Atemberaubend gute Dystopie!
Die Welt, von der Klimakatastrophe stark gebeutelt, scheint keine Ruhe zu finden. Francesca, eine Klimaexpertin, sieht das Ende nahen und schafft für ihre Familie in einiger Abgeschiedenheit einen Rückzugsort, ...
Die Welt, von der Klimakatastrophe stark gebeutelt, scheint keine Ruhe zu finden. Francesca, eine Klimaexpertin, sieht das Ende nahen und schafft für ihre Familie in einiger Abgeschiedenheit einen Rückzugsort, der ein existenzsicherndes Leben längst möglich garantieren soll. Sie selbst überlebt nicht, aber vier Protagonist:innen treffen dort auf "High House" zusammen: Grandy und dessen Enkeltochter Sally, sowie Caro und dessen Bruder Pauly. Gemeinsam versuchen sie gegen die Bedrohung der alles vernichtenden Flut zu überleben.
Jessie Greengrass hat mit "Und dann verschwand die Zeit" eine berührende Dystopie geschaffen, die vorwiegend in das Alltagsleben der Überlebenden eintaucht. Das belastete Verhältnis von Caro zu ihrer Stiefmutter Francesca wird ebenso thematisiert, wie die Monotonie des Überlebenskampfes. Die kurzen Kapitel werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt - mal verfolgen die Leser:innen Caros Sicht, mal jene von Sally und zwischendurch tritt Pauly in den Mittelpunkt der Erzählung. Dies hat zur Folge, dass die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Protagonist:innen verdeutlicht werden und ein Eintauchen in die jeweilige Gedankenwelt ermöglicht wird. Die Atmosphäre ist melancholisch, aber wirkt nur selten bedrohlich. Vielmehr versuchen die Charaktere sich von dem drohenden Weltuntergang dadurch abzulenken, dass sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Die Verhältnisse zueinander wirken distanziert und doch sind sie auf eigene Weise füreinander da. Die zwischenmenschlichen Herausforderungen scheinen oft das Bedrohendste ihrer Situation zu sein. Spannend ist auch, dass hier unterschiedliche Lebensalter mit entsprechend unterschiedlicher Lebenserfahrung aufeinandertreffen. Besonders berührend ist die Rolle von Pauly, der noch ein Kind ist und sich die Welt zurecht rückt, indem er mutmaßlich die Fürsorge für ein Reiherpärchen übernimmt. Langsam verschwinden alle Menschen aus der Umgebung - genauso wie alle Tiere und die Vorräte, die Francesca eigentlich zur Genügen angelegt hat. Die Bedrohung der untergehenden Natur rückt bedächtig näher, um die Protagonist:innen schlagartig zu überfallen. Greengrass Sprache ist beinahe poetisch, kühl und unzugänglich, aber dennoch zieht sie eine:n in den Bann und schafft eine Atmosphäre, die die Lesenden vollends einnimmt.
Mein Fazit: "Und dann verschwand die Zeit" ist eine äußerst gelungene Dystopie mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Gekonnt verwebt die Autorin den drohenden Weltuntergang mit einer einfühlsamen, aber distanziert wirkenden Geschichte über einen langsam dahinschleichenden Existenzkampf einiger Protagonist:innen. Das Buch ist eines, mit dem man sich intensiv auseinandersetzen kann und das einen hoffen lässt, dass wir die Kurve in eine bessere Zukunft doch noch nehmen können. Ein absolutes Lesehighlight!