Die 17-jährige Amira wächst in Bay Ridge, einem muslimischen Bezirk von New York auf. Gerade hat sie die Schule beendet und startet in den letzten unbeschwerten Sommer, bevor der Ernst des Lebens beginnt. Doch so unbeschwert wird dieser nicht werden. Mit Beginn des Ramadan wird ihr Bruder nach 4 Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Dies zieht Amira den Boden unter den Füßen weg, da schon vor langer Zeit eine Entfremdung zwischen dem Geschwistern stattgefunden hat und sie ihn als Eindringling in der familiären Idylle erlebt. Er verhält sich sehr sonderbar und geheimnisvoll und Amira befürchtet, dass ihre Eltern, die sich sehr um ihn sorgen und möchten das er fortan ein geregeltes Leben führt, daran zerbrechen würden, wenn er wieder in die Kriminalität abrutscht.
Auch ihre Zwillingsschwester Lina ist ihr keine große Stütze. Eher im Gegenteil: sie rebelliert gegen die gesellschaftlich und religiös auferlegten Normen, betrinkt sich, feiert gern, trägt knappe Outfits, wirft sich Männern an den Hals und träumt von einer Karriere als Model.
Amira fühlt sich wie „zwischen zwei Monden“, denn sie ist das gute Kind, dass versucht sich an alle Regeln zu halten.
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Aisha Abdel Gawad hat einen sehr eingängigen, bildlichen Schreibstil und schafft es gut die Atmosphäre des Viertels, in dem die Geschichte spielt, einzufangen. Man hört förmlich die Geräusche, riecht die Gerüche, spürt den Trubel und das Leben, welches in Bay Ridge herrscht. Es ist ein bisschen wie auf dem Dorf… jeder kennt jeden, es wird getratscht, alle passen so ein bisschen auf alle anderen auf. Aber der schöne Schein trügt: das Viertel wird überwacht, durch Kameras und Spitzel, die Anwohner allein auf Grund ihres Glaubens als Bedrohung angesehen. Es ist sicher nicht einfach in einer Welt aufzuwachsen, in der man der permanenten Überwachung ausgesetzt ist und sich nicht den geringsten Fehler erlauben darf.
Über die Darstellung der Gemeinschaft hinaus zeichnet die Autorin ein umfassendes Bild der Familie. In Rückblenden oder durch Erzählungen der Eltern erfährt der Lesende, wie es dazu gekommen ist, dass die Eltern in die USA ausgewandert sind. Auch über die Kindheit der Geschwister wird berichtet und schnell wird klar, warum die Beziehung zwischen dem Bruder und den Schwestern angespannt ist. Es zeigt sich auch, dass das Leben des Bruders wahrscheinlich eine andere Richtung genommen hätte, wenn er im Kindesalter Unterstützung bekommen hätte bzw. wenn die Eltern erkannt hätten, dass er diese benötigt.
Die Autorin fängt den Zwiespalt zwischen traditionellem/religiösem Bewusstsein und dem Wunsch sich selbst zu entfalten bzw. auszubrechen geschickt ein und verdeutlicht dies vor allem in der sehr gegensätzlichen Entwicklung der Zwillinge. Aber auch in Amira selbst herrscht so ein Kampf. Zum einen ist da der Wunsch eine gute Muslima zu sein, zum anderen möchte sie aber auch einfach nur ein amerikanisches Mädchen sein, welches sich frei entfalten kann. Die Diskrepanz die dahingehend im Elternhaus vermittelt wird ( die Mutter legt die Religion sehr viel stringenter als der Vater aus) hilft ihr dabei auch nicht besonders.
Sehr beeindruckt war ich von der Schilderung des Ramadan und den Entbehrungen, die daran hängen. Auch wenn ich prinzipiell weiß wie das Fasten abläuft, so ist es doch etwas anderes darüber zu lesen, wenn an heißen Tagen nicht mal ein Schluck Wasser zu sich genommen werden darf und versucht wird durch Imagination das Durstgefühl zu bekämpfen.
Auch sprachlich fand ich das Geschriebene sehr interessant. Der Wechsel zwischen der sich-Perspektive und dem allwissenden Erzähler hat Abwechslung ins lesen gebracht und mehrere Ansichten auf Situationen ermöglicht.
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Ein toller Roman, der gern noch ein wenig ausführlicher hätte sein dürfen. Vor allem das Ende kam mir dann doch sehr abrupt und hat mich ein wenig ratlos zurück gelassen.
Große Leseempfehlung.