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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.02.2024

Mehr als fesselnde Spannungsliteratur

Notizen zu einer Hinrichtung
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Dieser Roman mit dem Wahnsinnscover ist ohne Frage ein Stück fesselnder Spannungsliteratur. Aber er ist noch mehr. „Notizen zu einer Hinrichtung“ ist polarisierend, erzeugt bei mir Reibung, bringt mich ...

Dieser Roman mit dem Wahnsinnscover ist ohne Frage ein Stück fesselnder Spannungsliteratur. Aber er ist noch mehr. „Notizen zu einer Hinrichtung“ ist polarisierend, erzeugt bei mir Reibung, bringt mich zum Nachdenken.

Kukafka skizziert in ihrem Roman das Leben von Ansel Packer, einem Mörder, der im Todestrakt auf seine Hinrichtung wartet. Im Stil von Dead Man Walking zählt ein Countdown seine letzten Stunden bis zur Vollstreckung.
Dazwischen werden in Rückblicken die verschiedenen Lebensabschnitte von Packer an Hand von Mädchen und Frauen erzählt, die seinen Weg kreuzten und beeinflussten.
Angefangen bei seiner Mutter, die, selbst Opfer eines gewalttätigen Ehemannes und prekären Lebensumständen, ihn und seinen Bruder ganz früh verlassen hat. Kukafka legt deutlich dar, wie Packer bereits als Kind durch männliche Gewalt und das Verlassen werden traumatisiert wurde.

Auch wenn Kukafka keine einfachen Antworten auf die Frage nach dem Ursprung der Gewalt vorgibt, bedient sie sich doch öfters einiger Stereotypen und stellt sie gleichzeitig subtil in Frage. Das erzeugt die Reibung.

Packer ist als Figur so angelegt, dass Leser*innen Mitleid, ja fast Verständnis, für seine schrecklichen, unenschuldbaren Taten empfinden können. Das provoziert mich und weckt in mir Widerspruch.
Gleichzeitig macht Kukafka klar, dass Packer eine Wahl hatte, und sich für seine Taten entschieden hat und dafür auch verantwortlich ist.

“Manchmal bist du sicher, dass du nichts anderes bist als der flüchtige Moment zwischen Tun und Nichttun. Handeln oder Harren? Wo liegt der Unterschied? Wo ist die Wahl? Wo verläuft die Grenze zwischen Regung und Regungslosigkeit?”

Zweifellos beherrscht Kukafka die Klaviatur des unterhaltsamen Erzählens und auch wenn mir die emotionalen Beschreibungen und manipulativen Stilmittel manchmal eine Spur to much sind, kann ich mich der Faszination ihres Romans nicht entziehen.

Viele Mechanismen der Täter Rezeption, besonders wenn es um junge weibliche Opfer handelt, erkennt sie und benennt sie auch und verwendet sie gleichzeitig selbst.

“Da draußen existieren unzählige Männer, die Frauen gern Schmerzen zufügen würden, aber die Leute halten Ansel Packer für was Besonderes, weil er es getan hat.”

Alles in allem habe ich „Notizen zu einer Hinrichtung“ sehr gerne gelesen, es hat mich teilweise gezielt provoziert und mit seinem Schluss die volle Bandbreite eines emotionalen Epilogs ausgespielt.

Das war sehr gute Unterhaltung.

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Veröffentlicht am 26.01.2024

Lesenswerter historischer Roman mit gesellschaftskritischen Ansätzen

Die Hexen von Cleftwater
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“Die Hexen von Cleftwater” spielt in einem kleinem Dorf in England zur Zeit der Hexenverfolgungen des 17. Jahrhundert.

Meyers Protagonistin Martha ist stumm und arbeitet seit vielen Jahren als kräuterkundige ...

“Die Hexen von Cleftwater” spielt in einem kleinem Dorf in England zur Zeit der Hexenverfolgungen des 17. Jahrhundert.

Meyers Protagonistin Martha ist stumm und arbeitet seit vielen Jahren als kräuterkundige Hebamme. In dem Haushalt, dem sie angehört, wird gleich zu Beginn des Romans eine junge Dienstmagd festgenommen und als Hexe angeklagt.
Immer mehr Frauen werden in dem kleinen Ort Cleftwater der Hexerei verdächtigt, denn der Hexenjäger ist vor Ort und vermutet einen Hexenzirkel.
Ich finde, auch wenn Meyer in erster Linie einen historischen Roman, der der Unterhaltung dienen soll, geschrieben hat, dass sie einige der gesellschaftlichen Wirkmechanismen der Hexenverfolgung deutlich herausarbeitet.
Die Verdächtigungen werden nicht wahllos ausgesprochen, sondern sie treffen vor allem Frauen, die am Rand stehen, ausgegrenzt sind, sich den Wünschen der Männer nicht in jeder Hinsicht fügen wollen.

Auch gefühlte Ungerechtigkeiten und Neid äußern sich diesen Anschuldigungen. Den Verdacht eine Hexe zu sein zu widerlegen ist quasi unmöglich und Folter und psychologischer Druck führen schnell zu vermeintlichen Geständnissen.

Auch Martha gerät bald unter Verdacht, was sie in einen Zwiespalt ihres Gewissens stürzt, denn was keiner weiß: Martha besitzt einen Aztmann, ein kleines Wachsfigürchen, dem magischen Kräfte zugesprochen werden….

Der Aztmann zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman und Meyer nutzt das symbolträchtige Püppchen als Projektion für die Zweischneidigkeit des Glaubens und die Ambivalenz von Gut und Böse in uns Menschen.

Die in Meyers Roman enthaltene Geschichte ist zwar definitiv fiktiv und aus Gründen der Unterhaltung verdichtet und dramatisiert, basiert aber auf realen historischen Ereignissen und ist wie der Meyers Danksagung zu entnehmen ist, detailliert recherchiert.

Für mich war die „Die Hexen von Cleftwater“ ein emotional sehr mitreißender historischer Roman, dessen Andeutungen von feministischer Gesellschaftskritik für mich gerne noch deutlicher hätten ausfallen können. Die handlungsreicheren Szenen wirkten minimal zu wenig auserzählt und zu schnell geschnitten.

Diese kleineren Kritikpunkt minderten aber die erzählerische Sogwirkung nur minimal und ich möchte dir diesen äußerst fesselnden, historischen Pageturner gerne weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 26.01.2024

Ein wunderbares und vielversprechendes Debüt!

Wir sitzen im Dickicht und weinen
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„Kann es zwischen Eltern und Kindern so etwas wie Gerechtigkeit geben?“

Ich glaube, du und ich kennen die Antwort darauf. Beziehungen zwischen engen Blutsverwandten funktionieren selten nach den Gesetzten ...

„Kann es zwischen Eltern und Kindern so etwas wie Gerechtigkeit geben?“

Ich glaube, du und ich kennen die Antwort darauf. Beziehungen zwischen engen Blutsverwandten funktionieren selten nach den Gesetzten der Gerechtigkeit.

Felicitas Prokopetz taucht mit ihrem Roman tief in die komplexen Schichten der zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern ein. Ihre Protagonistin Valerie, die sie in der Ich-Perspektive erzählen lässt, steckt mitten im schwierigen Abnabelungsprozess von ihrem doch sehr behüteten Sohn. Zusätzlich wird ihre Mutter, zu der sie ein schwieriges und belastetes Verhältnis hat sehr krank und braucht sie emotional an ihrer Seite.

Aber warum ist diese Beziehungen zur Mutter, so schwierig, so aufgeladen, so voller nicht ausgesprochenem Schmerz und gleichzeitig so wichtig?

Prokepetz geht zurück zu den Großmüttern von Valerie und wirft einen Blick auf deren Kämpfen und Lebensumstände. Sie mussten sich in einem engen System aus patriarchalen Rollenzuschreibungen und wirtschaftlicher Abhängigkeit behaupten und darum kämpfen, sich nicht darin zu verlieren. In dem generationenübergreifenden Portärt wird deutlich, wie sich der Blick auf Erziehung, Emanzipation und Ehe ändern und für Konflikte zwischen den Generationen sorgen kann.

Familie kann verletzend sein, tröstend, eine Heimat oder ein Trauma. Auf jeden Fall aber immer prägend.
Ich mochte den ersten Roman von Prokopetz sehr, er ist leicht im Stil, aber nicht trivial im Inhalt.
Ein wunderbares und vielversprechendes Debüt!

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Veröffentlicht am 05.12.2023

Solider Krimithriller mit Überraschungsmomenten

Der flüsternde Abgrund
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🔴 Mit Spannungsliteratur aus Australien habe ich bis jetzt sehr gute Erfahrung gemacht. „Der flüsternde Abgrund“ reiht sich hier nahtlos ein, denn der preisgekrönte Debütroman von Lando war für mich ein ...

🔴 Mit Spannungsliteratur aus Australien habe ich bis jetzt sehr gute Erfahrung gemacht. „Der flüsternde Abgrund“ reiht sich hier nahtlos ein, denn der preisgekrönte Debütroman von Lando war für mich ein unterhaltsamer, solider Thriller. Es gab sogar für mich als routinierte Leserin, anders als in meinem letzten Thriller „Himmelfahrt“ das eine oder andere Überraschungsmoment, was mich natürlich gefreut hat.

Es handelt sich hier übrigens um einen klassischen Krimithriller, der, ebenfalls anders als „Himmelfahrt“, komplett ohne übernatürliche Elemente auskommt.

🔴 Ich kehre mit Landos Protagonisten Callum Haffenden in sein australisches Heimatprovinzkaff zurück, wo er vor 30 Jahren als Jugendlicher durch einen Unfall ein Bein verloren hat. Unnötig zu erwähnen, dass der Beinverlust Teil einer verzwickten Geschichte ist, die sich im Laufe des Romans allmählich aufklären wird.
Die Kleinstadt Granite Creek liegt am Rande des australischen Regenwalds und im nahegelegenen zerklüfteten Felsenmeer sind im Laufe der Jahrzehnte immer wieder schlimme Unfälle geschehen und Menschen verschwunden.
Callum kehrt an diesen Ort seines Aufwachsens zurück, weil er in der Zeitung gelesen hat, das der junge Familienvater Lachie, der Sohn einer Jugendliebe, vermisst wird und angeblich im Felsenmeer verschwunden ist.
Mit Lachie hat Callum eine ganz besondere Verbindung, von der aber außer ihm niemand etwas weiß und so beteiligt er sich an der Suche.

🔴 Lando streut immer wieder kleine Rückblicke aus Callums Vergangenheit ein und dröselt so langsam das Beziehungsgeflecht der Figuren auseinander. Ich lerne die Bewohner*innen von Granite Creek kennen und gehe mit Callum auf die Spurensuche, um herauszufinden was mit Lachie passiert ist und gleichzeitig einigen Rätsel der Vergangenheit auf den Grund zu gehen.

🔴 Natürlich verwendete Lando klassische Elemente des Genres wie den Gedächtnisverlust von Callum, der verwirrte Alte, der etwas zu wissen scheint, Drogen (okay, es ist Marihuana) im Kleinstadtmillieu, das gehört wohl zum Kanon.
Auch gibt es an manchen Stellen für meinen Geschmack ein bißchen zu viele Zufälle und zu viele Kongruenzen.

🔴 Der sympathische Mr. Nice Guy Callum Haffenden macht hier einiges an Boden wieder gut, dazu der clever konstruierte und glaubwürdige Plot.
Auch der Schreibstil, von dem ich bei einem Thriller keine literarischen Preziosen erwarte, ist flüssig und macht mein Leseerlebnis ingesamt zu einer runden und unterhaltsamen Sache.

Für mich ein Thriller, den ich auf meiner persönlichen Skala im oberen Mittelfeld einordne und den ich, als Abwechslung zu meiner manchmal thematisch wie stilistisch sehr herausfordernder Lektüre gerne gelesen habe!

Wenn du gerne Thriller oder Krimis liest, lohnt sich für dich vielleicht ein zweiter Blick auf „Der flüsternde Abgrund“.

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Veröffentlicht am 01.11.2023

Frisch und ungewöhnlich

Send Nudes
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Auf dem Buch klebt ein Aufkleber #tiktokmademebuyit, well, das stimmt bei mir nicht ganz. Es war das Cover und die Kurzbeschreibung. Die Autorin Saba Sams zählt laut Klappentext zu den aufregendsten Stimmen ...

Auf dem Buch klebt ein Aufkleber #tiktokmademebuyit, well, das stimmt bei mir nicht ganz. Es war das Cover und die Kurzbeschreibung. Die Autorin Saba Sams zählt laut Klappentext zu den aufregendsten Stimmen der jungen britischen Literatur.
Das kann ich bestätigen, ihre Kurzgeschichten lesen sich für mich neu und ungewöhnlich!

Mir gefällt die kompromisslose und tabulose Sicht und Fokussierung Sams auf weiblich gelesene Themen. Ihre 10 Geschichten sind ausnahmslos aus der Sicht von jungen und sehr junge Frauen geschildert und geben mir einen Einblick in ihre Gedankenwelten und ihre Gefühlswelten.

Sams schreibt über ihre Sehnsüchte und Träume, über ihre Verzweiflungen und Ängst. Sie schaut dabei immer in das normale Leben, zeigt mir die Bedeutsamkeiten im Alltäglichen, kleine Ereignisse, die einen großen Unterschied machen können.
Mir gefällt der Schreibstil, der authentisch, scharfsinnig und wie ungeschliffen wirkt, sehr.


„Seine Hände waren rau wie Holz. Sein Kinn war stoppelig, aber sein rasiertes, gefärbtes Haar fühlte sich wie Teppichboden an. Ich würde nicht so weit gehen, von Lust zu sprechen, aber ich wusste die Texturen zu schätzen.“

Mit hat die Geschichte „Das Brot“ besonders gut gefallen. Eine junge Frau holt sich auf dem Weg nach Hause von ihrer Abtreibung einen Sauerteigstarter vom Bäcker. Während sie sich erholt, kümmert sie sich fast liebevoll um den Sauerteig und backt schließlich ein Brot. Ihre Freundin klaut Unterwäsche bei Viktoria Secret.

Aber auch die titelgebende Geschichte „Send Nudes“ gefällt mir sehr gut, vielleicht weil die Frau in dieser Geschichte etwas älter ist und mich in ihrer realistischen Verletzlichkeit sehr berührt.

Einige Geschichten hätte auf den ersten Blick noch eine radikalere Verdichtung vertragen, doch auf den zweiten Blick gefällt mir diese leichte Indifferenz, dieses Unklare, mit der ich aus diesen Geschichte gehe, fast noch besser.

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