Am Gericht
Die Dolmetscherin - Ihre Übersetzung entscheidet über das UrteilRevelle Lee ist in ihrer Kindheit in vielen Ländern herumgekommen und spricht elf Sprachen, ist also das, was man gemeinhin unter hyperpolyglott versteht. Durch diese Vielseitigkeit ist sie im Laufe der ...
Revelle Lee ist in ihrer Kindheit in vielen Ländern herumgekommen und spricht elf Sprachen, ist also das, was man gemeinhin unter hyperpolyglott versteht. Durch diese Vielseitigkeit ist sie im Laufe der Jahre zu einer gefragten Dolmetscherin geworden, insbesondere am Londoner Strafgerichtshof Old Bailey übersetzt sie für Zeugen, Opfer und Angeklagte. Dabei wird sie gleichsam zur Stimme des anderen, zu seinem Spiegel, seinem Klon (kindle, Pos. 625). Gewissenhaft die Worte der Klienten zu dolmetschen und keinesfalls zu interpretieren oder gar zu werten und damit den Inhalt einer Aussage zu verfälschen, ist Revelle enorm wichtig, allerdings ändert sich das, als ihr bei einer Vernehmung das Opfer bekannt ist. Aus der Überzeugung heraus, dass der Verdächtige schuldig ist und sein Zeuge lügt, verändert die Dolmetscherin kleine Details in dessen Angaben. Ob dies den Ausgang des Prozesses beeinflussen wird?
Sehr ruhig und detailgenau geht Autorin Brooke Robinson an diesen ungewöhnlichen Roman heran, es dauert geraume Zeit, bis sich Spannung aufbaut und die Szenen aus dem Klappentext Gestalt annehmen. Revelle wird als zurückhaltende, gewissenhafte Frau dargestellt, die einem nicht unbedingt sympathisch ist und den Leser auch in gewisser Weise auf Distanz hält, obwohl sie selbst ihre Sicht der Dinge schildert. Dennoch ist sie für mich glaubwürdig gezeichnet mit allen Problemen, die jemand mit sich schleppt nach einer unsteten Kindheit voller Übersiedlungen durch aller Herren Länder und sich später als freiberufliche Dolmetscherin ohne Lebenspartner um die Adoption eines Kindes bemüht. Robinsons Sprachmelodie ist eher nüchtern, wodurch sich Revelles Probleme widerspiegeln und ihre innere Zerrissenheit zeigt. Insbesondere die faszinierende Arbeit eines Gerichtsdolmetschers hat die Autorin sehr gut vermittelt und auch Revelles Sorge um den sechsjährigen Elliot, den sie keinesfalls wieder verlieren möchte. Sprünge in die Vergangenheit tragen einiges zum Verständnis bei, verwirren aber manchmal auch ein wenig, da sie oft überraschend ins Geschehen eingebaut sind.
Ein bisschen mehr Spannung hätte dem Ganzen gut getan, dennoch konnte mich „Die Dolmetscherin“ überzeugen mit Robinsons Schreibstil und den interessanten Inhalten, welche hier verarbeitet worden sind.