Gelungener Reihenauftakt
Töchter des AufbruchsIm beschaulichen Moselstädtchen Diedenhofen führt Pauline Martin mit viel Engagement und Herzblut ein Mädchenpensionat, das sie einst von ihrer Patentante Adèle übernommen hat, sehr zum Leidwesen ihrer ...
Im beschaulichen Moselstädtchen Diedenhofen führt Pauline Martin mit viel Engagement und Herzblut ein Mädchenpensionat, das sie einst von ihrer Patentante Adèle übernommen hat, sehr zum Leidwesen ihrer Eltern. Denn im Jahre 1910 war es einer Lehrerin nicht gestattet, sich zu verehelichen. Pauline jedoch steht zu ihrer Entscheidung und geht in ihrer Aufgabe, die Mädchen zu selbstbestimmten und selbstbewussten Frauen zu erziehen, voll und ganz auf. Ihre Unterrichtsmethoden sind zuweilen unkonventionell, das Institut für höhere Töchter wird von außen her eher kritisch beäugt. Sie aber hält nichts von bloßer Wissensvermittlung, sie will, dass die Mädchen auch verstehen, was sie zu lernen haben und worauf es im Leben ankommt. Und so wie es aussieht, hat sie damit Erfolg, auch wenn Fräulein Hildebrandt, die sie von Adèle übernommen hat, ganz aufgebracht ihre Stellung kündigt. Den letzten Anstoß dazu hat Suzette, eine Schülerin, mit ihrem Verhalten gegeben. Oberflächlich, eitel und sittenlos nennt das Fräulein sie, das unseriöse Haus will sie gleich morgen verlassen. Dies ist eine Anekdote, über die wir heute schmunzeln, sie zeigt aber deutlich, in welch engem Korsett sich die fortschrittliche Pauline bewegt.
Wir sind im Reichsland Elsass-Lothringen, das in jenen Jahren zum von Preußen geführten deutschen Kaiserreich gehört. Diese Region hat eine bewegte Geschichte, sie ist geprägt von den wechselnden deutschen und französischen Zugehörigkeiten.
Marie Pierre lässt die politischen und gesellschaftlichen Einflüsse dieser Zeit gekonnt in ihre Geschichte mit einfließen. Hier hat sie ihre Wurzeln, hier lebt und arbeitet sie und kennt die historischen Hintergründe bestens. Ihre detaillierten Recherchen und die fein ausgearbeiteten Charaktere harmonieren hervorragend, sie vermittelt viel geschichtlich Interessantes und das auf eine sehr spannende Weise. Ihre Figuren sind authentisch und liebenswürdig, sie sind zuweilen auch ganz schön fies, gar hinterhältig und verlogen. So manch einer schweigt lieber und macht sich so angreifbar. Paulines Gärtner Vincent ist einer jener Persönlichkeiten, die man eher geheimnisumwittert wahrnimmt. Auch spielt der preußische Hauptmann Erich von Pliesnitz eine nicht unwesentliche Rolle. Es sind noch so einige interessante Gestalten, die ich hier kennen- und auch schätzengelernt habe und deren zukünftigen Weg ich gerne weiterverfolgen würde. Auch wenn es noch ein Weilchen dauern mag, so reise ich gerne wieder ins „Pensionat an der Mosel“.