hinzu kommt eine ehemalige Hollywood-Kinderschauspielerin, die ihren eigenen Nachruf schreibt und ihr Sohn, der als »fluoreszierender Mann« einen Racheakt plant. Und, und, und.
All die Schicksale rasen mit immenser Geschwindigkeit auf sich zu und kehren zu dem Moment zurück, als Blandine ihren Körper verlässt.
Was sich verrückt anhört, ist es auch. Und ich brauchte drei Anläufe, um in die Geschichte zu finden. Im 1. Drittel hatte ich nur Fragezeichen im Kopf und ich kann gut verstehen, wenn viele das Buch frühzeitig abbrechen. Im letzten Drittel wurde es besser, was mich etwas besänftigt hat. Vollgepackt mit bissiger Gesellschaftskritik, von Machtmissbrauch, sozialer Ungerechtigkeit, Chancenlosigkeit bis hin zu falschen Versprechungen der Politik fühlte sich das wie eine rasante Achterbahnfahrt an.

Guntys Blickwinkel auf die gescheiterten Existenzen ist ein anderer, wenig Empathie erzeugender, deprimierender Blick. Sie will aufrütteln, provozieren, das gelingt ihr sicher auch. Ja, es ist schrill, hier wird das Stilmittel der Übertreibungen ausgereizt, hier wird mit Textstilen gespielt, was letztlich auch Sinn macht, da Reizüberflutung eine große Rolle spielt, Internet, TV, Werbung, alles prasselt unaufhörlich, ungefiltert auf die Menschen ein. Hier wird zwischen den Perspektiven gesprungen, in der Chronologie, im Erzählstil – das erfordert Aufmerksamkeit, sonst endet es im Chaos. Das, was Gunty hier macht, ist sicher innovativ und modern, bleibt aber Geschmacksache.
Tess Gunty hat unumstritten Talent. Manche Kapitel sind rhetorisch so stark, dass ich pausenlos zitieren könnte. Doch die Kluft zu anderen Kapiteln wird damit um so größer, in denen die Vergleiche hinken, die Formulierungen angestrengt originell sein wollen. Und dann die pausenlosen Aufzählungen und Wiederholungen, puh. Das wurde mir mit der Zeit zu anstrengend. Insgesamt hinterlässt es bei mir den Eindruck, als seien die einzelnen Geschichten unabhängig voneinander entstanden und hinterher zusammengefügt worden.
Dann schweift sie wieder ab, will viel, manchmal zu viel, findet spät zu Blandine zurück. Vielleicht bin ich da altmodisch, aber fragmentierte Geschichten, die sich als experimentelles Konstrukt erweisen, sind nichts für mich. Ihr komplettes freakig, absurdes Figuren-Panoptikum agiert für sich und scheint nur geschaffen, um all die großen Themen eines Gesellschaftsromans unterzubringen. Zum Teil zeigt sie es sehr eindrucksvoll, andere Szenen waren für mich total überflüssig, weil sie zu nichts führen. Sprachlich grenzen sich die Figuren nicht voneinander ab und manche langweilten mich, sodass ich ganze Kapitel quer gelesen habe.

Vielleicht war es etwas zu überambitioniert, was mich am Ende völlig erschlagen hat. Leider konnte mich die Geschichte emotional nicht erreichen.
Mich hatte die Sichtweise einer jungen Autorin auf das Thema der aussterbenden Industriestädte interessiert im Gegensatz zu Russo, den ich inzwischen zu schätzen weiß und zu dem ich auch zurückkehren werden.
Wie gesagt, es ist einfach Geschmacksache.

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Veröffentlicht am 23.06.2023

Überkonstruierter Plot, voller Klischees

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
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In der Kleinstadt Aurora verschwand vor 33 Jahren die 15-jährige Nola. Nun wird ihre Leiche gefunden, und zwar im Garten des berühmten Schriftstellers Harry Quebert. Er wird zum landesweiten Skandal, denn ...

In der Kleinstadt Aurora verschwand vor 33 Jahren die 15-jährige Nola. Nun wird ihre Leiche gefunden, und zwar im Garten des berühmten Schriftstellers Harry Quebert. Er wird zum landesweiten Skandal, denn er gibt zu, damals ihr Geliebter gewesen zu sein, obwohl er viele Jahre älter war als sie. Die Anklage lautet Mord, denn bei dem Skelett wird Qs Manuskript gefunden. Marcus Goldman, sein ehemaliger Schüler und einziger Freund hält zu ihm und will seine Unschuld beweisen. Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Schriftsteller, hat eine Schaffenskrise und beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln, da er von Qs Unschuld überzeugt ist. Und sein Verleger wittert das große Geschäft.

Dicker schreibt flüssig und gut lesbar, weshalb ich das Buch mit über 700 Seiten in Kürze verschlungen hatte. Seine Zeitsprünge zwischen 2008 und 1975 gelingen mühelos, so dass wir Leser immer mitten im Geschehen sind.

Aber es gibt viel, das mich gespalten zurücklässt. Auch wenn die Ausgangslage vielversprechend war, hat mich mit der Zeit immer mehr genervt. Was kriegen wir hier eigentlich? Eine zweifelhafte Lolita-Liebesgeschichte, ein Whodunnit-Krimi in einer amerikanischen Kleinstadt von einem Schweizer und einen Seitenhieb auf die Verlagsbranche wie man Bestseller macht. Wir suhlen uns ein wenig in der »Schriftstellerkrankheit«, erhalten Schreibtipps in Form von Kalendersprüchen und müssen uns mit einer Menge Figuren rumschlagen, die entweder stereotyp, platt oder überzeichnet sind, bestenfalls noch angestrengt komisch, manche sogar überflüssig. Ich denke da an Marcus’ Mutter, die ich am liebsten an die Wand geklatscht hätte und die nichts für die Geschichte getan hat. Und sprachlich entgleist er ab und zu auf das Niveau einer Vorabendserie.

Kleine Kostprobe?
»Oh, allerliebster Harry, ich bin ja so glücklich!«
»Meine Nola, allerliebste Nola, Nola, meine Liebe! … Ich liebe Dich, ich liebe Dich über alles. Verlass mich nicht. Wenn Du stirbst, sterbe auch ich. Du bist das Einzige in meinem Leben, was zählt. Vier Buchstaben: N-O-L-A.«

Dieses ganze Gesülze zwischen Q und Nola war so ziemlich das Einzige, das wir über die Liebe erfahren, warum und wieso sie zu seiner Muse wird – keine Ahnung.

Erscheint mir wie eine riesige Selbstbeweihräucherung, denn der Autor wird nicht müde, seine Nebenfiguren permanent wiederholen zu lassen, wie genial und großartig doch die beiden Autoren sind. Es mag viel über die Dummheit der Figuren aussagen, aber beim Lesen nervt es. Übrigens wie alle seine Redundanzen und davon gibt es viele. Hätte man den zwanghaft überkonstruierten Plot um mindestens 200 Seiten gekürzt, wäre es leichter zu ertragen gewesen.

Die einzig wahre Enthüllung an dem Buch mag für manche sein, dass es vor Augen führt, wie Bestseller gemacht werden. Und das hat erstaunlich viel mit der Realität zu tun. Reichlich mit der Werbetrommel Krawall machen und Millionen fallen darauf rein – und das, bevor auch nur eine einzige Zeile je gelesen wurde. Ja, so funktioniert der Literaturbetrieb und deshalb schlagen bei mir alle Alarmglocken an, wenn Bücher Vorschusslorbeeren bekommen und mit der Gießkanne an Vorableser verteilt werden.

Tja und so sind Dickers Voraussagungen eingetroffen, auch aus seinem Buch wurde ein Bestseller gemacht!

Ja, man kann einige Wendungen in einem Krimi konstruieren. Aber hier waren es mir zu viele. Am Ende haut uns Dicker eine vermeintliche Wahrheit nach der anderen um die Ohren, gibt auf den letzten 200 Seiten noch mal richtig Gas, dass ich fast erschlagen wurde von dem Tempo und den Enthüllungen. Aber letztlich war es mir auch egal, wer sie nun warum umgebracht hat, und ehrlich – ich habs auch schon wieder vergessen.

Zum Schluss noch ein Kalender-Schreibtipp von Q oder Dicker, je nachdem wie man es sieht:
»Ein gutes Buch, Marcus, ist ein Buch, bei dem man bedauert, dass man es ausgelesen hat!«
Stimmt, trifft nur hier nicht zu!

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