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Veröffentlicht am 13.03.2024

Nicht, was ich erwartet hatte

Das Buch der gefährlichen Wünsche
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“Das Buch der gefährlichen Wünsche” spielt in der fantastischen Bücherwelt, die Mary E. Garner für ihre Trilogie “Das Buch der gelöschten Wörter” erdacht hat. Es handelt sich aber um einen Einzelband, ...

“Das Buch der gefährlichen Wünsche” spielt in der fantastischen Bücherwelt, die Mary E. Garner für ihre Trilogie “Das Buch der gelöschten Wörter” erdacht hat. Es handelt sich aber um einen Einzelband, der unabhängig von den Vorgängern les- und verstehbar ist. Ob man es so tun sollte, ist aber eine ganz andere Frage. Soweit jedenfalls meine Einschätzung als Neueinsteigerin. Erschienen ist das Buch bei Lübbe - herzlichen Dank für das Leseexemplar!

Für Izzi Amazing läufts eigentlich wunderbar: Nicht nur ist sie Inhaberin einer erfolgreichen Wünscheagentur, sie ist auch Protagonistin eines Romans, der die Bestsellerlisten anführt. Allerdings häufen sich in der Welt der Lesenden Wunscherfüllungen mit unerwünschten Nebenwirkungen. Und deshalb wird Izzi vom Bund aus ihrer gemütlichen Handlung rausrekrutiert. Plötzlich soll sie als Gehilfin von Ahmed Walker - entschuldigung! - im Team mit einem Wanderer und ihrem Buchassistenten Brendan Higgs in der Welt der Lesenden das Buch der Wünsche auftreiben.

Mit der Erschaffung der Bücherwelt ist Garner zweifellos ein Meisterstreich gelungen! Die Idee, dass Buchfiguren ein Leben ausserhalb ihrer Handlung führen können, ist einfach hinreissend. Und noch viel zauberhafter natürlich die Vorstellung, dass Buchfiguren in die Welt der Lesenden gelangen können. Und umgekehrt Lesende in verschiedene Bücherwelten reisen können. Gemeinsam mit Izzi, die bisher nur in ihrer Handlung unterwegs war, werden Leser:innen in diese Welt und den Bund, sowie seine Aufgaben eingeführt. Und auch für Neueinsteiger:innen wie mich ging die Einführung reibungslos.
Izzi Amazing ist eine interessante Protagonistin, in deren Gedankenwelt die Geschichte angenehm zu verfolgen ist. Ansonsten waren die Figuren und Konstellationen für mich etwas durchmischt. Higgs Tollpatschigkeit und Ahmeds Ausdrucksweise waren in meiner Wahrnehmung doch eher klischeebehaftet. Ganz allgemein gab es zwar viele interessante Ansätze, viel schien aber überzeichnet und deswegen unfreiwillig komisch. Und einige der Nebenfiguren erfüllen ganz offensichtlich einfach eine Rolle und es fehlt ihnen entsprechend an charakterlicher Tiefe. Statisten und kleinere Nebenfiguren kommen in einer solchen Fülle vor, dass ich mich etwas erschlagen fühlte. Natürlich, als Kenner:in der Vorgängertrilogie hat man natürlich Bezug zu Hope, Gwen, Rufus, Lance etc. und deren Auftauchen löst dann wohl mehr als mein müdes Schulterzucken aus. Aber mir waren auch viele Buchfiguren fremd, da ich die meisten entsprechenden Bücher eben nicht kenne.
Die Handlung schreitet erst mal ziemlich flott und glatt voran - da bekam ich den Eindruck, dass hier auf begrenzter Seitenzahl auf etwas hingearbeitet wird. Etwas abgelöscht hat mir dann der Umstand, dass das Team einen wirklich dämlichen Fehler macht - einfach des Plots wegen. Die Fährten, die gelegt werden, waren ausserdem grösstenteils durchschaubar, der romantische Subplot schien mir eher plump und wenig knisternd. Auch die grosse Auflösung kam für mich nicht mehr überraschend, da die Diskussion in der Leserunde den Übeltäter für mich eindeutig enttarnt hatte. Ob ich ohne die anderen drauf gekommen wäre, ist allerdings nicht gesagt. Jedenfalls nimmt die Handlung zum Schluss - nach viel Warten und Däumchendrehen - dann doch noch etwas Fahrt auf und wird sogar einigermassen spannend.

Im Grossen und Ganzen war “Das Buch der gefährlichen Wünsche” zwar unterhaltsam und ansprechend geschrieben, aber doch zu sehr konstruiert, um organisch zu wirken und mich wirklich emotional einzubinden. Lust auf die originale Trilogie habe ich jetzt nicht wirklich. Aber ich denke, als Fan genau dieser, ist dieser Einzelband ein nettes Wiedersehen.

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Veröffentlicht am 13.03.2024

Interessantes Setting, wenig Handlung

Hunting Souls (Bd. 1)
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“Hunting Souls - Unsere verräterischen Seelen” von Tina Köpke ist im Coppenrath Verlag erschienen. Die Vertonung von argon, die ich hören durfte, lesen Rebecca Veil und Louis Friedemann Thiele. An dieser ...

“Hunting Souls - Unsere verräterischen Seelen” von Tina Köpke ist im Coppenrath Verlag erschienen. Die Vertonung von argon, die ich hören durfte, lesen Rebecca Veil und Louis Friedemann Thiele. An dieser Stelle herzlichen Dank an den Verlag - meine Meinung ist natürlich trotzdem meine eigene.

Katrina Smythe, 18 Jahre alt, ist eine nicht ganz durchschnittliche Jugendliche. Denn sie ist tot. Na gut, untot. Und ihre Familie besteht aus einer bunten Mischung Übernatürlicher - Vampire, Hexen, Werwolf, Geisterhund. Etwas unkonventionell, aber ansonsten eine normale, sich liebende Familie, die eben ein Bestattungsunternehmen im Keller führt. Doch dann zieht gegenüber eine Familie von Jägern ein. Und obwohl diese nicht auf der Jagd ist, sondern ein ungewöhnliches Anliegen hat, stellt das Katrinas untotes Leben ziemlich auf den Kopf. Denn nach einem verpfuschten Zauber hat sie Tate an der Backe, während ihr untotes Herz plötzlich wieder von sich hören lässt. Da hilft es auch nicht, dass auch Tod ihr noch einen Auftrag reindrückt.

Fangen wir bei den Grundlagen an: Mir hat das Setting wirklich überraschend gut gefallen! Die Autorin hat hier eine etwas skurrile Welt entworfen, die zwar düstere und makabere Elemente enthält, allerdings durch Humor und etwas Absurdität aufgelockert wird - und vor allem nicht allzu sehr weichgespült rüber kommt.
Dass die Hauptfigur im Prinzip ein Zombie ist, hat mir persönlich gut gefallen - und Katrinas Umgang mit ihrer Existenz fand ich gut herausgearbeitet. Katrinas Gleichgültigkeit und Sarkasmus kratzen zwar manchmal etwas an der Grenze zum Augenrollen, passt aber charakterlich dann eben doch gut genug zu ihr, um nicht nervig zu werden. Ganz allgemein ist sie eine angenehme Perspektivfigur und das ätzende Gefühl von Feststecken in einem Teeniehirn, wie es mich manchmal bei Jugendromanzen überkommt, blieb hier aus - trotz der stark romantischen Ausrichtung des Plots. Gepasst hat für mich auch Rebecca Veil als Sprecherin.
Ganz anders sieht die Sache allerdings bei Tate aus. Während er aus Katrinas Perspektive ein interessanter Charakter scheint - smart, lustig, tiefgründig - verkommt er in seinen eigenen Perspektivkapiteln zu einem schnulzigen, liebestrunkenen Vollpfosten, dessen Gedanken die Tiefe einer ausgetrockneten Pfütze aufweisen. Obwohl die Momente für den Perspektivwechsel vom Standpunkt des Plots gut gewählt sind, war ich doch immer froh, wenn die Kapitel vorbei waren. Auch nicht geholfen hat, dass mir die Interpretation des Sprechers nicht besonders gefallen hat. Vor allem die Fremdinterpretationen - und ganz besonders die Stimmen der Frauen - fand ich ziemlich schauderhaft. Und nicht auf die gute Art.

Zu Anfang des Hörbuches war ich recht angetan von den angeteasten Hanlungststrängen. Die Geschichte versprach Geheimnisse, die aufgedeckt werden wollen, versprach Action und Spannung. Allerdings trat das alles zunehmend in den Hintergrund. Und einzig die Lovestory hat sich bis zum Ende hin weiter entwickelt. In diesem Sinne gibt es in diesem ersten Band für mich nicht wirklich einen Handlungsbogen - eher eine Ansammlung von Szenen, die der Romanze dienen. Weil das ganze aber sprachlich ganz ansprechend daher kommt und ich sogar der Liebesgeschichte etwas abgewinnen kann, war dieser erste Band dann doch ganz gut wegzuhören. Und weil die angehäuften Aufgaben und Geheimnisse eben wirklich spannend sind, werde ich wohl auch den zweiten Teil in die Hand nehmen, wenn er dann erscheint. Der wirklich fiese Cliffhanger am Schluss wäre dazu nicht nötig gewesen.

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Veröffentlicht am 02.03.2024

Spannend und herausfordernd

Mütter Europas
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“Mütter Europas - Die letzten 43’000 Jahre” wurde von Karin Bojs, einer schwedischen Wissenschaftsjournalistin, geschrieben und von Erik Gloßmann ins Deutsche übersetzt. Ein herzliches Dankeschön von mir ...

“Mütter Europas - Die letzten 43’000 Jahre” wurde von Karin Bojs, einer schwedischen Wissenschaftsjournalistin, geschrieben und von Erik Gloßmann ins Deutsche übersetzt. Ein herzliches Dankeschön von mir an den C.H.Beck Verlag, der mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Meine Meinung ist natürlich trotzdem meine eigene.
In “Mütter Europas” geht die Autorin der Frage nach, welche Rolle Frauen in den frühen menschlichen Gesellschaften innehatten. Und wann und wie sich das Patriarchat etablierte. Bojs beschreibt die Entwicklung von Jäger und Sammler Gesellschaften zu sesshaften Bauerngesellschaften. Dabei vollzieht sie auch anhand diverser Ausgrabungsfunde, sprach- und schriftwissenschaftlicher Erkenntnisse, der Domestizierung von Pflanzen und Nutztieren, sowie Handelsgütern und Begräbnistraditionen verschiedene Migrationswellen und Wanderbewegungen von Mensch und Kultur nach, deckt Verschmelzungen und gegenseitige Einflüsse auf. Besonders dienlich sind ihr dabei neue Methoden und Ergebnisse der DNA Analyse, die es möglich machen, Väter- und Mütterlinien durch die Zeit zu verfolgen.
Das Buch wird als populärwissenschaftliches Werk vermarktet, was aber nicht heisst, dass es deshalb einfach zu lesen und nachzuvollziehen wäre. All die Namen der verschiedenen Kulturen und Fundstätten waren für mich schwer zu überblicken. Und da ich das Buch als ebook auf dem Reader gelesen habe, waren auch die angefügten Karten, welche das Nachvollziehen der Wanderbewegungen erleichtert hätten, für mich leider unbrauchbar. Eine weitere Ebene der Komplexität fügten die wissenschaftlichen Methoden hinzu, mit der Bojs ihre Geschichte der Mütter unterlegt. Da ich nur mit einigen davon vorgängig vertraut war, waren einige Argumente und Schlussfolgerungen für mich wenig nachvollziehbar. Gerade für die DNA Analyse, die hier eine so grosse Rolle spielt, hätte ich mir eine erklärende Einführung gewünscht. So war ich zumindest am Anfang doch etwas verloren und es dauerte eine Weile, bis ich einen roten Faden ausmachen konnte und sich mir gewisse Mechanismen, Zusammenhänge und Techniken erschlossen haben. Die Lernkurve war dann (auch mit etwas eigener Recherche neben der Lektüre) recht steil und so wurde das Buch dann für mich auch immer interessanter, als ich zunehmend mehr verstand, wovon die Autorin spricht. Um die fachliche Ebene zu beurteilen, fehlt mir natürlich weiterhin die Expertise.
Während ich den Inhalt von “Mütter Europas” grundsätzlich sehr spannend fand, hätte ich mir vielleicht mehr strukturelle Klarheit und sprachliche Prägnanz gewünscht. Es kam öfters zu Wiederholungen, die zwar einerseits hilfreich waren, aber auch Verwirrung stifteten, da sie nicht als solche gekennzeichnet waren. Manchmal fiel mir dann erst nach einer Weile auf, dass es sich hier nicht um neue Information handelte.
Und noch einmal: Ich fand “Mütter Europas” sehr interessant und lehrreich. Einerseits im Hinblick auf die kulturelle und soziale Entwicklung in Europa und die Rolle der Mütter in frühen Gesellschaften. Besonders ansprechend und beeindruckend finde ich die Vielfalt und -zahl der Informationsquellen, Fachgebiete und Perspektiven, die Bojs einbezieht, um diese komplexe kulturelle und soziale Geschichte unserer Spezies zu zeichnen. Andererseits war es für mich intellektuell eine Herausforderung, teilweise an der Grenze zur Frustration. Zum Genuss der Lektüre empfiehlt sich auf jeden Fall das Printexemplar. Und bestenfalls gewisse Grundkenntnisse der Materie.

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Veröffentlicht am 02.02.2024

Die ungenutzte Macht der Worte

Babel
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“Babel” stammt aus der Feder von Rebecca F. Kuang. Ich habe es als Hörbuch, gesprochen von Moritz Pliquet, auf audible gehört. Beworben wird das Werk als epische Fantasy, verglichen mit Harry Potter, gelobt ...

“Babel” stammt aus der Feder von Rebecca F. Kuang. Ich habe es als Hörbuch, gesprochen von Moritz Pliquet, auf audible gehört. Beworben wird das Werk als epische Fantasy, verglichen mit Harry Potter, gelobt für seine vielfältige und scharfe Gesellschafts- und Kolonialismuskritik, ausgezeichnet mit diversen renommierten Preisen. Die Erwartungen waren hoch. Die eigene Leseerfahrung fiel zwiegespalten und etwas ernüchternd aus.

Die Geschichte spielt in den 1830er Jahren, grösstenteils in England, speziell in Oxford. In Kuangs Version der Geschichte existiert aber das Silberwerken - eine Form von Magie, die mit einer Kombination von Sprache und Silber funktioniert. Erzählt wird die Geschichte von Robin Swift, einem Jungen aus Kanton, der seine Familie an die Cholera verloren hat und von einem englischen Professor nach England eingeladen wird. Dort erhält er die nötige Bildung, um anschliessend in oxfordschen Babel, dem Sprachinstitut der Krone des Empires, seine Ausbildung anzutreten. Als Ausländer und somit chinesischer Muttersprachler ist er, genau wie seine Jahrgangsfreunde, sowohl besonders wertvoll, als auch eine Kuriosität im Herzen der Kolonialmacht. Und schon bald gerät Robin in den Irrgarten sich widerstreitender Loyalitäten und Moralvorstellungen.

Eingehen möchte ich hier zuerst auf den Fantasy Aspekt - denn schon hier fangen meine gemischten Gefühle an. Einerseits hat Kuang es hier meiner Meinung nach geschafft, ein beeindruckendes Setting zu erschaffen. Geschickt verwebt sie echte Geschichte mit Fiktion und die Magie in Form des Silberwerkens fügt sich nahtlos und organisch in die wahren Begebenheiten ein. Dadurch schafft sie eine prägnante Ausgangslage, welche die tatsächlichen Wirkmechanismen des Kolonialismus und das Machtmonopol des Empires noch prägnanter hervortreten lassen. Dieses Magiesystem ist ausserdem nicht nur für Sprachinteressierte äusserst spannend - es bietet sehr viel kreatives Potenzial für die Handlung und die ProtagonistInnen. Theoretisch jedenfalls. Denn so stimmig und ausführlich die magische Theorie für das Setting ist, bleibt es für Handlung und Charaktere weitgehend ungenutzt. Die Anwendung dieser Magie bleibt in der Geschichte Randerscheinung und schöpft kaum aus den kreativen Möglichkeiten.

Persönlich brauche ich nicht immer schnelle, actionreiche Einstiege oder einen rasanten Plot. Babels gemächlicher Einstieg in die Geschichte war für mich aufgrund der gefühlvollen Einführung in das spannende Setting und die interessanten Thematiken durchaus fesselnd genug. Sprachlich und stilistisch äusserst ansprechend führt Kuang durch den Sumpf von offenem und verdecktem Rassismus und Sexismus, von impliziter und expliziter Gewalt und der Bigotterie kolonialer, weisser Machtstrukturen. Unterstützt und gewürzt wird dieses ausdrucksstark gezeichnete Bild von geschickt platzierten Exkursen in die Linguistik und Translationstheorie.

Und wieder folgt dieselbe Kehrseite der Medaille: So detailreich und kunstvoll das Setting, der Rahmen, ausgearbeitet wurde, so sehr werden Handlung und Charaktere vernachlässigt. Die Nebenfiguren erhalten wenig mehr als eine Charaktereigenschaft - diese erhält zwar mehrere Facetten - die teilweise oder in Ansätzen beleuchtet werden - wirkt aber auch extrem, sogar verbohrt. Sie scheinen ausserdem vor allem dazu zu dienen, pointiert die Ansichten der Autorin zu transportieren. Und bleiben daher für mich eher leblos. Der Protagonist Robin wurde mir im Verlauf ausserdem immer unsympathischer - denn er ist vor allem ein Fähnlein im Winde, der bis zum Schluss der eigenen reflektierten Meinungsbildung unfähig bleibt. Seine Motive wurden für mich stetig schwächer, intellektuell unausgegorener und moralisch wie philosophisch äusserst fragwürdig. Im Allgemeinen scheinen mir die meisten Akteure einigermassen einfältig und etwas karikiert - auf allen Seiten.

Die Handlung dümpelt so vor sich hin, trumpft zwar hier und da mit kleineren Plot Twists und Überraschungen, lässt aber einen übergeordneten Spannungsbogen und damit eine fesselnde dramaturgische Struktur vermissen. Der auktoriale Erzählstil nimmt ausserdem schon sehr früh die Spannung für einen der grösseren Twists und Chekhovs Gun wird mehr als einmal zuverlässig und erwartungsgemäss abgefeuert. Die Handlung wird dann gegen Ende immer dramatischer und vor allem brutaler. Einerseits mag dies den Erfordernissen der Geschichte entsprechen, welche die Autorin erzählen will. Einige Ereignisse erschienen mir aber auch wie absichtlich eingesetzte Schockelemente und wirken auf mich etwas platt.

Und dann gibt es da noch die Eigenart von Kuang, mir als Leserin mit dem mahnenden Zeigefinger vor der Nase herumzufuchteln und mit ausufernder Ausführlichkeit meine Gedankengänge vorzuschreiben. Es wäre nämlich falsch zu sagen, dass “Babel” Fragen aufwirft. Das tut es nicht. Es beantwortet Fragen und lässt keinen Raum für Alternativen oder Kontroversen. Die schwarz-weiss Darstellung von Sachverhalten, Wirkmechanismen und Charakteren nimmt zum Schluss des Buches hin stetig weiter zu, wird dogmatisch und driftet sogar bis ins Klischee ab. Gipfeln tut das Ganze dann im Beweis der These “the necessity of violence” - dem englischen Untertitel - die für mich moralisch, gesellschaftstheoretisch und (staats)philosophisch fragwürdig und historisch nicht zwingend ist - wie das Beispiel von Indiens gewaltlosem Unabhängigkeitskampf unter geistiger Führung von Mahatma Gandhi eindrücklich beweist.

Kuang beweist mit Babel ihre Qualitäten als Theoretikerin und Wissenschaftlerin, indem sie ein überzeugendes und wirkungsvolles Setting schafft und ihre Thesen argumentativ stichhaltig und sprachlich attraktiv darlegt. Mit der Dramaturgie, der Message und dem lehrmeisterhaften schwarz-weiss Zeichnen konnte mich Babel aber als literarisches Werk nicht wirklich begeistern. Viel mehr hatte ich den Eindruck, einen wirklich sehr langen und auf Dauer etwas ermüdenden Essay zu lesen.

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Veröffentlicht am 12.01.2024

Interessant und spannend - bleibt aber kraftlos und ohne Brisanz

Julia
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“Julia” von Sandra Newman ist eine Nacherzählung zu George Orwells Klassiker “1984”. Wie die originale Vorlage entführt das Buch in eine dystopische Welt, die von den drei Supermächten Ozeanien, Eurasien ...

“Julia” von Sandra Newman ist eine Nacherzählung zu George Orwells Klassiker “1984”. Wie die originale Vorlage entführt das Buch in eine dystopische Welt, die von den drei Supermächten Ozeanien, Eurasien und Ostasien dominiert wird. Genauer nach London, Startbahn 1 (England) in Ozeanien, das von Engsoz, der Partei des Grossen Bruders, regiert wird. Die Geschichte folgt dabei Julia, einer Maschinistin in den Mittzwanzigern, der späteren Geliebten von Winston Smith. Dies ist ihre Geschichte und ihr persönlicher Weg durch die Hölle eines totalitären Systems. So viel schon mal vorweg: Das Buch ist nichts für schwache Mägen.

Ich habe “Julia” im Rahmen einer Leserunde gelesen - vielen Dank an den Eichborn Verlag und das Team von Lesejury für das Rezensionsexemplar! Orwells “1984” las ich zum ersten Mal vor etwa 15 Jahren, vor Kurzem dann erneut. Im Folgenden möchte ich die Nacherzählung einerseits als solche betrachten - also zur Vorlage in Vergleich setzen- als es auch als Einzelwerk würdigen.

Der offensichtlichste Unterschied springt gleich von Beginn weg ins Auge: Die Perspektive. Newman nimmt Julias Geschichte zum Anlass, sowohl mehr in die Tiefe, als auch in die Breite zu gehen. Gleichzeitig mit Julias Vergangenheit beleuchtet “Julia” Aspekte der historischen Entwicklungen, die zum herrschenden System geführt haben. Dabei gestattet der Roman einen Blick über den Tellerrand des Mikrokosmos London, die Winston Smith den Leser:innen durch seine (örtlich) beschränkten Erfahrungen nicht geben konnte. Dazu gesellen sich weitreichende Einblicke in Julias Alltag, die eben einer jüngeren Generation von Genossinnen angehört. Und natürlich eine Frau ist. Julia wird so von dem willigen Objekt von Winstons Begierde, zu einer aktiven Protagonistin. Scheinbar geschickt, weitsichtig und clever manövriert sich Julia durch die Schlupflöcher der Parteidoktrin und glaubt sich mit ihren kleinkriminellen Vergnügungen unterhalb des Radars des Liebesministeriums und der Denkpol.

Erstaunlich früh, wie ich fand, überrascht “Julia” mit unerwarteten Plottwists, ohne in der Handlung vom Original abzuweichen. Dadurch schafft es die Autorin, inhaltlich neue Akzente zu setzen und Spannung zu erzeugen, selbst wenn man den Gang der Geschehnisse bereits kennt. Es entstehen neue Einblicke in die perfide Funktionsweise des Überwachungsapparats und bekannte Randfiguren erhalten mehr Hintergrund und (teils philosophische) Tiefe. Hier wird aus der Adaption eine funktionierende und authentische Neuerzählung. Auf die Spitze treibt Newman diese Neuerzählung durch das Weiterspinnen der Geschichte über das originale Ende hinaus. Dabei erlaubt sie sich viel künstlerische Freiheit, die ich ihr einerseits zugestehen mag, die mir persönlich in der Ausführung aber wenig zusagt.

Im Allgemeinen zeichnet Newman ein ähnlich düsteres und brutales Bild einer entarteten Utopie, wie Orwell dies vor fast achtzig Jahren getan hat. Sie ergänzt dieses durch Kontext und eine weibliche Perspektive. Das hilft zwar dem Verständnis und dient der Nachvollziehbarkeit gewisser Dynamiken und ist an und für sich interessant. Aber sie fügt wenig an, das mir bei der Lektüre des Originals gefehlt hat. Und ich erkenne für mich wenig Zugewinn hinsichtlich der Botschaft oder intellektueller Anregungen. Neu ist lediglich die Weiblichkeit der Perspektive - und der vielgelobte Feminismus, der in diesem Buch stecken soll. Hier sehe ich aber grosses Potenzial für Missverständnisse. Denn der Feminismus zeigt sich für mich keineswegs in den Handlungen und Motiven der Protagonistin Julia - wo ihn viele Leser:innen offenbar irgendwie zu finden/interpretieren glauben. Ich verstehe Newmans feministische Kritik jedoch viel mehr als Anprangerung der Reduzierung von Feminismus auf Sexualität und sexuelle Freiheit - dargestellt durch Julias übersexualisierte Verhaltensmotive, die von verschiedener Seite ausgenutzt und instrumentalisiert werden. Und in der männlichen Ignoranz für weibliche Alltagssorgen und Benachteiligungen. Diese Kritik ist für mich aber weder inhaltlich noch sprachlich pointiert genug dargestellt, als dass die breite Masse der Leser:innen sie als solche zu erkennen vermögen - was sich für mich sowohl in den Diskussionen als auch in diversen Rezensionen offenbart.

Ganz allgemein fehlt es “Julia” in meinen Augen an Prägnanz und damit Aussagekraft - es wirkt oft ausufernd und überladen, sowohl in den Details als auch in der Handlungsstruktur. Dadurch fehlen scharfe Aussagen und schlussendlich auch ein Thema. Und obwohl es vereinzelt tiefgründige Passagen gibt, fehlt mir der philosophische und gesellschaftskritische Gehalt, den ich erwartet habe. Damit bleibt das Gefühl von brisanter Aktualität - das Orwells “1984” noch heute und immer wieder bei mir auszulösen vermag - aus. Und “Julia” bleibt für mich ohne markante Botschaft.

Sprachlich ist das Buch in modernem und eben etwas ausschweifendem Erzählstil gehalten; persönlich, ungeschönt direkt, oft derb bis vulgär verfasst. Zwar handwerklich solide, bleibt es aber weit hinter Orwells stilistischer Raffinesse zurück.

Man kann “Julia” sicher nicht als nette Unterhaltung bezeichnen - dafür ist es zu düster, brutal und hoffnungslos. Aber kurzweilig ist es, sogar packend - nicht zuletzt durch effekthascherische Schockelemente. Als Einzelwerk ist “Julia” als Geschichte sicher spannend, als Nacherzählung eine durchaus interessante Perspektivenerweiterung. Einen literarischen oder gesellschaftsrelevanten Mehrwert kann ich darin für mich aber nicht erkennen. Deshalb lege ich allen (potenziellen) Leser:innen die (Vorab)Lektüre von George Orwells “1984” ans Herz.

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