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Veröffentlicht am 24.12.2017

Der Fall Kallmann...

Der Fall Kallmann
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Es hört sich am Anfang nach einen Krimi an...

Leon Berger tritt im Jahre 1995 in der Kleinstadt K. die Nachfolge des unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommenen Lehrers Eugen Kallmann an. Für Leon ...

Es hört sich am Anfang nach einen Krimi an...

Leon Berger tritt im Jahre 1995 in der Kleinstadt K. die Nachfolge des unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommenen Lehrers Eugen Kallmann an. Für Leon ist es ein kompletter Neuanfang nachdem er Frau und Tochter bei einem Schiffsunglück verloren hat. Vermittelt wird er durch seine ehemalige Studienkollegin Ludmilla, die aktuell an dieser Schule unterrichtet. Er entdeckt beim Aufräumen des Schreibtischs die Tagebücher seines Vorgängers, wodurch er und zwei weitere Kollegen zu Nachforschungen auf eigenen Faust ermuntert werden. Im weiteren Verlauf geschieht noch ein Mord an einem Schüler, der bei den örtlichen Neonazis wohl eine recht bedeutende Rolle gespielt hat. Auch Drohbriefe mit rassistischem Inhalt tauchen an der Schule auf. Besteht hier ein Zusammenhang?

Was nach einem soliden Krimi klingt ist aber keiner. Die „Krimihandlung“ dient nur als Rahmen für das Bild, das Hakan Nesser von der Gesellschaft zeichnet, kombiniert mit seinen gewohnt philosophischen Betrachtungen über Menschen, deren Verhalten und Einstellungen zum Leben. Dadurch dass er die Geschichte aus immer wechselnden Perspektiven in der Ich-Form erzählt, kommt am Anfang etwas Verwirrung auf, bis man die ganzen Personen eingeordnet hat. Aber es ist dadurch auch der Blick aus der Sicht von mehreren Generationen, was dem ganzen einen zusätzlichen Reiz verleiht.

Die Auflösung geschieht erst nach Jahren und ist meiner Meinung nach sehr schlüssig und rundet das Gesamtbild ab.

Alles in allem ein Buch mit dem an sich Zeit lassen sollte um sich drauf einzulassen, weit weg vom manchen Krimis bei den Aktion die mangelnde Handlung übertüncht.

Veröffentlicht am 25.09.2017

Wenig Krimi, viel Inhalt!

Ermordung des Glücks
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Der 11-jährige Lennard wird Opfer eines Gewaltverbrechens und erst 34 Tage später gefunden. Die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbringt Ex-Kommisar Franck. Eine Aufgabe, die er während seiner aktiven ...

Der 11-jährige Lennard wird Opfer eines Gewaltverbrechens und erst 34 Tage später gefunden. Die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbringt Ex-Kommisar Franck. Eine Aufgabe, die er während seiner aktiven Dienstzeit auch immer ausgeübt hat.

Wie auch in dem Buch "Der namenlose Tag" ist die Krimihandlung hier eher zweitrangig. Daher ist auch dieses Buch zu Recht als Roman klassifiziert. Ermordet wird das Glück in diesem düsteren Roman gleich mehrmals. Vor allen Dingen natürlich das Glück der Eltern und im Verlauf des Buchs auch noch das von mehreren anderen Menschen. Dramatisch wird es auf den letzten Seiten und wenn überhaupt kommt dann so etwas wie Krimispannung auf.

Aber auch in diesem Buch ist die Krimihandlung nur der Rahmen, um in der ruhigen, präzisen Erzählweise von Friedrich Ani die beteiligten Personen in ihrem Leid und ihren seelischen Konflikten zu beschreiben - auch Ex-Kommissar Franck geht hier bis an seine Grenzen.
Ein sehr berührendes, tiefgehendes Buch, welches sich so wirklich keinem Genre zuordnen lässt. Es ist auf jeden Fall ein Buch für das man sich Zeit nehmen sollte, um die vom Autor fein angeschlagenen Saiten in sich nachhallen zu lassen.

Fazit:
Keine leichte Kost aber auf jeden Fall empfehlenswert, wenngleich nicht unbedingt an düsteren Herbsttagen.

Veröffentlicht am 02.09.2017

Chronologie eines menschlichen Absturzes

Dann schlaf auch du
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Das Buch beginnt mit der Tötung zweier Kinder durch ihr Kindermädchen. Im weiteren Verlauf wird geschildert, wie sich das Drama entwickeln konnte.
Die Mutter der Kinder bekommt die Chance zum Wiedereinstieg ...

Das Buch beginnt mit der Tötung zweier Kinder durch ihr Kindermädchen. Im weiteren Verlauf wird geschildert, wie sich das Drama entwickeln konnte.
Die Mutter der Kinder bekommt die Chance zum Wiedereinstieg in ihren Beruf als Rechtsanwältin (der Vater arbeitet als Musikproduzent) geboten und ergreift diese. Da beide Eltern berufstätig sein wollen und die Kinder noch sehr klein sind ergibt sich der Wunsch nach einem Kindermädchen. Nach einigen mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen finden sie Louise. Scheinbar ein Traum - zu schön um wahr zu sein! Louise betreut nicht nur die Kinder, sondern wird so etwas wie die gute Seele des Haushalts, während die Eltern sich jeder für sich beruflich "entfalten".
Der Rest des Buchs beschreibt den Weg bis zur Eskalation. Steinchen für Steinchen wird aus der (fast) perfekten Mauer entfernt, die Louise umgibt. Beleuchtet wird dabei nicht nur das frühere Leben von Louise, sondern auch ihr Weg in die absolute Einsamkeit. Wenn man das Buch liest, sind auch im Vorfeld schon deutliche Risse erkennbar, die teils aus Bequemlichkeit, teils aus Unachtsamkeit ihrer Mitmenschen nicht zur Kenntnis genommen werden. Dadurch, dass man schon von Anfang an weiß, worauf es hinausläuft, erkennt man die Zeichen wahrscheinlich wesentlich besser.

Leila Slimani fügt in einem meiner Meinung nach sehr sensiblen und berührenden Schreibstil die einzelnen Schritte bis zu der Tötung der Kinder mosaikartig zusammen. Ein Buch das nachhaltig beeindruckt und m. E. auch so verstanden werden kann, dass mehr Aufmerksamkeit und Mitmenschlichkeit im täglichen Leben durchaus eine gute Idee sind - nicht nur, wenn es solche Taten zu verhindern gilt.
Der Schreibstil ist sehr gut zu lesen, wenn auch nicht herausragend. Aber in dieser Hinsicht bin ich zugegebenermaßen in letzter Zeit etwas verwöhnt worden.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung! Nur einen Krimi oder gar Thriller darf man hier nicht erwarten, nur weil 2 Kinder ermordet wurden.

Veröffentlicht am 22.08.2017

Ein sehr beeindruckendes Werk!

Underground Railroad
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Cora ist Sklavin in dritter Generation auf einer Baumwollplantage in Georgia. Ihre Mutter konnte fliehen, als Cora 10 Jahre alt war - sie wurde von ihr zurück gelassen. Das Leben auf einer solchen Plantage ...

Cora ist Sklavin in dritter Generation auf einer Baumwollplantage in Georgia. Ihre Mutter konnte fliehen, als Cora 10 Jahre alt war - sie wurde von ihr zurück gelassen. Das Leben auf einer solchen Plantage war von täglichen Entbehrungen und Qualen begleitet. Es brauchte keine Zäune, um die Sklaven einzusperren. Täglich wurde ihnen eingebläut, dass es ihr Verderben wäre, wenn sie versuchen zu flüchten. Die Strafen der wieder Eingefangenen waren mehr als drastisch und endeten in der Regel mit dem Tod. Schon ein falscher Blick zog Schläge nach sich und der Versuch lesen zu lernen konnte mit dem Verlust beider Augen enden.
Als Cora 17 ist macht ihr ein Mitsklave das Angebot, mit ihm zusammen zu fliehen. Ihre anfängliche Weigerung ändert sich erst, nachdem sie bei einer Züchtigung halb tot geschlagen wird. Gemeinsam begeben sie sich auf die Flucht mithilfe der Underground Railroad (URR).

URR war der Deckname einer Fluchthilfebewegung, die sich über die USA erstreckte, bis in die tiefsten Südstaaten, in denen Sklaverei zum guten Ton gehörte. In dem vorliegenden Roman, der immerhin den Pulitzerpreis 2017 erhielt, wurde aus diesem Netzwerk eine wirkliche Untergrundbahn, die sich durch Tunnelsysteme von Station zu Station fortbewegte und ihre verzweifelte Fracht in Sicherheit bringen sollte.
So reist Cora durch mehrere US-Staaten um in Freiheit zu leben. Leider ist dies ein steiniger Weg, der sie so manches Mal an die Grenzen ihrer Existenz bringt.
Wer sich auf dieses Buch einlässt, der muss einiges miterleben. Grausamkeiten, wie ich sie mir wirklich nicht vorstellen konnte. Manchmal stockte mir der Atem, was Menschen sich alles einfallen lassen, wenn sie von Hass erfüllt sind und vor allem: die entsprechende Macht und Legitimation besitzen. Besonders erschreckte mich, was ganz "normale" Menschen für einen Spaß haben können, wenn andere gequält und getötet werden. Das Wort Gnade oder Mitgefühl scheint für viele Menschen ein Fremdwort zu sein. Denn eines steht fest: Auch wenn es sich hier um eine fiktive Geschichte, eben einen Roman, handelt, so sind die dort beschriebenen Lebensumstände und Gräueltaten definitiv der Historie entnommen, also wirklich passiert und erduldet - nur an einem womöglich anderen Ort und zu einer abweichenden Zeit sowie anderen Personen. Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass sein Buch keinerlei Anspruch auf historische Genauigkeit erhebt.
Erschreckend deutlich wird im Verlaufe des Buches, dass es zu jener Zeit eigentlich keinen wirklich sicheren Raum für Farbige in den USA gab. Es handelte sich immer nur um eine Verschnaufpause auf Zeit und leider zeigte sich mehr als einmal, wie trügerisch die scheinbar erlangte Freiheit war.

Dieser Roman hat mich wirklich gefesselt und auch tief bewegt. Colson Whitehead bietet eine Geschichte in einem mitreißenden Schreibstil, die ich kaum aus der Hand legen konnte. Der Roman ist gegliedert in längere Kapitel unter den jeweiligen US-Staaten-Namen und in dazwischen liegende kürzere Kapitel, in denen er den Leser etwas über andere wichtige Personen des Buches erfahren lässt. Sie machen einen Blick außerhalb von Coras Blickfeld möglich und schaffen vor allem die Möglichkeit, auch nicht unmittelbar mit ihrem Schicksal verbundene und dennoch für den Autor wichtige Begebenheiten einfließen zu lassen. Ein für mich perfekter Aufbau!

Underground Railroad bietet dem Leser die Möglichkeit, ein wichtiges und dunkles Kapitel der amerikanischen Geschichte zu erlesen. Dazu gehören natürlich nicht nur die Sklavenhalter und -treiber, sondern auch die Menschen, die ein Netzwerk wie URR erst möglich machten. Sie riskierten für jeden Flüchtling ihr Leben - auch das ihrer Familie. Unwillkürlich hofft man, dass solche Menschen doch bitte heute in der Überzahl sein mögen.

Mein Dank an Colson Whitehead, der den Pulitzer-Preis ganz sicher verdient hat! Ich kann dieses Buch nur wärmstens jedem empfehlen der sich an etwas anspruchsvollerer Literatur versuchen mag.

Veröffentlicht am 07.08.2017

Lasst den Westerwald herein!

Was man von hier aus sehen kann
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Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe mein Buch des Jahres gefunden!
Luise erzählt uns einen Teil ihres Lebens, der zugleich auch ein Teil ihres Dorfes im Westerwald ist - wobei dem Westerwald hier keine ...

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe mein Buch des Jahres gefunden!
Luise erzählt uns einen Teil ihres Lebens, der zugleich auch ein Teil ihres Dorfes im Westerwald ist - wobei dem Westerwald hier keine besondere Rolle zukommt.
Die Erzählung beginnt, als Luise 10 Jahre alt ist. Ihre Großmutter Selma hat die Fähigkeit, den Tod vorher zu ahnen. Immer wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt innerhalb des nächsten Tages jemand. Sobald der Traum die Runde macht wird das kleine Dorf hektisch, denn jeder (bis auf einen) fürchtet, dass er dieser Jemand sein könnte.
Alleine diese Idee ist schon mehr als verrückt, doch es ist längst nicht der letzte grandiose Einfall, der einen zum schmunzeln bringt.
Der Aufbau und die Ausarbeitung der Charaktere macht einfach nur Spaß! Ob es Selma ist, die aussieht wie ein Double von Rudi Carrell und ständig MonCheri nascht, Marlies, die sich immer mehr in ihre Hütte verkriecht, auf jedermann schlecht zu sprechen ist und an allem etwas auszusetzen hat, die "Dorfhexe" Elsbeth, die tagein tagaus die gleichen Pantoffel trägt und sie einfach tauscht, wenn sie einseitig abgelaufen sind, Martin, dem ständig eine übereifrige Haarsträhne zu Berge steht oder der herzensgute Optiker bis hin zu Alaska, dem Irish Wolfhound, den Luises Vater ihrer Mutter schenkt, der aber letztlich mehr bei Selma oder Luise ist als anderswo. Und das sind noch längst nicht alle Mitwirkenden in diesem Buch.
Wer nun darauf hofft, dass sich in diesem Miteinander eine fortlaufende Handlung entwickelt, der hofft vergebens. Was m. E. nicht weiter schlimm ist, denn ich konnte sehr gut damit leben, mich einfach in dieses Dorf zu begeben und es in mein Herz zu lassen. Luise erzählt - erst aus der Zeit als sie 10 war, dann aus der als sie 22 war und zum Schluss aus der, als sie 32 war. Und in diesem Zeitraum ist festzustellen, dass das Dorfleben und die Menschen im großen und ganzen bleiben wie sie sind. Immer wieder tauchen Rückblicke auf, die die Menschen im Dorf verständlicher machen. Warum mancher ist wie er wurde.
Der rote Faden ist in diesem Buch das Thema Liebe und Zugehörigkeit, aber auch der selbstbestimmte Lebensweg. In jeder Altersstufe widerfährt Luise Einschneidendes. Mal tritt der Tod in ihr Leben und ein anderes Mal der Buddhist Frederik, der in Japan in einem Kloster lebt. Dennoch ist es kein rührseliges Buch, geschweige denn ein Liebesroman. Es enthält eine ganze Reihe philosophischer Ansätze, jedoch ohne belehrend zu werden. Es gibt einfach Denkanstöße.

Und es gibt wundervolle Sätze... Mariana Leky verwendet eine herrlich lebendige Sprache und dies so meisterlich, dass alleine das Lesen schon Spaß macht - egal worum es gerade geht.
Zitat S. 52:
"Ich beschloss, Martin später zu heiraten, weil ich fand, der Richtige sei der, der einem das Hinsehen erspart, wenn die Welt ihren Lauf nimmt."
Dazu kommen Wortschöpfungen, die einen schmunzeln lassen, bei denen jedoch jeder sofort weiß, was die Autorin meint (Bsp: kranzschleifenschwarz). Das Ganze wird dazu noch mit einer guten Portion Humor serviert. Es gibt immer wieder Situationen, bei denen ich wirklich lachen musste. Oft sind es ganz banale Situationen wie die beim Einzelhändler, der Kaffee to go anbietet, aber nur kurz, weil niemand sein Angebot annimmt "Wo soll ich mit dem Kaffee denn hingehen?, hatte die Frau des verstorbenen Bürgermeisters gefragt."(S. 255) Keine dumme Frage in einem Dorf...
Fazit:
Alles zusammen ergibt einen meisterlichen Roman um das Leben und Lieben schlechthin. Nie oberflächlich sondern immer in einem nachhallend mit einer ausgeprägten Liebe zur Sprache. Mir werden sie fehlen, die Leute aus dem Westerwald!