Profilbild von Anna625

Anna625

Lesejury Star
offline

Anna625 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Anna625 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.08.2024

Schwächer als vorherige Romane

Mein drittes Leben
0

Linda kann nicht mehr nach dem plötzlichen Tod ihrer 17-jährigen Tochter Sonja. Der Alltag ist trist und grau, nichts scheint mehr Sinn zu ergeben, und auch die Belastbarkeit ihrer Beziehung mit Richard ...

Linda kann nicht mehr nach dem plötzlichen Tod ihrer 17-jährigen Tochter Sonja. Der Alltag ist trist und grau, nichts scheint mehr Sinn zu ergeben, und auch die Belastbarkeit ihrer Beziehung mit Richard kommt an ihre Grenzen. Irgendwie gelingt es allen, weiterzumachen, nur eben Linda nicht - ihre Welt ist stehengeblieben, ein Ausweg aus der Trauer nicht in Sicht. Als sie die Möglichkeit bekommt, aufs Land zu ziehen, nimmt sie diese Chance wahr; nicht, weil sie glaubt, die Idylle des Dorflebens könne an ihrem Zustand etwas ändern, denn das große, heruntergekommene Haus mit verwildertem Garten verspricht eher Arbeit als Entspannung und liegt auch noch direkt an einer Schnellstraße. Hier ist nichts mit Hühnern und Viehweiden und malerischen Sonnenuntergängen, nichts mit Dorfgemeinschaft. Hier kommen die Leute nur abends zum Schlafen hin und brechen frühmorgens wieder auf in Richtung Stadt. Aber: Hier erinnert sie nichts und niemand an Sonja. Und das ist erstmal alles, was zählt.

Ich sage es, wie es ist: Kriens neuster Roman wird mit Sicherheit seine begeisterten Leser*innen finden - ich gehöre nicht dazu. Und das liegt nichteinmal daran, dass das Buch thematisch wirklich keine leichte Kost und Lindas Trauer über den Verlust ihrer Tochter allgegenwärtig ist; auch nicht an einer mangelnden Tiefe oder der Figurenbeschreibung. Denn all das hat der Roman, und ohne jeden Zweifel ist er einfühlsam geschrieben, zeichnet das authentische Bild einer trauernden Mutter. Dennoch konnte "Mein drittes Leben" mich nicht so abholen, wie ich gerne abgeholt worden wäre; weder in der ersten Hälfte, die sich für mein Empfinden sehr gezogen hat, noch gegen Ende, als dann doch noch eine etwas positivere Stimmung aufkommt. Berühren konnte mich das alles nicht so sehr, ich war eher froh, als sich die Geschichte dem Ende zugeneigt hat. An Kriens vorherige Romane kommt dieser hier mMn nicht heran. Ich schätze Kriens Stil jedoch und warte daher gespannt auf ihr nächstes Buch, das mich hoffentlich wieder etwas mehr überzeugen kann.

Veröffentlicht am 25.11.2023

Zu langatmig

Wilde Minze
0

Sara, die in ihrer Jugend die Mutter wegen einer Überdosis verloren und der Familie den Rücken gekehrt hat, um in LA von vorne anzufangen, ist mittlerweile angesehene Barkeeperin. Auch Emilys Schwester ...

Sara, die in ihrer Jugend die Mutter wegen einer Überdosis verloren und der Familie den Rücken gekehrt hat, um in LA von vorne anzufangen, ist mittlerweile angesehene Barkeeperin. Auch Emilys Schwester ist drogenabhängig, und Emily leidet unter der fehlenden Aufmerksamkeit, die ihr als kleiner Schwester zukommt; die Folge ist ein Leben, in dem sie zwischen ihrem Job im Blumenladen, ihrem niemals endenden Studium und Beziehungen hin- und herpendelt.
Die erste Begegnung zwischen Sara und Emily verläuft ebenso intensiv wie zunächst folgenlos. Denn es ist zwar erste Liebe auf den ersten Blick, als die beiden im Yerba Buena, einem schicken Restaurant, aufeinandertreffen, doch verlieren sie sich im Anschluss aus den Augen. Erst später begegnen sie sich wieder und beginnen eine Beziehung, die jedoch nicht unangetastet bleibt von dem, was sie in ihrer Kindheit und Jugend erleben mussten.

Der Roman liest sich schnell, konnte mich dabei aber nicht packen. Die ersten paar Kapitel, die die Jugend der beiden Protagonistinnen beschreibt, fand ich spannend und intensiv zu lesen; irgendwann bald danach hat die Geschichte mich leider verloren. Erzählt wird abwechselnd aus den Leben Saras und Emilys, die viele Ähnlichkeiten aufweisen, jedoch lange Zeit parallel verlaufen und erst spät im Buch zueinanderfinden. Für mich hat sich das mehr gelesen wie zwei einzelne Geschichten, zwischen denen man immer wieder abwechselt, und nicht wie zwei Einzelstränge einer Geschichte. Das Gefühl des Verlorenseins, die Traumata, die aus dem Erlebten resultieren, die Suche nach einem Ort zum Ankommen - all das wird großartig transportiert und aufgearbeitet durch die unaufgeregte Sprache und die zarten Gefühle, die im Roman beschrieben werden.
Mir war das aber leider zu wenig. Die ersten Jahre des Erwachsenenlebens der beiden waren mir zu ausführlich und langatmig beschrieben, hier hätte man mMn stark kürzen bzw. mit der Begegnung und Beziehung der beiden einfach etwas früher ansetzen können.

So war "Wilde Minze" für mich ein Roman, der zwar ganz schön ist, aber kaum in Erinnerung bleiben wird.

Veröffentlicht am 11.10.2023

Coming of Age und Trauer

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
0

Die Wohnung beengt, die Mutter von Arbeit und der eigenen Verzweiflung eingenommen, die neuen Mitschüler*innen - mal schauen. Wenn ihr eigenes Leben gerade schon irgendwie unbequem ist, sollen es wenigstens ...

Die Wohnung beengt, die Mutter von Arbeit und der eigenen Verzweiflung eingenommen, die neuen Mitschüler*innen - mal schauen. Wenn ihr eigenes Leben gerade schon irgendwie unbequem ist, sollen es wenigstens die anderen besser haben, denkt sich Katha, und so tut sie, was sie immer tut - sie macht es allen recht. Kümmert sich um die jüngere Schwester, die sich kaum in ihr neues Leben einfinden kann, schmeißt den Haushalt, arbeitet in der Schule mit. Sie ist Mustertochter, Musterschwester, Musterschülerin, Musterfreundin. Sie ist Lebenshandwerkerin. Ihre Gedanken und Gefühle macht sie, wenn überhaupt, mit sich selbst aus. Bis sie eines Tages am Fenster Angelicas steht und es plötzlich aus ihr herausbricht, all das, was sich in den letzten Jahren angestaut hat.

Nach der Scheidung ihrer Eltern ziehen Katha und Nadine mit der Mutter nach Dortmund. Die Trennung hat sich lange abgezeichnet, Kuppelversuche mittels Zettelbotschaften hin oder her. Und nun sitzen sie dort, in dieser Wohnung, in der sich niemand wirklich zuhause fühlt, in der die Abwesenheit des Vaters allgegenwärtig ist, in der man einander und der Welt nur im Badezimmer entkommen kann. Anschluss in der Schule findet man schnell, wenn man ein Chamäleon ist, für Katha also im Gegensatz zu ihrer Schwester kein Problem. Aber wohin mit all dem, was sich nicht aussprechen lässt, weil es niemanden interessiert, weil man stark sein und für andere da sein muss? In Angelica findet Katha eine Gesprächspartnerin, denn sie hört ihr zu, sie will wissen, wie es Katha geht. Und zwar wirklich, da genügt keine Standardantwort. Angelica gibt Katha all die mütterliche Liebe und den Halt, die dieser in ihrem jungen Leben fehlen. Und dann, eines Tages, steht das alles einfach so vor dem Aus, und für Katha gerät die Welt ins Wanken.

Scherzants Roman ist der Inbegriff von Coming-Of-Age, besonders in der ersten Buchhälfte. Katha, die nach und nach all die Schwierigkeiten des Lebens erahnt, die längst kein Kind mehr ist und manchmal doch so gerne noch eins wäre, muss lernen, sich nicht nur in der Welt zurechtzufinden, sondern auch für sich selbst einzustehen. Der zweite und dritte Teil des Buches dann widmen sich Angelica und ihrer Krankheit und Kathas Umgang damit. Der zweite Teil ist dabei eher fragmentarisch und arbeitet viel mit Wiederholungen und alternativen Szenarien. Das kann mitunter recht anstrengend werden, weil sich Realität und Fantasie vermischen und weil die Leichtigkeit, die die erste Buchhälfte trotz allem kennzeichnet, der Eintönigkeit und der Last von Trauer und großem Schmerz weichen. Anschließend nimmt die Handlung zwar nochmal etwas an Fahrt auf, reicht aber nicht mehr ganz an den Beginn des Romans heran; eine gute Lektüre ist der Roman dennoch.

Veröffentlicht am 07.05.2023

Kann man lesen

Das Café ohne Namen
0

Ach ja. Ich weiß, alle mögen Seethaler. Ist ja auch gar nicht so, als hätte ich irgendetwas gegen ihn und seine Romane. Aber irgendwie springt der Funke bei mir einfach nicht über. Keine Ahnung warum, ...

Ach ja. Ich weiß, alle mögen Seethaler. Ist ja auch gar nicht so, als hätte ich irgendetwas gegen ihn und seine Romane. Aber irgendwie springt der Funke bei mir einfach nicht über. Keine Ahnung warum, ich würde ihn auch gerne mögen. Daher wollte ich auch unbedingt seinen neue Roman lesen. Jetzt, danach, sehe ich aber nur bestätigt, was ich von vorneherein befürchtet hatte - ich fand es absolut lesbar, aber mehr auch einfach nicht.

Aber gut, worum geht's hier eigentlich?
Wien, wir schreiben das Jahr 1966. Der Krieg ist seit 20 Jahren vorüber, das Echo seiner Auswirkungen jedoch noch längst nicht verhallt. Die Stadt ist im Werden begriffen und erholt sich langsam vom Schrecken der Vergangenheit. Auch Robert Simon, bisher Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt, ergreift die Gelegenheit und eröffnet ein kleines Café. Seine Kundschaft ist ebenso vielfältig wie das Angebot des Cafés begrenzt ist. Doch es braucht gar kein riesiges Menü; die Leute kommen auch so, und das Café wird schnell zum Dreh- und Angelpunkt des Viertels. Denn hier können sie ihre Geschichten erzählen, ihr Lied von Leid und Liebe und Leben singen.

Es ist wirklich nicht so, als hätte ich den Roman nicht gemocht. Er lässt sich wunderbar lesen, ist unaufgeregt und voller Wärme. Seethaler schafft eine Leichtigkeit zwischen all der Schwere in den Leben der Protagonist*innen, die mir sehr gefallen hat. Und trotzdem habe ich ständig auf etwas gewartet, den Moment, in dem es mich wirklich packt und der Roman für mich mehr wird als nur "schön zu lesen". Leider kam dieser Augenblick aber nicht. Vielleicht passen Seethaler und ich einfach wirklich nicht so ganz zusammen.

Veröffentlicht am 15.04.2023

Nicht ganz meins

Keine gute Geschichte
0

Als ihre Großmutter mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, kehrt Arielle Freytag in die Enge der Wohnung in Essen-Katernberg zurück, in der sie aufgewachsen ist. Eigentlich hatte sie diesem Leben ...

Als ihre Großmutter mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, kehrt Arielle Freytag in die Enge der Wohnung in Essen-Katernberg zurück, in der sie aufgewachsen ist. Eigentlich hatte sie diesem Leben längst den Rücken gekehrt, ist dem sozialen Brennpunktviertel entkommen und inzwischen mit Anfang Dreißig Social-Media-Managerin in Düsseldorf. Der Anblick ihrer alten Heimat ist für sie schockierend und zugleich wenig überraschend: dieselben Menschen wie damals, aus denen tatsächlich genauso wenig geworden ist, wie sich schon zu Schulzeiten abgezeichnet hat. Wer hätte es gedacht.
Während sich im Viertel gerade alles um zwei verschwundene Mädchen dreht, an deren Suche sich Arielle halbherzig beteiligt, sieht sie sich in die Vergangenheit zurückgeworfen. Denn auch ihre Mutter verschwand damals in ihrer Kindheit spurlos - ob freiwillig oder nicht, darüber scheiden sich die Geister. Gleichzeitig ist Varuna, ihre Großmutter, nach wie vor eine alles andere als einfache Persönlichkeit und das Zusammenleben mit ihr noch immer gewöhnungsbedürftig.
Ich sage es, wie es ist: Ich mochte den Einblick in diese sozialen und gesellschaftlichen Strukturen sehr, mit Schreibstil und Protagonistin hingegen bin ich überhaupt nicht zurechtgekommen. Die Sprache des Romans ist häufig grob, nahezu vulgär, und fügt sich so zwar gut in die Umgebung und Situation ein, hat mir aber zugleich den Zugang zum Roman erschwert. Arielles Charakter und ihr Verhalten waren ebenfalls nichts für mich; sie stellt zumeist ihr eigenes Befinden über das anderer, nimmt keinerlei Rücksicht auf ihre Mitmenschen. Ich hatte an vielen Stellen das Gefühl, dass die Geschichte „zu viel“ ist, zu überladen, um wirklich eintauchen zu können.
Am Ende war der Roman für mich wohl tatsächlich „Keine gute Geschichte“, aber zumindest auch keine ganz schlechte. Und seine Leser*innen wird er sicherlich finden.