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Veröffentlicht am 09.03.2024

Amerika von unten

Hotel Amerika
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Maria Leitner ist eine der "vergessenen" Autorinnen der Weimarer Republik. "Hotel Amerika" gehörte bereits im Frühsommer 1933 zu den Büchern, die von den Nazis verbrannt wurden. Jetzt wurde der Roman von ...

Maria Leitner ist eine der "vergessenen" Autorinnen der Weimarer Republik. "Hotel Amerika" gehörte bereits im Frühsommer 1933 zu den Büchern, die von den Nazis verbrannt wurden. Jetzt wurde der Roman von 1930 von Reclam in der Klassikerinnen-Reihe neu aufgelegt.

Wir verbringen einen Tag in einem New Yorker Luxushotel, jedoch nicht als Gast, sondern als jemand aus dem Heer der kleinen Arbeiter und Arbeiterinnen. Während für eine Millionärs-Hochzeit ein ganzer Dschungel mitsamt importierten Schmetterlingspuppen arrangiert wird, hetzt ein Fahrstuhlführer seinem Fahrstuhl nach, der sich verselbständig hat. Weil den Zimmermädchen abends die Kraft fehlt, auch noch ihre eigenen Zimmer zu reinigen, liefern sich Staubflocken und Ungeziefer dort ein Wettrennen zwischen den ausrangierten Betten und Matratzen. Genau in der Mitte des Romans ist auch der halbe Tag vorbei und in der Kantine der Angestellten wird der "Kartoffelaufstand" geprobt. Es gelingt jedoch, die Aufsässigen zu zerstreuen, bis auf die Wäscherin Shirley, die meint, nichts mehr zu verlieren zu haben, da das große Geld und ein Verehrer auf sie warten. Sie schätzt die Dinge jedoch ebenso falsch ein, wie das mittlere Management des Hotels, denn der Keim des Widerstands ist gesät.

Zunächst hat mich die detaillierte Beschreibung des Arbeitsalltages der verschiedenen Hotelbereiche (Wäscherei, Küche etc.) stark beeindruckt und meine Annahme hat sich im Nachwort bestätigt, dass nämlich die Autorin diese Szenen mit eigenen Erfahrungen gefüllt hat. 1925 ging sie für drei Jahre nach Amerika und arbeitete dort in ca. 80 verschiedenen unskilled jobs, also Jobs, für die sie keine Qualifikation benötigte, sondern sich sie erst während des arbeitens aneignete. Ebensolche Arbeiten werden auch im Hotel verrichtet. So wird Fritz durch die Großküche weitergereicht, bis er dort ankommt, wo er am besten hinpasst. Wenn ich mich recht erinnere, war das die Kartoffelschälmaschine. Besonders faszinierend: Maria Leitner hatte keine Absicherung durch den Verlag, für den sie als "Undercover-Sozialreporterin" (S. 242) unterwegs war, sie war in Amerika (New York, Alabama, Florida etc.) auf sich selbst gestellt.

Die Sprache des Romans hat für mich den Lesefluss zu Beginn gehemmt. So wird immer von Herr, Frau und Fräulein gesprochen und nicht von Mr. und Mrs. Einige für uns völlig geläufige Begriffe werden "übersetzt", so steht statt Greenhorn im Text Grünhorn, während der Begriff Union (für Gewerkschaft) bestehen bleibt. Das hatte für mich keine Kontinuität, aber möglicherweise war das beim Erscheinen des Romans anders.

Der Roman lebt nicht von seiner Story, sondern von dem Blick von unten, vom Anprangern der Ungerechtigkeit. Dies wird überdeutlich durch die Gegenüberstellung des verschwenderischen Luxus' für die Hochzeit und den Zuständen in den Schlafräumen und Kantinen der Angestellten. Eindrucksvoll ist die schiere Ohnmacht der Gäste, als das Personal nach dem mittäglichen Kartoffelaufstand eine halbe Stunde auf sich warten läßt. Da ist niemand in der Lage, selbst nach einer Zeitschrift zu suchen oder ein Kleidungsstück aufzuheben. Als es am Abend zu einem weiteren Aufstand eines Teils der Angestellten kommt, wendet sich das Blatt und plötzlich wird deutlich, wie wichtig die kleinen Räder im Getriebe sind und was man gemeinsam erreichen kann.

Besser als im Nachwort kann man den Roman nicht zusammenfassen: "Unter seiner schlichten Oberfläche" gehe es um Probleme, "die nichts an Aktualität verloren haben", es gehe "um nichts weniger als den Umgang mit Differenz und die Möglichkeiten gemeinsamen politischen Handelns." (S. 248) Insgesamt ist das Nachwort eine absolute Bereicherung für diesen Roman, auch um sich über das tragische Leben der mir bisher völlig unbekannten Autorin ein zumindest kleines Bild zu machen.

Hervorzuheben ist die wirklich schöne Aufmachung des Buches, mit passender Schrifttype auf dem Cover, Goldprägung und Lesebändchen. Jede Kapitelüberschrift und auch die Seitenzahlen werden von kleinen Ornamenten im Art Deco-Stil begleitet. Das sind liebevolle Details und die kann man ruhig mal erwähnen.

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Veröffentlicht am 12.01.2024

Im dunklen, dunklen Wald

Dunkelhaus
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Der pensionierte Hauptkommissar Harald Uteng ist endlich bereit, in einem Krimipodcast über einen seiner alten Fälle zu sprechen. Gerade ist die erste Folge aufgenommen, da ist Uteng auch schon tot. Alles ...

Der pensionierte Hauptkommissar Harald Uteng ist endlich bereit, in einem Krimipodcast über einen seiner alten Fälle zu sprechen. Gerade ist die erste Folge aufgenommen, da ist Uteng auch schon tot. Alles sieht nach einem Unfall aus, denn der Pensionär hat ganz gerne mal einen Schluck getrunken. Anton Brekke, Kommissar in Oslo, läßt dieser Tod jedoch keine Ruhe. Hat vielleicht alles mit dem alten Fall von 1991 zu tun, in dem er selbst ermittelt hat? Der Mörder der 17-jährigen Malin wurde jedoch verurteilt, denn die Beweise waren erdrückend. Der kleine Ort Aremark wird nun nochmals erschüttert.

Die Handlung wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Die aktuellen Ermittlungen wechseln sich mit den Ereignissen von 1991 ab. Wir lernen die jeweiligen Akteure des Dorfes kennen und wissen bereits, dass hier irgendwo mindestens noch ein Täter unterwegs sein muss. In kurzen Kapiteln wird die Geschichte schnell vorangetrieben. Die Handlung ist gespickt mit Verdächtigen und unheimlichen Momenten. Kommissar Brekke ist jedoch kein auffälliger Charakter und beherrscht deswegen den Roman auch nicht, er bleibt ein wenig blass. Der Thriller liest sich sehr gut, man ist schnell mitten im Geschehen und verfolgt, wie sich Spuren ergeben und wieder im Sande verlaufen.

Insgesamt ein solider Thriller, der alle erforderlichen Kriterien erfüllt. Es gibt zahlreiche Fährten und man ist nie ganz sicher, ob man jetzt auf das "richtige Pferd" gesetzt hat oder nicht. Für ein absolutes Highlight reicht es jedoch nicht.

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Veröffentlicht am 20.12.2023

Bergmann geht in die 8. Runde

Die Schuld, die man trägt
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Der siebente Band endete mit einigen Überraschungen, die in diesem Folgeband nahtlos aufgegriffen werden. Kollege Billy von der Reichsmordkommission wurde als Serientäter endlich enttarnt und sitzt im ...

Der siebente Band endete mit einigen Überraschungen, die in diesem Folgeband nahtlos aufgegriffen werden. Kollege Billy von der Reichsmordkommission wurde als Serientäter endlich enttarnt und sitzt im Gefängnis. Sebastian - völlig selbstlos - möchte ein Buch über ihn schreiben. Vanja, als neue Leiterin der Abteilung, hat mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen und muss das Vertrauen in die Reichsmordkommission zurückgewinnen. Da kommt ein Serientäter-Fall gerade recht, um die Effizient der Abteilung zu beweisen. Schon bei der ersten Leiche wird ein Hinweis platziert, der den Fall in unmittelbaren Zusammenhang mit Sebastian Bergmann setzt. Erneut muss man sich mit dem unliebsamen Psychologen rumschlagen, um das Rätsel zu lösen.

Mittlerweile wird es schwierig, der Serie und vor allem der Entwicklung der Charaktere zu folgen, wenn man die vorherigen Bände nicht kennt. Hier sind besonders die Entwicklung von Billy, die Vergangenheit von Sebastian oder die Verbindung zu Tim, Cathy und Ellinor gemeint.

Der Thriller ist nach dem bewährten Muster des schwedischen Autorenduos aufgebaut. Ein Mordfall, der nicht nur die Mördersuche beinhaltet, sondern geradezu ein Rätselraten in Gang setzt, an dem sich die Lesenden gerne beteiligen. Wie immer ist der Roman sehr schnell geschrieben, es passiert viel in den kurzen Kapiteln, oft werden wir überrascht. Es gibt aber auch Logikfehler im Verhalten der Charaktere. Allerdings auch Verhaltensweisen, von denen man zunächst meint: Nein! Nicht schon wieder so eine naive Reaktion, die in einer gefährlichen Situation endet. Da handelt dann doch mal jemand mit gesundem Menschenverstand, hier ist es Cathy. Sebastians Verhalten hingegen ist mindestens zweimal eher fragwürdig.

Insgesamt ein solider und spannender 8. Teil, der aber nicht das Highlight der Serie ist. Am Ende bleibt so viel offen, dass es eigentlich weitergehen muss, sonst werden viele Fans der Serie stark enttäuscht sein. Für Quereinsteiger ist dieses Buch nicht zu empfehlen, für Serienjunkies jedoch ein must-read-book. Das Autorenduo vermag immer noch zu fesseln, was besonders am Protagonisten Bergmann und den ausgeklügelten Fällen liegt - Logik hin oder her.

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Veröffentlicht am 07.12.2023

Was verschweigt das BKA?

Todesreigen
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Dieses Mal lichten sich die Reihen des BKA ziemlich rasant, ein Todesfall jagt den nächsten. Sabine Nemez, die gerade noch in einem dieser brisanten Fälle ermittelt hat, wird zurückgepfiffen und wendet ...

Dieses Mal lichten sich die Reihen des BKA ziemlich rasant, ein Todesfall jagt den nächsten. Sabine Nemez, die gerade noch in einem dieser brisanten Fälle ermittelt hat, wird zurückgepfiffen und wendet sich an ihren ehemaligen Ausbilder Maarten S. Sneijder. Der suspendierte Misanthrop rät ihr ebenfalls die Finger von dieser Sache zu lassen, was Sabine natürlich nur noch mehr anstachelt. Gemeinsam mit ihrer früheren Kollegin Tina Martinelli versucht sie, hinter die Mauer des Schweigens zu blicken, bevor es noch mehr Tote gibt. Wem können sie noch trauen?

Die Konstellation von Sneijder und Nemez mag ich sehr. Sneijder ist in der Thriller-Literaturszene wirklich eine ganz besondere Erscheinung. Leider tritt er in diesem Fall etwas in den Hintergrund und kann seine Fähigkeiten und seine Missmutigkeit nicht voll ausschöpfen. Insgesamt bleibt dieser vierte Teil, der Autor bezeichnet ihn als Auftakt zur zweiten Trilogie, hinter den anderen Bänden zurück. Dennoch unterhält der Thriller gut und ist kurzweilig. Gruber schreibt rasant und seine kurzen Kapitel halten das Tempo hoch. Die Zeitsprünge, diverse Andeutungen und natürlich die Charaktere halten die Spannung auf einem stabilen Level. Aber aus den Vorgängern weiß man, es geht wesentlich mehr.

Ich freue mich jetzt auf den nächsten Band, der hoffentlich wieder etwas anziehen wird und Sneijder mehr Raum für Ermittlungsarbeit läßt. Das Ende dieses Bandes verspricht dies auf jeden Fall.

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Veröffentlicht am 06.12.2023

Faszination 1920er Jahre

Fräulein Gold: Schatten und Licht
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Die Jahre der Weimarer Republik stehen mittlerweile im Zentrum zahlreicher Buchreihen. Die bekannteste dürfte immer noch die um Gereon Rath von Volker Kutscher (Babylon Berlin) sein. Dicht auf den Fersen ...

Die Jahre der Weimarer Republik stehen mittlerweile im Zentrum zahlreicher Buchreihen. Die bekannteste dürfte immer noch die um Gereon Rath von Volker Kutscher (Babylon Berlin) sein. Dicht auf den Fersen ist ihm jedoch Anne Stern mit ihrer Reihe um die Hebamme Hulda Gold, die ebenfalls in Berlin angesiedelt ist.

Durch die tägliche Arbeit im Bülowbogen hat Hulda es vor allem mit der ärmeren Bevölkerung zu tun. Ihre Tätigkeit ist auch das, was diesen Roman von anderen, die in dieser Zeit spielen, abhebt. Hulda lernt durch einen Todesfall Kriminalkommissar North kennen und damit finden sowohl die "Rote Burg" am Alex, als auch Kriminalrat Ernst Gennat Eingang in die Handlung, die bereits aus Babylon Berlin bekannt sind. Hulda begibt sich selbst auf Spurensuche und damit nicht nur einmal in Lebensgefahr.

Anne Stern hat einen sehr gut lesbaren Roman geschrieben, der vom Berliner Lokalkolorit und der Protagonistin lebt, die aber schon ein ums andere Mal ein bisschen blauäugig handelt. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen dürfen natürlich nicht fehlen und werden geschickt durch die Figur des Bert, den Kioskbetreiber, eingeflochten. Bei ihm gibt es Zeitungen und daher immer die neuesten Nachrichten. Interessante Einblicke gewinnt man in die medizinische Versorgung von Kriegsheimkehrern und die Stellung der weibliche Arbeitskräfte im Bereich der Medizin.

Für mich war der Roman stellenweise ein bisschen mit sprachlichen Bildern und Vergleichen überladen. Einen Teil habe ich als Hörbuch beim Autofahren konsumiert. Großartig mit Berliner Schnauze gelesen, wenn auch etwas atemlos, von Anna Thalbach.

Genau das richtige Unterhaltungsbuch für kuschelige Stunden auf dem Sofa, wenn draußen der Schnell fällt. Also, ab nach Berlin!

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