Hernan Diaz‘ vielschichtiger Roman dekonstruiert den amerikanischen Mythos von Männern, Macht und Reichtum und gipfelt in einer provokanten Geschichte der Emanzipation. Ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis 2023
Am Anfang steht das Geld. Und ein Mann, der es zu vermehren versteht wie kein Zweiter. In der schillernden New Yorker Finanzwelt der 20er-Jahre wächst Benjamin Rasks Vermögen ins Unermessliche. Aber erst seine Ehe mit der geheimnisvollen Helen gibt seinem Leben Sinn. Bald vibriert die ganze Stadt vor Gerüchten um das enigmatische Paar, und mit der Zeit beginnen die vielen Erzählungen die Wahrheit über die Eheleute zu verschleiern. Bis sich eine unerwartete Stimme in dem Gewirr Gehör verschafft.
"Treue" ist ein fulminantes Spiel mit dem Leser, eine vierteilige Matroschka, deren Kern den großen amerikanischen Mythos des Kapitals für immer verändert. Was als klassischer Roman über Macht und Männer beginnt, gipfelt in einer provokanten und hochmodernen Geschichte der Emanzipation.
Das Buch beginnt als biografische Erzählung über Benjamin Rask und Schritt für Schritt entwickelt sich eine immer intelligentere Geschichte, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln, schnell eine Sogwirkung ...
Das Buch beginnt als biografische Erzählung über Benjamin Rask und Schritt für Schritt entwickelt sich eine immer intelligentere Geschichte, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln, schnell eine Sogwirkung entfaltet. Es geht vor allem um das Thema Geld, wie man schon vom Cover her vermuten könnte. Rask ist unfassbar reich und selbst der Börsencrash von 1929 und die folgende Depression können seinem Vermögen nichts anhaben. Um der Geschichte folgen zu können muss man nicht sonderlich viel von Handel und Wertpapieren verstehen. Das System wird anschaulich und verständlich erklärt und selbst ich, die wirklich keine Ahnung davon hatte, weiß jetzt was ein Leerverkauf ist.
Wo anfänglich die Börse das Buch thematisch dominiert, tritt nach einer Zeit Benjamins Ehefrau Helen in den Vordergrund. Ihr Geschichte ist ebenso spannend wie die Rasks und dieser Handlungsstrang bringt eine philosophische und poetische Note über die Macht des Geldes hinein.
Interessanterweise kommt dieser erste Teil des Buches komplett ohne wörtliche Rede aus und endet ziemlich abrupt, obwohl das Buch noch lange nicht fertig ist. Wie die folgenden Teile mit der initialen Handlung zusammenhängen, wird erst spät klar. Während ich anfangs noch etwas verwirrt war, fügt sich nach und nach alles auf eine überaus kluge Art zusammen. Das Ende ist fantastisch und auch überraschend; es lohnt sich zu 100% dran zu bleiben.
Eine großartige Geschichte, die ich mit nichts vergleichen kann, was ich bis jetzt gelesen habe und empfehlenswert für alle, die sich gerne auf etwas Neues einlassen und gerne überrascht werden möchten. Meine absolute Leseempfehlung für ein Buch, dass eines Erachtens leider viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt!
Der Titel des englischsprachigen Originals dieses Romans von Hernan Diaz ist „Trust“. Und genau dieses „Trust“ enthält in seiner Bedeutungsvielfalt bereits die wichtigsten Komponenten des Romans. Vordergründig geht es um ein Ehepaar der New Yorker Finanz-High-Society zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Um diese Ehepartner herum konstruiert nun Diaz ein kongeniales literarisches Puzzlespiel, in welchem es für die Leserschaft heißt herauszufinden, welcher Darstellung von Personen, deren Leben, historischen Ereignissen und scheinbaren Sachverhalten sie vertrauen kann und welcher nicht. Schon der schweizerische Politiker Ernst Reinhardt sagte: „Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben.“ Der zweite Teil des Zitats wird häufig vernachlässigt, sollte mit Blick auf den Roman jedoch fast noch stärker hervorgehoben werden: „Aber die Nachwelt behält sich Korrekturen vor.“ Ob die Korrekturen immer "der Wahrheit" zuträglich sind, hinterfragt der vorliegende Roman.
So lässt uns Diaz mithilfe von vier Texten das literarische Puzzle nach und nach zusammensetzen, über welches inhaltlich an dieser Stelle nicht viele Worte verloren werden sollten. Denn jeder Leser und jede Leserin sollte für sich selbst die vielen Aha-Momenten erleben und die Raffinessen des Romans entdecken können. Durch eine kongeniale Konstruktion führt der Autor seine Leser:innen zunächst aufs Glatteis, nur um sie dann wieder Schritt für Schritt mit der – in dieser Form bisher noch nicht an anderer Stelle gesehenen - Technik der Perspektivvariation und pointierten Formulierungen davon herunterzugeleiten; hin zu einer Annäherung an „die Wahrheit“. Die mitunter diametralen Darstellungen münden in einem überraschenden, fulminanten Finale. Dabei bleibt der Roman in seiner Gesamtheit stets konsistent und lädt dazu ein, nach Abschluss der Lektüre gleich noch einmal von vorn zu beginnen, um noch einmal alle Kniffe dieses Ausnahmeautors erfassen zu können und das Buch mit neuen Augen zu lesen.
Es handelt sich hierbei um ein Gesamtkunstwerk der Spitzenklasse, welches man keinesfalls allein auf einen „Finanzroman“ reduzieren sollte. Es werden menschliche Abgründe genauso erzählt wie Verschleierungen von Geschehnissen, Vertrauen(-sverlust) in Menschen und Erzählinstanzen. Um den Roman mit einem Zitat aus ebendiesen zu beschreiben: „Die Erwartungen und Ansprüche der Leser waren dazu da, gezielt durcheinandergebracht und untergraben zu werden.“ Und ebenso in Anlehnung an ein Zitat aus dem Buch, kann man sagen, dass „Treue“ nicht nur Literatur ist, sondern auch Beweisstück. Man muss den Ungenauigkeiten und Freiheiten genauso auf die Schliche kommen wie den Beschönigungen und Selbstverherrlichungen, um letztlich bestenfalls einen Eindruck von den wahren Personen und Geschehnissen dahinter zu erhaschen. Denn „Treue“ zeigt, wie die Realität zurechtgebogen werden kann, je nachdem wer die Deutungshoheit hat.
Mit der Hoffnung zwar viel über die herausragende Qualität und Kreativität des Romans gesagt aber nur wenig über den Inhalt verraten zu haben, beschließe ich meine Rezension mit der dringenden Empfehlung, dieses Buch zu lesen. Für mich handelt es sich hierbei um ein echtes Meisterwerk und Lesehighlight dieses Jahres. Dem Autor bleibt zu wünschen, dass er den Booker Prize 2022, für welchen er mit „Trust“ nominiert ist, auch gewinnt. Denn dieses Stück sprachlich hochklassiger, emotional und kognitiv mitreißender, bestechend konstruierter sowie großartig von Hannes Meyer übersetzter Literatur verdient nicht nur fachliche Anerkennung, sondern auch ein großes, begeistertes Publikum.
New York in den 1920er-Jahren: Die Wirtschaft boomt, die Finanzbranche wächst. Und ein Mann profitiert davon besonders. Selbst beim großen Börsencrash 1929 fährt er saftige Gewinne ein. Welche Art Mensch ...
New York in den 1920er-Jahren: Die Wirtschaft boomt, die Finanzbranche wächst. Und ein Mann profitiert davon besonders. Selbst beim großen Börsencrash 1929 fährt er saftige Gewinne ein. Welche Art Mensch ist er? Und wie ist dieser erstaunliche Erfolg bloß möglich?
„Treue“ ist ein Roman von Hernan Diaz.
Meine Meinung:
Der Roman gliedert sich in vier Teile, die als Werke unterschiedlicher Urheber ausgegeben werden: der Roman „Verpflichtungen“, eine Autobiografie, ein Memoir und ein Tagebuch, erzählt aus verschiedenen Perspektiven. Ein interessanter und gut durchdachter Aufbau.
Die Geschichte fokussiert sich auf die 1920er- und 1930er-Jahre, umspannt aber auch weitere Jahrzehnte. Ihr Schwerpunkt liegt in New York.
Sprachlich variiert der Roman sehr stark. Das passt einerseits hervorragend zu den verschiedenen, teils unzuverlässigen Erzählstimmen, ihren jeweiligen Hintergründen und Intentionen. Andererseits sorgt dies dafür, dass mich manche Teile mehr, manche weniger angesprochen haben. Vor allem der zweite Teil ist in stilistischer Hinsicht kein Vergnügen. Festzustellen ist aber, dass es der Autor trefflich versteht, mit Sprache umzugehen. Immer wieder tauchen kluge Sätze und Gedanken auf, die man sich merken möchte.
Für mich gibt es im gesamten Roman keine klassischen Sympathieträger. Dennoch haben wir es mit reizvollen Charakteren zu tun, die bewusst ein wenig ambivalent und diffus bleiben.
Inhaltlich dreht sich die Geschichte - zumindest vordergründig - um Reichtum, Macht, Moral und Deutungshoheit. Der Handel an der Börse und die Finanzwelt nehmen breiten Raum ein. Davon sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen, denn es gelingt Diaz sehr gut, diese Themen verständlich zu machen. Darüber hinaus steckt aber noch viel mehr darin, wobei ich an dieser Stelle nicht zu viel vorwegnehmen möchte. Ich kann allerdings verraten, dass Täuschung und Wahrheit weitere zentrale Motive sind. Alles in allem ist die Geschichte facettenreich und vielschichtig angelegt.
Auf den mehr als 400 Seiten gibt es durchaus kleinere Längen. Durch die unterschiedlichen Perspektiven kommt aber dennoch keine Langeweile auf. Zum einen kann der Roman immer wieder überraschen. Zum anderen entsteht ein spannendes Verwirrspiel, was den Lesesog noch verstärkt. Sobald man glaubt, man habe verstanden, wie sich alles zugetragen hat, lässt ein neues Mosaiksteinchen das zuvor Gelesene in neuem Licht erscheinen. Erst am Ende ergibt sich ein vollständiges Bild. Dann wird die Gesellschaftskritik in Gänze ersichtlich, die dazu führt, dass der Roman noch länger nachhallt.
Nur ein kleines Manko: Der deutsche Titel kommt bei Weitem nicht an die Mehrdeutigkeit des englischsprachigen Originals („Trust“) heran und passt nach meinem Empfinden nur mäßig gut zum Inhalt.
Mein Fazit:
Mit „Treue“ ist Hernan Diaz ein in mehrfacher Sicht ungewöhnlicher und kreativer Roman gelungen. Eine besondere Geschichte mit vielen Ebenen, die zwar ein wenig Ausdauer erfordert, die sich aber lohnt. Eine empfehlenswerte Lektüre und ein Lesehighlight des Jahres 2022.
In den 1920er Jahren ist Benjamin Rask wohl einer der gewieftesten Finanzmagnaten in New York. Doch sein Leben wird erst ganz als er seine Frau Helen kennenlernt. Dass diese ihren geliebten Vater an eine ...
In den 1920er Jahren ist Benjamin Rask wohl einer der gewieftesten Finanzmagnaten in New York. Doch sein Leben wird erst ganz als er seine Frau Helen kennenlernt. Dass diese ihren geliebten Vater an eine geistige Erkrankung verloren hat, wirkt fast wie ein grausames Omen. Dennoch sind die Eheleute in der ersten Zeit glücklich. Mit seinen genialen Händchen schafft es Rask sogar dem Börsencrash des Jahres 1929 zu entgehen und aus einer Situation, die wohl viele in den Ruin getrieben hat, noch Gewinn zu schlagen. Doch nicht immer ist alles so wie es scheint.
Aus vier Perspektiven wird die Geschichte eines genialen Finanziers erzählt. Auf den ersten Blick scheint es sich um sehr unterschiedliche Geschichten zu handeln. Erst beim Lesen begreift man, dass es doch um das gleiche Thema geht. Ein Mensch hat so viel Vorausschau, dass er dem großen Crash zuvorkommt. Doch nicht umsonst werden unterschiedliche Sichtweisen gewählt, um die Story zu erzählen. Nach und nach ergeben sich immer mehr Feinheiten, die die Geschichte in einem völlig anderen Licht dastehen lassen.
Trust lässt sich soweit bekannt unter anderen mit Finanztrust, Investmentgesellschaft oder auch mit Vertrauen übersetzen. Wie der Roman zu seinem deutschen Titel „Treue“ gekommen ist, erschließt sich nicht so ganz. Zumindest in der englischsprachigen Ausgabe wird Treue nicht in nennenswerten Umfang erwähnt, wenn überhaupt.
Der Autor hat mit seinem Roman den Pulitzer Preis 2023 gewonnen und manchmal stechen Preisbücher wirklich hervor und manchmal sind sie einfach nur schwierig zu lesen. Und so war man vielleicht etwas skeptisch. Als sich nun jedoch die Gelegenheit ergab, das Buch im Original zerwerfen, war die Neugier doch vorhanden. Und siehe da, das Buch sticht durchaus heraus. Zum einen ist da die Form der unterschiedlichen Perspektiven und zum anderen der Inhalt an sich. Dieser handelt von einem Finanzmagnaten und seiner Frau und wie die berufliche Tätigkeit und die Ehe sich aus verschiedenen Blickwinkeln darstellt. Da wird aus einer konventionellen Geschichte eine erstaunliche. Um Sympathie geht es allerdings weniger, was vielleicht etwas fehlt. Dies tritt aber hinter den Entdeckungen, die das Buch bietet, zurück.