Ende der 1940er Jahre: Der Krieg ist endlich vorbei – doch in dem kleinen Ort Unnenmoor haben die Menschen kaum in ihr Leben zurückgefunden, wie auch im Rest des Landes nicht. Die alten Gewissheiten haben sich als falsch erwiesen, alles, woran man glauben und woran man sich festhalten konnte, taugt ebenso wenig als sicherer Grund wie das Moor. Wanderprediger verkünden den nahenden Weltuntergang und versprechen zugleich Heilung und Erlösung.
Die elfjährige Betty Abels und ihre Mutter Edith kommen gerade so über die Runden. Der Vater ist im Krieg geblieben. Als Betty eines Nachts verschwindet und ihr Freund Willi grün und blau geschlagen im Ort auftaucht, gibt es nur eine Erklärung: Da sind Hexen am Werk. Und wer könnte es wohl eher gewesen sein als die hübsche Edith, die sich zu fein ist für die Männer, die noch übrig sind? Betty und Edith wird zunehmend das Leben schwergemacht. Doch während das Gerede über Hexen immer lauter wird, rückt mit der Trockenlegung des Moors der Fortschritt heran und verspricht den Menschen in Unnenmoor einen Neuanfang …
Helga Bürsters neuer Roman taucht atmosphärisch und intensiv in die Zeit der Verlorenheit nach dem Zweiten Weltkrieg ein und erzählt von Menschen, denen die Orientierung abhandengekommen ist, und von ihrer Sehnsucht nach einem Leben ohne die Schatten der Vergangenheit.
Unnenmoor liegt in Ostfriesland. Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs warten die Bäuerinnen Anni und Edith noch immer auf die Rückkehr ihrer Ehemänner, die in Russland gekämpft haben. Schließlich ...
Unnenmoor liegt in Ostfriesland. Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs warten die Bäuerinnen Anni und Edith noch immer auf die Rückkehr ihrer Ehemänner, die in Russland gekämpft haben. Schließlich kehrt einer zurück.
Die Atmosphäre in diesem Buch ist so düster wie die lichtlosen Katen, in denen die Menschen leben, denn Strom gibt es noch lange nicht. In der Nähe des Dorfes stand eine Baracke, in der Zwangsarbeiter lebten, wie jeder im Dorf wusste. Der Krieg kam den Menschen also sehr nah. Die Überlebenden sind verstört und traumatisiert, sie suchen nun nach Orientierung, begleitet von Aberglauben. Zwischen Arbeit, Kirche und Kneipe erscheint das Leben eng und aussichtslos.
Mir gefielen die dichte Atmosphäre, die glaubhaften Figuren und die begreifliche Handlung, die zum Schluss fast in eine Katastrophe mündet. Gerade die emotionale Schilderung der Personen macht es leicht, ihnen zu folgen und sie zu verstehen. Die häufig gesprochene Mundart lässt das Ganze noch authentischer wirken.
Eine bewegende Geschichte, dicht erzählt und mit einem versöhnlichen Ende im Heute. Es ist der dritte Roman der Autorin.
Ende der 40er Jahre in Norddeutschland - viele Männer sind vom Krieg nicht zurückgekommen und andere wurden schwer verletzt. Die Frauen müssen den Alltag schaffen, die Not verringern, weil sie nie wissen, ...
Ende der 40er Jahre in Norddeutschland - viele Männer sind vom Krieg nicht zurückgekommen und andere wurden schwer verletzt. Die Frauen müssen den Alltag schaffen, die Not verringern, weil sie nie wissen, wie sie die Familie ernähren können. Da floriert der Aberglaube, die Hoffnung an Wunderheiler, die Hilfe von "Hexen" wird gesucht. Dieser Aspekt wurde in der Geschichte sehr ausführlich geschildert, sodass ich immer wieder den Eindruck hatte, mitten in einem Mittelalterroman zu lesen. Aber dann kam auch die neue Technik ins Spiel, dass der Moorteich mit großen Maschinen trockengelegt wird. Dieses Ereignis wurde gut eingefangen - die Skepsis gegenüber der Technik, die Zerstörung des natürlichen Lebensraums der Bevölkerung, aber auch das Staunen und Freude über neue Straßen, Häuser.
Der Roman ist sehr gut zu lesen, flüssig geschrieben, die vielen Erlebnisse der Frauen wurden anschaulich eingefangen. Das Entstehen von Vorurteilung und Hetze gegenüber einer guten Frau und Freundin wurde sehr drastisch dargestellt, es braucht nicht viel, nur ein verleumdnerisches Großmaul, dem alles geglaubt wird und niemand hinterfragt seine skurilen, fantasievollen Behauptungen. Diesen Aspekt kann man in der heutigen Zeit auch gut beobachten.
So spannt sich dieser Roman vom dunklen, düsteren, kargen Mittelalter bis zu Gefahren in der Gegenwart. Sehr gut gelungen!
Edith und Annie sind Freundinnen, lange schon. Beide jung verheiratet, haben sie fast gleichzeitig ein Kind bekommen und ihre Männer nur wenig später in den Krieg verabschieden müssen. Dieser ist seit ...
Edith und Annie sind Freundinnen, lange schon. Beide jung verheiratet, haben sie fast gleichzeitig ein Kind bekommen und ihre Männer nur wenig später in den Krieg verabschieden müssen. Dieser ist seit ein paar Jahren aus, doch zurückgekehrt ist noch keiner und so unterstützen die Frauen sich gegenseitig auf ihren Höfen. Viel Raum für Hoffnung bleibt ihnen nicht und nun steht auch noch der Weltuntergang bevor, prophezeit der Spökenfritz, ein Scharlatan, der die Unsicherheiten der Dorfbewohner zu seinen Gunsten zu nutzen weiß. Als Annies Josef endlich heimkommt, ist die Freude groß, doch schnell folgt Ernüchterung. Der an Körper und Seele Versehrte findet kaum zurück ins alte Leben, säuft sich durch die Tage, schaut seine Frau nicht mehr an und schielt immer öfter auf die rothaarige Edith, die ihm so vertraut erscheint. Ganz klar, er ist verhext worden und ein Sündenbock für alles Unheil schnell ausgemacht. Bald schon stehen die Frauen auf gegensätzlichen Seiten, ein Graben des Misstrauens zwischen ihnen, ein Riss, der ganz Unnenmoor spaltet. Hier die Abergläubischen, dort die Aufgeklärten. Hier die Altmodischen, dort die Fortschrittlichen. Denn nicht nur der Zweite Weltkrieg und dessen schmerzhafte Nachwehen sorgen für große Verunsicherung, auch die in großen Schritten voranpreschende Modernisierung überfordert die Menschen, die sich nach Altbekanntem, nach Sicherheit sehnen. Wie weiterleben nach einem Krieg, der fortwährend in den Köpfen und draußen im Moor herumspukt? Wie mit der eigenen Schuld in den Schatten der Vergangenheit?
Ich bin tief eingetaucht in Helga Bürsters atmosphärischen Roman, der mit starken Bildern in eine Zeit der Orientierungslosigkeit entführt und überaus lebendig erzählt ist. „Als wir an Wunder glaubten“ zeichnet ein realistisches Bild der düsteren Nachkriegsära, die sumpfige Moorlandschaft Ostfrieslands spielt dabei eine zentrale Rolle und verleiht der Geschichte etwas Mystisches, Geheimnisvolles. Ich habe insbesondere die im Moor verwurzelte Guste und die junge Betty ins Herz geschlossen, ihren festen Zusammenhalt gemocht, ihre beharrliche Weigerung, sich unterkriegen zu lassen, bewundert. Keine Feel-Good-Lektüre, aber dennoch eine lohnenswerte!
Die Autorin behandelt die Nachkriegszeit nicht plakativ - Themen wie Kriegsversehrtheit, die Nazi-Vergangenheit und Armut werden zwar erwähnt, stehen aber gleichberechtigt mit der eigentlichen Geschichte ...
Die Autorin behandelt die Nachkriegszeit nicht plakativ - Themen wie Kriegsversehrtheit, die Nazi-Vergangenheit und Armut werden zwar erwähnt, stehen aber gleichberechtigt mit der eigentlichen Geschichte der Jugendlichen Betty und ihrer Mutter Edith. Über die Vergangenheit wird meist nicht gesprochen - das bezieht sich nicht nur auf die Nazi-Vergangenheit, sondern auch auf die Beziehungsgeflechte im norddeutschen Dorf, in dem die beiden Leben. Um so interessanter für Betty und die Lesenden, was die verschrobene Guste zu erzählen hat. Was ist hier Fakt und was Fiktiv - das bleibt lange offen. Das passt auch zum dritten großen Thema des Romans: Aberglaube. Vermeintliche Heilsbringer stehen bei vielen hoch im Kurs - eine Fortsetzung der Versprechen der Nazis und gleichzeitig Hoffnung in trüben Zeiten. Dennoch etwas, das ich noch nie als Thema speziell für die Nachkriegszeit auf dem Schirm hatte.
Für mich insgesamt eine ruhige, gut erzählte, andere Geschichte über die Nachkriegszeit in Deutschland. Gefallen hat mir auch die Konzentration auf den weiblichen Blickwinkel.
MEINE MEINUNG
In ihrem beeindruckenden, auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman „Als wir an Wunder glaubten“ widmet sich die deutsche Autorin Helga Bürster einem wenig bekannten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. ...
MEINE MEINUNG
In ihrem beeindruckenden, auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman „Als wir an Wunder glaubten“ widmet sich die deutsche Autorin Helga Bürster einem wenig bekannten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Hierin greift sie sozialpsychologische Phänomene der deutschen Nachkriegsgesellschaft auf, die sich in einem weit verbreiteten Aber- und Hexenglauben, der Popularität von selbst ernannten „Wunderdoktoren“ wie Bruno Gröning aber auch Fällen von Hexendenunziationen äußerten.
Wie bereits in ihren letzten beiden Romanen „Luzies Erbe“ und „Eine andere Zeit“ entführt uns Bürster an einen sehr ländlichen Schauplatz im Norden Deutschlands. So ist diesmal ist der neue Roman in Unnenmoor zum Ende der 1940er Jahre angesiedelt, einem abgeschiedenen und rückständigen kleinen Ort in der unwirtlichen norddeutschen Moorlandschaft, an dem das Leben von vielen Beschränkungen geprägt ist und ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Hervorragend haben mir insbesondere die eindrucksvollen, atmosphärisch dichten Natur- und Landschaftsbeschreibungen der eigenwilligen und sehr mystischen Gegend und der unterschiedlichen Handlungsorte gefallen, die mich die Kargheit und die Härte der Naturgewalten hautnah haben spüren lassen
Einfühlsam und eindringlich erzählt die Autorin von verunsicherten und entwurzelten Menschen, denen nach ihren traumatischen Erlebnissen in der Nazizeit und durch die Folgen des verlorenen Kriegs die Orientierung und Sicherheiten abhandengekommen sind. Noch haben sie nicht in ihr Leben zurückgefunden und flüchten sich in der Hoffnung, Rückhalt und Geborgenheit zu finden, ins Irrationale und Übernatürliche. Sehr anschaulich und authentisch fängt sie die Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit der Dorfgemeinschaft von Unnenmoor und das allgegenwärtige Gefühl von sozialem Misstrauen und unbestimmten Zukunftsängsten ein. Sehr atmosphärisch beschreibt sie die düstere, trostlose Stimmung und bleierne Schwere, die auf dem Dorfleben lastet, das immer noch von den Auswirkungen des Krieges beeinflusst ist. Ein perfekter Nährboden für Scharlatane und Wanderpropheten, die den Weltuntergang ankündigen, und dem Aufleben von altem Aberglauben.
Nachvollziehbar ist die große Sehnsucht der Menschen nach einer besseren Zukunft und einem Leben ohne Schuldgefühle und die Schatten der Vergangenheit. Doch während die einen auf materiellen, Wohlstand, Fortschritt und Neuanfang setzen und die alten Traditionen rigoros hinter sich lassen wollen, besinnen sich andere in der schwierigen Zeit auf die früheren Zeiten, alte Bräuche, Geister und ihren Aberglauben und suchen Sündenböcke unter ihresgleichen, um sich von ihren unguten Emotionen und Ängsten zu befreien.
Der Autorin ist eine einfühlsame, vielschichtige Figurenzeichung ihrer Protagonistinnen gelungen. Am Beispiel der beiden Freundinnen Edith und Annie führt uns die Autorin anschaulich und ernüchternd den tristen Alltag in Unnenmoor vor Augen und lässt uns schrittweise in die bedrückende Nachkriegsatmosphäre eintauchen, die mich mit ihrer Intensität zunehmend in den Bann gezogen hat. Gemeinsam mit ihren Kindern, der aufgeweckten Betty und den geistig behinderten Willi haben sie die harten Kriegsjahre durchgestanden, immer noch auf sich selbst gestellt und warten sie auf die baldige Heimkehr ihrer Männer aus dem Krieg. Als jedoch Annis Mann Josef kriegsverseht, schwer traumatisiert und mit nur rudimentären Erinnerungen an die Vergangenheit heimkehrt, nimmt das Schicksal seinen fatalen Lauf und die Ereignisse gipfeln in einer bizarren Hexenjagd. Obwohl sich die Handlung bisweilen im Kreise zu drehen scheint, konnten mich vor allem Gustes alte Geister-Geschichten über die Glöhnigen und Töverschen, die mystische Atmosphäre und die Dynamik der sich zuspitzenden Geschehnisse sehr fesseln. Sehr glaubhaft wird in der bewegenden und nachdenklich stimmenden Geschichte dargelegt, wie leicht sich psychisch labile Menschen von Opportunisten und Blendern manipulieren und ausnutzen lassen.
Abgerundet wird der Roman durch einen zuversichtlich stimmenden Ausklang im Epilog, der die Geschehnisse nach einem großen Zeitsprung zu einem schönen, stimmigen Abschluss bringt.
FAZIT
Ein beklemmender Roman über ein wenig bekanntes Phänomen deutscher Nachkriegsgeschichte – eine eindrucksvoll erzählte Geschichte voller Magie, Mythen und Aberglaube, die noch länger nachwirkt und nachdenklich stimmt!