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Veröffentlicht am 20.02.2024

Interessante Reise nach Russland, die sehr nachdenklich macht

Das Philosophenschiff
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Eine 100-jährige Architektin, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihren Eltern auf einem Schiff, einem sog. „Philosophenschiff“, aus Russland ins Exil gebracht wird, erzählt einem Schriftsteller ...

Eine 100-jährige Architektin, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihren Eltern auf einem Schiff, einem sog. „Philosophenschiff“, aus Russland ins Exil gebracht wird, erzählt einem Schriftsteller ihre Lebensgeschichte.

Die Erzählweise von Anouk Perleman Jacob ist Gold. Witzig, intelligent und charismatisch. Man sieht diese 100-jährige eine Zigarette nach der anderen rauchen (irgendwann ist’s auch egal, da tut man alles, dass das Ende schneller kommt), wie sie in ihrem Sessel sitzt und redet und redet und redet.

Ich hatte manchmal Angst, den roten Faden zu verlieren und auch die Erzählerin muss sich hin und wieder bremsen um nicht weiter abzuschweifen. Worauf die Geschichte hinaus will, erfahren wir tatsächlich erst ganz zum Schluss und auch wenn es im Nachhinein betrachtet ein sehr cleveres Ende ist, so habe ich einfach nicht damit gerechnet, dass die Geschichte diese Wendung einschlägt.
Manche Ideen und Personen, wie die der Alice und auch, dass der Schriftsteller (der sich als Köhlmeier selbst outet) neben der Erzählung von Frau Perleman Jacob auch noch weitere Recherchen anstellt, hätte ich mir weiter ausgearbeitet gewünscht. Für mich zunächst vergebenes Potential, da sich hier zwei gute Spannungsfelder hätte entwickeln können. Aber nun ist man am Ende, wie so häufig im Leben, schlauer, was mich dazu verleitet zu denken, dass es gar nicht um das ging, was ich bis zuletzt erwartet habe, sondern es hier keine umfassende Auflösung gibt.

Ob Köhlmeier uns mit der Geschichte noch mehr erzählen wollte? Kann oder muss sogar die Erzählung auf die gegenwärtige Situation in Russland übertragen werden? Das muss wohl jeder nach der Lektüre für selbst sich beantworten. Ich fand die Reise auf dem Philosophenschiff sehr spannend und möchte sie allen empfehlen, die gerne undurchsichtige Geschichten lesen, die einen rätselnd und nachdenklich zurück lassen.

Veröffentlicht am 29.01.2024

Unterhaltsam und bedrückend gleichermaßen

Die Frau in Hitlers Badewanne
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Als ich in „Liebe in Zeiten des Hasses“ über Lee Miller und ihre Beziehung zu Man Ray gelesen habe, wusste ich, dass ich mehr über dies Frau erfahren möchte. Diese Biografie erzählt die Geschichte wie ...

Als ich in „Liebe in Zeiten des Hasses“ über Lee Miller und ihre Beziehung zu Man Ray gelesen habe, wusste ich, dass ich mehr über dies Frau erfahren möchte. Diese Biografie erzählt die Geschichte wie Lee zunächst als Fotomodell vor und später dann durch Man Ray hinter der Kamera berühmt wurde. Nachdem sie und Man Ray getrennte Wege gingen, machte sie sich zuerst einen Namen als Modefotografin. Dabei ist es genau diese Rolle in ihrem Leben, die ihr am meisten missfiel. Man spürt in diesem Buch wie sie immer neue Abenteuer sucht, was auch ihr Antrieb war als Kriegsberichterstatterin zu arbeiten.

Mich haben vor allem die Kapitel in der Welt um die Surrealisten und Künstler in Paris fasziniert. Diese auch einmal aus der weiblichen Perspektive kennenzulernen, hat mir gut gefallen. Hier bin ich mit dem Lesen nur sehr langsam voran gekommen, weil ich jedes Bild, sei es nun das Portrait Picassos von ihr oder die Solarisationsbilder von Man Ray, googeln musste (was ich immer tue, wenn ein Bild beschrieben ist, das ich nicht vor meinem inneren Auge parat habe) was mir immer wahnsinnig viel Freude bereitet.

Sehr bedrückend und eindrücklich hingegen sind die Schilderungen Lees im zweiten Weltkrieg. Insbesondere die Beschreibung der Befreiung des KZ Dachaus ist beklemmend. Lee hat hingesehen und alles festgehalten. Ohne ihre Bilder und das damit verbundene Zitat „Glaubt mir, es ist alles wahr!“ wäre das Grauen dort wohl nicht in dieser Schonungslosigkeit ans Licht gekommen. Dieser immens wichtige Beitrag gegen das Vergessen macht sie zu einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts.

Diese Biografie ist unterhaltsam und bedrückend gleichermaßen und macht sie damit wahnsinnig lesenswert. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen der Hass wieder aufkeimt, ist es unabdingbar sich das Grauen vor Augen zu halten, denn nie wieder ist jetzt!

Those who cannot remember the past are condemned to repeat it.
- George Santayana

Veröffentlicht am 26.01.2024

Tolle Zeitreise mit ruhigem Krimiplot

Die Kriminalistinnen. Der Tod des Blumenmädchens
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Lucia Specht gehört zu einer ausgewählten Handvoll Frauen, die 1969 eine Ausbildung zur Kriminalbeamtin bei der Düsseldorfer Kripo machen. Dabei muss Sie sich nicht nur gegen ihre männlichen Kollegen behaupten, ...

Lucia Specht gehört zu einer ausgewählten Handvoll Frauen, die 1969 eine Ausbildung zur Kriminalbeamtin bei der Düsseldorfer Kripo machen. Dabei muss Sie sich nicht nur gegen ihre männlichen Kollegen behaupten, sondern auch ihren ersten Mordfall lösen.

Das Buch ist zwar allen voran ein Krimi, aber besticht im Besonderen durch die Atmosphäre, das Setting und das gesamte Drumherum. Vor meinem inneren Auge war alles in einen Sepia-Ton gehüllt und leise singt Scott McKenzie im Hintergrund über San Francisco. Wenn Lucia in die Hippie Welt eintaucht kommt noch der Patchouli Geruch dazu. Dass alleine Worte es schaffen, einen in eine solche Welt zu entführen, finde ich ganz fantastisch. Da macht es auch nichts, dass die Kriminalgeschichte selbst ganz ruhig daherkommt. Für mich hat das sehr gut gepasst.

Lucia ist angenehm, wenn auch in Teilen etwas naiv, aber als emanzipierte Frau über 50 Jahre später, lässt sich das auch leicht sagen. Sie versucht sich durchzusetzen und sich nicht als „Tippse“ abspeisen zu lassen, was Angesicht der Umstände schon ziemlich fortschrittlich ist und sich sicherlich nicht mit der heutigen Zeit vergleichen lässt.
Das einzige, was mich etwas gestört hat, ist die Liebesgeschichte zwischen ihr und Erik. Mal abgesehen davon, dass mir nicht klar war, was dieser Handlungsstrang zur Geschichte beigetragen hat, so war mir Erik auch furchtbar unangenehm und etwas unheimlich. Vielleicht spielt er im folgenden Teil noch eine Rolle und wurde deshalb eingeführt? Da hilft aktuell wohl nur spekulieren…

Eine Leseempfehlung für Krimilfans, die es nicht allzu aufgeregt brauchen und sich gerne einmal auf eine Zeitreise in die Vergangenheit begeben möchten.

Veröffentlicht am 24.01.2024

Rasant und spannend mit fantastischem Setting

Argylle
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„Das Buch aus dem Film“ steht auf dem Buch und klingt erstmal seltsam. „Das Buch zum Film“ kenne ich oder vielleicht auch „Die Romanvorlage zum Film“, aber „…aus dem Film“? Das hat mich neugierig gemacht. ...

„Das Buch aus dem Film“ steht auf dem Buch und klingt erstmal seltsam. „Das Buch zum Film“ kenne ich oder vielleicht auch „Die Romanvorlage zum Film“, aber „…aus dem Film“? Das hat mich neugierig gemacht. Wenn ich recht dahinter gestiegen bin, dann verhält es sich so: es wird ganz bald einen Film geben, in dem sich Elly Conway, eigentlich nur Autorin von Spionagethrillern (sowohl im echten Leben, als auch im Film) selbst auf einmal in der Welt der CIA wiederfindet (wohlgemerkt nur im Film, zumindest soviel wir wissen ;). Und das Buch, das wir hier haben ist einer ihrer Argylle-Romane.

Argylle ist ein moderner James Bond, nur ohne Stil, Frauengeschichten und Wodka Martini. Die Story ist allerdings sehr James Bond. Ein ultimativer Bösewicht möchte die Macht an sich reißen und erwartungsgemäß ist er auch noch Russe. Um ihn aufzuhalten wird ein Agententeam der CIA zusammengestellt, das von Spur zu Spur durch halb Europa zu den schönsten Schauplätzen reist und gleichzeitig auch noch in der europäischen Vergangenheit gräbt.

Die Geschichte ist zudem super rasant. Von Einsatz zu Einsatz vergeht kaum Zeit, man kommt kaum zum Durchatmen, was das Buch enorm spannend macht. Plot und Setting waren für mich wirklich toll gelungen. Nur Argylle selbst bleibt hinter meinen Erwartungen zurück. Ja, er ist clever und hat ein paar sehr gute Ideen, aber mir fehlt hier das herausstechende Alleinstellungsmerkmal.

Abgesehen von diesem letzten Punkt ist es ein super gelungener Spionagethriller, der alles hat, was es braucht für ein spannendes Leseerlebnis.

Veröffentlicht am 07.01.2024

Medizinhistorisch super interessant

Die Formel der Hoffnung
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Dr. Dorothy Horstmann hat ihr Leben der Polio-Forschung gewidmet. Kein einfaches Unterfangen gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner und das auch noch als Frau in der Medizin der 50er Jahre. Bis sie ...

Dr. Dorothy Horstmann hat ihr Leben der Polio-Forschung gewidmet. Kein einfaches Unterfangen gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner und das auch noch als Frau in der Medizin der 50er Jahre. Bis sie von den männlichen Kollegen ernst genommen wird, vergehen viele Jahre und wenn man sich die Geschichte der Erforschung der Kinderlähmung anschaut, taucht sie nur am Rande auf (an der Polio Wall of Fame findet man sie beispielsweise überhaupt nicht) obwohl ihre Entdeckung maßgeblich für die Entwicklung eines Impfstoffes gegen diese Krankheit war. Dorothy steht sicherlich hier stellvertretend für all die Frauen, die in der Geschichte der Naturwissenschaften zu Randnotizen gemacht wurden.

Als Mensch, der Ende der 80er geboren wurde, hab ich von den verheerenden Ausmaßen, die die Kinderlähmung früher hatte nicht mehr viel mitbekommen. Gott sei Dank und vor allem Dank der Impfung! Das Buch zeigt die Schrecken des Virus auf und die große Sorge in der wahrscheinlich alle Eltern Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre waren. Der Weg wie die Forscher damals die Polio-Vakzine entwickelten und mit welchen Fragen und Unbekannten sie es zu tun hatten, ist super interessant. Fast wie ein Medizin-Krimi nur fehlt etwas das Tempo. Dorothy ist als Hauptperson überaus sympathisch und ich habe sie sofort lieb gewonnen. Leider plätschert es in der Mitte des Buches etwas dahin. Lange Zeit kommt Dorothy nicht voran und die Zeit will mit einer Liebesgeschichte überbrückt werden, die etwas fade ist und nicht wirklich in Schwung kommt.

Dennoch ist das Buch überaus empfehlenswert für alle mit Interesse an Medizingeschichte und diejenigen, die die Charité-Reihe gerne mochten. Apropos, in der ARD Serie gab es auch einmal eine Folge, die sich um Polio drehte (mit noch einer herausragende Ärztin: Ingeborg Rapoport)!