Ein Roman, der einen an die Grenzen bringt
Und es schmilztEin Dorf mitten in Belgien – bäuerlich, klein und idyllisch. Dennoch trügt die Idylle, wenn man hinter die Fassaden der Familien schaut. Auf der einen Seite sind die Geschwister Jolan, Eva und Tesje, und ...
Ein Dorf mitten in Belgien – bäuerlich, klein und idyllisch. Dennoch trügt die Idylle, wenn man hinter die Fassaden der Familien schaut. Auf der einen Seite sind die Geschwister Jolan, Eva und Tesje, und auf der anderen Seite sind Evas‘ Schulfreunde Pim und Laurens. In Pims‘ Familie lebt noch der ältere Bruder Jan. Die Geschichte erzählt von den Dorfkindern in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Dazwischen liegen einige Jahre. Zum Teil leben die Eltern noch in dem Dorf, der sie verstarben an den üblichen Krankheiten oder an Altersschwächen. Eva verbringt in ihrer Kindheit häufig die freie Zeit mit Pim und Laurens. Pims Vater besitzt einen Bauernhof; bei der Arbeit hilft häufig der ältere Sohn Jan mit. Laurens Eltern vermarkten in ihrem Geschäft die einheimischen Schlachtprodukte der Tiere. Zum Glück wächst Eva an der Seite eines starken Bruders auf, der immer ein Auge auf seine jüngeren Schwestern hat. Tesje dagegen scheint eher ein Sorgenkind zu sein. Außerdem vernachlässigen Evas Eltern die Geschwister, besonders die Mutter, die dem Alkohol kaum aus dem Weg gehen kann. Aber auch in Pims Familie existieren Probleme. Eines Tages verschwindet Jan.
Die in Flandern geborene Autorin Lize Spit bringt die Leserschaft mit ihrer direkten – zum Teil vulgären Sprache – an ihre Grenzen. Wenn man daneben stehen würde, könnte man als Erwachsener den Kopf schütteln und sich schämen. Aber gerade das will die Autorin erreichen. Schaut man auf den Fokus des Geschehens, oder schaut man lieber weg und will von dem Übel des Teenagerlebens nichts wissen. Ungeschminkt erzählt Lize Spit die pubertären Auseinandersetzungen der Teenager mit sich selbst und zwischen den Geschlechtern. Besonders Pim und Laurens leben ein Stück ihre sexuellen Fantasien aus, bei denen sie nicht ihre eigenen Grenzen und die der anderen erkennen. Eva – dargestellt als Figur im Mittelpunkt der eigenen Familie und der Freunde - möchte in der Gegenwart einen Schlussstrich ziehen unter diesen Teenagererfahrungen von damals. Sie muss erst erwachsen werden, um den Mut aufzubringen und dementsprechend zu handeln. Pim und Laurens leben mittlerweile in ihren eigenen Familien. Dennoch lastet ein Schatten der Vergangenheit auf die Gegenwart. Ein Eisblock, den Eva ins Dorf bringt, steht symbolisch für die Zeit, die von damals verronnen ist, um Verletzungen zu heilen. In der Vergangenheit wie in der Gegenwart scheint es gerade Pim und Laurens nicht bewusst gewesen zu sein, was sie vor allem bei Eva, aber eventuell auch bei den anderen Mädchen im Dorf ausgelöst haben. In der Gegenwart erfährt man kaum etwas über die Mädchen von damals, deshalb kann man nur vermuten, wie es den Mädchen in den Situationen erging.
Eine Geschichte zu schaffen, die nicht blühende und idyllische Landschaften erzählt, verschafft womöglich Unbehagen bei der Leserschaft, und bringt kein einfaches Lesevergnügen hervor. Es bleibt letztendlich einem überlassen, ob man das Buch weglegt oder sich dem Fokus des Geschehens, der in die jeweilige Wunde bohrt, stellt. Auf jeden Fall stellt dieser Roman eine Herausforderung für die Autorin selbst und der Leserschaft.