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Veröffentlicht am 13.08.2018

Toskana-Krimi - Zweiter Fall für RA Robert Lichtenwald

In Schönheit sterben
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Robert Lichtenwald, erfolgreicher Anwalt aus München, hat nach einem kurzen Intermezzo seine Zelte in München endgültig abgebrochen um in seinem Ferienhaus in Morcone in der Toskana zu leben. Als seine ...

Robert Lichtenwald, erfolgreicher Anwalt aus München, hat nach einem kurzen Intermezzo seine Zelte in München endgültig abgebrochen um in seinem Ferienhaus in Morcone in der Toskana zu leben. Als seine gute Bekannte Giada, ihres Zeichens Journalistin, ihn bei einem mysteriösen Fall um Hilfe bittet, kann er nicht ablehnen. Giada recherchiert im Mordfall eines exzentrischen Kunstsammlers aus Rom, der im Besitz einer geheimnisvollen und sehr wertvollen Statue gewesen ist und die entwendet wurde. Die Recherche führt Robert zu Raubgräbern, in Geisterstädte der entlegensten Gegenden der Toskana und zu schillernden Persönlichkeiten der Römer Kunstszene. Das Auftauchen seiner von ihm getrennten Frau Stefanie verkompliziert sein Leben zusätzlich. Da verschwindet Giada, und Robert muss all seine Energie und Mut zusammennehmen um sie zu finden.

Zweiter Fall für den ehemaligen Rechtsanwalt und jetzigen Privatier Robert Lichtenwald, der eigentlich nur sein Leben in der Toskana genießen und über die Trennung seiner Frau Stefanie hinwegkommen will. Der Autor schreibt in gewohnt flüssiger Manier, mit dem Prolog baut er gleich gehörig Spannung auf und auch seine Beschreibungen von Landschaften und Figuren sind wieder sehr liebevoll und detailliert. Die Spannung flacht allerdings in den folgenden Kapiteln ab, es wird sehr viel Fokus auf die zwischenmenschlichen Beziehungen gelegt, die erotische Spannung zwischen Robert und „den Frauen“ wird sehr häufig thematisiert, und besonders als seine Ex Stefanie auftaucht, tritt der Kriminalfall doch sehr in den Hintergrund und rückt erst wieder in den Vordergrund, als Giada verschwindet. Ich hätte mir deutlich mehr Ermittlungsarbeit gewünscht, vor allem von meiner weiblichen Lieblingsfigur Donatella Lagana, wenn aber Recherchearbeit passiert, zumeist von Giada, ist dies aber auch immer spannend und sehr gut nachvollziehbar. Spannung tritt vor allem immer dann auf, wenn einem lieb gewonnene Figuren in Gefahr sind.

Der Fall selbst und seine Hintergründe werden so nach und nach offenbar, da der Leser im Gegensatz zu den Protagonisten allwissend ist, kommt er schneller auf die Zusammenhänge. Kriminalistisch fand ich es wenig komplex. Die Geschichte lebt vor allem von den Figuren, besonders Robert finde ich als Charakter vielfältig. Er wirkt immer als „kühler Deutscher“ zwischen all den heißblütigen Italienern, geht aber zunehmend aus sich heraus, und das Hauptaugenmerk liegt denn auch auf seinem Zustand und seinen Gefühlen. Er reflektiert sehr viel, ist ein Kümmerer und wie im ersten Band wird er eher widerwillig in den Fall verwickelt, er verbeißt sich nur Giada zuliebe darin. Mit den weiblichen Personen hatte ich einmal mehr so meine Probleme, bis auf Lagana waren sie mir nicht grundsätzlich sympathisch. Für meinen Geschmack wurde die Figur der Stefanie zu stark betont und ich konnte auch nicht nachvollziehen, wieso sie als Roberts Ex so ein starkes Interesse daran haben soll, Giada zu helfen. Giada ist mir zu impulsiv, und das Herumreiten auf ihren Hexenohrringen, die Gefahr vorhersagen, und die Betonung ihrer Schönheit auf jeder dritten Seite fand ich dann auch irgendwann einmal überflüssig, nichtsdestotrotz passt es zum Motiv und dem sehr passenden Buchtitel, und sie hat eine starke Persönlichkeit, ist mutig und intelligent. Eine gewisse Situationskomik und skurrile Figuren dürfen auch wieder nicht fehlen, das Ganze ist in sich stimmig und einfach gut zu lesen.

Fazit: Gelungener zweiter Fall für Robert Lichtenwald und seinen toskanischen Freunden, mit viel Lokalkolorit und liebevoll gezeichneten Figuren. Der Autor bleibt seiner Linie treu und besticht vor allem durch seine Landschaftsbeschreibungen und der detaillierten Sicht auf das Leben und die Menschen in der Region. Die Zusammenhänge ahnt man recht schnell, trotzdem ist es ein durchaus solider und spannender Krimi. Wer den ersten Band mochte, wird auch diesen verschlingen.

PS: Der Klappentext deutet das schreckliche Schicksal einer jungen Römerin namens Donatella Fortunata an – ich habe keine Figur dieses Namens finden können. Sehr rätselhaft….

Veröffentlicht am 03.08.2018

Überzeugender Politkrimi aus dem Berlin der 1968er Jahre

Die Tote im Wannsee
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West-Berlin, Herbst 1968: Wolf Heller, Kommissar bei der Mordkommission, wird zu einer Toten an den Wannsee gerufen. Mit mehreren Messerstichen wurde die junge Frau brutal ermordet und in den See geworfen. ...

West-Berlin, Herbst 1968: Wolf Heller, Kommissar bei der Mordkommission, wird zu einer Toten an den Wannsee gerufen. Mit mehreren Messerstichen wurde die junge Frau brutal ermordet und in den See geworfen. Bei seinen Ermittlungen stößt Heller nicht nur auf Steine schmeißende Studenten, sondern auch auf allerlei Ungereimtheiten, woher zum Beispiel hatte die Tote ein Sparbuch mit 12.000 D-Mark? Heller merkt außerdem, dass er ausgebremst werden soll, seine Vorgesetzten legen ihm nahe den Fall abzuschließen, der Schuldige sei gefunden. Heller jedoch glaubt nicht an diese einfache Lösung und beginnt zu graben. Dabei gerät er immer tiefer in einen Sumpf aus Lügen und Verschwörungen, auch Geheimnisse aus der Vergangenheit spielen eine Rolle, und schlussendlich muss er erkennen, dass es um hohe Politik geht.

Sehr gut geschriebener und fesselnder Polit-Krimi aus der Zeit der 68er Studentenproteste im geteilten Berlin. Das Autorentrio versteht es, die Atmosphäre der Zeit sehr gut einzufangen und die Spannung recht kontinuierlich hochzuhalten. Wolf Heller ist ein interessanter Charakter an sich nicht besonders politisch, eher einzelgängerisch, und er knabbert am rätselhaften Tod seiner Mutter. Er arbeitet für das sogenannte Establishment, hegt aber durchaus gewisse Sympathien für die rebellierenden Studenten. Auch die anderen Charaktere sind gut herausgearbeitet und vielschichtig, die wechselnden Perspektiven geben gute Einblicke in die Motive und Gefühle der handelnden Personen.

Mit den weiblichen (Haupt-)Figuren hatte ich mitunter so meine Probleme, Louises Aktionen konnte ich gar nicht nachvollziehen, sie ist eine Tochter aus reichem Hause, nicht wirklich politisch und teilweise wirklich nervend, Paula fand ich merkwürdig und in ihren Prinzipien nicht überzeugend. Sehr gut dargestellt fand ich die historischen Umstände, z.B. die Zustände im geteilten Berlin, wo erst vor kurzem die Mauer errichtet wurde und Menschen getrennt wurden. Besonders gut konnte man sich auch in die Gedankenwelt der rebellischen Studenten hineinversetzen, auch wenn sie einem politisch fremd bleiben mag. Die Handlung ist stringent und überzeugend, die Zusammenhänge erschließen sich nach und nach. Es ist nicht wirklich eine klassische Detektivgeschichte, wo man bis zu Ende auf die Nennung des Mörders wartet. Die Spannung ergibt sich eher aus dem sukzessiven Herausfiltern der politischen Zusammenhänge, der Ambivalenz der Charaktere und der beiden parallel laufenden Geschichten um die Studentenaufstände und der Ermittlungsarbeit.

Da sich der Handlungsverlauf nur über etwa zwei Wochen erstreckt, wirkt das Ganze sehr kompakt, was auch an der mitunter recht sachlichen Sprache und den kurzen Sätzen liegt, trotzdem ist die Handlung aber durchaus komplex. Vier lange Kapitel teilen den Handlungsverlauf auf, die wiederum mit Datumsangaben überschrieben sind. Mich hat nur gestört, dass manchmal innerhalb nur weniger kurzer Absätze mehrfach die Perspektive gewechselt hat, dadurch wirkte das Ganze manchmal etwas abgehackt.

Fazit: Kompakter und solider Politkrimi vor spannendem historischen Hintergrund. Die Beschreibungen des geteilten Berlin, der Menschen und ihrer Motive sind sehr überzeugend. Spannend fand ich auch die vielen bekannten Namen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die zum großen Teil auch heute noch präsent sind. Alles in allem ein gut gelungenes Buch für alle, die sich für diese Zeit interessieren.

Veröffentlicht am 29.05.2018

Flotter Provinzkrimi mit viel Situationskomik

Bülent Rambichler und die fliegende Sau
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Bülent Rambichler, seines Zeichens Hauptkommissar bei der Nürnberger Mordkommission, ist ein Bürohengst, wie er im Buche steht. Während seiner ganzen Dienstzeit bei der Mordkommission war er nicht einmal ...

Bülent Rambichler, seines Zeichens Hauptkommissar bei der Nürnberger Mordkommission, ist ein Bürohengst, wie er im Buche steht. Während seiner ganzen Dienstzeit bei der Mordkommission war er nicht einmal im Außendienst und hat auch noch nie einen Fall aufgeklärt. Das soll sich nun ändern: Sein Chef schickt ihn zu einem Fall ausgerechnet in seine fränkische Heimat, in seinen Geburtsort in der tiefsten fränkischen Provinz, nach Strunzheim. Dort soll er den Tod der Fleischereifachverkäuferin Kerstin aufklären, und das am besten vom elterlichen Schuppen aus, der als Kommandozentrale dienen soll. Bülent verfällt zuerst in Schwermut, dann jedoch verbeißt er sich - angetrieben von seiner veganen, yoga-fanatischen Assistentin Astrid – immer mehr in den Fall, und beide tauchen tief ein in die menschlichen Abgründe in der ach so idyllischen Provinz.
Herrlicher Provinzkrimi mit viel Lokalkolorit, skurrilen und verschrobenen Dörflern und zwei Ermittlern, wie sie verschiedener nicht sein könnten. Der Schreibstil der Autorin ist locker und flapsig und sehr mundartlich angehaucht, eine gewisse Affinität zum fränkischen Dialekt und eine Zuneigung zum Provinziellem ist absolute Voraussetzung, dieses Buch zu mögen. Man versteht aber auch als Nordlicht alles, ohne jedes Mal das Wörterbuch bemühen zu müssen. Außerdem gibt es hilfreiche Erläuterungen am Ende des Buches. Man kommt sofort in die Geschichte hinein, sie liest sich flott herunter, und mehr als einmal muss man wirklich lachen ob der manchmal wirklich skurrilen Situationen und Sprüche der Protagonisten.
Auch wenn einige Male aus der Sicht einer anderen Figur erzählt wird, konzentriert sich das Ganze sehr auf Bülent und seiner Auseinandersetzung mit der alten Heimat. Die Diskrepanz des Großstadt-Bülents mit dem Dorfjungen ist wirklich herrlich und ruft mehrere sehr lustige Begegnungen und Dialoge hervor, ebenso wie seine Begegnungen mit seinen Eltern und der Dorfbevölkerung, die ihn von klein auf kennen. Auch die Beschreibungen seiner Gedanken zu seiner Kollegin Astrid, die sich ungeniert in alle möglichen Yoga-Positionen schwingt und die das Dorfleben so gar nicht kennt, seine Eltern und das Dorfleben aber sogleich ins Herz schließt, sind schlichtweg köstlich. Bülent traut man auch erst einmal gar nichts zu, ist er doch eher phlegmatisch und völlig ohne Ehrgeiz, im Gegensatz zu Astrid, die ihn mehr als einmal antreiben muss, damit er überhaupt aus dem Quark kommt. Außerdem ist er eitel und recht selbstverliebt, aber im Laufe des Buches wird er zunehmend mannhafter und weiß sich gegenüber seinem Vater und der ihn gängelnden Dorfbevölkerung durchzusetzen.
Mein Lieblingscharakter aber war Bülents Vater Erkan. HERRRRRRLICH!! Ein Deutsch-Türke, der sowohl südländisches Temperament als auch fränkische Traditionen in sich vereint, deftige Fleischspeisen – insbesondere fränkische – schätzt, seine Familie und sein Dorf liebt und sogar politische Ambitionen hat. Er dreht an ein paar Schrauben und setzt alle Hebel in Bewegung, damit sein Sohn endlich mal ein Erfolgserlebnis hat. Natürlich völlig uneigennützig und nicht, weil er für den Gemeinderat kandidiert. Besänftigen lässt er sich höchstens von seiner sehr verständnisvollen Frau Maria. Die beiden sind denn auch die kooperativsten, klar, dass sie ihren Sohn unterstützen, denn der Rest der Bevölkerung hat so manches dunkle Geheimnis zu verbergen.
Der Kriminalfall selbst ist zwar interessant, geht aber zwischendurch ziemlich unter, zu sehr stehen die Figuren und das dörfliche Leben im Vordergrund. Die Dörfler scheinen zumeist entweder debil, sexsüchtig, frömmlerische Moralapostel oder Heuchler zu sein. Dabei sind die Zusammenhänge durchaus verzwickt und es gibt auch einige Verwicklungen, die Lösung des Falles selber dann aber doch eher enttäuschend und geschieht eher zufällig. Ach ja, und eine echte Sau spielt auch eine Rolle…
Fazit: für alle Fans des Provinzkrimis ein Muss. Sehr humorvoll erzählt mit allem, was ein Provinzkrimi braucht. Schöner flüssiger Erzählstil mit viel dialektalem Einschlag, witzigen Dialogen und skurriler Situationskomik und sehr sympathischen Charakteren, die man liebgewinnt. Die Autorin zeichnet ihre Figuren sehr liebevoll und man merkt, dass sie der fränkischen Lebensart und ihren Menschen sehr gewogen ist, was einen wiederum für diese einnimmt. Der Krimifall kam mir ein bisschen zu kurz, trotzdem aber ein sehr unterhaltsames Buch.

Veröffentlicht am 28.09.2017

Packende Fantasy

Die neun Prinzen von Amber
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Ein Mann erwacht schwer verletzt in einem Krankenhausbett in einer ihm unbekannten US-amerikanischen Stadt, ruhig gestellt durch Betäubungsmittel. Schnell wird ihm klar, dass er außergewöhnliche Fähigkeiten ...

Ein Mann erwacht schwer verletzt in einem Krankenhausbett in einer ihm unbekannten US-amerikanischen Stadt, ruhig gestellt durch Betäubungsmittel. Schnell wird ihm klar, dass er außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt: Seine Verletzungen heilen sehr viel schneller als bei gewöhnlichen Menschen. Nur seine Erinnerung kann er nicht alleine wieder herstellen. Er entlässt sich selbst und forscht seiner Herkunft nach. Langsam wird klar, wer er ist: Er ist Corwin, einer der Prinzen von Amber, der Mittelpunkt der Welt, der Mutter aller Städte, die Unsterbliche. Durch ein magisches Muster erlangt Corwin seine Erinnerungen zurück, und ab diesem Zeitpunkt kennt er nur ein Ziel: den Thron von Amber zu erobern.

Das erste Buch der Chroniken von Amber, neu aufgelegt durch den Klett-Cotta-Verlag, der ab 14.10.17 jeden Monat einen neuen Band veröffentlicht. Die Chroniken umfassen zwei Zyklen zu je fünf Bänden. Die einzelnen Bände sind recht dünn, die Handlung ist aufgrunddessen sehr kompakt dargestellt, es passiert unheimlich viel und das Schlag auf Schlag, der Schreibstil ist ungeheuer fesselnd, die Geschichtes spannend und das Ganze liest sich ratzfatz herunter. Ich war von der ersten Zeile an fasziniert, Hauptfigur Corwin, aus dessen Perspektive die Geschichte in der Ich-Form erzählt wird, ist ein cooler Typ, der einiges aushalten kann und durchaus auch kein Kind von Traurigkeit ist. Keiner der Charaktere ist schwarz-weiß, alle haben ihre speziellen Eigenschaften und auch durchaus Sinn für Humor. Im Laufe des Buches lernt man so einige seiner (Halb-)Geschwister kennen und über den einen oder anderen möchte man natürlich auch mehr erfahren. Der Autor entwirft zudem eine faszinierende magische Welt, neben welcher alle anderen Welten nur mehr Schatten, Spiegelbilder oder schlichtweg Chaos sind. Mit Hilfe von Spielkarten kommunizieren die Mitglieder des Königshauses miteinander, sie können außerdem mit der Kraft ihrer Gedanken magische Dinge tun. Die Gesellschaft von Amber mutet eher mittelalerlich an, trotzdem bedienen sich die Prinzen auch der Gegenstände aus der Welt der Schatten, z.B. Autos und Waffen. Dieser erste Band macht den Leser mit den Protagonisten vertraut und schildert Corwins Rückkehr nach Amber sehr anschaulich - auch Schlachtgetümmel und Waffengeklirr, fremdartige Wesen, unerwartete Verbündete und Verrat dürfen nicht fehlen.

Fazit: Alles in allem ein toller Auftakt zu einer faszinierenden Reihe. Packend von der ersten Zeile an dank Hauptfigur Corwin und tollem Schreibstil. Wen es einmal gepackt hat, der will unbedingt weiterlesen, und für Fans des Genres sowieso ein Muss. Ich warte gespannt auf den nächsten Band!

Veröffentlicht am 24.09.2017

Krimi mit Geschichtslektion

Die Gärten von Istanbul
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Hauptkommissar Nevzat von der Mordkommission Istanbul ist nach dem Tod von Frau und Tochter noch immer in Trauer, nur mühsam findet er zurück ins Leben. Er lenkt sich mit viel Arbeit ab. Da wird er mit ...

Hauptkommissar Nevzat von der Mordkommission Istanbul ist nach dem Tod von Frau und Tochter noch immer in Trauer, nur mühsam findet er zurück ins Leben. Er lenkt sich mit viel Arbeit ab. Da wird er mit einem grausamen Mord konfrontiert: Vor dem Atatürk-Denkmal wird ein Mann mit durchgeschnittener Kehle gefunden, mit einer historischen Münze in der Hand. Was hat das zu bedeuten? Nevzat und seine zwei Assistenten, der impulsive Ali und die analytische Zeynep, machen sich an die Arbeit. Als am Tag darauf erneut eine ebenso zur Schau gestellte Leiche gefunden wird, ist klar: Man hat es mit einem Serienmörder zu tun. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt...

Klassischer Krimi, Reiseführer, Geschichtsunterricht - in diesem atmosphärisch dichten Roman hat man gleich drei Genres in Einem. Der Autor versteht es, einen komplexen Fall zu konstruieren und diesen mit der reichhaltigen Geschichte einer faszinierenden Stadt in Einklang zu bringen. Auch seine Charaktere sind einzigartig, vielschichtig und bieten reichlich Facetten. Besonders Hauptfigur Nevzat, aus deren Sicht die Ereignisse in der Ich-Form erzählt werden, gewährt, bedingt durch die Erzählperspektive, tiefe Einblicke in sein Seelenleben, in seine Gedankengänge zum Fall, aber auch in seine zwiespältige Gefühlswelt.

Formal ist das Buch in sieben Teile aufgeteilt, ein jedes - bis auf das letzte - wiederum in mehrere Kapitel. Diese haben als Überschrift sehr passende Zitate aus dem jeweiligen Kapitel. Der Schreibstil ist etwas gewöhnungsbedürftig, mal flapsig, mal gehobener in den Geschichtspassagen, aber durchaus flüssig und gut zu lesen. Ich musste mich zunächst erst einmal an die fremdartigen Namen gewöhnen und die Anrede - in der Türkei wird geduzt, allerdings im geschäftlichen Umgang mit dem respektvollen Bey oder Hanim hinter dem Vornamen, was Herr oder Frau bedeudet.

Von den Charakteren fand ich Hauptkommissar Nevzet am Interessantesten, was natürlich auch der Erzähl-Perspektive geschuldet ist. Alles ist auf ihn ausgerichtet, er ist der führende Kopf im Team, dem zugearbeitet wird, und auch von seinem Privatleben erfährt man mit Abstand am meisten. Berührend wird seine Trauer um Frau und Kind beschrieben, seine vorsichtige Annäherung an eine neue Liebe, seine Verbundenheit mit seinen Freunden Yekta und Demir. Er ist ein Kind des türkischen Bildungsbürgertums, hochintelligent und sehr geschichtsinteressiert, außerdem liebt er seine Stadt Istanbul, obwohl diese ihm jeden Tag aufs Neue Schreckliches offenbart. Im Beruf ist er ein analytischer und sachlicher Denker, der loyal zu seinem Team steht, und ein absoluter Gerechtigkeitsfanatiker, im Privaten ein treuer und sensibler Gefühlsmensch. Neben ihm besteht als Charakter eigentlich nur noch die Museumsdirektorin Leyla in ihrer Vielschichtigleit und Hingebung zum Beruf. Sehr sympathisch waren mir aber auch der impulsive Ali und seine Kabbeleien mit Zeynep, er brachte immer ein bisschen Bodenständigkeit und Humor in die manchmal trockenen Exkurse, und Nevzets Freunde Demir und Yekta.

Inhaltlich ist der Roman sehr komplex. Er beginnt als klassischer Krimi: Mord und die Frage nach dem Wer und Warum. Schnell wird die geschichtliche Verbindung deutlich, seine Ermittlungen führen Nevzat durch das historische Istanbul, er bekommt es mit Museumsdirektoren, aber auch mit Baulöwen und Untnehmern, mit religiösen Eiferern und linken Vereinigungen zu tun. Ein Großteil nehmen in der Darstellung die geschichtlichen Exkurse ein, besonders in der Mitte des Buches tritt hierfür die Krimihandlung stark zurück. Diese Exkurse sind in gehobener Sprache verfasst und kommen mitunter sehr oberlehrerhaft herüber - was sogar auch explizit erwähnt wird. Ich muss gestehen, dass es selbst mir, als wirklich geschichtsinteressiertem Leser, manchmal zuviel wurde und dass ich lieber mehr über die Ermittlungsarbeit gelesen hätte. Auch fand ich die eine oder andere dargebrachte Lektion unnötig und den Erzähler derselben unglaubwürdig. Dass eine Museumsdirektorin sich auskennt, ist vollkommen legtim, auch wenn sie wirklich sehr oft ungebremst ihre Monologe ausführen durfte. Dass aber zwei Obdachlose ebenfalls das Wissen eines Geschichtslehrers besitzen, fand ich eher merkwürdig. Die extrem häufigen und ausufernden geschichtlichen Monologe gingen dann leider auf Kosten der Spannung. Sehr interessant fand ich hingegen durchweg die Beschreibung der historischen Stätten Istanbuls und wohltuend der Verzicht auf allzu blutige Details. Im letzten Drittel nimmt die Geschichte dann wieder gehörig Fahrt auf, die Krimihandlung gewinnt die Oberhand bis zum sehr packenden und auch überraschenden Finale.

Fazit: Interessante und durchaus gelungene Mischung aus Krimi und Geschichtslektion. Der Autor verfügt über ungeheures Wissen und liebt seine Stadt. Meines Erachtens eher nichts für den klassischen Krimileser, Interesse an der Geschichte der Stadt Istanbul ist unbedingt vonnöten, sonst wird es eine Quälerei. Wenn man sich hierauf einlässt, erfährt man viel über das Leben, die Menschen und natürlich die Vergangenheit dieser faszinierenden Metropole am Bosporus.