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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.12.2017

Schwierig und erschreckend

Der Serienkiller, der keiner war
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Zum Inhalt:
Einer der größten Justizskandale Schwedens ist die Geschichte um Sture Bergwall. Dieser wurde für viele Morde verurteilt, die er nicht begangen hatte, weil Psychotherapeuten ihm einredeten, ...

Zum Inhalt:
Einer der größten Justizskandale Schwedens ist die Geschichte um Sture Bergwall. Dieser wurde für viele Morde verurteilt, die er nicht begangen hatte, weil Psychotherapeuten ihm einredeten, verantwortlich zu sein und die Staatsanwaltschaften ihre Fälle abgeschlossen sehen wollten und deshalb schlampig arbeiteten.

Mein Eindruck:
Dan Josefsson führt mit diesem Buch das Lebenswerk eines verstorbenen Kollegen weiter und tut dieses in akribischer und ausführlicher Art und Weise - eine Form, die man sich für die Ermittlungen zu den von Sture Bergwall gestandenen Morden ebenfalls gewünscht hätte. Hunderte Fußnoten, dutzende Interviews zeugen von dem Wunsch, allen Seiten gerecht zu werden und die Gefährlichkeit zu entlarven, die von fanatischen Psychotherapeuten ausgehen kann. Es macht sprachlos, zu lesen, wie sich dieser Fanatismus Bahn brach und Polizisten und Justiz sich einlullen ließen und wider besseres Wissen und Arbeitsstrukturen auf eine sektenähnlich aufgebaute Psycho-Schar hineinfielen. Die Persönlichkeit im Mittelpunkt dieser Schar wird dabei von Josefsson gekonnt seziert, obwohl sie das Licht der Öffentlichkeit zeitlebens scheute.

Dieses Sachbuch ist kein leichter Text, - man benötigt Wochen, um sich durch das Buch zu arbeiten. Das liegt an den für Laien komplizierten Zusammenhängen und an dem mit Fachbegriffen gespickten Text, aber auch an der Fassungslosigkeit, wenn man begreift, wie mächtig und manipulativ Menschen agieren können und wie einfach es zu sein scheint, gesunden Menschen krankhafte Erinnerungen einzutrichtern.

Obwohl ich mit dem Text kämpfen musste, bin ich dankbar, das Buch gelesen zu haben, denn ich vertraue auf die Ansicht, Einflüsterern jeder Couleur jetzt mit mehr Widerstand begegnen zu können.

Mein Fazit:
Schwere Kost, die sich lohnt
4 Sterne

Veröffentlicht am 30.10.2017

Nicht verschlafen

Mordsmäuschenstill
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Zum Inhalt:
Die Psychologin Hannah hat sich auf Schlafstörungen spezialisiert. Eines Abends erhält sie einen Schlag mit einem Golfschläger auf den Kopf und fällt ins Koma. Vier ihrer Patienten wollen ...

Zum Inhalt:
Die Psychologin Hannah hat sich auf Schlafstörungen spezialisiert. Eines Abends erhält sie einen Schlag mit einem Golfschläger auf den Kopf und fällt ins Koma. Vier ihrer Patienten wollen diesen Anschlag aufklären und kommen dabei der Polizei in die Quere.

Mein Eindruck:
Kurze Kapitel, die sich jeweils mit der Sicht einer beteiligten Person befassen, lassen den Leser nur so durch die Seiten fliegen. Dazu bedient sich die Autorin einer guten Spritze dunkelgrauen Humors und sehr spezieller Charaktere. Sicher ist diese kurze Schnurre kein großes Kriminal-Kino, aber für den Preis eines E-Book absolut empfehlenswert und sehr amüsant geschrieben. Denn auch wenn die wenigen Seiten keinen Platz für tiefschürfende Charakterstudien bieten, sind die Figuren doch gelungen gezeichnet und nutzen den geringen Raum optimal für ihre unterschiedlichen Spleens und Störungen aus. Leider wird für mein Dafürhalten ein wenig zu viel Platz auf das Nackt-Schlafwandeln von zwei Figuren verschwendet, das sich nur mit Sex behandeln lässt. Welche Finger sich an welchen Stellen zu welcher Zeit befinden, steht zeitweise sehr im Vordergrund und wirkt damit eher deplatziert, weil es die Krimihandlung nicht wirklich voranbringt und eher nach „huch, ich brauche noch einen skandalträchtigen Moment“ riecht.
Allerdings gefällt, dass Motiv und Täter nicht vom Himmel fallen, sondern schlüssig erscheinen und in glaubwürdiger Manier ermittelt werden. Das Ende bietet noch einen zusätzlichen Aha-Effekt und erinnert ein bisschen an Agatha Christie Romane: Sehr versöhnlich trotz aller Verbrechen und traurigen Momente und so klappt der Leser seinen Reader mit einem Lächeln zu.

Mein Fazit:
Guter Appetithappen, der Lust auf mehr von Frau Tielcke macht.

4 Sterne, da für den günstigen Preis die Erwartungshaltung auf jeden Fall voll erfüllt wird.

… und das meine ich nur positiv!

Veröffentlicht am 01.10.2017

Drama in drei Akten

Drei Tage und ein Leben
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Zum Inhalt:
Der zwölfjährige Antoine lebt 1999 zusammen mit seiner Mutter in einem französischen Dorf. Kurz vor Weihnachten erschlägt er mehr zufällig einen Nachbarsjungen im Wald, wird jedoch durch die ...

Zum Inhalt:
Der zwölfjährige Antoine lebt 1999 zusammen mit seiner Mutter in einem französischen Dorf. Kurz vor Weihnachten erschlägt er mehr zufällig einen Nachbarsjungen im Wald, wird jedoch durch die großen Stürme und die dadurch angerichteten Verwüstungen vor der Entdeckung geschützt. Trotzdem bleibt seine Tat nicht ohne Folgen für ihn und sein Leben.

Mein Eindruck:
… und die Moral von der Geschichte: Du kannst deinem Schicksal nicht entfliehen. Das gilt nicht nur für Antoine, sondern auch für einige der Nebenfiguren in diesem Lehrstück um Schuld und Sühne. Zwar spielt sich die Story in der jüngeren Vergangenheit ab, sie wirkt aber relativ zeitlos und teilweise hätte sie sogar eher in die Vergangenheit gepasst: Das Dorfleben, die Heimlichkeiten, das bigotte Verhalten und auch das Obrigkeitsdenken und das Gottvertrauen sind wie aus der Zeit gefallen geschildert. Und diese Beschreibungen gelingen Lemaitre großartig. Wie die heimlichen Verbündeten Antoines leidet man mit ihm – totes Kind hin oder her – so eindrucksvoll wird Antoines Angst, Selbstmitleid und Verzweiflung geschildert. Gut gefällt, wie der Protagonist immer wieder vor die Wahl gestellt wird, sich seiner Verantwortung zu stellen und dieser reagiert und versucht, sich aus der Bedrängung zu lösen, um sich dann nur noch tiefer in einem verpfuschten Leben zu verstricken.
Dabei stehen die drei Kapitel (1999, 2011 und 2015) für die Scheidepunkte Antoines, wobei die immer kürzer werdenden Kapitel auch für die Abnahme der Möglichkeiten Antoines zu sehen sind.
Diese komplette Tragödie fesselt in ihrer Vollkommenheit und ihrem Ausmaß den Leser total und lässt einen traurig zurück, - keine Chance für niemanden – episch.

Mein Fazit:
Großartig geschrieben, unendlich traurig, passend für die Herbstdepression

Veröffentlicht am 24.09.2017

Schall und Rauch

Projekt Orphan
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Zum Inhalt:
Evan Smoak war Teil des Orphan Projekts der amerikanischen Regierung – ein Killer ohne Vergangenheit. Er hat sich entschieden, dieser Aufgabe den Rücken zu kehren und mit seiner Begabung als ...

Zum Inhalt:
Evan Smoak war Teil des Orphan Projekts der amerikanischen Regierung – ein Killer ohne Vergangenheit. Er hat sich entschieden, dieser Aufgabe den Rücken zu kehren und mit seiner Begabung als „Nowhere Man“ Opfern zu helfen. Nach seinem letzten Auftrag fällt er jedoch in die Hände eines Verbrechers und muss um seine eigene Freiheit kämpfen, immer auf der Flucht vor den anderen Orphans, - schließlich ist ein Abgang in ein bürgerliches Leben nicht vorgesehen und wird mit dem Tod bestraft.

Mein Eindruck:
Der Name Smoak erinnert nicht umsonst an Rauch – denn genauso unfassbar bleibt Evan für seine Verfolger. In Zeiten der fast absoluten Überwachung mutet so ein Szenario zwar immer unwahrscheinlicher an (unbegrenzte Möglichkeiten des Datenchecks inklusive Gesichtserkennung und trotzdem wird ein reicher Typ, der seinen Vornamen behalten hat und durchaus vor die Tür geht, nicht aufgestöbert); wie Collins seinen Helden und dessen Leben in Szene gesetzt hat, ist trotzdem sehr gelungen. Man merkt der Geschichte an, dass viele Experten befragt wurden und deren Wissen eingeflossen ist. Bei den Kampfszenen ist es jedoch schon fast zuviel an Information und wird trotz aller brechenden Knochen, abgerissenen Gliedmaßen und spritzendem Blut eher langweilig.
Des Weiteren gefallen die Nebenfiguren, allen voran der Antagonist, der bei allem Egoismus und Bosheit fast schon Mitleid erweckt – das perfekte Beispiel für eine verkorkste Familiengeschichte. Auch die weiblichen Charaktere bieten ein ausgeglichenes Maß an Stärke und Verletzlichkeit in einer Person und damit eine gerade in Thrillern eher seltene Ambivalenz.
Perfekt das Ende – abgeschlossen und doch mit Ausblick auf ein mögliches, neues Buch, die eingeführten Figuren sind dafür eine interessante und gut gemischte Gruppe, so dass man sich darauf auch freuen kann.

Mein Fazit:
Gerne mehr von dem Nirgendwo

Veröffentlicht am 03.09.2017

Es ist etwas faul im Staate Dänemark

Oxen. Das erste Opfer
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Zum Inhalt:
Niels Oxen ist der höchstdekorierte Soldat Dänemarks, aber genauso schwer wie seine Orden wiegen seine Traumata. Deshalb zieht er sich gemeinsam mit seinem Hund in die Wälder zurück – abseits ...

Zum Inhalt:
Niels Oxen ist der höchstdekorierte Soldat Dänemarks, aber genauso schwer wie seine Orden wiegen seine Traumata. Deshalb zieht er sich gemeinsam mit seinem Hund in die Wälder zurück – abseits von Menschen – auf das Grundstück eines Ex-Diplomaten. Als dieser ermordet wird, gerät Oxen ins Visier der Geheimdienste, wird von deren Chef engagiert und deckt gemeinsam mit Franck, einer Mitarbeiterin, eine Verschwörung auf, die in die höchsten Kreise Dänemarks reicht.

Mein Eindruck:
Hier kein Polizist, sondern ein Soldat mit Problemen, der zusätzlich eine Dame mit amputiertem Unterschenkel zur Seite gestellt bekommt – so weit, so typisch nordisch. Wenigstens kann man diese Probleme nachvollziehen und es handelt sich nicht nur um Eheschwierigkeiten wegen des Jobs und der daraus resultierenden Alkoholsucht.
Glücklicherweise gibt es aber einige Lichtblicke in der Geschichte. Die Personen haben ihren wenn auch schwarzen Humor nicht gänzlich verloren, sie sind vielschichtig angelegt und die Story um Mord, Verschwörung und einen alten Geheimbund kann auch noch für weitere Bände tragen. Es gefällt, dass man nie sicher sein kann, wer jetzt gut, wer böse und wer irgendetwas dazwischen ist und der Leser irrt genauso durch die Fallstricke wie Oxen, verläuft sich ebenso im Labyrinth der falschen Spuren und Janus-Gesichtern. Zwar fehlt dem Schreibstil zu Beginn ein wenig die wörtliche Rede, da der Autor jedoch relativ früh klarstellt, dass sein Protagonist maulfaul aus Menschenscheu ist, gewöhnt man sich schnell an diese Art der Erzählung. Überhaupt fühlt man sich sehr gut mitgenommen, kein seltsam anmutendes Verhalten bleibt gänzlich unerklärt, die Bröckchen aus Oxens Vergangenheit fügen sich – wenn auch langsam – zu einem guten Bild dieser gesprungenen Person.
Der Schluss ist ein perfekter Kompromiss zwischen Aufklärung der Morde einerseits und Cliffhanger – die große dänische Verschwörung – andererseits. Glücklicherweise liegen die beiden Folgebände der Trilogie schon vor und warten nur noch auf ihre Übersetzung – die hoffentlich bald erfolgt.

Fazit:
Eine echte, wenn auch sehr spröde, Bereicherung der Thrillerlandschaft