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Veröffentlicht am 12.01.2024

Der Eifeler Pockenkarneval

Monschau
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Der pensionierte Hauptkommissar Harald Uteng ist endlich bereit, in einem Krimipodcast über einen seiner alten Fälle zu sprechen. Gerade ist die erste Folge aufgenommen, da ist Uteng auch schon tot. Alles ...

Der pensionierte Hauptkommissar Harald Uteng ist endlich bereit, in einem Krimipodcast über einen seiner alten Fälle zu sprechen. Gerade ist die erste Folge aufgenommen, da ist Uteng auch schon tot. Alles sieht nach einem Unfall aus, denn der Pensionär hat ganz gerne mal einen Schluck getrunken. Anton Brekke, Kommissar in Oslo, läßt dieser Tod jedoch keine Ruhe. Hat vielleicht alles mit dem alten Fall von 1991 zu tun, in dem er selbst ermittelt hat? Der Mörder der 17-jährigen Malin wurde jedoch verurteilt, denn die Beweise waren erdrückend. Der kleine Ort Aremark wird nun nochmals erschüttert.

Die Handlung wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Die aktuellen Ermittlungen wechseln sich mit den Ereignissen von 1991 ab. Wir lernen die jeweiligen Akteure des Dorfes kennen und wissen bereits, dass hier irgendwo mindestens noch ein Täter unterwegs sein muss. In kurzen Kapiteln wird die Geschichte schnell vorangetrieben. Die Handlung ist gespickt mit Verdächtigen und unheimlichen Momenten. Kommissar Brekke ist jedoch kein auffälliger Charakter und beherrscht deswegen den Roman auch nicht, er bleibt ein wenig blass. Der Thriller liest sich sehr gut, man ist schnell mitten im Geschehen und verfolgt, wie sich Spuren ergeben und wieder im Sande verlaufen.

Insgesamt ein solider Thriller, der alle erforderlichen Kriterien erfüllt. Es gibt zahlreiche Fährten und man ist nie ganz sicher, ob man jetzt auf das "richtige Pferd" gesetzt hat oder nicht. Für ein absolutes Highlight reicht es jedoch nicht.

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Veröffentlicht am 03.01.2024

Hinter den unsichtbaren Mauern einer Besserungsanstalt

Die Nickel Boys
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Der unfassbar und unverhältnismäßig harte Umgang der US-Behörden mit minderjährigen "Straftätern" ist mir seit dem Film Sleepers (1996) im Gedächtnis geblieben. Der Film hat mich seinerzeit schwer erschüttert.

Colson ...

Der unfassbar und unverhältnismäßig harte Umgang der US-Behörden mit minderjährigen "Straftätern" ist mir seit dem Film Sleepers (1996) im Gedächtnis geblieben. Der Film hat mich seinerzeit schwer erschüttert.

Colson Whiteheads Pulitzerpreis-Roman hat mich sofort daran erinnert. Auch dieser Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt, einmal in den 1960er Jahren (der Zeit im Nickel) und dann Jahrzehnte später. Elwood Curtis ist 16 Jahre alt, als er in der Besserungsanstalt Nickel Academy landet. Der Grund für seine Einweisung ist bezeichnend für den Umgang mit Schwarzen und entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Es gibt im Nickel keine Zäune und von außen sieht alles nach einem gepflegten Anwesen aus; einer Schule, die aus den Jungs etwas machen will. Elwood lernt jedoch schnell, dass der äußere Schein mehr als trügt.

Whiteheads in drei Teile gegliederter Roman ist schwere Kost. Jedoch versteht er es, die Brutalität nicht reißerische auszuwalzen, vieles bleibt unerzählt. Wenn sich aber die Türen hinter den Jungs schließen, spielt sich ein Kopfkino sondergleichen ab. Whiteheads ruhige Sprache, die auch dem Charakter von Elwood entspricht, steht in verstörendem Gegensatz zu den Ereignissen. Das Perfide an dem System der "Schule" sind die dort herrschenden geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze, gepaart mit absoluter Unberechenbarkeit und Willkür. Die Jungs müssen schmerzlich erfahren, dass es kein "richtiges" Verhalten gibt, um diesem Haus unbeschadet zu entkommen. Gewalt, Rassismus und Korruption herrschen in diesem Mikrokosmos.

Der Roman hat mir sehr, sehr gut gefallen: Die treffende Sprache des Autors, die Dialoge und die Story an sich, die auf wahren Ereignissen beruht (siehe das Nachwort) und in hohem Maße geschickt aufgebaut ist, bis zur letzten Szene. Zudem erkennt man hier schon Spuren des späteren Werks Harlem Shuffle: der Charakter des Schwarzen Unternehmers und Kleinkriminellen Ray Carney blitzt im letzten Drittel auf.

Wie in Sleepers gibt es auch hier Jungs, die an ihren Erlebnissen zerbrochen sind und andere, die einen Weg gefunden haben, weiterzumachen.

Große Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 03.01.2024

Die lahmen Gäule vom MI5

Slow Horses
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Wer es beim MI5 so richtig verbockt hat, der wird ins Slough House abgeschoben, einer gammeligen Absteige, nikotin- und saubverseucht. Hier werden die Agenten mit stupiden Schreibtischarbeiten zur Kündigung ...

Wer es beim MI5 so richtig verbockt hat, der wird ins Slough House abgeschoben, einer gammeligen Absteige, nikotin- und saubverseucht. Hier werden die Agenten mit stupiden Schreibtischarbeiten zur Kündigung animiert. Als es auch den smarten River Cartwright erwischt, wird es jedoch unruhig in der Verwahranstalt für gescheiterte 007-Existenzen. Die lähmende Eintönigkeit und ihre Betreuer werden kräftig durchgerüttelt und zeigen Qualitäten, die sie einst zum MI5 gebracht haben. Allen voran der schmuddelige Chef Jackson Lamb, der mit fettigen Fingern und Haaren über seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herrscht und sie allesamt für Versager hält. Oder doch nicht?

Das Buch schlummerte Jahre (!) auf meinem SUB. Viel zu lange. Das liegt zum einen daran, dass ich eigentlich kein Fan von Agenten-Büchern bin und andererseits das Cover wirklich nicht mitreißend auf mich gewirkt hat. Die äußere Hüllte täuscht jedoch. Die Story ist spannend, verwickelt und unglaublich witzig geschrieben. Genau meine Art von britischem Humor, den ich sehr mag. Lamb ist ein unglaublicher Charakter, der so viel Spaß macht. Die Dialoge insgesamt sind wirklich klasse, ein Schlagabtausch folgt auf den nächsten. Mittlerweile ist schon die Verfilmung des vierten Bandes in Arbeit. Und die bisherigen Staffeln (apple+) sind grandios. Gary Oldman spielt Lamb unfassbar gut, genau so hat man ihn sich vorgestellt. Der ekelhafte Regenmantel, der wahrscheinlich noch nie eine Waschmaschine gesehen hat, ist da nur eines der vielen liebevollen Details, das aus dem Buch übernommen wurde. Kurzum Buch und Verfilmung kann ich uneingeschränkt empfehlen. Darauf einen geschüttelten Martini!

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Veröffentlicht am 18.12.2023

Die Sackgasse

Die Frauen von Brewster Place
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Brewster Place ist durch eine Mauer vom lebendigen Teil der Gegend getrennt. Wortwörtlich stecken die Einwohnerinnen in einer Sackgasse fest. Wer hier lebt, ist in fast allen Fällen nicht freiwillig hier, ...

Brewster Place ist durch eine Mauer vom lebendigen Teil der Gegend getrennt. Wortwörtlich stecken die Einwohnerinnen in einer Sackgasse fest. Wer hier lebt, ist in fast allen Fällen nicht freiwillig hier, sondern kann nirgendwo anders hin, es ist die Endstation. In einzelnen Kapiteln stellt die Autorin das Schicksal von sieben Frauen in geraffter, auf die zentralen Elemente reduzierte Weise vor. Das sind bittere Schicksale, die die Frauen hier zu einer Gemeinschaft gemacht haben. Mattie Michael aus Tennessee, die Jahrzehnte lang ein eigenes Haus besessen hatte, ist hier ebenso gestrandet wie ihre Jugendfreundin Etta, die viel mehr vom Leben wollte als diese Sackgasse. "Wenn ich diese Straße hineingehe, so dachte sie, werde ich es nie wieder hinausschaffen." (S. 102) Mattie schenkt die Autorin die größte Aufmerksamkeit, sie verbindet die Geschichten miteinander und spendet Trost und Hoffnung für die Frauen in Brewster Place.

Die Männer kommen in diesem Roman ziemlich schlecht weg. Beim Lesen wird man richtig wütend. Klar haben sie oft keine Perspektive, aber die Frauen strampeln sich ab, versuchen alles und die Männer kommen nur als brutal, faul und gleichgültig um die Ecke.

Der wohl überlegt aufgebaute Roman hat mich sehr bewegt. Er zeigt schlimme Seiten, verspricht aber auch Hoffnung. Das hat auch mit der schönen Sprache von Gloria Naylor zu tun, die sehr bildhaft ist. Es ist kein Wohlfühlbuch, es ist tief traurig, grausam und schonungslos. Nichts für den Urlaub oder zum Entspannen. Es öffnet den Blick auf eine Welt, die zeigt, was es bedeutet, als schwarze Frau seinen Platz im Leben zu suchen, unter den schwierigsten Bedingungen.

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Veröffentlicht am 18.12.2023

Generationenroman, der die DDR-Geschichte spiegelt

In Zeiten des abnehmenden Lichts
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1. Oktober 1989: Wilhelm wird 90 und erhält den vaterländischen Verdienstorden in Gold. "Ich hab genug Blech im Karton." Er ist vergesslich geworden, starrsinnig und stößt seine Umwelt vor den Kopf. Wilhelm ...

1. Oktober 1989: Wilhelm wird 90 und erhält den vaterländischen Verdienstorden in Gold. "Ich hab genug Blech im Karton." Er ist vergesslich geworden, starrsinnig und stößt seine Umwelt vor den Kopf. Wilhelm und Charlotte sind die erste Generation in diesem Familienroman, der sich von den 1950er Jahren bis 2001 erstreckt. Als die beiden aus dem Exil in Mexiko in die DDR zurückkommen, sind beide vom System überzeugt und stürzen sich voller Tatendrang in den Staatsaufbau. Ihr Sohn Kurt hat Jahre in einem Gulag verbracht und sich mit seiner russischen Frau Irina ebenfalls in der DDR "eingerichtet". Deren Sohn Sascha nutzt die Aufbruchstimmung im Herbst 1989 und flieht in den Westen, an Großvaters 90. Geburtstag. Sein Sohn Markus bleibt in Ostdeutschland.


Eugen Ruge hat einen ganz wunderbaren Roman über eine außergewöhnliche Familie geschrieben. Das Buch hat mir unglaublich gut gefallen. Neben den Charakteren hat mich die Sprache sehr angesprochen. So treffend, humorvoll, sarkastisch und für jede Figur den richtigen Ton anschlagend, ist es ein Vergnügen dieses Buch zu lesen. Die Konstruktion der Geschichte ist sehr kunstvoll und überlegt. Sie findet auf drei Zeitebenen statt: Einmal die Geschichte der Familie, die 1952 bis 1995 fortlaufend erzählt wird, dann das Jahr 2001, das aus der Sicht von Alexander/Sascha erzählt wird und schließlich der 1. Oktober 1989, der von verschiedenen Familienmitgliedern zusammengesetzt wird. Die Zeitebenen wechseln sich ab und so baut sich die Geschichte nach und nach auf. Zweifel, Ängste und Erkenntnisse werden hochgeschwemmt und am Ende, wenn auch Sascha in Mexiko ist, ist er (unwissentlich) seiner Familie so nahe, wie selten zuvor.


Einen großen Teil des Buches habe ich gelesen, den ganzen Roman habe ich aber auch als Hörbuch gehört und das muss ich unbedingt empfehlen. Ulrich Noethen liest einfach fulminant! Er meistert die verschiedenen Dialekte, Akzente und fremdsprachlichen Einsprengsel ebenso wie die besondere Sprache dieses Roman. Es ist einfach eine Freude ihm zuzuhören. Durch den verschlungenen Aufbau des Buches war es mir aber wichtig, einen Großteil auch selbst zu lesen. Eine klare Lese- und Hörempfehlung.

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